Liebe Leser,
die Situation der ersten Christen konnte verzweifelter nicht sein.
Der Missionar Stephanus lebte nicht mehr. Er war gesteinigt worden.
Der Jünger Jakobus, der mit seinem Bruder Johannes einmal so gerne
neben Christus auf dem himmlischen Thron sitzen wollte, war
enthauptet worden. Und als Herodes Agrippa merkte, dass es den Juden
gefiel, ließ er auch Petrus festnehmen und plante dessen Hinrichtung
ganz nach dem Drehbuch, dass sein Vorgänger auf dem Thron schon
einmal mit Jesus von Nazareth erfolgreich in Szene gesetzt hatte.
Das kleine Feuer der ersten Christen, sollte gründlich und
publikumswirksam ausgetreten werden.
Aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für Petrus zu Gott. Mehr
hatte die sagenhafte Urgemeinde dem Wüten der Mächtigen und den
frommen Gefühlen und Stimmungen der Straße nicht entgegenzusetzen.
Dass manche meinen, das wäre heute anders, könnte sich noch als
gefährliche Illusion erweisen.
Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief
Petrus zwischen zwei Soldaten. Um Gottes Willen, Petrus, wie schläft
man in so einer Nacht? „… solange ich hier eingesperrt bin, muss ich
einfach an schöne Dinge denken, ich kann nicht anders, sonst werde
ich verrückt, oder? ... Antworte mir. - Was soll ich dir antworten?
- Dass du dich nicht immer querlegst, wenn ich mich aus der
Wirklichkeit fortschleichen will. Warum soll ich mich noch tiefer in
die Verzweiflung hineinreiten? Willst du, dass ich ganz und gar
verrückt werde? - Nein, im Ernst, schon gut, es stimmt, dass du hier
verrückt werden kannst, aber verrückt wird man nicht nur dadurch,
dass man verzweifelt, sondern auch dadurch, dass man sich der
Wirklichkeit entfremdet - wie du. Was du tust, nämlich an schöne
Dinge denken, wie du sagst, das kann gefährlich sein. - Warum? Das
stimmt nicht. - Es kann eine Sucht werden, sich aus der Wirklichkeit
fortzustehlen, wie eine Droge. Denn, hör zu, deine Wirklichkeit,
deine Wirklichkeit ist nicht nur diese Zelle.“ (Manuel Puig, Der
Kuss der Spinnenfrau, Frankfurt, 1983, S. 85)
Hören wir da schon ein Gespräch des Petrus mit dem Engel? War es
schon hell geworden? Sehen wir, wie Petrus verzweifelt die Augen
zusammenkneift? Von diesem letzten Morgen hat er nichts Gutes zu
erwarten. Und der Engel stieß Petrus in die Seite – stellt Euch das
mal vor! In die Rippen hat er ihn getreten! – und sagt: Steh auf.
Und Petrus steht auf und will los und der Engel sagt: Mann, zieh dir
erst mal die Schuhe an und mach den Gürtel um, willst du so auf die
Straße? Petrus macht und will wieder los und der Engel schüttelt den
Kopf und sagt: Den Mantel!
Vielleicht war es der Erzengel Michael, der, der dem Michaelistag,
dem Gedenktag aller Engel am 29. September seinen Namen gab.
Vielleicht war er zeitlos kurz eingekehrt im Kerker des Petrus,
selbst im schweren Mantel mit blutigem Schwert an der Seite, aus der
Schlacht um die letzten Dinge. Und er schaut jetzt ein wenig
mitleidig, wie Petrus der Fels, auf den der Herr seine Kirche baut,
ihm hinterherstolpert und verzweifelt versucht, seinen linken Arm in
den Ärmel des Mantels zu kriegen.
Wie im Traum. Wo sind die Ketten? Sind das die Wachsoldaten? Das
eiserne Tor, dass sich automatisch öffnet, als hätte es
Engelslichtsensoren. Das Pflaster der nächtlich leeren Straße. Die
Hauswand um die Ecke. Petrus lehnt sich an und atmet schwer. Michael
ist zurück in die Schlacht. Denn, hör zu, deine Wirklichkeit, deine
Wirklichkeit ist nicht nur diese Zelle. Und als Petrus zu sich
gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr
seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat.
Die Situation der ersten Christen konnte verzweifelter nicht sein.
Aber das Evangelium ist nicht festzusetzen und auszulöschen. Gott
lässt es nicht zu! Sein Wort macht die Mächtigen zu Statisten; und
das waren damals immerhin Agrippa der Erste, genannt König Herodes,
ein enger Freund der römischen Kaiser Caligula und Claudius. Gott
sorgt dafür, dass sein Evangelium weiterlebt und sich ausbreitet.
