Predigt     Galater 4/1-4     1.Weihnachtsfeiertag     25.12.07

"Zerschmetterte Gesetze oder: Krippe, Kreuz und Geist"
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

vor zwei Wochen bin ich über den Leipziger Weihnachtsmarkt spaziert. Die Buden waren hell erleuchtet und glitzernd geschmückt, die Verkaufsware gut präsentiert, und viele Menschen auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken oder einer dampfenden Tasse Glühwein. Ich war schon fast vorüber, da fiel mein Blick doch noch auf eine Figur, einen halben Meter hoch, aus bemaltem Holz. Zwischen zwei Stände hineingequetscht, keine Lampen die sie anstrahlen. Kein Glanz und Glimmer. Deswegen wäre ich auch fast vorübergegangen. Nun blieb ich stehen und sah genauer hin: Am Boden lag Stroh, darauf stand diese Figur, eine Frau, und neben ihr ein Mann. Vor ihnen eine Krippe mit Kind. Die Heilige Familie in einem dunklen Eck, so dass man sie übersehen muss. Das stimmte mich traurig!

Die Weihnachtskrippe passt nicht zu den Gesetzen des Weihnachtsmarktes, die da lauten: Dekoriere deine Ware wohl und leuchte sie gut aus, damit sich möglichst viel verkauft. Bezaubere die Menschen durch das, was du im Angebot hast. Aber eine Krippe, die verkauft ja nichts, und deshalb hat man auch keinen Strom und keine Lampen für sie übrig. Damit aber ergeht es der Heiligen Familie nicht anders als vor 2000 Jahren: Auch da wollte niemand eine hochschwangere und unverheiratete Frau aus einfachen Verhältnissen mit ihrem Lebensgefährten aufnehmen, und so sind Maria und Joseph in einen Stall abgeschoben worden. Auch damals hat das Gesetz des "Hast du was, dann bist du was" gut funktioniert.

Geschriebene und ungeschriebene Gesetze unserer Welt stellen nicht nur die Heilige Familie damals und heute ins Dunkel. Ich sehe mit meinem inneren Auge Menschen unserer Gemeinde zu dieser dunklen Krippe herzutreten. Menschen, denen ich abspüre, dass sie sich auch solchen Gesetzen unterwerfen müssen. Eine Frau ist mir vor Augen, über deren Leben das Gesetz geschrieben steht: Du musst immer alles perfekt machen! Sie ist sehr pflichtbewusst. Was sie macht, das macht sie sehr gut. Doch obwohl sie in ihrer Familie immer alles liebevoll herrichtet und es allen recht machen will, würdigen es Kinder und Ehemann kaum. Das macht sie traurig. Und im Beruf braucht sie wegen ihrem Perfektionismus viel länger als andere, weshalb dann auch die Zeit für sich selbst und für ihre Familie oft zu kurz kommt. Und nicht immer wird anerkannt, wie sehr sie sich um alles bemüht. Doch sie denkt, dieser Perfektionismus wird von ihr erwartet.

Neben diese Frau sehe ich noch andere Gemeindeglieder treten, die alle einem „Du musst“ folgen: Du musst als Jugendlicher jedes Wochenende von einer Party zur anderen, vom einen Event zum Nächsten, sonst bist du nicht mehr "in". Du musst den Erwartungen genügen – ob im Beruflichen, im Familiären oder im Öffentlichen Leben. Du musst das so machen, wie es schon immer gemacht wurde. Du musst Kleidergröße 36 oder Waschbrettbauch haben, du musst jung, dynamisch und fit sein. Du musst immer gut drauf sein, auch wenn du Kummer hast. Du musst leben nach dem Motto „Kopf hoch“, selbst wenn dir gerade zum Weinen zu Mute ist. Ich frage mich: Welches „Du musst“ schwebt über meinem Leben und macht mich der Heiligen Familie in der dunklen Krippe gleich?

