Liebe Leser,
„Die Krippe unterm Baum - Weihnachten en
miniature! Maria und Josef, das Jesuskind, die Hirten, Ochs und Esel
zwischen Puppenstube und elektrischer Eisenbahn. Fast nahtlos reiht
sie sich ein, die Krippe, in die Spielzeuglandschaften der
Weihnachtsstuben und Weihnachtsmärkte. Das Weihnachtsbrauchtum -
nicht nur das kommerzialisierte, zuweilen auch das unserer
Gottesdienstlandschaften - ist nicht gefeit vor der Gefahr der
Miniaturisierung und Infantilisierung des Geschehens der
Christgeburt. Die Verkleinerung ist für manchen die bestimmende
Signatur des Festes geworden. Es wird gesungen vom ‚Kindelein‘ ‚Krippelein‘
‚Blümlein‘ oder ‚Knäblein‘ ohne Wahrnehmung der Dialektik, die
Johann Olearius in seinem Weihnachtschoral ‚Wunderbarer Gnadenthron‘
(EG 38) zu der knappen Aussage verdichtete: ‚Du wirst klein, du
großer Gott ...‘! Das eigentliche Geheimnis der Christgeburt, dass
in dem Knäblein der ‚große Gott‘ begegnet, wird weitestgehend
ausgeblendet.“ (Gisela Schneemann, GPM 3/2003, Heft 1, S. 59)
So schreibt eine Auslegerin zum Predigttext und findet zurecht, dass
es am 2. Feiertag höchste Zeit ist, ein bisschen genauer in den
Stall von Bethlehem zu schauen. Und auch die lieben Engelein müssen
draußen bleiben. Und dürfen sich nicht beschweren, denn sie „haben
keinen Grund zum Hochmut. In einer chassidischen Geschichte wird
erzählt, Rabbi Mosche von Kobryn habe einmal gen Himmel gerufen:
‘Englein, Englein, das ist keine besondere Kunst, so in den Himmeln
als Engel zu bestehen, du brauchst nicht zu essen und zu trinken und
Kinder zu zeugen und Geld zu erwerben. Spring du nur mal auf die
Erde nieder und gibt dich mit Essen und Trinken und Kinderzeugen und
Gelderwerb ab, da wollen wir sehen, ob du ein Engel bleibst. Gelingt
es dir, dann magst du dich berühmen, jetzt aber nicht!‘“
(Schneemann, aaO. S. 63 f.)
Die Bibelworte, die wir heute zu bedenken haben, räumen also das
weihnachtliche Showbusiness ordentlich ab. Nicht, um uns zu ärgern,
sondern um uns zur Christusschau zu führen. Damit auch für uns gilt,
was die Weihnachtsgeschichte im Johannesevangelium sagt: „Und das
Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine
Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom
Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ (Johannes 1,14)
Die Heimleitung eines Altenheimes hatte in der Adventszeit eine neue
Krippe besorgt. Die alte war wirklich schon sehr alt und an den
Figuren fehlte schon dies und das. Alle fanden die neue Krippe
überaus scheußlich und auf schreckliche Weise modern und auch die
Mitarbeiter überlegten, was zu tun wäre, damit die alte Krippe
wieder an ihren Platz käme. Eine Mitarbeiterin hatte die zündende
Idee! Und so verschwand das überaus scheußliche und auf schreckliche
Weise moderne Jesuskind über Nacht auf Nimmerwiedersehen aus seiner
überaus scheußlichen Krippe. Eine Krippe ohne Christuskind, was soll
denn das sein?, fragten die Heimbewohner spöttisch. Und so blieb der
betrübten Heimleitung gar nichts anderes übrig, als die alte Krippe
wieder aufzustellen.
Passt bloß auf, dass auch Euch an Weihnachten nicht der Christus aus
der Krippe verschwindet. Denn ohne ihn ist Weihnachten absolut
nichts. Bestimmt beim Blick in den Stall von Bethlehem, was in den
Vordergrund gehört und was in den Hintergrund. In den Hintergrund
gehören die Propheten, durch die Gott auf vielerlei Weise geredet
hat zu den Vätern. Propheten sind auch bloß Engel, Boten Gottes.
Aber die Engel gehören in den Hintergrund, samt den himmlischen
Heerscharen, die an Weihnachten für die Hirten singen. Sie sind
Boten und Diener. Ein Engel mit dem Namen Gabriel hat Maria die
Geburt Jesu angekündigt. (Lukas 1,26) Einer wird Joseph im Traum
erscheinen, damit er das Christuskind vor den Kindermördern des
Herodes schützen kann. (Matthäus 2/13) Ein paar Engel werden dem
Christus dienen, nachdem er in der Wüste den Teufel in die Flucht
geschlagen hat. (Matthäus 4/11) Einer wird ihm dienen und ihn in
seiner Todesangst trösten im Garten Gethsemane. (Lukas 22/42)
In der Krippe liegt aber der, der so viel höher geworden ist als die
Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name.
Schon das Weihnachtslied weiß, dass er der ist, der die Tür zum
Paradies wieder aufschließt und die schrecklichen Engel mit ihren
blitzenden und flammenden Schwertern nach Hause schickt. (EG 27,6)
Der Christus ist der, der das letzte Wort hat, weil er Gottes erstes
und letztes Wort ist. Wer in die Krippe schaut, schaut in die
Geschichte und das Wesen der Welt von ihrer Schöpfung bis zu ihrer
Vollendung. Hier ist Gott, in dem alle Zeit und alle Dinge sind. Er
ist der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und das Ebenbild seines
Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort.
