Predigt     Galater 4/4-7     Weihnachten I    25.12.13

"Erfüllte Zeit"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“ - so haben wir es gestern gesungen. Und singen es auch heute! Freilich - heute ist Gelegenheit, noch einmal genauer hinzuschauen, was wir da eigentlich singen und feiern. Gestern haben wir mit unseren Kindern die Weihnachtsgeschichte des Lukas gehört, sie vielleicht mit einem Krippenspiel vor Augen geführt bekommen: Wie die hochschwangere Maria und ihr Josef nach Bethlehem ziehen, von Herberge zu Herberge, schließlich in einem Stall landen. Wir alle kennen die Geschichte vom Stern über Bethlehem, den Hirten, den Weisen. Heute hören wir die Weihnachtsgeschichte des Apostel Paulus - geschrieben für Erwachsene:

Text (siehe rechts)

„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.“ Ein einziger kurzer Satz! Keine Geschichte mit Stall und Ochs und Esel. Nicht einmal Maria wird namentlich erwähnt: „geboren von einer Frau“. Ein einziger kurzer Satz, mit dem der Apostel das Wunder der Heiligen Nacht beschreibt: Gott wird Mensch! Der allmächtige, unsichtbare, transzendente Gott, von dem die Heilige Schrift sagt, dass er sei von Ewigkeit zu Ewigkeit ehe denn die Erde und die Welt geschaffen wurden, geht ein in die Bedingungen von Raum und Zeit, wird sichtbar und greifbar in einem Menschen, ohnmächtig und sterblich wie jedes Menschenkind. „Als aber die Zeit erfüllt war“ - Die Menschwerdung Gottes ist für den Apostel das zeitenwendende Ereignis schlechthin. Das haben auch die späteren Generationen von Christen so gesehen, als sie unsere Weltzeit in eine Zeit vor und nach Christus einteilten.

Im griechischen Urtext meint „erfüllt“ zweierlei: Einmal „erfüllt“ im Sinne von „vollkommen“. So wie wir ja gerne auch von „erfüllter Zeit“ reden und damit wunderschöne und unvergessliche Erfahrungen meinen. Zum anderen meint „erfüllt“ aber auch das Ziel; das, was am Ende steht. „Als aber die Zeit erfüllt war“ - Das ist das Wunder der Weihnacht: Dass Gottes Vollkommenheit, seine Herrlichkeit, eingeht in unsere Zeit - und diese grundstürzend als dem Wortsinne nach einerseits als vor-läufig gekennzeichnet wird, andererseits aber auch als würdig! Nämlich würdig der Herrlichkeit Gottes! Das ist das Wunder der Weihnacht, dass im Hier und Jetzt unserer irdischen Wirklichkeit sichtbar wird, was das Ziel und was am Ende aller Zeit sein wird: Gott im Menschen und der Mensch in Gott, in und durch seinen Sohn, Jesus Christus.

„Unter das Gesetz getan.“ Mit wenigen aber präzisen Worten hält Paulus fest: Der Sohn Gottes war nicht nur beschnittener Jude, wie es das mosaische Gesetz verlangt. Er war auch in dem Sinne „unter das Gesetz getan“, dass er „jenseits von Eden“ wirkte, an unserem Ort, wo die Frauen mit Schmerzen gebären und die Männer im Schweiße ihres Angesichts sich abmühen, wo Neid und Missgunst regieren und ein Bruder den anderen erschlägt, wo wir alle unter die Hand der Mächtigen geworfen sind und diese ihre Völker bevorzugt zum Selbstruhm missbrauchen und sich Türme bis zum Himmel bauen. Kurz gesagt: wo die Macht der Sünde regiert und das Gesetz des Stärkeren gilt, das Gesetz des Todes und der Vergänglichkeit.

„Damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste.“ Jeder Zeitgenosse des Paulus hörte bei dem Wort „erlösen“ die Bestimmungen des Schuldrechts heraus, die im Römischen Reich galten. Es gab da genaue Bestimmungen über den Loskauf von zahlungsunfähigen Schuldnern, die in Schuldhaft geraten waren bzw. gleich zu Sklaven wurden. Sie konnten nur freikommen, wenn jemand dem Gläubiger die Schuldsumme, den Loskaufpreis, erstattete. Paulus weiß, wie hoch der Preis war, den der Gottessohn für den Loskauf von uns zahlte: Er zahlte mit seinem Leben!
 
Wie kein anderer vor ihm hat der Apostel die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu bedacht: Weil wir Menschen allesamt in Schuldhaft geraten sind, weil wir Gott das entscheidende schuldig geblieben sind: Die urgewaltige Liebe, die die letzten Tiefen der Seele ergreift und alle Kräfte zusammenfasst. Weil wir allesamt und ohne Ausnahme am ersten und vornehmsten Gebot gescheitert sind, ist über uns allen die Gefangenschaft verhängt, sind wir unfrei und Sklaven des Bösen. Davon hat der Gottessohn uns mit seinem Leben und seiner Lebensopferung losgekauft. Dessen vergewissern wir uns bei jedem Abendmahl.