Ich stehe mit diesen Menschen vor der Krippe. Wir sehen die Heilige Familie an, zwischen den Buden und ohne Licht. Da stelle ich mir vor, wie ich in den Augen der Frau ein sehnsuchtsvolles Glänzen sehe. Ihr geht es wohl, wie es vielen Menschen geht, die an einer Krippe stehen. Sie sieht in der Krippe nicht die Armut und das Leiden unter dem Gesetz des "Hast du was, dann bist du was". Die Krippe im Blick kommen Erinnerungen an die alten Weihnachtslieder, die von Hoffnung erzählen, an die Botschaft der Engel, die die Geburt des Retters verkündigen. Da erst nimmt sie langsam wahr, wo es in ihr Dunkel ist. Sie bekommt eine Ahnung von der Freiheit von dem „Du musst“, das ihr Leben bestimmt.

Eine Sehnsucht wird geweckt wegzukommen von den Mächten, die in ihrem Leben ihr Unwesen treiben, eine Sehnsucht nach Veränderung und Freiheit. Aber zugleich meldet sich ihr Verstand und sagt: Das ist doch alles nur sentimentale Krippenromantik! Und doch beginnt ihr Herz leise angesichts der Krippe zu fragen: Könnt's nicht auch anders sein mit mir und meinem Leben? Könnte ich nicht anerkannt werden, so wie ich bin. Könnte nicht das „Du musst“, das über mir schwebt, etwas abbröckeln?

In diese Gedanken hinein sagt ihr Paulus fest und zuversichtlich: Ja, das kann es. Und er erzählt uns sein Weihnachtsevangelium: „Als aber die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste.“ Das ist die Weihnachtsgeschichte des Paulus. Ein einziger Bibelvers. Mehr will Paulus nicht erzählen. Sein Weihnachtsevangelium verlässt die vertrauten Bilder von Hirt und Krippe. Er konzentriert sich auf das Wesentliche, was bei all der Hirtenromantik oft untergeht: Durch das Kommen seines Sohnes erlöst uns Gott vom Druck des „Du musst“. Durch ihn widerfährt uns eine frohe Befreiung aus den gottlosen Bedingungen unserer Welt (Barmen II).

Die Frau und die anderen Menschen, die an der Krippe stehen, können das vielleicht nicht mit so klugen Worten wie Paulus sagen. Aber ich denke doch, dass sie etwas von dem spüren, was an Weihnachten geschieht. Sie spüren: Wir stehen bei der Heiligen Familie. Die Heilige Familie ist keine heile Familie, da ist nichts idyllisch und ideal. Aber es ist eine Familie, in der Gott gegenwärtig ist. Das macht sie heilig. Gott ist da in diesem kleinen Kind. Das Dunkel und der Ort, den die Gesetze der Welt zur Seite drängen, wird zum Ort des liebenden Handelns Gottes. Dort, wo nichts ideal ist, wo keine heile Welt herrscht, dort ist Gott gegenwärtig und will das Dunkel hell machen.

Das ist das Wunder von Weihnachten: Gott ist zu den Menschen gekommen, er ist Mensch geworden. Gott unterwirft sich den menschlichen Lebensbedingungen und Gesetzen: Geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan – das betont Paulus. So zeigt uns Gott, dass ihm unser Dunkel nicht egal ist, dass es an Weinachten um uns geht. Gottes Sohn leidet wie wir unter den Gesetzen dieser Welt, die nicht nur ein Kind in den Stall abschieben, sondern ihn auch ans Kreuz bringen, weil die Botschaft der selbstlosen Liebe nicht in das Mühlrad der Welt passt. Krippe und Kreuz sind aus dem gleichen Holz geschnitzt – Orte der Dunkelheit und der Unterdrückung durch die Gesetze dieser Welt. Und Gott? Der führt Jesus herauf zu neuem Leben. Damit durchbricht er alle Gesetze dieser Welt, die Menschen niederdrücken und versklaven. Er macht neues Leben möglich. Von Weihnachten, Karfreitag und Ostern, vom Zerschmettern der versklavenden Gesetze und vom Kommen des Lichts in die Finsternis des „Du musst“ – davon spricht Paulus in seinem Weihnachtsevangelium.

