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			Liebe Leser, 
			 
			mit Gebrauchsanweisungen ist das ja so eine Sache. Wer sich schon 
			einmal eine Schrank bei Ikea gekauft hat, der auf der Heimfahrt 
			nicht vom Autodach fiel und dann Zuhause zum Aufbau bereitsteht, 
			weiß, was ich meine. Wie rum muss man das Blatt nehmen? Womit muss 
			man anfangen und wie geht es weiter? Dann stellt man fest, dass der 
			Schrank doch nicht ganz so aussieht, wie im Prospekt. Und am Schluss 
			fehlt ausgerechnet die eine Schraube, für die man sich wieder auf 
			die vielleicht vergebliche Suche machen muss. Ein Gleichnis fürs 
			Leben.  
			 
			Aber Gott sei Dank gibt es ja heute für alles einen Ratgeber. Ein 
			Millionenmarkt. Die 10 besten Flirttipps für WhatsApp und was Sie 
			Ihrer Angebeteten auf keinen Fall schreiben sollten. Kindererziehung 
			leicht gemacht und alles Wissenswerte für Kochen, Reise, Garten, 
			Gesundheit und Verbraucher. Gibt man bei Google den Begriff 
			„Ratgeber“ ein, erhält man exakt 59.500.000 Ergebnisse. Für die 
			Worte „Gebrauchsanweisung für das Leben“ gibt es immerhin noch 
			489.000 Treffer. Viel Spaß beim Stöbern!.  
			 
			Als wir das Thema für diesen Gottesdienst gewählt haben, haben wir 
			natürlich mit Ihren Erwartungen gespielt. Gibt uns das Wort Gottes 
			und der Glaube wenigstens eine klare Gebrauchsanweisung fürs Leben 
			im schier unübersichtlichen Chaos heutiger Lebensentwürfe und guter 
			Ratschläge? Es ist ja nicht mehr wie früher, als den meisten 
			Menschen der Lebenslauf sozusagen in die Wiege gelegt war.  
			 
			Und natürlich haben wir auch an die Christenmenschen gedacht, die – 
			wie das Fundamentalisten so tun – weismachen, dass Jesus alle unsere 
			Probleme löst und das Wort Gottes Antwort auf alle unsere Fragen 
			gibt. Der Glaube als festes Geleis und die 10 Gebote als festes 
			Geländer, das uns links und rechts vor Gefahr und Unfall bewahrt. 
			Und so hadern nicht wenige Menschen mit Gott, wenn sie feststellen 
			müssen, dass solche Versprechen ziemlich leer sind und auch das 
			fromme Christenleben in vielen Fällen keine sonnige, unfallfreie, 
			vergnügliche und lustige Reise auf der breiten Autobahn eines 
			80-90jährigen Lebens ist, das im Happy End des Himmelreichs endet. 
			Schon der Hiob des Alten Testamentes hat sich darüber viele Gedanken 
			machen müssen.  
			 
			Im 500. Jubiläumsjahr der Reformation kommen wir gar nicht umhin, zu 
			unserem Thema den Reformator Martin Luther zu befragen. In 30 Thesen 
			hat er 1520 eine Schrift verfasst, in der er Glauben und Leben des 
			Christenmenschen grundsätzlich bedacht und zueinander in Beziehung 
			gesetzt hat. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heißt diese 
			Schrift. Ich habe Ihnen auf dem Liedblatt aus der ersten und letzten 
			These zitiert und bitte Sie mitzulesen.  
			 
			"Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem 
			untertan. 
			 
			Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und 
			jedermann untertan. 
			 
