Liebe Leser,
in seinem kürzlich erschienen Band mit Essays schreibt der im Januar
2009 verstorbene Schriftsteller John Updike:
‚Meine Wegbegleiter über die Jahre haben meinen - normalerweise
allein unternommenen - Kirchgang als ärgerliche Affektiertheit
betrachtet, und nicht als das, was es für mich war: ein galantes
Anlegen der Rüstung, in der ein guter Bürger in die Welt geht: „Wir
aber, die wir des Tages sind“, schrieb Paulus an die Thessalonicher,
„sollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der
Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf die Seligkeit.“ (1.
Thessalonicher 5,8)
In meiner Kindheit war Berks County eine Gegend, in der, so schien
es, alle zur Kirche gingen, wo die allgemein anerkannte, staatlich
unterstützte Frömmigkeit fraglos akzeptiert wurde, und sowohl
Schulen als auch städtische Ämter in den Händen der Dekane der
lutherischen oder reformierten Kirche lagen. Erst als ich nach
Neuengland zog, sah ich Leute sonntags ihr Auto waschen - Blasphemie
am helllichten Tag! Für mich hat es in den existenziellen Fragen nie
einen Bewerber neben dem christlichen Glauben gegeben, nie eine
andere Antwort auf das Grauen, das unsere sterbliche Existenz mit
sich bringt. „Ich bin von Schrecken erfüllt“, schrieb Pascal, „wie
ein Mann, der im Schlaf auf eine schreckliche Insel transportiert
wird, wo er aufwacht und sich verloren fühlt und keine Möglichkeit
zur Flucht hat.“ Wenn diese physische Welt alles ist, dann ist es
eine Hölle ohne Ausgang, in der wir eingesperrt sind wie, so sagt
Pascal an anderer Stelle, Gefangene in Ketten, dazu verdammt,
zuzusehen, wie andere Gefangene umgebracht werden - eine Hölle, in
der Kunstliebhaber über die Biennale in Venedig wandern und
miterleben müssen, wie Kunst den grimassierenden Nachkommen der
Menschen den Spiegel vorhält.
Was kann der Inhalt des Glaubens in der Zukunft sein? Wahrscheinlich
das, was er bisher auch war.‘ (John Updike, Fällige Betrachtungen,
Essays, Rowohlt, 2010, S. 77f.) Zitat Ende.
Sicher hätte John Updike deshalb beklagt, dass die geistliche
Waffenrüstung auch in den evangelischen Kirchen des alten Europa
immer weniger dargeboten wird. Man setzt auf Ambiente und Wellness
statt auf geistliche Zurüstung. Vom lieben Gott möchten heutige
Menschen je lieber hören, desto diffuser von ihm die Rede ist. Man
sucht Erbauung, ohne dabei in seinem Denken und Tun übermäßig
gestört oder gar verstört zu werden. Man erwartet vom Glauben, dass
er die alte und vergängliche Welt durch ständig innovative religiöse
Impulse ein wenig stabiler und erträglicher macht. Ja, das Heilige
ist oft selbst im innersten Kreis der Gemeinde nur noch als
„geistlicher Impuls“ (wie die Andacht heute genannt wird) vorhanden
und nicht mehr als Impact, als mächtiger Einfluss.
Entsprechend diagnostiziert die Theologin Isolde Karle, dass die
Theologie in der evangelischen Kirche zur Zweitcodierung geworden
ist. Sie steuert kirchliches Handeln nicht mehr. Sie dient lediglich
noch zu Legitimations- und Begründungszwecken für kirchliches Planen
und Handeln, mit denen man nicht-theologische und nicht-religiöse
Ziele (z.B. finanzielle Sanierung, mediale Aufmerksamkeit,
Mitgliederbindung) mit nicht-theologischen Instrumenten (z.B.
Marketing, Management, Personalentwicklung) zu erreichen sucht.
(vgl. Isolde Karle, Kirche im Reformstress, Gütersloh 2010, S. 113).
Welches Argument hätte eine solche Kirche eigentlich noch, um der
Forderung zu begegnen, dass man ihr den Status einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts aberkennt und sie als das behandelt, was aus
ihr geworden ist: Ein Wirtschaftsunternehmen wie alle anderen auch.
Ein Wirtschaftsunternehmen wird sich biegen und winden, um es jedem
tatsächlichen und vermeintlichen Kunden recht zu machen und
möglichst viele Marktnischen zu erobern. Die Wahrheit, an die Paulus
uns erinnert, hat da keinen Platz. Die Wahrheit, dass diese Welt
schon immer ein Kampfplatz war und ist zwischen Leben und Tod,
zwischen Licht und Finsternis, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen
dem Antichrist und dem Gekreuzigten, zwischen dem Menschen, der an
Gott glaubt und dem Menschen, der Gott zu sein glaubt.“ (N. G.
