Predigt    Apostelgeschichte 16/6-15    Sexagesimä     23.02.03

"Ratschlüsse des Herzens"
(von Pfr. Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. So ging es auch dem Apostel Paulus und seinem Mitarbeiterteam. Gleich mehrmals kommen sie mit ihrem großen Missionseifer nicht voran. Das ist doppelt erstaunlich. Denn erstens braucht die damalige heidnische und gottlose Welt jede Menge Mission. Das sagen heute auch viele von der Welt. Außerdem ist die Kirche damals eine wirklich mickrige Größe nicht nur auf der religiösen Landkarte. Das sagen heute auch viele von der Kirche. Und zweitens ist der, der sich Paulus in den Weg stellt, und seinen Eifer bremst niemand anders, als der Heilige Geist, der Geist Jesu selbst. Das ist mal was erstaunlich Neues!

Das kann auch eine Wirkung des Heiligen Geistes sein, wenn jemand einen schon eingeschlagenen Weg nicht weitergeht. Etwas, was er sich vorgenommen hat, nicht weiterverfolgt. Etwas, was er unbedingt loswerden und sagen wollte, nicht weitersagt. Manchen von uns hält in seinem Lauf ja oft weder Ochs noch Esel auf. Hoffentlich dann wenigstens der Geist Jesu.

Und was für uns als einzelne gilt, gilt erst recht für uns als Gemeinde. Wenn uns schon sonst nichts aufhält in unserem Lauf, dann wenigstens der Geist Jesu. Denn schließlich ist er der Herr der Kirche. Denn schließlich weiß er besser als wir, was wer und zu welcher Zeit braucht. Was die Kirche heute braucht, darüber wird viel diskutiert. Wenn die Kirche schon im wirklichen Leben vor Ort immer mehr schwindet, warum dann keine virtuelle Kirche, keine Onlinekirche? Kirche mit der man nur noch per Post oder Bildschirm Kontakt haben kann, wenn einem die Leute vor Ort nicht gefallen. Man braucht nur im stillen Kämmerlein seinen Text in die Tasten hämmern und schon gehört man zu einer Kirche, deren Menschen mit ihren Problemen man nicht mehr wahrnehmen muss. Kirche, die man abschalten und wegzappen kann, wenn sie nervt. Kirche, in der der Kunde endlich König ist. Und wenn der Pfarrer etwas macht, was mir nicht passt, dann trete ich eben aus der Kirche aus und such mir eine andere.

So höre ich es ein paar Mal pro Jahr. Und ich finde es, wie jede andere Form der Erpressung, gar nicht zum Lachen, aber bestimmt alle Engel im Himmel. Denn es geht ja nicht um die Frage, ob in der Kirche nun der Kunde König ist, oder noch schlimmer, die Pfarrer und Geistlichen. Königlich an der Kirche ist ihre Kunde, ihre Botschaft und der Herr, von dem sie erzählt.

Und so stellt sich schon in den Anfängen der Kirche Jesus selbst in den Weg, wenn die hoch motivierten und hocheifrigen Glaubensvertreter sich verzetteln in blindem Aktionismus und in ihren eigenen besten Absichten. Durch solche Erfahrung gebildet, kann Paulus später selbst einem Petrus ins Angesicht widerstehen, der aus der Kirche eine Ansammlung von Moralaposteln machen möchte. Weil wir doch wissen, dass der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Christus Jesus. (Gal 2/16)

Und deshalb möchte unser Herr Jesus Christus in seiner Kirche nicht aufs Podest gestellt und als Prinzip hochgehalten werden, sondern möchte als der Gegenwärtige ernst- und wahrgenommen werden. Wie das geht, dazu hat unser Predigtext etwas zu sagen.

Zum ersten: Geistliche Entscheidungen über den persönlichen Glaubensweg und den Weg der Gemeinde reifen nicht im allgemeinen Geschwätz und in der allgemeinen Meinung, sondern im vertraulichen Gespräch von Glaubensgeschwistern.

Immerhin geht es hier um die Entscheidung zur Europamission. Sie fällt auf eine Weise, über die man sich leicht lustig machen kann. Paulus träumt von einem Mann aus Mazedonien in Griechenland, der zu ihm sagt: Komm und hilf uns. Leicht ist so ein Traum psychologisch als Wunschvorstellung entlarvt, wie der Traum von dem Mann von der Lottoverwaltung, der eines Tages an der Tür klingelt und sagt: Sie haben eine Million gewonnen.

Als Paulus aber den Traum gesehen hatte, da wollten wir bald nach Mazedonien reisen, weil wir sicher waren, dass Gott uns dahin berufen hätte. Paulus hat sich beraten. Er hat sich mit seinen Glaubensgeschwistern, mit seinem Team, mit seinem Kirchenvorstand zusammengetan. Teamarbeit ist die ursprünglichste und geistlichste Form des Gemeindelebens. Was sie damals geredet haben, geht uns nichts an. Aber das Ergebnis zählt. Ohne dieses Ergebnis hätte es vermutlich kein christliches Abendland gegeben.

Akzeptieren wir in unserer Gemeinde, was andere über ihr Leben und das Leben unserer Gemeinde beraten haben? Interessieren wir uns überhaupt dafür. Haben wir selbst jemanden, mit dem wir uns geistlich und vertraulich beraten können? Oder ist die vorherrschende Form der Kommunikation in unserer Gemeinde das Geschwätz?

