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      Liebe Leser, 
		 
		in unserem 
		Internetforum mit Witzen rund um Bibel und Kirche 
		findet sich eine Karikatur. Darauf sieht man die Kulisse einer 
		zerstörten Stadt, von der nur noch rauchende Fassaden und Trümmer übrig 
		sind. Im Vordergrund steht eine etwas angekokelte Reklametafel, auf der 
		in großen Buchstaben zu lesen ist: „On Tour – Die Trompeter von 
		Jericho“.  
		 
		Zugegeben, das ist ein Witz für Bibelkundige. Im Josuabuch, Kapitel 6, 
		Vers 20, ist zu lesen, wie es die Israeliten schafften, mit Posaunen die 
		Mauern der Stadt Jericho zum Einsturz zu bringen. Noch heute soll es ja 
		hin und wieder - und nicht nur zur Weihnachtszeit - musikalische 
		Darbietungen geben, die eine ähnliche Wirkung entfalten und wenn schon 
		nicht das Gelände, so doch zumindest den Saal wirkungsvoll räumen. 
		Nachzulesen ist das dann in der Kritik des zuständigen Kulturredakteurs 
		in der Zeitung am nächsten Morgen.  
		 
		Ob Paulus und Silas im Gefängnis wirklich gesungen haben – und das auch 
		noch zu mitternächtlicher Stunde – wissen wir nicht. Aber die Geschichte 
		legt es durchaus nahe. Nach dem Gebet wird ausdrücklich das folgende 
		Gotteslob erwähnt, und das kann man sich einfach nur laut gesungen 
		vorstellen. Warum sonst wäre diese Geschichte als Predigttext für den 
		Sonntag Kantate gewählt worden?  
		 
		Dass der Gesang an den ehrwürdigen Mauern des Gefängnisses von Philippi 
		eine vergleichbare Wirkung entfaltet wie die Trompeter von Jericho, hat 
		freilich etwas andere Gründe als im Alten Testament. Die missliche Lage, 
		in der sich Paulus und Silas befinden, hat eine ganz gewöhnliche und wie 
		so oft böse Vorgeschichte. Sie hatten ein paar angesehenen Bürgern der 
		Stadt das Geschäft vermasselt. Die hatten als Magd eine Wahrsagerin, die 
		über einen höchst lukrativen Wahrsagegeist verfügte. Diese Magd ging den 
		beiden Predigern des Evangeliums so lange hinterher und auf die Nerven, 
		bis Paulus der Kragen platzte, er sich umdrehte und dem Geist der Magd 
		befahl, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden - was dieser Geist zum 
		Leidwesen seiner bisherigen Nutznießer auch sofort tat. Paulus und Silas 
		saßen also in Wahrheit wegen Geschäftsschädigung im Gefängnis. Dass 
		passiert Kirchenleuten heute nicht mehr, auch wenn sie den Sonntag 
		verteidigen, z.B. gegen Autowaschen und offene Geschäfte.  
		 
		Würde es heutigen Kirchenleuten trotzdem passieren, ist anzunehmen, dass 
		sie sich als erstes auf Recht und Gesetz berufen würden, auf 
		Meinungsfreiheit und die Würde des Menschen. Sie würden zuerst zu 
		Protokoll geben, dass sie im Grunde nur die christlichen Grundwerte 
		unserer Gesellschaft verteidigt hätten, was schließlich doch im 
		Interesse aller wäre. Das bringt der Kirche ein paar Schlagzeilen und – 
		wenn überhaupt – ein paar Punkte auf der Beliebtheitsskala ein, macht 
		aber eine Gesellschaft, die an metaphysischer Obdachlosigkeit und 
		innerer Orientierungslosigkeit leidet, nicht wirklich gesünder – damals, 
		wie heute.  
		 
		Gott loben – das ist unser Amt. Und zwar in jeder Lage. Paulus und Silas 
		machen es vor. Sie singen im Gefängnis die Wahrheit, die ganze Wahrheit 
		und nichts als die Wahrheit. Sie rufen Gott als den Herrn der Welt aus. 
		Und das bleibt niemals ohne Folgen. Denn „das Wesen der Wahrheit … ist 
		die Freiheit.“ Martin Heidegger hat das gesagt. Frei nach Jesus, der 
		dasselbe im Johannesevangelium auf den Punkt bringt: „Ihr werdet die 
		Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8/32). 
		Das ist der Grund, warum Gefängnismauern, aus was sie immer gemacht und 
		gebaut sein mögen, um die Wahrheit herum keinen Bestand haben. Und 
		sogleich öffneten sich alle Türen, und von allen fielen die Fesseln ab. 
		 
		Aber halt, von allen noch nicht. Da ist noch der Kerkermeister, der auf 
		einmal ganz in den Mittelpunkt der Geschichte rückt. Er schwebt in 
		höchster Lebensgefahr. Denn gerade ist sein Gefängnis und mit ihm sein 
		Leben im wahrsten Sinn des Wortes zusammengebrochen. Es gibt 
		Unterbrechungen im Leben, bei denen nicht nur etwas, sondern wir selbst 
		auf dem Spiel stehen.  
		 
		Seinen Namen erfahren wir nicht. Aber dieser Aufseher ist sicher ein 
		höherer Beamter. Eine Führungspersönlichkeit. Er hat ein Gefängnis zu 
		leiten. Er muss seine Vorschriften kennen. Er muss sein Personal 
		entwickeln. Er hat die Strukturreform für das bessere Gefängnis schon in 
		der Schublade. Es wird seinen Vorgesetzten gefallen. Manchmal wacht er 
		nachts schweißgebadet auf. Er hat geträumt es ist etwas Schreckliches 
		passiert. Was so alles Schreckliches passieren kann, kann er aus dem 
		Effeff aus seiner sorgsam eingeordneten Rechtssammlung ableiten. Ein 
		Gefangener hat sich erhängt oder ist ausgebrochen. Jemand hat den 
		Schlüssel verloren oder nicht abgeschlossen. Wenn das durchsickert bis 
		ganz nach oben, ist er erledigt. Dann kann er seine Karriere vergessen.
		 
