Liebe Leser, „Das
ist der geheime oder offen erklärte Wille der Welt: Gott los zu
sein. Und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Der Wille, Gott los zu
sein, schafft sich den Weg zur Gottlosigkeit; zur Not mit Gewalt.
Die der Welt fremde Macht Gottes muss ausgeschaltet werden, damit
der Wille des Menschen zur eigenen Macht sich durchsetzen kann. Wo
immer es darum geht, eigene Machtansprüche durchzusetzen - sei es
irgendwo in der Welt oder auch mitten in der Kirche - da ist Gott
ein unbequemer Begleiter, eine unbequeme Instanz; da ist er
hinderlich und im Wege. Gott hat dem Menschen Macht gegeben, damit
er sie zum Besten seines Nächsten nutze. Der Mensch aber will mit
der ihm gegebenen Macht gar zu gern demonstrieren, dass er sein
eigener Herr ist. Wer aber mit Macht sein eigener Herr sein will,
will alsbald auch anderer Menschen Herr sein. Kein Wunder, dass es
zu Machtdemonstrationen kommt. Eine von diesen Machtdemonstrationen
ist die Erhöhung Jesu Christi an das Kreuz. Am Kreuz demonstriert
die Welt ihren Willen, Gott los zu sein. Der Tod Jesu Christi
eröffnet den Weg zur Gottlosigkeit.“ (Eberhard Jüngel, Predigten 1,
Stuttgart 2003 S. 82 f.)
„Gott ist tot“, lautet denn auch die Botschaft, die Nietzsches
Zarathustra mit der Laterne in der Hand aller Welt bringt, und die
bekennende Atheisten bis heute auf ihre Fahnen schreiben. „Gott ist
tot“, lautet die Botschaft des Karfreitags. Heute, zumindest heute,
hat Zarathustra Recht.
In seinem Buch „Über Rechtfertigung, eine Versuchung“, schreibt
Martin Walser: „Wer sich heute instinktiv erhaben fühlt über alles
Religiöse, weiß vielleicht nicht, was er verloren hat. Polemisch
gesagt: Rechtfertigung ohne Religion wird zur Rechthaberei. Sachlich
gesagt: verarmt zum Rechthaben.
Neulich im Fernsehen, das gewöhnliche Hin und Her zwischen Gegnern
und Befürwortern. Der wortführende Gegner war verzeichnet als
Publizist und als Atheist. Die Regie holte ihn oft ins Bild, wenn
einer der Befürworter sprach. Er bot ein ausdauerndes Schmunzeln.
Ein unangreifbares, ein allem überlegenes Schmunzeln. Es war
deutlich, der Befürworter hatte keine Chance. Und die Regie und der
Moderator waren ganz auf der Seite dieses unantastbaren Schmunzelns.
Selbstzufriedenheit strahlte der Publizist aus. Wie kann man bloß
noch an Gott glauben! Das strahlte der Publizist und Atheist aus.
Und das darum herumsitzende Publikum zeigte durch Beifall, dass es
auch dieser Meinung war. Der Moderator machte, wenn er zum
Befürworter sprach, ein parodistisches Toleranzgesicht. Mir fiel
dazu ein: Die Medien sind der Stammtisch der Nation. Zu dem
Atheisten fiel mir ein: Er hat keine Ahnung. Und wenn es Gott
hundertmal nicht gibt, dieser Atheist hat keine Ahnung. Beweisen
könnte ich das nicht. Aber dass es nicht genügt zu sagen, Gott gebe
es nicht, ahne ich. Wer sagt, es gebe Gott nicht, und nicht
dazusagen kann, dass Gott fehlt und wie er fehlt, der hat keine
Ahnung. Einer Ahnung allerdings bedarf es.“ (Martin Walser, Über
Rechtfertigung, eine Versuchung, Hamburg 2012, S. 32 f.)
