Predigt     Gemeindefest in Hospital     25.06.17

"Glauben - eine Gebrauchsanweisung fürs Leben?!"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

mit Gebrauchsanweisungen ist das ja so eine Sache. Wer sich schon einmal eine Schrank bei Ikea gekauft hat, der auf der Heimfahrt nicht vom Autodach fiel und dann Zuhause zum Aufbau bereitsteht, weiß, was ich meine. Wie rum muss man das Blatt nehmen? Womit muss man anfangen und wie geht es weiter? Dann stellt man fest, dass der Schrank doch nicht ganz so aussieht, wie im Prospekt. Und am Schluss fehlt ausgerechnet die eine Schraube, für die man sich wieder auf die vielleicht vergebliche Suche machen muss. Ein Gleichnis fürs Leben.

Aber Gott sei Dank gibt es ja heute für alles einen Ratgeber. Ein Millionenmarkt. Die 10 besten Flirttipps für WhatsApp und was Sie Ihrer Angebeteten auf keinen Fall schreiben sollten. Kindererziehung leicht gemacht und alles Wissenswerte für Kochen, Reise, Garten, Gesundheit und Verbraucher. Gibt man bei Google den Begriff „Ratgeber“ ein, erhält man exakt 59.500.000 Ergebnisse. Für die Worte „Gebrauchsanweisung für das Leben“ gibt es immerhin noch 489.000 Treffer. Viel Spaß beim Stöbern!.

Als wir das Thema für diesen Gottesdienst gewählt haben, haben wir natürlich mit Ihren Erwartungen gespielt. Gibt uns das Wort Gottes und der Glaube wenigstens eine klare Gebrauchsanweisung fürs Leben im schier unübersichtlichen Chaos heutiger Lebensentwürfe und guter Ratschläge? Es ist ja nicht mehr wie früher, als den meisten Menschen der Lebenslauf sozusagen in die Wiege gelegt war.

Und natürlich haben wir auch an die Christenmenschen gedacht, die – wie das Fundamentalisten so tun – weismachen, dass Jesus alle unsere Probleme löst und das Wort Gottes Antwort auf alle unsere Fragen gibt. Der Glaube als festes Geleis und die 10 Gebote als festes Geländer, das uns links und rechts vor Gefahr und Unfall bewahrt. Und so hadern nicht wenige Menschen mit Gott, wenn sie feststellen müssen, dass solche Versprechen ziemlich leer sind und auch das fromme Christenleben in vielen Fällen keine sonnige, unfallfreie, vergnügliche und lustige Reise auf der breiten Autobahn eines 80-90jährigen Lebens ist, das im Happy End des Himmelreichs endet. Schon der Hiob des Alten Testamentes hat sich darüber viele Gedanken machen müssen.

Im 500. Jubiläumsjahr der Reformation kommen wir gar nicht umhin, zu unserem Thema den Reformator Martin Luther zu befragen. In 30 Thesen hat er 1520 eine Schrift verfasst, in der er Glauben und Leben des Christenmenschen grundsätzlich bedacht und zueinander in Beziehung gesetzt hat. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heißt diese Schrift. Ich habe Ihnen auf dem Liedblatt aus der ersten und letzten These zitiert und bitte Sie mitzulesen.

"Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

Aus dem allem ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten. In Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott. Aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und in göttlicher Liebe. Gleich wie Christus sagt Joh 1: Ihr werdet den Himmel offen stehen sehen und die Engel auf- und absteigen über den Sohn des Menschen. Sieh, das ist die rechte geistliche christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, welche alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde. Die gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten." (Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen)

Auf den ersten Blick scheint das mit einer Gebrauchsanweisung für das Leben nicht viel zu tun zu haben. Denn wenn wir eine Gebrauchsanweisung zur Hand nehmen, dann erwarten wir, dass sie uns sagt, was wir tun sollen. Luther meint in guter Übereinstimmung mit der Bibel, dass wir die falsche Erwartung haben. Zwar finden sich in der Bibel auch Handlungsanweisungen. Luther hat aber entdeckt, dass das Wort Gottes daran erst in zweiter Linie interessiert ist. In erster Linie gibt die Bibel Antwort auf die Frage, wer wir sind!

Das Wort Gottes klärt uns darüber auf, wer wir im Licht des Evangeliums sind. Er vergleicht den Menschen mit einem Baum und schreibt:

„Darum sind diese beiden Sprichworte wahr: Gute gerechte Werke machen niemals einen guten gerechten Menschen, sondern ein guter gerechter Mensch tut gute gerechte Werke. Schlechte Werke machen niemals einen schlechten Menschen, sondern ein schlechter Mensch tut schlechte Werke. Daher muss stets die Person zuvor gut und gerecht sein vor allen Werken und es müssen gute und gerechte Werke folgen und ausgehen von der gerechten guten Person.