Das ist es, was die Geschichte uns heute zu Gehör bringen und ans
Herz legen will. Und dabei darf der Apostel Petrus ruhig wie einer
aussehen, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht.
Denn das wissen wir alle doch im Grunde auch nicht. Ein Ausleger
schreibt: „Die Gründe für die abendländische Glaubenskrise sind
vielfältig. Dass der Glaube nicht durch äußeren Druck
herausgefordert wird, ist nur einer dieser Gründe. Zuerst und
zuletzt stößt man auf den Glauben an die Machbarkeit aller Dinge, ob
diese nun gemacht sind oder erst noch gemacht werden sollen; ein
Glaube, der die vergehende Ideologie des Sozialismus und das
Leistungsdenken des Westens miteinander verbindet. Nichts wäre
verheerender als der Versuch des Predigers, auch für die Befreiung
des Wortes aus seinem Gefängnis und der Wahrheit Gottes aus ihrer
Fesselung machbare Rezepte anzubieten. Wort und Wahrheit Gottes
haben es mit der Gnade, nicht mit den Werken zu tun.“ (Walter
Schmithals, GPM 3/1994, Heft 4, S. 369)
Dass es uns gibt, ist allein Gottes Gnade zu verdanken und wenn es
in 500 Jahren noch Christen gibt, dann hat sich daran nichts
geändert. Das muss auch einer evangelischen Kirche gesagt werden,
die sich hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt und verzweifelt
versucht, ihre Existenz selbst zu sichern. Das Wort Gottes taucht
dabei nur noch als Begründung auf, für das, was im eigenen, im
falschen Geist erdacht wurde. Die Geschichte des Petrus erinnert uns
daran, wo unsere wahre Hoffnung und Zuversicht zu finden ist. Wer in
sich selbst, seinen Sorgen und Ängsten eingesperrt ist, soll die
Worte des Engels hören: Denn, hör zu, deine Wirklichkeit, deine
Wirklichkeit ist nicht nur diese Zelle.
Dieser Satz steht nicht in unserem Predigttext und doch fasst er
wunderbar zusammen, was Petrus und mit ihm wir lernen. Darum lasst
uns am Ende mit Petrus zur Besinnung kommen: Nun weiß ich
wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich errettet
hat. Der Glaube verleiht dem Verstand Flügel. Wir sollten ihn in der
Freiheit der Kinder Gottes gebrauchen. Natürlich auch in den
aktuellen Fragen, die den Umgang mit der eigenen und mit anderen
Religionen betreffen. Denn das Wort Gottes ist ein Kritikos, ein
Kritiker der Gedanken und Sinne des Herzens (Hebräer 4.12). Wer ihm
nachdenkt unterscheidet. Nein, wir plädieren nicht für gesetzliche
Regelungen, die die Meinungsfreiheit in Sachen Religion
einschränken. Wir werden unseren Glauben vor aller Welt bekennen.
Das lassen wir uns von niemandem verbieten. „Denn Gott hat uns nicht
gegeben den Geist der Feigheit, sondern der Kraft und der Liebe und
der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,/7) Im zweiten Teil dieses
Pauluszitats ist enthalten, was sich für Christenmenschen verbietet.
Wer aus der christlichen Fundamentalistenfraktion meint, seinen Hass
auf Unmoralische, Ungläubige und Andersgläubige pflegen und sich auf
den Richterstuhl Gottes setzen zu müssen, kann sich vielleicht auf
die Meinungsfreiheit berufen. Auf das Wort Gottes und unseren Herrn
Jesus Christus sollte er sich lieber nicht berufen. Es sei denn, er
möchte herausfinden, wie verächtlich und zornig der Erzengel Michael
wirklich schauen kann.
Wir gehören wie Petrus zu Gott, dessen Wort in Christus Mensch
wurde. Unsre Wirklichkeit ist nicht nur diese Zelle. Wir dürfen und
sollen, wie Meister Eckhart sagt, ein Beiwort sein. Ein Beiwort des
einen Wortes Gottes, das nicht festzusetzen und auszulöschen, nicht
zu verhindern und aufzuhalten ist, sondern von und in und zu dem
alle Dinge sind. Vor wem oder was sollten wir uns fürchten?
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Um diese Zeit legte der König Herodes
Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln.
2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.
3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm
auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten
Brote.
4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und
überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu
bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu
stellen.
5 So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde
betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.
6 Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte,
schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt,
und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis.
7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf
in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und
sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen
Händen.
8 Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an!
Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge
mir!
9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das
wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine
Erscheinung zu sehen.
10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem
eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber
auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald
verließ ihn der Engel.
11 Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich
wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand
des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk
erwartete.
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