Predigt    Epheser 2/17-22     2.Sonntag nach Trinitatis    20.06.04

"Die Geschichte zweier widersprüchlicher Geschwister"
(von Vikar Michael Krauß, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

der Vater aller Morde war ein Brudermord. Kain erschlägt Abel im Glauben, Gott hätte Abel erwählt. Und ihn selbst verstoßen. Warum sind Geschwister eine so aggressionsanfällige Kombination? Warum ist es eher zu verkraften, wenn irgendjemand irgendwo mehr Erfolg hat, mehr geliebt wird als wir selbst? Und warum ist dasselbe so schwer zu verkraften, wenn es sich um unseren Bruder oder unsere Schwester handelt?

Ich möchte Ihnen heute die Geschichte zweier solcher Geschwister erzählen. Die beiden Geschwister heißen Judentum und Christentum. Diese Geschichte handelt von scheinbar unvereinbaren Grundsätzen, von Erwählung und angeblicher Verwerfung. Sie handelt davon, weshalb dieses Geschwisterpaar so aggressionsanfällig ist und wie es als Geschwisterpaar dennoch untrennbar zusammen gehört. Ich werde die Geschichte von Judentum und Christentum in drei Akten behandeln. Der Predigttext wird heute am Ende stehen. Denn er ist ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft.

I. Akt: Vom Mann, der beide Geschwister in seinem Herzen trug

Paulus, als Bürokrat Gottes verschrien, noch „schlimmer“: Der erste Dogmatiker der Christenheit, ist der Mann mit der kühnsten Hoffnung, die mir je begegnet ist. Paulus war Jude mit Leib und Seele. Er gehörte dem Volk an, das Gott selbst am Berg Sinai aus allen Völkern der Welt zu seinem Volk erwählt hat und es über alle Völker erhoben hat. In seinen Gesetzen hat der Allmächtige seinem Volk mitgeteilt, wie sie menschenwürdig leben können. Ein unschätzbares Vorrecht vor allen anderen Völkern.

Deshalb wird von Israel das Heil der ganzen Welt ausgehen. Mit dem Kommen des Messias bricht die Zeit weltweiten Friedens an. Die strikte Befolgung aller Gebote der Tora, des Alten Testaments, ist die Voraussetzung dafür. Nur so wird das Volk rein für die Ankunft des Herrn. Dann wird der Messias das neue Jerusalem des Friedens auf dem Zion bauen.

Während ich sehe, wie israelitische Panzer Häuser abreißen, Opfer des Hasses zu Grabe getragen werden, kann ich kann ihn mit Jesaja vom Reich Gottes träumen hören, den Juden Paulus: „Dann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren geöffnet werden; Die Lahmen springen wie ein Hirsch, und der Stummen Zunge wird Lob sagen .... Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jes 35,2-10) Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen das andere ein Schwert aufheben, und sie werden hinfort nicht mehr kriegen lernen. (Jes 2,4)

Das war und ist die große Verheißung, die dem jüdischen Volk gegeben wurde. Manche glauben, dass Paulus von seinem jüdischen Glauben Abstand genommen hat, als ihm vor Damaskus Christus erschien, ihn fragte, warum er ihn verfolge. Ich glaube das nicht. Paulus war Jude mit Leib und Seele. Sein Leben und sein Glaube waren unauflösbar miteinander verbunden. Paulus, einem solchen Glaubenden, tritt vor Damaskus Jesus in den Weg. Jesus, der dem Leben und Glauben des Paulus völlig entgegenstand, der Paulus selbst völlig entgegenstand. Paulus wusste, wie der Messias sein würde.

Und nun stand da dieser Christus, der niemals Messias hätte sein dürfen, der plötzlich jeden erwählte. In seinem Namen machte sich diese Sekte breit, die jeden, aber auch wirklich jeden aufnahm, der sich nicht beschneiden ließ, der die Reinheitsgebote nicht achtete, der glaubte, ein Gekreuzigter sei der Messias. Obwohl doch offensichtlich war, dass er es nicht sein konnte. Denn die Welt befolgt die Gebote des Alten Testaments nicht. Ihre Augen wurden nicht aufgetan! Wenn nicht jedem Menschen das Gesetz Gottes ins Herz geschrieben ist, war der Messias noch nicht da gewesen. Die Welt war nicht heil geworden durch Jesus Christus. Das sah jeder, der die Augen auch nur einen Schlitz breit auf machte. Es konnte also nur völliger Schwachsinn sein, dass Jesus von Nazareth der Messias war. Außerdem war er tot.

Paulus hatte die Schrift und die bisherige Logik des Glaubens auf seiner Seite. Und da stand dieser Christus vor ihm und fragte auch noch, warum er ihn verfolge. Ja bitte! Doch weil er wie ein Bulldozer die Hoffnung auf Frieden niederwalzte, indem er Leute aufnahm, die noch nicht einmal eine Ahnung davon hatten, was Reinheitsgebote überhaupt sind!

Da stand er also, dieser Jesus als Christus. Und Paulus kam nicht mehr an ihm vorbei. Paulus hat erfahren, dass sein Glaube mit Jesus verbunden wurde - gegen alle bisherige Logik. Es sollte ihm ein Leben lang zu schaffen machen. Noch in seinem großen letzten Brief dem Römerbrief kommt er nach fast verzweifelten, ausführlichen Überlegungen dazu, dass an Christus kein Weg vorbeiführt. Es ist völlig undenkbar, wie Israel, wenn es sich nicht zu Jesus Christus bekehrt, zur Kirche, zum Volk Gottes gehören kann. Wenn es Jesus Christus ablehnt, lehnt es Gott selbst ab und kann nicht mehr das Volk Gottes sein. Und doch muss es das Volk Gottes sein. Denn auch eine Verwerfung Israels liegt außerhalb jeder Möglichkeit. Israel bleibt das Volk Gottes, auch wenn es sich nicht zu Christus bekehrt.