Aber damit noch nicht genug der frohen Weihnachtsbotschaft des Paulus: Gott hat ein noch größeres Geschenk: Sein Weihnachtsgeschenk an uns ist die Kindschaft. Zu Kindern Gottes macht er uns! Wenn kleine Kinder einmal nicht bei ihren Eltern waren, und dann Vater oder Mutter sehen, stürmen sie freudig auf sie zu und rufen: Mama! Papa! Vergessen ist, womit sie sich gerade beschäftigt haben, es zählen die Eltern. Genauso ist das mit den Kindern Gottes: Für sie treten alle Bindungen an die Welt und ihre Strukturen zurück: Im Mittelpunkt steht die Beziehung zu Gott, und aus der gestaltet sich alles andere – das Leben, das Arbeiten, der Umgang miteinander. Und diese Beziehung zu Gott ist wie die Beziehung eines Kindes zu seinen Eltern von Vertrauen geprägt.

Die Frau, die im Dunkel des „Du musst alles perfekt machen“ sitzt, könnte Paulus jetzt fragen: Wie kann dieses „Du musst“, das über meinem Leben steht, ganz praktisch zerbrechen? Warum spüre ich so wenig von diesem befreienden Licht? Und Paulus wird ihr mir mit unserem Predigttext antworten: „Doch! Du spürst es! Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater. Der Geist Jesu ist seit deiner Taufe in dir. Er lässt dich aus deinem Herzen nach Gott rufen: Abba, lieber Vater! Du tust das jedesmal im Vater Unser. Wer Vater sagen kann, den hat das heiße Herz Gottes durch seinen Panzer des Dunkels hindurch bereits erreicht. Wenn du zu Gott Vater sagst und betest, weißt du Gott schon als Begleiter auf deinem Weg. Vielleicht kann für dich das Gebet ein regelmäßiger Rastpunkt werden, eine Kraftquelle und ein Ort der Orientierung. Denn im Beten wird deutlich, dass wir nicht rettungslos unter Sachzwängen stehen, dass da mehr und anderes ist. Und das kann deine Gesetze zum Bröckeln bringen.“

Liebe Schwestern und Brüder, durchs Innehalten an der Krippe und durchs Gebet kann für diese Frau ein Weg beginnen, auf dem sie sich mehr und mehr von ihren Gesetzen löst. Das bedeutet für sie vielleicht auch einmal etwas unvollkommen lassen zu können und vieles gelassener zu sehen, im Wissen: Diese Bindung ist nicht entscheidend für mich. Und die anderen Menschen an der Krippe, die schaffen es so vielleicht nach und nach der Macht der Traummaßideale und dem Eventzwang zu entkommen, und so zu sein, wie sie wollen, und das zu machen, worauf sie selbst Lust haben. Und andere trauen sich, die Tradition und Konvention immer mal wieder auf ihre Menschendienlichkeit hin zu hinterfragen.

Das ist die Chance der Weihnachtsfeiertage nach dem Heiligen Abend, wenn etwas Ruhe eingekehrt ist: Dass auch wir auf die Krippe blicken, innehalten und dass ob diesem Weihnachtswunder ins Gebet kommen, und dann in uns etwas in Bewegung gerät, heller und wärmer wird.

Ich wünsche uns, dass wir in ein paar Tagen, wenn wir auf dem Weg von der Krippe weg hinein ins neue Jahr gehen, ein Stück befreiter sind und dass vielleicht sogar andere an uns etwas von der Freiheit und vom Vertrauen auf Gott spüren. Wenn das geschieht, dann ist selbst die dunkle Krippe von Leipzig zu einer hellen Krippe geworden, so wie die strahlende Krippe auf dem Hofer Weihnachtsmarkt, zu einer Quelle der Wärme und des Lichts für unser Leben. Dazu helfe uns Gottes Heiliger Geist.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)
Text:

1 Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, obwohl er Herr ist über alle Güter;
2 sondern er untersteht Vormündern und Pflegern bis zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat.
3 So auch wir: Als wir unmündig waren, waren wir in der Knechtschaft der Mächte der Welt.
4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.
 

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