| Liebe Leser, 
      der Hebräerbrief ist ein schwieriger Text. Er 
      verwendet Begriffe wie Hoher Priester, Himmel durchschreiten, Sünde und 
      Gnade. Begriffe, die wir nicht aus sich heraus verstehen. Denn sie 
      sprechen in eine Welt, die uns heute fremd geworden ist. Der Hebräerbrief 
      wendet sich an Christen, die tief im Judentum verwurzelt sind. Wir müssen 
      deshalb unser Augenmerk auf das Alte Testament richten, um zu verstehen, 
      was uns das Neue Testament im Hebräerbrief zu sagen hat. Jesus wird unser 
      großer Hoher Priester genannt. 
       
      Sehen wir also nach im Alten Testament: Dort 
      vermittelt der Hohe Priester zwischen Gott und den Menschen.
      Im Leben geht es ja meist um das rechte Verhältnis, das gute Maß. 
      Also auch im Verhältnis zwischen Gott und den Menschen und zwischen 
      Menschen. Der Gehorsam Gott gegenüber ermöglicht nach jüdischem und 
      christlichem Verständnis das gedeihliche Zusammenleben von Menschen. Die 
      Bibel hat einen klaren Blick dafür, was gedeihliches Leben zerstört. Sie 
      nennt Zerstörerisches Sünde und meint damit alles, was die Beziehungen 
      zwischen Menschen untereinander, mit sich selbst und mit Gott zerstört. 
       
      Wenn Menschen die Beziehung zu anderen aufkündigen, weil sie nur noch sich 
      selbst sehen, wenn sie andere zu Opfer und sich zu Tätern machen
      - oder umgedreht sich als Opfer darstellen und andere damit zu 
      Tätern stilisieren. Wenn sie nach Schuldigen fahnden, statt nach Gründen 
      suchen. Wenn sie über ihr Leben und das Leben anderer und damit über ihren 
      Schöpfer hinwegwalzen. Dann opfern sie der Sünde in den schwarzen Messen 
      des Alltags. 
       
      Wir kennen viele solcher Opfer, bei denen Menschen mit ihrem ganzen Leben 
      betroffen sind: Verkehrsopfer, Kriegsopfer, Missbrauchsopfer, 
      Katastrophenopfer, Armutsopfer und viele mehr. Legionen von zerschlagenen 
      Menschen erstehen hier vor unserem geistigen Auge. Und sicher würden Sie 
      sich bald die Ohren zuhalten, wenn ich fortfahren würde. Denn diese 
      Aufzählung erzählt von widerwärtigem Tod und Leid, vom Opfer an die Götzen 
      des Verkehrs und der Schnelligkeit, an die Götzen der Gewalt, des 
      Egoismus, des Reichtums und der Perversion, dem Götzen des gewaltsamen 
      Todes. Unsere Welt ist voller Opfer, die solchen Götzen dargebracht 
      werden. Ein Plakat, das zur Zeit an vielen Straßenrändern hängt, listet es 
      geradezu auf: Rasen tötet: Eltern, Freunde, Verwandte, Kinder .... und uns 
      selbst. Das ist Sünde. Ihre Folgen sind nicht 
      einfach so wegzuwischen. Sünde hinterlässt Spuren. 
       
      Die Bibel nimmt dies, wie gesagt, sehr ernst. Sünde hat den Tod zur Folge. 
      Sie fordert ihre Opfer. Und sie drückt beide nieder: Täter und Opfer. Sie 
      entfremdet Menschen von sich selbst. Letztendlich ist sie Entfremdung von 
      Gott, der ein Gott des Lebens in Gemeinschaft ist. Das entspricht auch 
      unserer Erfahrung. Wenn es Opfer zu beklagen gibt, scheint Gott weit weg 
      zu sein. Plötzlich scheint es so, als hätte Gott die Beziehung 
      aufgekündigt. Ganze Chöre aus biblischen Personen lassen sich 
      zusammenstellen, die es für uns hinausschreien, wenn es uns die Stimme 
      verschlagen hat: „Warum verbirgst du dich, Gott?“ Hiob, einer der lauten 
      aus diesem Chor, dessen Kinder getötet, dessen Besitz zerstört und dessen 
      Körper von Krankheit zerfressen ist, klagt Gott an: „Warum versteckst du 
      dich wie hinter Wolken?“  
       
      Hinter Vorhängen wie hinter Wolken verborgen, durch Vorhöfe abgeschirmt, 
      befand sich in alttestamentlicher Zeit das Allerheiligste im Tempel. Der 
      Hohe Priester wagte es gerade einmal im Jahr, an einem festgesetzten Tag, 
      nach langwieriger Vorbereitung die Vorhänge zum Allerheiligsten zur Seite 
      zu schieben, quasi durch die Himmel zu gehen, dorthin, wo die Bundeslade 
      stand. Dorthin, wo über der Lade, unsichtbar, Gott selbst thronte. Er ging 
      durch die Vorhänge des Himmels mit einer Metallplatte auf der Brust, in 
      die zwölf Edelsteine eingelassen waren. Zwölf Edelsteine für die zwölf 
      Stämme Israels, wie Jesus mit zwölf Jüngern herumzog. Mit dem Hohen 
      Priester ging also symbolisch die gesamte Gemeinde, das gesamte Volk 
      Israels ins Heiligtum. Der Hohe Priester ging stellvertretend für das Volk 
      durch die Vorhänge ins Allerheiligste und begegnete dort Gott. Er brachte 
      die Sünde des Volkes vor Gott und bat um Vergebung.  
       
