Liebe Leser,
wer von einer lutherischen Kanzel von den guten Werken, den
christlichen Tugenden und von der Heiligung eines Christenmenschen
predigen soll, hat es nicht leicht. War es nicht Luthers Entdeckung,
dass der Mensch gerecht vor Gott wird, ohne des Gesetzes Werke? Sind
die Werke, das Tun und Verhalten des Menschen also nicht Nebensache?
Haben die nicht recht, die heute sagen, Hauptsache das Evangelium
wird gepredigt, aber wie wir unsere Gemeinde und unsere Kirche
organisieren und in ihr miteinander leben, das bleibt uns
überlassen? Könnten wir uns da nicht heraussuchen, was das
vermeintlich Beste ist, z.B. das, was auch uns Erfolg und mediale
Präsenz verspricht?
Martin Luther hat sich wohl öfter die Haare gerauft über so viel
evangelische Dummheit. Wer den Kopf im Himmel hat und auf dieser
Welt weiter nach oben kriecht und nach unten tritt, wer das fromme
Wort führt und munter mitspielt in der großen und kleinen Politik,
wie sie auf dieser Welt üblich ist, der hat etwas Entscheidendes
nicht begriffen. Deshalb schreibt Luther in seiner Auslegung zur
Stelle: „Wer den Glauben mit der Tat nicht beweist, der gilt ebenso
viel wie ein Heide, ja er ist ärger als ein Heide, nämlich ein
Christ, der dem Glauben abgesagt hat und abtrünnig geworden ist.“
Diejenigen, die diesen untrennbaren Zusammenhang leugnen, werden von
Luther als „unnütze Schwätzer und nichtige Lehrer“ gebrandmarkt: „
... ob sie schon wissen, dass der Glaube ohne Werke nichts und ein
falscher Glaube ist, sondern, wo er rechtschaffen ist, müssen Frucht
und gute Werke folgen - so gehen sie doch sicher hin und verlassen
sich auf die Gnade Gottes, fürchten sich nicht vor Gottes Zorn und
Gericht, der den alten Adam gekreuzigt haben will und gute Früchte
von guten Bäumen lesen will.“ (zitiert nach Tilman Walther-Sollich,
GPM 2/2010, Heft 3, S.332) Zitat Ende.
Luther hätte freilich nicht aufgehört, sich die Haare zu raufen,
wenn er gesehen hätte, wie wir heute angesichts himmelschreiender
Zustände und moralischer Orientierungslosigkeit im christlichen
Abendland in einer sogenannten „Wertediskussion“ mitmischen und dort
mit den 10 Geboten hausieren gehen. Ja, er wäre regelrecht
verzweifelt, wenn er sehen könnte, wie versucht wird, die
Glaubwürdigkeit der Christenmenschen moralisch zu begründen, indem
diese sich eben mehr anstrengen würden, bessere Menschen zu sein. Er
würde uns umgehend bescheinigen, dass wir dann nicht nur den
zweiten, sondern auch den ersten Teil des Evangeliums nicht
verstanden hätten. Diese Diagnose ist allen zu stellen, die sich von
ihren Mitmenschen distanzieren, wenn diese z.B. an den 10 Geboten
scheitern und schuldig werden, und dies mit der Glaubwürdigkeit der
christlichen Botschaft begründen. Nein, das ist allein ihre eigene
Glaubwürdigkeit, die sie vor den Leuten zur Schau stellen wollen.
Das sind die, die sich selbst für gerecht halten und die anderen
verachten und denen Jesus das Gleichnis vom Pharisäer und Zöller
erzählt. (Lukas 18/9-14)
Gerade in diesem Gleichnis macht der Christus deutlich, wo unser
Platz vor Gott ist. Nicht vorne im Rampenlicht, wo der Pharisäer
steht und seine moralische Integrität vor den Menschen zur Schau
stellt, sondern dort hinten auf dem Platz des Zöllners, der an seine
Brust schlägt und gerade so in das Rampenlicht der Güte und
Gerechtigkeit und Wahrheit Gottes gerät. Wir präzisieren: Der nur so
in das Licht der Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit Gottes gerät.
Jesus hätte dieses Gleichnis nicht erzählt, wenn das nicht ohne
Ausnahme für uns alle gelten würde: Entweder wir kommen so wie der
Zöllner in das Licht der Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit Gottes
oder wir werden in unseren Sünden sterben. (vgl. Johannes 8/24)
Denn das Licht, dessen Frucht die Güte und Gerechtigkeit und
Wahrheit ist, ist nicht unser Licht, sondern das Licht Gottes. Und
Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit sind nicht unsere menschlichen
Eigenschaften, sondern Prädikate Gottes und das sollen sie bleiben.