			Aus dem allem ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch 
			nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten. 
			In Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch 
			den Glauben fährt er über sich in Gott. Aus Gott fährt er wieder 
			unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und in 
			göttlicher Liebe. Gleich wie Christus sagt Joh 1: Ihr werdet den 
			Himmel offen stehen sehen und die Engel auf- und absteigen über den 
			Sohn des Menschen. Sieh, das ist die rechte geistliche christliche 
			Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und 
			Geboten, welche alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die 
			Erde. Die gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten." (Martin 
			Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen) 
			 
			Auf den ersten Blick scheint das mit einer Gebrauchsanweisung für 
			das Leben nicht viel zu tun zu haben. Denn wenn wir eine 
			Gebrauchsanweisung zur Hand nehmen, dann erwarten wir, dass sie uns 
			sagt, was wir tun sollen. Luther meint in guter Übereinstimmung mit 
			der Bibel, dass wir die falsche Erwartung haben. Zwar finden sich in 
			der Bibel auch Handlungsanweisungen. Luther hat aber entdeckt, dass 
			das Wort Gottes daran erst in zweiter Linie interessiert ist. In 
			erster Linie gibt die Bibel Antwort auf die Frage, wer wir sind!  
			 
			Das Wort Gottes klärt uns darüber auf, wer wir im Licht des 
			Evangeliums sind. Er vergleicht den Menschen mit einem Baum und 
			schreibt:  
			 
			„Darum sind diese beiden Sprichworte wahr: Gute gerechte Werke 
			machen niemals einen guten gerechten Menschen, sondern ein guter 
			gerechter Mensch tut gute gerechte Werke. Schlechte Werke machen 
			niemals einen schlechten Menschen, sondern ein schlechter Mensch tut 
			schlechte Werke. Daher muss stets die Person zuvor gut und gerecht 
			sein vor allen Werken und es müssen gute und gerechte Werke folgen 
			und ausgehen von der gerechten guten Person.  
			 
			Gleich wie Christus sagt: Ein schlechter Baum trägt keine gute 
			Frucht. Ein guter Baum trägt keine schlechte Frucht. Denn es ist 
			offenkundig, dass nicht die Früchte den Baum tragen, auch die Bäume 
			nicht auf den Früchten wachsen, sondern umgekehrt: Die Bäume tragen 
			die Früchte, und die Früchte wachsen auf den Bäumen. Wie nun die 
			Bäume eher da sein müssen als die Früchte, und wie nun die Früchte 
			die Bäume weder gut noch schlecht machen, sondern die Bäume die 
			Früchte machen – so muss auch der Mensch in seiner Person zuvor 
			gerecht oder böse sein, ehe er gute oder böse Werke tut. Und seine 
			Werke machen ihn nicht gut oder böse, sondern er tut gute oder böse 
			Werke. Dasselbe sehen wir in allen Handwerken. Ein gutes oder 
			schlechtes Haus macht keinen guten oder schlechten Zimmermann, 
			sondern ein guter oder schlechter Zimmermann macht ein schlechtes 
			oder gutes Haus. Kein Werk macht einen Meister nach dem, was das 
			Werk ist, sondern wie der Meister ist, so ist auch sein Werk.“ 
			 
			Was sind wir also nun – jeder von uns? Luther sagt mit der Schrift: 
			Ihr seid Gottes geliebte Kinder. Von Eurem ersten Atemzug an ist 
			Euer Leben aufgespannt zwischen Himmel und Erde. In Jesus Christus 
			hat Gott Euch an und in sein Herz gezogen. Und weil dieses Herz 
			Liebe ist, schickt es Euch wieder hinunter in die Welt, damit seine 
			Liebe in allem, was ihr tut, dabei ist. Deshalb fasst Jesus alle 
			Gebote zusammen im Doppelgebot der Liebe, für das es keine 
			Ausführungsbestimmungen gibt, denn dieses Gebot sagt mit Augustinus: 
			„Liebe und tu‘, was Du willst.“ Aber bedenke, dass ohne die Liebe 
			alles nichts ist.  
			 
			Denn: Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich, 
			Verantwortung ohne Liebe rücksichtslos, 
			Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart, 
			Freundlichkeit ohne Liebe heuchlerisch, 
			Wahrheit ohne Liebe macht grausam, 
			Ordnung ohne Liebe kleinlich, 
			Besitz ohne Liebe macht geizig, 
			Ehre ohne Liebe hochmütig, 
			Glaube ohne Liebe macht fanatisch, 
			ein Leben ohne Liebe ist sinnlos. 
			 
