| 
       
      Liebe Jubilare, liebe Gemeinde, 
		 
		„Vom Himmelfahrtstag her“, schreibt ein Ausleger, „kennen wir die 
		Geschichte der Jünger, wie sie Lukas erzählt. Wir wissen von dem 
		Nachsehen der Jünger und von ihrem Warten darauf, dass das geschieht, 
		was ihnen Jesus Christus verheißen hat: Das Kommen seines Geistes, das 
		Kommen des Trösters. Es ist eine Zeit wie zwischen Karfreitag und 
		Ostern, eine Zeit des Seins ohne Christus, eine Zeit der Sehnsucht nach 
		ihm oder eine Zeit, in der einem der Glaube an ihn abhandenkommen kann. 
		Es ist eine Zeit, in der der inwendige Mensch eine Stärkung gebrauchen 
		kann, das Wort auch, das in ihm die Sehnsucht wach hält. Vielleicht auch 
		einen, der für ihn betet. Wir kennen solche Zeiten in unserem Leben, 
		Zeiten der Sehnsucht nach einem Zeichen von Gott, Zeiten des Wartens auf 
		eine Stärkung des Glaubens, der Liebe in uns.“ (Dr. Lothar Vosberg, GPM 
		1/2004, Heft 2, S. 307)  
		 
		Wer von uns wollte dem Ausleger widersprechen. Jeder kennt solche Zeiten 
		im Leben. Und je älter wir werden, desto gründlicher lernen wir, wie 
		groß oder sagen wir besser wie klein die Wahrheit des Sprichwortes ist, 
		wonach jeder seines eigenen Glückes oder Unglückes Schmied ist. Und so 
		wahr es ist, dass man im Leben immer am besten bei sich selbst anfangen 
		sollte, um etwas zum Guten zu wenden, so wenig wahr ist es, dass wir das 
		in den meisten Fällen auch alleine schaffen. Allem modernen Gerede von 
		der Selbstkompetenz und Selbstverwirklichung des Menschen zum Trotz: Wir 
		leben nun einmal seit unserer Geburt in Beziehungen. Wir sind 
		Beziehungswesen durch und durch vom ersten Schrei bis zum letzten 
		Atemzug. Das Leben ist nun einmal – ob uns das gefällt oder nicht – eine 
		einzige Beziehungskiste.  
		 
		Wie schwer ist das und wie lange brauchen wir, bis wir das wirklich 
		verstehen? Bis wir verinnerlichen, dass Beziehungen etwas Lebendiges 
		sind, die man im eigentlichen Sinn nur zu lebendigen Wesen haben kann. 
		Dinge soll man benutzen, Menschen und andere lebendige Kreaturen soll 
		man lieben. Unsere Welt und unsere Gesellschaft schaut in vielen 
		Bereichen so gruslig aus, weil es leider sehr viele gibt, die das genau 
		anders herum machen: Menschen benutzen und Dinge lieben. Aber wie 
		tragisch und ungerecht wir das finden mögen: Das schöne Auto und das 
		fette Bankkonto lieben nicht zurück.  
		 
		Deshalb tun wir nicht nur an einem Jubiläum gut daran, uns zu besinnen, 
		wonach wir in diesem Leben eigentlich suchen. Diese Besinnung kann 
		schmerzlich sein. Sie kann Enttäuschungen wieder fühlbar machen und an 
		verlorene Träume erinnern. Das Dumme ist, dass Beziehungen eben nicht 
		aus Glas sind. Eine Liebe zerbricht nicht, sie ist etwas Lebendiges. Und 
		Lebendiges kann nur sterben, vertrocknen, verwesen, verrotten. „Du 
		erinnerst dich noch an das Magendrehn und hast Angst nochmal so 
		kaputtzugehn“, hat Udo Lindenberg, der im Mai 70 wurde, in dem Lied 
		„Bitte keine Lovestory“ gesungen. Aber auch er weiß, dass wir alle der 
		Wahrheit trotzdem nicht entkommen, dass das Leben eine einzige 
		Beziehungskiste ist.  
		 
		Deshalb ist es eigentlich immer an der Zeit, dass der inwendige Mensch 
		eine Stärkung gebrauchen kann, und Worte, die in ihm die Sehnsucht wach 
		halten. Vielleicht auch einen, der für ihn betet. Wir kennen solche 
		Zeiten in unserem Leben, Zeiten der Sehnsucht nach einem Zeichen von 
		Gott, Zeiten des Wartens auf eine Stärkung des Glaubens und der Liebe in 
		uns.  
		 
		Und da trifft es sich gut, dass kein Geringerer als der Apostel Paulus 
		für uns, ja für jeden einzelnen Christenmenschen auf die Knie geht, um 
		für dich und mich zu beten. Das ist schon mal nichts anderes, als eine 
		Geste der Liebe. Jemanden zu haben, der für mich betet und jemanden zu 
		haben, für den man auf die Knie gehen und beten kann, das ist eine 
		Angelegenheit höchster Liebe. Und wir merken an seinem Gebet, das ein 
		einziges großes Loblied ist, dass er dich und mich sehen kann, wie wir 
		uns selbst vielleicht schon lang nicht mehr sehen können. So vieles hat 
		uns im Lauf der Jahre den Blick verstellt dafür, wer wir in Wahrheit 
		sind.  
		 