      Und da spricht es für den Realitätssinn der damaligen Menschen, dass sie 
      dabei ein Tier töteten, als Zeichen dafür, dass die Folgen der Sünden 
      nicht einfach weggewischt werden können. In der Tötung des Tieres wurde 
      deutlich, dass Sünde tötet. Eltern, Freunde, Verwandte, Kinder .... und 
      uns selbst. Aber Gott ließ die Folgen der Sünde an den Menschen 
      vorübergehen. Tot lag das Tier da, nicht der Mensch. Man verstand Gottes 
      Vergebung. Ein Aufatmen mag damals durch die Reihen gegangen sein. Denn 
      wer konnte schon wissen, ob Gott diesmal hinter dem Vorhang gnädig auf 
      sein Volk blicken würde und nicht Pech und Schwefel regnen ließ oder die 
      Erstgeburt tötete, oder ... Er hielt sich ja bedeckt. Zumindest schien es 
      so, wie es uns heute auch manchmal erscheint. Durch alle Zeiten haben 
      Menschen nach Gott geschrieen, wenn sie plötzlich scheinbar beziehungslos 
      in ihrem Leben hingen. Sich selbst und der Welt entfremdet. Durch eigene 
      oder fremde Schuld von sich selbst, Gott und der Welt verlassen.
      Sie schrieen in ihrer Einsamkeit nach Gemeinschaft. 
       
       
      
      Und Gott erhörte ihr Rufen, wie der Psalmist singt (Ps 
      22). In Jesus dem Christus machte Gott sich auf zur Welt und sogar durch die 
      Vorhänge des Tempels. Und wohnte als Mensch unter Menschen. Er litt mit 
      uns unter Sünde. Er litt mit unseren Schwachheiten. Er wurde versucht in 
      allem wie wir, doch ohne Sünde. Er ging mit uns durch alles Leid der Welt, 
      trug alle Folgen unserer Sünde bis in den Tod. Er bat um Vergebung für die 
      Täter und stellte sich an die Seite der Opfer in die scheinbare 
      Gottesferne. "Und nach der sechsten Stunde ward 
      eine Finsternis über das ganze Land bis um die neunte Stunde.
      Und um die neunte Stunde rief Gott laut: Mein Gott, mein Gott, 
      warum hast du mich verlassen? Gott schrie laut und starb mit den 
      Verlassenen. Und der Vorhang im Tempel zerriss von 
      obenan bis unten aus. Der Hauptmann aber, der 
      dabeistand ihm gegenüber und sah, dass er mit solchem Geschrei verschied, 
      sprach: Wahrlich, das ist unser Gott! " (Mt. 27/45ff) 
       
      Sicher haben Sie die Worte aus der Kreuzigungserzählung erkannt. Der 
      Vorhang vor dem Allerheiligsten, der Gott verbarg, ist zerrissen. Der Weg 
      ist frei. Gott ist kein ferner Gott mehr. Er hat sein Wesen als Mensch 
      offenbart. Der Hauptmann spricht es aus: Das ist unser Gott. Unser Gott 
      ist sein eigener Hoher Priester, der sich selbst den Schleier vom Gesicht 
      nimmt und uns zeigt, wer er ist. Ein Gott, der mit 
      leidet und die schlimmen Folgen der Sünde an sich austoben lässt. Damit 
      wir wieder leben können. Der Weg zu Gott ist frei. Für alle! Nicht wir 
      machen durch was auch immer den Weg frei, sondern er selbst macht den Weg 
      zu sich frei- ein für alle mal.  
       
      Halten wir daran fest! Und lassen wir uns immer wieder die Augen öffnen, 
      wenn unser Blick der Wahrheit ausweichen will, und wir wieder mal Gas 
      geben in unserem Leben und darüber hinwegbrausen. Im Glauben dem Paradies 
      entgegenzurasen, vermeintlich dem Sinn unseres Lebens auf der Spur.
      Nicht wir machen den Weg frei!, soviel Gas wir auch geben. Er macht 
      den Weg frei zum Leben- selbst für die Toten. 
       
      Er nahm auf sich alle Schuld, alles, was Leben zerstört. Er wurde Opfer 
      der Raserei dieser Welt. Und mit ihm werden auch alle auferstehen, die wie 
      er zerschlagen wurden. Er bat auch für die Täter um Vergebung. Und wird 
      einst abwischen alle Tränen. Jesus Christus unser 
      großer Hoher Priester hat die Himmel durchschritten und den Weg frei 
      gemacht für alle, die unter der Sünde leiden. Nichts kann Menschen mehr 
      trennen von der liebenden Gemeinschaft Gottes. Denn unser Hoher Priester 
      Jesus Christus singt die Liturgie unseres Lebens, heute, morgen und in 
      alle Ewigkeit. Er singt die schönsten Worte, die schönsten Worte die die 
      Welt je gehört hat (Mt. 5/3ff.): 
       
      3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihnen 
      gehört das Himmelreich. 
      4 Selig sind, die da Leid tragen; sie sollen getröstet werden. 
      5 Selig sind die Sanftmütigen; sie werden das Erdreich besitzen. 
      6 Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; sie sollen satt 
      werden. 
      7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 
      8 Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 
      9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 
      10 Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das 
      Himmelreich ist für sie. 
       
      Das sind die Gesänge des Gottesdienstes, in dem Jesus Christus 
      Gemeinschaft mit uns feiert. Die Gesänge des Lebens, das er uns schenkt.
      Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, 
      auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn 
      wir Hilfe nötig haben. 
       
      
      
      Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche 
      Hof)   | 
      Text: 
      
       (14) Weil wir denn einen 
      großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel 
      durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. 
      (15)Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden 
      mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, 
      doch ohne Sünde. 
      (16)Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, 
      damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir 
      Hilfe nötig haben.  |