Davila)
Um auf diesem Kampfplatz nicht die Orientierung zu verlieren und
unterzugehen, redet Paulus nicht nur im 1. Brief an die
Thessalonicher, sondern auch in unserem heutigen Predigttext von der
Waffenrüstung Gottes. Martin Luther zur Stelle: „Also taten die
lieben Apostel. Sie schlugen getrost um sich mit dem Wort Gottes, wo
der Teufel mit seinem Reich am dicksten und stärksten war. Und
rissen und nahmen ihrer viel von ihm, zertrennten und zerstörten ihm
sein Reich in allen Landen. … Darum Paulus auch solch Predigen
pflegt zu nennen einen Kampfstreit, Fechten und Ritterspiel.“
(zitiert nach Christian Stäblein, GPM 3/2010, Heft 4, S.426)
Vergessen wir also die Behauptung, wonach der Christenmensch ein
Weichei zu sein hat, dessen häufigste Kopfbewegung das Nicken ist.
Auch das Christenleben ist ein Kampf. Es ist ein Trugschluss, wenn
friedensbeseelte Eltern ihren Kindern das Kämpfen verbieten und es
moralisch verwerflich finden. Sie sollten ihren Kindern die Regeln
des Streits beibringen. Für uns lutherische Christen heißt die
oberste Regel: „sine vi, sed verbo“. Nicht mit Macht und Gewalt,
sondern allein durch das Wort Gottes. Lange hat die christliche
Kirche gebraucht (und braucht wohl immer noch), diese Regel nicht
nur gut zu finden, sondern auch zu befolgen. Das liegt daran, dass
die Kirche immer auch eine Kirche ist, die im Glauben schwächelt.
Denn sonst würde sie doch wissen, was das berühmte Lied Luthers von
der festen Burg, die Gott ist, über den Teufel singen lässt: Ein
Wörtlein kann ihn fällen. (EG 362/3)
Ein Wörtlein aus dem Mund Gottes. Ein Wörtlein Gottes, das als
Christus zur Welt kommt, um ganz bei und in uns zu sein. Und so ist
der, der die Waffenrüstung Gottes trägt mit nichts anderem
bekleidet, als mit Christus selbst. Er ist die Wahrheit, mit der
unsere Lenden umgürtet sein sollen. Er ist die Gerechtigkeit, die
Gott uns anlegt - vor seinem Thron ein Hemd, vor der Welt ein
Panzer. Er ist unser Friede. Deshalb können und sollen wir eintreten
für den Frieden für alle Menschen und die ganze Schöpfung. Am Schild
des Glaubens an Christus beißt sich sogar die Todesangst die Zähne
aus. Er ist das Heil, das unseren Kopf bedecken und schützen soll
vor allen Abgründen, die uns verschlingen wollen.
Bleibt schließlich das Schwert, das der Geist Jesu Christi ist –
nicht freischwebend und zur freien Verfügung - sondern gebunden an
und identisch mit dem Wort des Evangeliums. Dieses Wort trägt man
nun wirklich nicht am eigenen Leib. Es will in den Kampf und Streit
des Lebens hineingeworfen sein – möglichst fantasievoll und
geistreich – damit es seine heilsame Wirkung nicht nur in uns,
sondern auch in aller Welt entfalten kann. So stehen wir da in
dieser Welt, als Kinder Gottes, als Christenmenschen eben.
Deshalb sollten der Glaube und das Nachdenken und Reden über Gottes
Wort wieder die Erstcodierung unseres kirchlichen Handelns werden.
Seine Gerechtigkeit, Güte und Wahrheit sollten das Steuer im
Kirchenschiff haben. Gerade dann, wenn sich das Schiff auf hoher See
befindet. Dann machen wir ernst mit dem Gebet, dass wir so oft am
Ende des Gottesdienstes singen:
Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott, zu unsern Zeiten.
Es ist doch ja kein andrer nicht,
der für uns könnte streiten,
denn du, unser Gott, alleine. (EG 421)
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text: Paulus schreibt:
10 Zuletzt: Seid stark in dem Herrn und in
der Macht seiner Stärke.
11 Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen
die listigen Anschläge des Teufels.
12 Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit
Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in
dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem
Himmel.
13 Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen
Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten
könnt.
14 So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und
angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit
15 und an den Beinen gestiefelt, bereit einzutreten für das
Evangelium des Friedens.
16 Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem
ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen,
17 und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches
ist das Wort Gottes.
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