		Deshalb sagt gleich die erste Strophe, dass wir Kinder Gottes sind, die 
		einen himmlischen Vater haben. Du bist ein Kind Gottes. Du bist ein 
		Gottesgeschenk. Wenn das keine Liebeserklärung ist! Ja, du bist Asche 
		und Staub. Aber das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere 
		heißt: Wegen dir hat Gott die Welt erschaffen. Wertvoller kannst du für 
		ihn gar nicht sein! Das ist auch der Grund dafür, warum dein Leben eine 
		einzige Beziehungskiste ist, die im Herzen Gottes begonnen hat und 
		nichts anderes als eine Liebesgeschichte ist. Und dann ist Paulus in 
		seinem Gebet gar nicht mehr zu bremsen.  
		 
		Wir alle wissen, wie eine Liebe einen Menschen zum Blühen bringen kann. 
		Er wächst über sich hinaus. Man kennt ihn gar nicht wieder. Und ganz 
		genauso kann die Liebe Gottes seine Kinder als Christenmenschen zum 
		Blühen bringen und sie über sich hinauswachsen lassen. Auch wenn sie alt 
		und grau werden, kann er ihnen Kraft geben am inwendigen Menschen. 
		Meister Eckhart meinte sogar, dass Christenmenschen mit zunehmenden 
		Alter des Körpers in der Seele immer jünger werden. Sie wachsen wieder 
		ihrem Anfang entgegen. Denn in Gott ist kein Ende, sondern ewiges 
		Beginnen. Meister Eckhart ist der Professor für Theologie und 
		Philosophie, der ein Leben lang den Christus gepredigt hat, der nicht 
		nur im Stall von Bethlehem alle Jahre wieder geboren werden will, 
		sondern der dies nur aus dem einen Grund getan hat: Damit er auch in der 
		Seele und im Herzen eines jeden Menschen geboren werden und dort wohnen 
		kann. 
		 
		Denn nur so können wir Gott und uns selbst erkennen und begreifen. 
		Glauben ist nicht nur Gefühlssache. Der Verstand darf schon mit, wenn es 
		um die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe Gottes geht. Und 
		da fällt sofort auf, dass die Liebe Gottes nicht drei, sondern vier 
		Dimensionen hat. Nicht nur Länge, Breite und Höhe, sondern auch Tiefe.
		 
		 
		Je älter ich werde, desto weniger kann ich all die verstehen, die mit 
		dem Kruzifix Probleme haben und meinen, das mit dem Kreuzestod des 
		Christus sei nicht nur überflüssig, sondern auch schrecklich und 
		zumindest für Kinder schädlich. Dabei wissen wir doch alle, dass wahre 
		Liebe nicht aufgibt, auch wenn sie vielleicht unerfüllt bleibt und mit 
		Entbehrungen und Schmerzen und Leiden verbunden ist. Was ist eine Liebe 
		wert, die nur lebt, solange es Spaß macht? Und was hilft mir ein 
		Christus, der fröhlich in seiner himmlischen Herrlichkeit sitzt, während 
		ich durch die Hölle muss? Eben! Das meint die Tiefe der Liebe Christi, 
		dass ich auch dort nicht alleine bin oder beziehungslos und 
		gottverlassen.  
		 
		Dieser Tage schrieb mir nachdenklich ein Freund selbstkritisch über 
		unsere Kirche: „Wer platt in erster Linie das eigene Tun, Machen und 
		aktive Gestalten kommuniziert, exkommuniziert damit schon sprachlich 
		jene, über die gerade eine Zeit des Erleidens, der Kontemplation, der 
		Klagepsalmen oder des bloßen Aushaltens hereingebrochen ist. In solchen 
		Einbrüchen indes verbirgt sich mit Vorliebe der Ruf des dreieinigen 
		Gottes ins Leben.“  
		 
		Ja, wann haben wir das vergessen? Denn auch daran erinnert uns der 
		Apostel Paulus, dass wir unserem Schöpfer doch gar nichts zu geben 
		haben, was er uns nicht zuvor geschenkt hat. Daher ist der Appell an 
		unsere Anstrengung in der Kirche meistens fehl am Platz. Die 
		Autoritätsform der frohen Botschaft ist die Bitte. Deshalb betet Paulus 
		heute für uns, dass Gott uns so reichlich beschenkt, dass wir gar nicht 
		anders können, als diese Geschenke im Glauben auszupacken und uns an 
		ihnen zu erfreuen. Denn mit der frohen Botschaft ist es ja nicht viel 
		anders, als mit einem guten Witz. In dem Moment wo wir sie hören und 
		verstehen, überlegen wir nicht erst, ob wir lachen sollen. Und wenn uns 
		jemand freundlich und liebevoll anlächelt, was machen wir dann? Eben! 
       
      
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de)   | 
      Text: 
      
       Paulus schreibt: 
		14 Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, 
		15 der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel 
		und auf Erden, 
		16 dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark 
		zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, 
		17 dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der 
		Liebe eingewurzelt und gegründet seid. 
		18 So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die 
		Länge und die Höhe und die Tiefe ist, 
		19 auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, 
		damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. 
		20 Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir 
		bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, 
		21 dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von 
		Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. 
   |