		 
		In dieser Nacht fährt er aus einem bösen Traum in einen noch böseren. 
		Nichts ist mehr an seinem gewohnten Platz. Das Beben hat er nicht 
		mitgekriegt. Aber in seinem Zimmer ist ein heilloses Durcheinander. Was 
		er dem Geschrei vor seinem Fenster entnimmt, bringt ihn zu der Einsicht, 
		dass alles vorbei ist. Sein Schwert hat er schnell gefunden.  
		 
		Der Ruf des Paulus fällt ihm in den Arm. Auch wenn sonst nichts mehr an 
		seinem Platz ist: Paulus, Silas und die Gefangenen sind es noch. Und das 
		ist für den Kerkermeister das eigentlich Schreckliche und Entsetzliche 
		an der Freiheit, die das Wesen der Wahrheit ist. Diese Wahrheit schenkt 
		nämlich nicht nur die Freiheit wegzulaufen von diesem Ort der Qual und 
		des Schreckens. Sie schenkt allen sogar die noch größere Freiheit, 
		dazubleiben. Denn hier wird die Hilfe gestandener Christen gebraucht, 
		damit den Kerkermeister nicht das gleiche Schicksal, wie seinen Kerker 
		ereilt.  
		 
		Der Theologe Eberhart Jüngel schreibt: „Wer sich auf Christus 
		einlässt, 
		ist aus der Wahrheit. Aus der Wahrheit sein aber heißt … pointiert: in 
		der Liebe existieren. ‚Wer im Vollbesitz der Lebenskraft (oder: der 
		Güter) der Welt seinen Bruder Mangel leiden sieht und sein Herz vor ihm 
		verschließt’ (1.Joh 3,17), der ist jedenfalls nicht aus der Wahrheit. 
		Zur Wahrheit gehört per definitionem die Liebe. … Wer in der Liebe der 
		Wahrheit verpflichtet ist, der wächst in jeder Hinsicht hin zu dem, der 
		das Haupt ist, Christus (Eph 4,15).“ (Eberhard Jüngel, Wertlose 
		Wahrheit, Mohr Siebeck, 2003, S.92) 
		 
		Keine Frage, die Freiheit, die aus der Wahrheit kommt, sieht ihre 
		Aufgabe nicht in der Erstellung eines Kanons von Werten, auch wenn sie – 
		mit Luther sogar „neue Dekaloge zu schaffen“ imstande wäre. (vgl. 
		Jüngel, aaO. S.108). Aber damit hält sie sich nicht auf. Weist doch 
		Jesus selbst seine Jünger darauf hin, dass alles, was sich an Geboten in 
		der Bibel findet, nur auszudrücken versucht, was der Liebe eigentlich 
		ganz selbstverständlich ist. „Liebe – und tu was Du willst“. Dieser Satz 
		stammt nicht von einem Anarchisten, sondern von dem Kirchenvater 
		Augustinus.  
		 
		Und deshalb fragt der Kerkermeister nicht: Was soll ich tun? Sondern: 
		liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: 
		Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie 
		sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. So 
		einfach ist das. Und so einfach soll es einer Kirche gesagt werden, in 
		der die Rechtsammlungen und Dienstanweisungen immer dicker werden und 
		die Anleitungen für die Entwicklung des Personals. So einfach soll es 
		einer Kirche gesagt werden, die sich vor allem für das interessiert, was 
		angeblich wirksam, effektiv und wertvoll ist.  
		 
		Das, so erzählt es der Kerkermeister später seinen Enkelkindern, war mir 
		auch einmal wichtig, bevor dieser Paulus und dieser Silas in meinem 
		Gefängnis saßen und mitten in der Nacht dieses Lied anstimmten von Gott, 
		dem die Welt und wir alle gehören – und wie! Die sangen, wie die 
		Trompeter von Jericho. Ihr kennt die Geschichte aus dem Alten Testament. 
		Ich mag sie ehrlich nicht besonders, weil am Ende dieser Geschichte kaum 
		ein Stein auf dem andern blieb und kaum einer am Leben. Als Paulus und 
		Silas sangen, fiel zwar das Gefängnis ein, aber keiner kam um. Das ist 
		das Ende, hab ich gedacht, und dann war es der Beginn eines neuen 
		Lebens. Aber davon erzähle ich euch ein andermal. Der Kerkermeister 
		lächelt seine Enkel an: Und jetzt wird gesungen.  
			
      Zum Schmunzeln:  
			
        
			
      
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de)  
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			Text: 
			
			 16,23 Nachdem man sie hart geschlagen 
			hatte, warf man Paulus und Silas ins Gefängnis und befahl dem 
			Aufseher, sie gut zu bewachen. 
			16,24 Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das 
			innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. 
			16,25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. 
			Und die Gefangenen hörten sie. 
			16,26 Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so dass die 
			Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich 
			alle Türen, und von allen fielen die Fesseln ab. 
			16,27 Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen 
			des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich 
			selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 
			16,28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle 
			hier! 
			16,29 Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel 
			zitternd Paulus und Silas zu Füßen. 
			16,30 Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss 
			ich tun, dass ich gerettet werde? 
			16,31 Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein 
			Haus selig! 
			16,32 Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem 
			Hause waren. 
			16,33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und 
			wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen 
			sogleich taufen 
			16,34 und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und 
			freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott 
			gekommen war.  |