Liebe Leser, Augen auf! Mit dieser Aufforderung beginnt unser
Predigttext und wir wundern uns schon ein wenig, weil es in der
Kirche, besonders in der Evangelischen, doch meistens heißt: Ohren
auf! Der Glaube kommt aus dem Hören. Und so schließt so mancher bei
der Predigt still die Augen, um vor Andacht besser Schmatzen zu
können. Auch nicht schlecht.
Eine „Theologie der Weisheit“ will freilich bei geschlossenen Augen
nicht recht in Gang kommen. „Gleich zu Beginn signalisiert das
Predigtwort: Es geht um einen aufgeweckten Blick auf den
persönlichen Lebensweg und den globalen Weltengang.“ (Johannes
Wachowski, in GPM, 3/2008, Heft 4, S. 407)
„Bild dir deine Meinung“ ruft die Bildzeitung ihren Lesern zu und
richtet sich - wie wir beim Durchblättern der geschickt bearbeiteten
Fotos und Texte ahnen - wohl ehr an Leser, die es sich mit dem
Bilden der eigenen Meinung eher einfach machen wollen. Die Sicht auf
die Welt und das eigene Leben wird uns von allen Seiten geboten. Die
Auswahl ist schier unendlich. Und dann gibt es ja noch die
juristische Sicht, die wissenschaftliche Sicht, die theologische,
die offizielle und die inoffizielle Sicht. Die Sicht des
Vorgesetzten oder des Aufsichtsrats teilt man besser, oder man kann
als Angestellter und Untergebender schnell zur Einsicht kommen, dass
eine abweichende Sicht sehr ungemütlich werden kann. Also kommt man
besser zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge. Sehen wir es ein: Wenn
Bischof Huber oder die Bundeskanzlerin eine Einsicht haben, dann ist
das schon viel wichtiger und meinungsbildender, als wenn Lieschen
Müller eine Einsicht hat. Das ist so und keine Ansichtssache.
Da können wir nur hoffen und beten, dass die da oben genau
hingeschaut und somit den Durchblick haben und deshalb auch weise
Entscheidungen treffen. Da können wir nur hoffen und beten; und wem
das Erste schon abhanden gekommen ist, kann und soll immer noch das
Zweite tun.
Freilich, in der Kirche und in der christlichen Gemeinde gibt es
keine Hierarchie der Ansichten. Hier hat auch der Opportunismus, die
Bequemlichkeit und Ängstlichkeit nichts verloren, mit der wir uns so
gerne der Sicht der Übergeordneten oder der Mehrheit anschließen,
statt uns ein eigenes Bild zu machen. So seht nun sorgfältig hin,
wie ihr euer Leben führt. Und wir wissen: unser Leben ist nicht nur
privat, sondern auch öffentlich. Unsere kleine Welt ist und bleibt
Teil der ganzen, so wie unsere Gemeinde Teil der Kirche Jesu Christi
ist. Diese Kirche kann auf den sorgfältigen Blick und die daraus
resultierende Weisheit keines Einzelnen verzichten. Deshalb muss
besonders in der Kirche gelten: Augen auf!
Nicht alles, was der sorgfältige Blick entdeckt, schmeichelt den
Augen. Und mit der Sorgfalt und der Akribie hapert es erst recht.
Liegt es auch daran, was ein Ausleger schreibt? „Unsere
(Gottesdienst) Kommunikation nimmt immer öfter und immer deutlicher
die trivialen Züge der Werbung und der Unterhaltung mit dem Heiligen
an.“ (J. Wachowski, a.a.O) „Hierotainment“ nennt man das. Kirchliche
Angebote haben sich selbstverständlich allen Altersgruppen ohne
irgendwelche Anforderungen an die Vorbildung zu erschließen. Eine
Forderung, die schon mal schriftlich erhoben wird, als gehe es um
ein Menschenrecht. Sorgfalt macht Mühe und die will man sich nur
noch mit der Gebrauchsanweisung des neuen Fernsehers, aber nicht mit
der Kirche machen. In der Kirche wollen wir alle mühelos fröhlich
sein und der Jesus von Nazareth hat das liebe Jesulein und der
Allmächtige der liebe Gott zu sein.
Da hat der Blick auf böse Zeiten einen schweren Stand. Mord und
Totschlag gehören in den Sonntagskrimi. Hass, Streit, Intrigen,
Betrug und Mobbing sind gute Elemente eines Fernsehfilms und
durchaus unterhaltend. Aber das alles im richtigen Leben und
vielleicht sogar in der eigenen Kirche? Wer will da schon genauer
und sorgfältiger hinschauen? „Hände falten, Goschn halten!“ Das
Motto ist nach der Überzeugung des Apostels Paulus für den Gläubigen
geradezu unmöglich. Seid nicht unverständig. Einen Christenmenschen
sollte man nicht so leicht für dumm verkaufen können.