Durch alle Briefe das Paulus zieht sich sein Ringen um die Frage: Wie kann zusammenpassen, was nach aller Vernunft niemals zusammenkommen wird, weil es sich schlechterdings widerspricht. Anfangs schien es noch die Hoffnung zu geben, dass schnell die Mehrheit Israels Jesus Christus als den Messias anerkennen würde. Doch sehr schnell wurde klar, dass dem nicht so war. Die Kirche Jesu Christi wuchs unter den Nichtjuden. Unter den Juden verschwand sie. Aber die Erwählung Israels konnte niemals hinfällig sein.

Gott wird es möglich machen am Ende der Tage, dass Israel erwählt bleibt und an Jesus Christus niemand vorbei kommt. Völlig unvorbereitet steht am Ende des Kapitels über Israel: Israel wird erlöst werden. Das ist die Quintessenz eines durch und durch vernünftigen Lebens getragen von einer gewaltigen Hoffnung, die über die Vernunft hinausgeht. Ich wünschte mir mehr Menschen vom Format des Paulus, deren Hoffnung die Grenzen der Logik sprengt. Und Paulus trug seine Hoffnung über das Volk Israel hinaus in die gesamte damals bekannte Welt: Zu den Heiden, die sich bald Christen nennen würden.

II. Akt: Unter Heiden

Anfangs war der Mönch Martin Luther wie berauscht von dieser Hoffnung, die ihm aus den Briefen des Paulus entgegen quoll. Der Hoffnung, dass der Glaube an Jesus Christus ausreichte, ein geliebtes Kind Gottes zu sein. Nicht durch das, was wir tun oder von wem wir abstammen, sind wir geliebt. Nein, sondern durch das, was wir durch unseren Glauben sind: Kinder Gottes, Volk Gottes. Nicht durch Geburt wie das Volk Israel, sondern durch unseren Glauben. Es war eine große Befreiung für Luther gewesen. Er glaubte daran, dass wenn er diese Botschaft nur für jeden verständlich, auf Deutsch ausdrückte, würden sich alle bekehren, die dazu berufen sind. Mit der Zeit reifte in ihm die Überzeugung, dass wer sich trotz verständlicher deutscher Bibelübersetzung und christlichen Unterrichts nicht zu Christus bekehrte, nicht berufen, sondern verworfen sei: Ein Kind des Todes. Der alte Luther wurde zum Judenhasser.

So war aus der gewaltigen Hoffnung des Paulus eine verkrüppelte Theologie geworden, deren Früchte Jahrhunderte lange Judenfeindschaft und eine Entfremdung der Kirche von ihren jüdischen Wurzeln waren. Martin Luther ist an der schier unerträglichen Weite der Hoffnung gescheitert, die ihm aus den Briefen des Paulus entgegen quoll. Von nun an wurde die Hoffnung zu Steinen, die durch Synagogenfester flogen.

III. Akt: Der Stein

Dass Paulus nicht aus Nostalgie daran festhielt, dass Israel das Volk Gottes ist und bleibt, auch wenn es Jesus nicht als Christus anerkennt; dass Israel für Paulus nicht ein ungläubiges Anhängsel ist, dem irgendwann einmal ein Versprechen gegeben wurde, das Gott nun unangenehmer weise nicht mehr zurücknehmen konnte; Das zeigt der Predigttext aus dem Brief des Paulus an die Epheser. Er dreht die Perspektive um: Nicht Israel ist das Problem. Das Problem ist, dass Jesus Christus uns die Heiden, die wir ursprünglich nicht zum erwählten Volk Gottes gehören, beruft. Aus reiner Gnade dürfen wir durch den Glauben an Jesus Christus zum auserwählten Volk Gottes gehören. Der Epheserbrief vergleicht die Kirche Gottes mit einem Gebäude. Der Hauptbau ist das Volk Israel. Die uralte Tempelmauer bekommt durch den Eckstein Jesus Christus einen Anbau: Die Christen, die nicht Juden sind. Ich lese aus dem 2. Kapitel des Briefes an die Epheser:

„Jesus Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, den Nichtjuden, die ihr fern wart, und Frieden den Juden, die schon immer nahe waren.
Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.“ (Eph 2,17-22)

Die Kirche Gottes wird erweitert. Der Hauptbau ist das Volk Israel. Durch den Eckstein Jesus Christus bekommt er einen Anbau: Uns, die Christen, die nicht Juden sind. Durch Christus haben auch alle Nichtjuden Zugang zum Heil. In der Hoffnung gehören wir zusammen – auch wenn wir uns in vielem völlig entgegenstehen. Es gilt die Steine aus den Synagogen zu räumen und die Hoffnungsfenster zu reparieren, um unterschiedlich wie wir sind, gemeinsam hindurch zu sehen auf die wunderbare Verheißung, die Gott seinem Volk durch Jesaja gibt:

Dann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren geöffnet werden (Jes 35, 5)... Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen. (Jes 2,4)

Dieser Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft erfülle unsere Herzen durch Jesus Christus. Amen.

Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche Hof)

Text: 

Paulus schreibt:

(17)Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren.
(18)Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
(19)So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen,
(20)erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist,
(21)auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.
(22)Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.


Archiv
Homepage Hospitalkirche