Gleich wie Christus sagt: Ein schlechter Baum trägt keine gute Frucht. Ein guter Baum trägt keine schlechte Frucht. Denn es ist offenkundig, dass nicht die Früchte den Baum tragen, auch die Bäume nicht auf den Früchten wachsen, sondern umgekehrt: Die Bäume tragen die Früchte, und die Früchte wachsen auf den Bäumen. Wie nun die Bäume eher da sein müssen als die Früchte, und wie nun die Früchte die Bäume weder gut noch schlecht machen, sondern die Bäume die Früchte machen – so muss auch der Mensch in seiner Person zuvor gerecht oder böse sein, ehe er gute oder böse Werke tut. Und seine Werke machen ihn nicht gut oder böse, sondern er tut gute oder böse Werke. Dasselbe sehen wir in allen Handwerken. Ein gutes oder schlechtes Haus macht keinen guten oder schlechten Zimmermann, sondern ein guter oder schlechter Zimmermann macht ein schlechtes oder gutes Haus. Kein Werk macht einen Meister nach dem, was das Werk ist, sondern wie der Meister ist, so ist auch sein Werk.“

Was sind wir also nun – jeder von uns? Luther sagt mit der Schrift: Ihr seid Gottes geliebte Kinder. Von Eurem ersten Atemzug an ist Euer Leben aufgespannt zwischen Himmel und Erde. In Jesus Christus hat Gott Euch an und in sein Herz gezogen. Und weil dieses Herz Liebe ist, schickt es Euch wieder hinunter in die Welt, damit seine Liebe in allem, was ihr tut, dabei ist. Deshalb fasst Jesus alle Gebote zusammen im Doppelgebot der Liebe, für das es keine Ausführungsbestimmungen gibt, denn dieses Gebot sagt mit Augustinus: „Liebe und tu‘, was Du willst.“ Aber bedenke, dass ohne die Liebe alles nichts ist.

Denn: Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich,
Verantwortung ohne Liebe rücksichtslos,
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart,
Freundlichkeit ohne Liebe heuchlerisch,
Wahrheit ohne Liebe macht grausam,
Ordnung ohne Liebe kleinlich,
Besitz ohne Liebe macht geizig,
Ehre ohne Liebe hochmütig,
Glaube ohne Liebe macht fanatisch,
ein Leben ohne Liebe ist sinnlos.

Nun haben schon zu Luthers Zeiten viele gefragt: Ja, wenn Gottes Liebe und Jesus Christus in uns wohnen, warum gibt es dann auf der Welt und leider auch unter Christenmenschen so viel Frust, Rücksichtslosigkeit, Hartherzigkeit, Heuchelei, Grausamkeit, Kleinlichkeit, Geiz, Hochmut und Fanatismus? Sollte die Kirche nicht ein wenig nachhelfen, indem sie wenigstens die Christenmenschen ein wenig bedroht, um sie zu bessern oder zumindest das Gröbste zu verhindern? Luther hätte das aus den gehörten Gründen scharf zurückgewiesen. Dass leider auch unter Christenmenschen die Lieblosigkeit grassiert, kann nur einen Grund haben: Dass sie ihren Herrn Jesus Christus eben doch nicht in ihren Herzen wohnen lassen, sein Wort nicht hören, seinen Willen nicht wissen wollen. Sie lassen ihn in ihrem Herzen nur im Herrgottswinkel zur Untermiete wohnen, und holen ihn nur zu bestimmten Anlässen hervor. So kann das wirklich nichts Rechtes werden.

Aber Luther hat auch Trost parat, denn: „Das christliche Leben ist nicht fromm sein, sondern fromm werden, nicht gesund sein, sondern gesund werden, nicht sein, sondern werden, nicht Ruhe, sondern Übung. Wir sind‘s noch nicht, wir werden‘s aber. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Es glüht und glänzt noch nicht alles, es bessert sich aber alles.“

Und wir sind auf diesem Weg auch nicht allein. Ein Schiff haben wir nach der Gebrauchsanweisung gebastelt. Die Kirche als die Familie der Kinder Gottes ist immer wieder mit einem Schiff verglichen worden. Wir fahren zusammen an das ferne Ufer des Reiches Gottes. Christus ist der Kapitän. Wenn er an Bord ist, wird alles gut, auch wenn das Schiff durch einen Sturm muss. Man denke an die Geschichte von der Stillung des Sturms (Markus 4,35fff).

Sind Sie schon einmal bei Windstärke 10 auf einer Fähre durch die Ägäis gefahren? Da hab ich auch an das Schiff Kirche denken müssen. Nein, keiner auf dem Schiff kam damals auf die Idee, von Bord zu springen, um selber irgendwohin zu schwimmen. Zum Kotzen durfte man die Fahrt auf diesem Schiff in dieser Situation trotzdem finden. (Denken wir an die Thesen an der Tür zur Hospitalkirche.) Aber die Erfahrung tut gut, dass es noch andere gibt, die genauso leiden und die einem die Tüte reichen und aufpassen, dass man nicht über Bord geht. Auch das ist manchmal notwendige Seelsorge in der Kirche! Und so, wie wir froh sind, wenn wir beim Aufbau eines Ikeaschranks jemand haben, der sich mit sowas auskennt und mit Hand anlegt, so sollten wir froh sein, dass wir in allen Lebenslagen auf diesem Schiff Kirche nicht allein sind, sondern Brüder und Schwestern haben, in deren Herzen Gottes Liebe wohnt. Und darauf sagen wir: Amen.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

"Von der Freiheit eines Christenmenschen" (Martin Luther 1520)

 

Vor der Predigt wurde nach einer vorgelesenen Gebrauchsanweisung ein Blatt Papier gefaltet. Die Anweisung war für Drittklässler gedacht. Herauskommen sollte ein Schiff. Bei manchen kam gar nichts heraus. Ein Flieger war auch dabei! Die Schiffe wurden nach dem Gottesdienst auf Schnüre gezogen und erinnerten den ganzen Tag an den Gottesdienst.

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