Eine Kirche, die selbst „Leuchtfeuer“ anzünden will, um bei den
Leuten besser anzukommen, wie das im Impulspapier der EKD mit dem
schönen Namen „Kirche der Freiheit“ gefordert wird, wird zum
Irrlicht. Eine solche Kirche zündet Streulichter an, die das Licht
des Evangeliums mehr verdunkeln und vernebeln, als es zur Geltung zu
bringen. In der Kirche leuchten nicht wir, sondern der Christus. Und
wenn wir leuchten, dann ist es immer noch er, der durch uns hindurch
leuchtet. Man kann es nicht oft genug mit Jesu Worten aus der
Bergpredigt sagen: Ja, wir sollen unser Licht nicht unter den
Scheffel stellen, sondern es vor den Leuten leuchten lassen, damit
sie unsere guten Werke sehen. Aber nach dem „und“ kommt die
entscheidende Bedingung: … und euren Vater im Himmel preisen. Wenn
das, was wir tun und womit wir in der Öffentlichkeit stehen, unsere
Mitmenschen nicht auf den Christus und unseren himmlischen Vater
hinweist, sondern zum Ausweis unserer eigenen Macht, unserer Pläne,
Konzepte und Fähigkeiten wird, läuft etwas schief. Wenn der Beifall
am Ende uns und nicht unserer Botschaft gilt, haben wir den Auftrag
und die Sendung des Christus verraten.
Mehr Transparenz, lautet deshalb die Forderung. Mehr Transparenz,
damit das Licht der Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit Gottes durch
uns hindurchscheinen kann. Mehr Transparenz, damit auch die Form und
Organisation unserer Kirche das Evangelium durchscheinen lassen
kann, in dem Jesus zu seinen Jüngern sagt: „Einer ist Euer Meister,
ihr aber seid Geschwister.“ (Matthäus 23/8) Aber wahrscheinlich wird
die Forderung nach flachen Hierarchien in unserer Kirche erst wieder
Gehör finden, wenn auch Organisationstheoretiker und
Wirtschaftswissenschaftler sie uns empfehlen.
Wie wir transparenter werden können für Gott und sein Wirken, lesen
wir nach in den Reden der Unterweisung des Lebemeisters Eckehart:
„Der Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemüt
daran gewöhnen, Gott allzeit gegenwärtig zu haben im Gemüt und im
Streben und in der Liebe. Achte darauf, wie du deinem Gott zugekehrt
bist, wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle: diese selbe
Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe
und in die Ungleichheit. … Wem aber Gott nicht so wahrhaft
innewohnt, sondern wer Gott beständig von draußen her nehmen muss in
diesem und in jenem, und wer Gott in ungleicher Weise sucht, sei's
in Werken oder unter den Leuten oder an Stätten, der hat Gott nicht.
Und es mag leicht etwas geben, was einen solchen Menschen behindert,
denn er hat Gott nicht, und er sucht nicht ihn allein, noch liebt
noch erstrebt er ihn allein. Und darum hindert ihn nicht nur böse
Gesellschaft, sondern ihn hindert auch die gute, und nicht allein
die Straße, sondern auch die Kirche, und nicht allein böse Worte und
Werke, sondern auch gute Worte und Werke. Denn das Hindernis liegt
in ihm, weil Gott in ihm noch nicht alle Dinge geworden ist. Denn
wäre dies so bei ihm, so wäre ihm an allen Stätten und bei allen
Leuten gar recht und wohl; denn er hat Gott, und den könnte ihm
niemand nehmen, noch könnte ihn jemand an seinem Werk hindern.“
(Quint, Deutsche Predigten und Traktate, S. 59f.)
Meister Eckehart weist uns auch heute den Weg. Eine Kirche, die auf
der Suche nach ihrer Leuchtkraft ist, wird sie nicht finden, indem
sie ihre Strukturen und ihre Organisation verbessert. Sie wird sie
nur finden, indem sie ihr geistliches Leben vertieft. Nicht indem
sie fragt, wie sie besser ankommt, sondern indem sie sich allein auf
Gott und sein Wort konzentriert. Noch einmal Eckehart: „So soll der
Mensch von göttlicher Gegenwart durchdrungen und mit der Form seines
geliebten Gottes durchformt und in ihm verwesentlicht sein. … Dazu
gehört zu Beginn notwendig Überlegung und ein aufmerksames
Einprägen, wie beim Schüler zu seiner Kunst.“ (Quint, a.a.O., S.62)
Kann gut sein, dass dann all die Künste, mit denen wir Schlagzeilen
machen und machen wollen, als Schaumschlägerei, und wir als
Schwätzer und nichtige Lehrer dastehen. Das Licht des Evangeliums
bringt auch solches an den Tag. Gott sei Dank. Damit wir solche
nicht bleiben und nicht versäumen, was wir nach Gottes Willen sein
sollen: Menschen durch die das Licht Gottes und seine Güte und
Gerechtigkeit und Wahrheit in eine finstere Welt scheinen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text: Paulus schreibt:
8b Lebt als Kinder des Lichts;
9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und
Wahrheit.
10 Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist,
11 und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der
Finsternis; deckt sie vielmehr auf.
12 Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden
ist schändlich.
13 Das alles aber wird offenbar, wenn's vom Licht aufgedeckt wird;
14 denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es:
Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich
Christus erleuchten.
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