			Nun haben schon zu Luthers Zeiten viele gefragt: Ja, wenn Gottes 
			Liebe und Jesus Christus in uns wohnen, warum gibt es dann auf der 
			Welt und leider auch unter Christenmenschen so viel Frust, 
			Rücksichtslosigkeit, Hartherzigkeit, Heuchelei, Grausamkeit, 
			Kleinlichkeit, Geiz, Hochmut und Fanatismus? Sollte die Kirche nicht 
			ein wenig nachhelfen, indem sie wenigstens die Christenmenschen ein 
			wenig bedroht, um sie zu bessern oder zumindest das Gröbste zu 
			verhindern? Luther hätte das aus den gehörten Gründen scharf 
			zurückgewiesen. Dass leider auch unter Christenmenschen die 
			Lieblosigkeit grassiert, kann nur einen Grund haben: Dass sie ihren 
			Herrn Jesus Christus eben doch nicht in ihren Herzen wohnen lassen, 
			sein Wort nicht hören, seinen Willen nicht wissen wollen. Sie lassen 
			ihn in ihrem Herzen nur im Herrgottswinkel zur Untermiete wohnen, 
			und holen ihn nur zu bestimmten Anlässen hervor. So kann das 
			wirklich nichts Rechtes werden.  
			 
			Aber Luther hat auch Trost parat, denn: „Das christliche Leben ist 
			nicht fromm sein, sondern fromm werden, nicht gesund sein, sondern 
			gesund werden, nicht sein, sondern werden, nicht Ruhe, sondern 
			Übung. Wir sind‘s noch nicht, wir werden‘s aber. Es ist nicht das 
			Ende, es ist aber der Weg. Es glüht und glänzt noch nicht alles, es 
			bessert sich aber alles.“ 
			 
			Und wir sind auf diesem Weg auch nicht allein. Ein Schiff haben wir 
			nach der Gebrauchsanweisung gebastelt. Die Kirche als die Familie 
			der Kinder Gottes ist immer wieder mit einem Schiff verglichen 
			worden. Wir fahren zusammen an das ferne Ufer des Reiches Gottes. 
			Christus ist der Kapitän. Wenn er an Bord ist, wird alles gut, auch 
			wenn das Schiff durch einen Sturm muss. Man denke an die Geschichte 
			von der Stillung des Sturms (Markus 4,35fff).  
			 
			Sind Sie schon einmal bei Windstärke 10 auf einer Fähre durch die 
			Ägäis gefahren? Da hab ich auch an das Schiff Kirche denken müssen. 
			Nein, keiner auf dem Schiff kam damals auf die Idee, von Bord zu 
			springen, um selber irgendwohin zu schwimmen. Zum Kotzen durfte man 
			die Fahrt auf diesem Schiff in dieser Situation trotzdem finden. 
			(Denken wir an die Thesen an der Tür zur Hospitalkirche.) Aber die Erfahrung tut gut, dass es noch andere gibt, die genauso 
			leiden und die einem die Tüte reichen und aufpassen, dass man nicht 
			über Bord geht. Auch das ist manchmal notwendige Seelsorge in der 
			Kirche! Und so, wie wir 
			froh sind, wenn wir beim Aufbau eines Ikeaschranks jemand haben, der 
			sich mit sowas auskennt und mit Hand anlegt, so sollten wir froh 
			sein, dass wir in allen Lebenslagen auf diesem Schiff Kirche nicht 
			allein sind, sondern Brüder und Schwestern haben, in deren Herzen 
			Gottes Liebe wohnt. Und darauf sagen wir: Amen.  
		
      	Pfarrer Johannes Taig   
      (Hospitalkirche Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter 
      www.kanzelgruss.de)  | 
			
			 
			Text: 
			"Von der Freiheit 
			eines Christenmenschen" (Martin Luther 1520)  
			  
			Vor der Predigt wurde 
			nach einer vorgelesenen Gebrauchsanweisung ein Blatt Papier 
			gefaltet. Die Anweisung war für Drittklässler gedacht. Herauskommen 
			sollte ein Schiff. Bei manchen kam gar nichts heraus. Ein Flieger 
			war auch dabei! Die Schiffe wurden nach dem Gottesdienst auf Schnüre 
			gezogen und erinnerten den ganzen Tag an den Gottesdienst. 
			
			  
			
			
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