„Damit wir die Kindschaft empfingen.“ Auch hier hörte jeder Zeitgenosse des Paulus sofort römisches Adoptionsrecht heraus. Die „Kindschaft empfangen“ heißt jemanden adoptieren. Und ein adoptiertes Kind erhielt damals automatisch die gleichen Rechte wie die anderen Kinder der Familie. So wie durch den Loskauf ein Sklave zum freien Mann wird, so wird durch den Empfang der Kindschaft ein Außenseiter in den Kreis der engsten Familie aufgenommen - mit allen Rechten und Privilegien.

„Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!“ - „Ihr seid Kinder Gottes!“ ruft uns der Apostel zu. Begreifen wir das? Ergreifen wir das? Dass Sie und Sie und ich auch, dass wir Kinder Gottes sind seit jener Heiligen Nacht, seitdem ein jeder und jede von uns bei der Taufe mit dem Zeichen des Gekreuzigten auf der Stirn gesalbt und versiegelt wurde. In der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus hat Gott uns zu seinen Kindern adoptiert, hat er uns freigekauft vom Gesetz des Todes und der Vergänglichkeit, freigekauft auch von der Macht des Bösen. Um uns diese zeitenwendende, frei und froh machende Botschaft mitzuteilen, sendet Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen. Und der ruft uns immer wieder zu: Lasst euch versöhnen mit Gott! Lasst euch in allen Dingen und Angelegenheiten dieser Welt trösten und ermutigen mit der Herrlichkeit des Gottessohnes - die eure ist! Hier freilich noch im Glauben, dort dereinst im vollkommenen Schauen.

„Zur Freiheit hat Christus euch befreit“ sagt Paulus an anderer Stelle. Zur Freiheit der Kinder Gottes gegenüber allen weltlichen Dingen und allen weltlichen Mächten. Sie sind vorläufig! Sie haben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort spricht Gott, ja, er hat es schon gesprochen! Und es ist das heilmachende Wort des liebenden Vaters. Das flüstert uns der Geist seines Sohnes immer wieder in unsere Herzen, nicht nur an Weihnachten. In Christus hat Gott uns zu einer Freiheit befreit, die den Menschen wirklich groß macht! Eine Freiheit, die fähig ist zu lieben, wo man sich hasst, zu verzeihen, wo man sich beleidigt, die Wahrheit zu sagen, wo Irrtum herrscht, Hoffnung zu wecken, wo Verzweiflung quält, Glauben zu bringen, wo Zweifel drückt, Freude zu bringen, wo Kummer wohnt, oder um es in der Sprache von Weihnachten zu sagen: ein Licht anzuzünden, wo Finsternis regiert.

Christus, der Sohn, von einer Frau geboren, hat uns zu einer Freiheit befreit, die Menschen groß macht, nicht klein. Es ist eine Freiheit, die uns nicht schrumpfen lässt, sondern aufrichtet. Es ist eine Freiheit, die nicht unsicher macht, sondern selbstbewusst. Es ist eine Freiheit, die uns den Mut gibt, uns unserer Verletzlichkeit zu stellen, eine Freiheit, die die Angst überwindet und das Licht von Weihnachten immer wieder erstrahlen lässt. Es ist die Freiheit der Kinder Gottes.

Einer aus dieser großen Familie, dessen Lebenswerk wir in diesen Tagen geehrt haben, soll an dieser Stelle noch einmal zu Wort kommen - einfach um uns Mut zu machen, auch selbst von dieser geschenkten Freiheit Gebrauch zu machen, an unserem Ort, zu unserer Zeit. Die Worte stammen von Nelson Mandela, einem gläubigen Methodisten, der sein ganzes Leben dem Kampf für die Freiheit widmete. Er glaubte an die große Familie Gottes, an die Gemeinschaft von Schwarzen und Weißen, an die Überwindung von Rassenhass und sozialer Ungerechtigkeit, an die Kraft von Versöhnung und Freiheit. „Madiba“, wie er in Südafrika liebevoll genannt wird, hatte auch nach 27 Jahren Haft noch den Mut und die Kraft an die Versöhnung zu glauben. Er träumte von einer Regenbogennation, in der alle Ethnien als Kinder Gottes miteinander leben. Ich zitiere abschließend aus einer seiner Reden:

„Du bist ein Kind Gottes. Wenn du dich klein machst, dient das der Welt nicht. Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du schrumpfst, damit andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen, die in uns ist. Sie ist nicht nur in einigen von uns, sie ist in jedem Menschen. Und wenn wir unser eigenes Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir uns von unserer eigenen Angst befreit haben, wird unsere Gegenwart ohne unser Zutun andere befreien.“ Darauf sagen wir: Amen!

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

Paulus schreibt:

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.
6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!
7 So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
 


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