Ein Christenmensch sollte den Blick auf finstere Zeiten aushalten.
Nicht weil er stärker und härter ist, sondern weil er sich dem
Willen Gottes verpflichtet weiß. Christen, die wegschauen, gehören
zu einem Gott, der wegschaut. Früher oder später werden sie selber
trostlos. Eine christliche Gemeinde, die nicht mehr „bei Trost“ ist,
gehört zu den Dingen, die die Welt nicht braucht. Und was soll Gott
noch mit ihr anfangen? Augen auf, heißt daher die Devise.
Ja, das wäre schön, wenn der Wille Gottes so offensichtlich wäre und
die Bibel uns für jeden Fall einen Weg der Weisheit zeigen würde.
Schön, wenn wir für alles einen christlichen Wert zu Rate oder aus
der Tasche ziehen könnten, auf dem steht, was jetzt zu tun ist. Geld
ist ein Wert, ein Haus hat einen Wert. Aber Werte sind tot. Gottes
Wille ist wie Gott selbst lebendig. Und drum kann und will er nicht
zum Zuge kommen, ohne die offenen und lebendigen Augen lebendiger
Menschen.
Wir erinnern uns, wie Jesus auf dem Weg nach Jerusalem ist und
besonders scharfe Augen hat für das Leid auf den Gehsteigen. Links
und rechts die Menge, wie eine undurchsichtige Wand. Und dahinter
der blinde Bartimäus, den keiner mehr beachtet und den keiner sieht.
Aber der Christus sieht und hört ihn. (Markus 10, 46ff.) Erinnern
wir uns, wie Jesus einen Blinden heilt, der nach dem ersten
Heilungsversuch die Menschen umhergehen sieht, als wären es Bäume.
„Da legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich
und wurde wieder zurechtgebracht, sodass er alles scharf sehen
konnte.“ (Markus 8/22ff.)
Beide Geschichten erzählen, dass der Wille Gottes geschieht durch
einen Christus mit offenen Augen, der Menschen so gesund macht, dass
sie zum sorgfältigen Blick fähig werden. Der christliche
Fundamentalismus und der Wertefundamentalismus tappen im Leben
herum, wie der Elefant im Porzellanladen. In Christus und in uns
will sich der Wille Gottes im Herzen mit den offenen Augen, dem
achtsamen Blick verbinden. Augen auf, ruft er uns zu.
Paulus ist nichts Menschliches fremd. Und er kennt die Versuchung,
sich die Welt schönzusaufen. Jede Freude ohne Alkohol ist künstlich,
spricht der Depressive und weiß doch: Schön bleibt die besoffene
Welt nur sehr kurz. Bald graut der Morgen und dann grauts uns auch!
Wer nun meint, Paulus würde uns als Alternative ein staubtrockenes,
asketisches, lust- und freudloses Leben aufbrummen, wird sehr
angenehm enttäuscht. Noch lust- und freudvoller als der Weingenuss
ist der Gottesgenuss. Paulus empfiehlt statt des Abfüllens mit Wein,
die Erfüllung mit Geist. Oder mit Meister Eckhart gesprochen: Wer
Gott erst einmal geschmeckt hat, wird sich nicht mehr mit dem
Zweitbesten zufrieden geben. Denn Gott schmeckt am Besten.
Schmeckt und seht wie freundlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn
trauet! So soll die Christenschar mit dem 34. Psalm alle Welt zum
Feiern einladen. Und sich als der Teil der Welt präsentieren, der
auch dann noch etwas zu feiern hat, wenn im Rest der Welt
Katerstimmung herrscht. Keine Zeit kann so böse sein, dass uns das
Feiern des Gottesdienstes mit Herzen, Mund und Händen vergehen
könnte. Der Leib Christi singt und swingt und wenn morgen die Welt
untergeht.
Augen auf, heißt deshalb die Devise. Augen auf für unsere schöne und
oft auch trostlose und hilfsbedürftige Welt. Augen auf für die
Herrlichkeit unseres Gottes. Ihm gehört das Reich und die Kraft und
die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
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Text:
Paulus schreibt:
(15)So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr
euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise,
(16)und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit.
(17)Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille
des Herrn ist.
(18)Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen
folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.
(19)Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen
Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen
(20)und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen
unseres Herrn Jesus Christus.
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