Zum Zweiten: Kommunikation unter Christen und Kommunikation mit Nichtchristen ist Kommunikation des Evangeliums. Sie dient keiner Weltanschauung, hat nicht das Ziel christliche Werte hochzuhalten, ist keine Propaganda für oder gegen die Kirche und kein Teil des Weltkulturerbes. Rechte Verkündigung im Reden und Zusammenleben hat nur ein Ziel: Zu helfen. Kommt, sagt der Mann aus Mazedonien und helft uns. Rechte Verkündigung wird daran bemessen, dass sie hilft, und rechte Hilfe daran, dass sie dem Evangelium entspricht.

Genauer: Dem Evangelium vom auferstandenen Christus, der für uns gestorben ist, damit die Welt mit Gott versöhnt wird. Dieses Evangelium will uns helfen, als mit Gott, mit uns und mit anderen versöhnte Menschen auf der Welt zu sein. Kommunikation und Verkündigung des Evangeliums ist deshalb immer Hilfe zur Versöhnung, die alle Menschen brauchen, am meisten aber die Christen, weil sie darum eigentlich wissen sollten.

Wie viel wir davon wissen, kann an dem Grad bemessen werden, in dem Menschen in unserer Gemeinde Lebens- und Glaubenshilfe finden und geben können. Wie wenig wir davon wissen, können wir an dem Grad bemessen, in dem Menschen in unserer Gemeinde einander das Leben schwer machen und zerstören, vom bösen Gerede bis zur seelischen und körperlichen Gewalt. Wir können es bemessen an dem Grad, in dem Menschen zur Versöhnung fähig werden oder die Müllhaufen ihrer schmerzlichen Vergangenheiten sorgsam pflegen.

Rechten Glauben erkennt man daran, dass er Menschen zu ihrem Leben und zur Versöhnung hilft. Und deshalb haben wir vor allem für uns selbst immer wieder um die rechte Kraft der Verkündung zu bitten. Paulus komm und hilf uns.

Zum dritten: Kirche ist ein Zuhause für alle. Zuhause ist dort, wo mein Herz schlägt. In der Kirche ist man nicht mit seiner Kultur und seinem Verstand Zuhause, sondern mit seinem Herzen. Nichts an der Kirche wirkt abstoßender als eine herzlose Orthodoxie und eine hartherzige Orthopraxie. Zu Deutsch: Immer richtig denken und reden und handeln. Ausnahmen gibt’s nicht.

Was wäre das statt dessen für eine lebendige Kirche, in der man mit dem Herzen ganz fest Zuhause ist, und im Denken, Reden und Handeln frei wäre für das Alte und das Neue, das Eigene und das Fremde, für die eigene Lebensgestaltung und die des andern, den eigenen Weg und den des andern. Voraussetzung dafür ist, dass die Ohren unseres Herzens wirklich am Evangelium hängen.

Eine solche Kirche ist im Sinne des Evangeliums. Deshalb sucht sich der Geist Jesu immer wieder Menschen, die dafür bereit sind. Das sind nicht immer die Menschen, die wir im Blick haben, wie unser heutiger Predigttext erzählt.

Der Geist Jesu führt Paulus und die Seinen nach Philippi. Und die erste, die sich bekehrt ist eine Fremde, eine Frau, Besitzerin der teuersten Boutique am Platze. Sie stammt nicht aus Philippi, hält sich zu einer kleinen jüdischen Gemeinde am Ort, in der sie nie ganz heimisch werden wird und sie ist eine Frau.

Dieser tat der Herr das Herz auf und lässt sie nach Hause kommen in die Gemeinschaft der Christusgläubigen. Wenn ich nun zu Euch und Euerem Glauben gehöre, dann fühlt Euch auch bei mir zu Hause, sagt sie. Und da bleibt Paulus und den Seinen gar nichts anderes übrig, als ein paar Tage in sehr angenehmen Verhältnissen zu verbringen.

Und so schließt sich der Kreis unseres Predigttextes. Der in Gemeinschaft gefundene Ratschluss nach Griechenland zu reisen, endet in neuer Gemeinschaft. Ungeistliche Ratschlüsse, spalten, verletzen, zerstören. Geistliche Ratschlüsse führen zusammen, heilen und bauen Gemeinde. Geistliche Ratschlüsse sind Ratschlüsse des Herzens und nicht des Kalküls. Da tat der Herr ihr das Herz auf.

Haben wir danach nicht manchmal noch Sehnsucht? Nach einer Kirche der offenen Herzen, der offenen Blicke, der offenen Worte? Eine anonyme gesichtslose und herzlose Kirche, das wäre doch wirklich vom Plus zum Minus gedacht. Aber in der Gefahr stehen wir immer. Hoffentlich steht uns dann wenigstens der Geist Jesu im Weg.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

16,6 Sie zogen aber durch Phrygien und das Land Galatien, da ihnen vom heiligen Geist verwehrt wurde, das Wort zu predigen in der Provinz Asien.
16,7 Als sie aber bis nach Mysien gekommen waren, versuchten sie, nach Bithynien zu reisen; doch der Geist Jesu ließ es ihnen nicht zu.
16,8 Da zogen sie durch Mysien und kamen hinab
nach Troas.
16,9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!
16,10 Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen,
gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.
16,11 Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis
16,12 und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römischem Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.
16,13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.
16,14 Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, so dass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde.
16,15 Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.


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