‚Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender
Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das
Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das
moralische Gesetz in mir.‘ Immanuel Kant hat das bekanntlich gesagt.
Da wusste er vielleicht noch gar nicht, das wir den Himmel ja
niemals so sehen, wie er heute ist. Der Blick in den Sternenhimmel
ist ein Blick, der von der Gegenwart unserer näheren Himmelsumgebung
bis in die Geburtsstunde unserer Welt zurückreicht. Wir sehen durch
starke Teleskope Galaxien, die 13 Milliarden Lichtjahre von uns
entfernt sind. Wir sehen sie so, wie sie vor 13 Milliarden Jahren
waren, denn solange hat ihr Licht zu uns gebraucht.
Sagen wir also nicht, es gäbe in dem, was wir Realität nennen, keine
Perspektiven und Ausblicke, die mit dem Anblick des Krippenkindes
zumindest vergleichbar wären. Auch hier schauen wir in die ganze
Geschichte Gottes mit unserer Welt hinein. Aber es kommt noch
besser. Wir schauen im Kind in der Krippe nicht nur in die
Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft aller Dinge. Das Kind
aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade war
bei ihm. (Lukas 2/40) Wir sehen den Christus auf dem Berg predigen.
Wir sehen ihn am Kreuz hängen und aus dem Grab wieder auferstehen.
Wir sehen ihn gen Himmel fahren, wo er sich zur Rechten der Majestät
in der Höhe setzt. In ihm hat Gott ausgeredet, alles gesagt. Was die
Zukunft der Welt und unseres Lebens angeht, ist alles beschlossen.
Wir erwarten nicht dies und das, wir erwarten ihn. Wer in den Stall
in Bethlehem schaut, blickt nicht in eine gute alte Zeit, sondern
dem in die Augen, dem die Zukunft gehört. Gott sei Dank!
Von dem Philosophen der Aufklärung halten wir viel. Und am Staunen
beim Blick in den Sternenhimmel, hat sich über die Jahrhunderte wohl
kaum etwas geändert. Aber wir haben in diesen Tagen schon unsere
Zweifel, ob das moralische Gesetz in uns wirklich so mächtig ist,
wie Kant meinte. Und da darf schon mal eine Anmerkung gemacht werden
zu dem Streitgespräch, das im neusten Spiegel zu lesen ist zwischen
einem Hamburger Pastor, der an Gott glaubt und einem Astrophysiker,
der nicht an Gott glaubt. (Wir wollen unsterblich sein, Der Spiegel
53/2015, S. 15 ff.) Der Pastor ahnt, der Physiker weiß. Er weiß,
dass es einzig und allein die Religion ist, die für alles
Abscheuliche dieser Welt verantwortlich ist und Menschen zu Taten
treibt, die sie ohne Religion nie vollbringen würden, z.B.
Unschuldigen die Köpfe abzuschneiden, wie im Islamischen Staat. Und
man möchte so gerne dem hilflosen Pastor die Frage in den Mund
legen, warum denn im letzten Jahrhundert ausgerechnet atheistische
Ideologien wie der Nationalsozialismus und der Kommunismus, die jede
auf ihre Weise mit einem „Führer“ an der Spitze das Paradies auf
Erden schaffen wollten, verantwortlich zeichnen für Verbrechen, die
die Welt vorher noch nicht gesehen hat!
Man hätte fragen können, ob es mit der Religion denn nicht wie mit
der Kernphysik ist. Sie kann mit ihren Strahlen Krebs heilen und mit
ihrer schieren Gewalt die Welt vernichten. Der Vergleich hinkt. Denn
wahre Religion, oder sagen wir besser wahrer Glaube, ist niemals ein
Ding in des Menschen Hand, sondern – wie alle Religionen wissen -
immer ein Geschenk und ein Werk Gottes. Deshalb hilft es weiter, in
solchen Entscheidungssituationen noch einmal in die Krippe zu
schauen, in der der Allmächtige als hilfloses Kind liegt und statt
des moralischen Gesetzes in uns, den Christus zu befragen. Der wird
sich nämlich für keine Art von Gewalt hergeben und sich stattdessen
lieber selbst zum Opfer der Gewalt und des Todes machen lassen, als
die Macht der Liebe zu verraten. Das hat er uns allen voraus!
Und vielleicht liegt unsere Hilflosigkeit daran, dass uns die
Bewunderung und Ehrfurcht an der Krippe verloren gegangen ist im
weihnachtlichen Showbusiness, zwischen Puppenstube und
Modelleisenbahn. Vielleicht liegt es daran, dass unsere Theologie
allzu kindisch und zahnlos geworden ist. Unser Nachdenken sollte
sich wieder länger und anhaltender mit diesem Krippenkind
beschäftigen. Wir sollten dem Christus wieder besser zuhören. Denn
dann kann es sein, sagt Meister Eckhart, dass er auch in uns geboren
wird und man auch an uns mehr und mehr sehen kann, was er ist:
Voller Gnade und Wahrheit.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf
vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten,
2 hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den
er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt
gemacht hat.
3 Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines
Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat
vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur
Rechten der Majestät in der Höhe
4 und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er
ererbt hat, höher ist als ihr Name.
5 Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt (Psalm 2,7): »Du bist
mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum (2.Samuel
7,14): »Ich werde sein Vater sein und er wird mein Sohn sein«?
6 Und wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt, spricht
er (Psalm 97,7): »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.«
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