Friedrich Nietzsche hatte sehr wohl eine Ahnung, wie der Gott, der
tot ist, und den es nicht mehr gibt, fehlt. In seinem Gedicht
„Vereinsamt“ schreibt er:
„Die Welt – ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.“
Nietzsche ist wahrlich aus anderem Holz geschnitzt als die, die das
Kreuz und den Christus auf elegante Weise aus der Welt befördert
haben, nicht nur indem sie die Kreuze in Krankenhäusern,
Gerichtssälen und Schulen abgehängt haben, sondern auch indem sie
beides in aller Gemütlichkeit eingemeindet haben. Ja, Gott kann man
auch loswerden wollen, indem man ihn eingemeindet.
Etwa durch das mythische Missverständnis, in dem das Kreuz, ja
Christus selbst, zur Chiffre wird für Vergehen und Werden, für die
Natur im Winter und das Frühlingserwachen zum Osterfest, für die
Tode und das Auferstehen im eigenen Seelenleben. Auf wie vielen
Kanzeln werden wir uns das auch dieses Jahr wieder anhören müssen?
Oder durch das historisierende Missverständnis, in dem Jesus von
Nazareth als große Figur der Geschichte dasteht, dessen Reden und
Handeln so bedenkenswert und vorbildlich waren, dass wir ihn
auferstehen lassen, wenn wir die „Sache Jesu“ weiterführen. Gerade
die historische Jesusforschung und den mit ihr verbundenen
Kulturprotestantismus hat Friedrich Nietzsche vor Augen, wenn er
seinem Gedicht „Vereinsamt“ eine Strophe hinzufügt, die lautet:
„Daß Gott erbarm!
Der meint, ich sehnte mich zurück
Ins deutsche Warm.
Ins dumpfe deutsche Stuben-Glück!“
Nein, der Karfreitag ist nichts fürs dumpfe deutsche Stubenglück.
Und wer stolz ist, dass er Gott auf atheistische oder philosophische
oder gar fromme Weise losgeworden ist, der sollte bei Nietzsche, der
um die Konsequenzen wusste, einmal wirklich alles lesen, und sich
vor Augen führen, wie der Übermensch, der dann an Gottes Stelle
treten muss(!), im letzten Jahrhundert auf kommunistische und
nationalsozialistische Weise an sich selbst gescheitert ist, die
Gräber gefüllt und die Geschichte der Menschheit um unsägliche
Verbrechen reicher gemacht hat.
Am Karfreitag wird es richtig ungemütlich. Als der Christus stirbt
und zur Hölle fährt, als die Welt Gott endlich losgeworden ist, bebt
die Erde und es wird finster am helllichten Tag. Am Karfreitag wird
die Welt Gott los und wird eine Welt in der Gottesferne. Vom Kreuz
starrt Gott die Welt aus leeren Augen an.
„Nun aber, am Ende der Zeiten, ist er ein für alle Mal erschienen,
durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.“ Was für ein Satz!
Und was für Dinge, die da in kosmischer Gewalt verhandelt werden. An
Weihnachten feiern wir die Menschwerdung Gottes im Kind von
Bethlehem. Am Kreuz versucht die Welt Gott wieder loszuwerden. Aber
dieses Kreuz steht nicht nur auf Golgatha bei Jerusalem. Es steht am
Ende der Zeiten im Angesicht des Vaters. Es erscheint im göttlichen
„Nun“, wie Meister Eckhart sagen würde. Es ist - ein für alle Mal -
der Ort, der wie ein Riss durch die Welt geht, und dieser Riss ist
die Verbindung zwischen unserer Todeswelt und der Ewigkeit. Nichts
kann ihn mehr schließen. Dort hängt der Christus, den der
Hebräerbrief den Hohenpriester nennt. Der Hohepriester allein darf
die Verbindung herstellen zwischen dem Volk und dem Allerheiligsten.
Das Opfer des Christus hebt die Sünde, die Gottlosigkeit, die
Gottesferne auf. Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke
von oben an bis unten aus. (Markus 15,38) Und seitdem gilt: Es gibt
ein offenes Tor zwischen dem unbekannten, ewigen und namenlosen Gott
und unserer vergänglichen Welt. In Christus findet Gott uns. In
Christus lässt er sich finden.
„Nun aber, am Ende der Zeiten, ist er ein für alle Mal erschienen,
um durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.“ Gott lässt sich
nicht loswerden. Selbst auf Golgatha muss mit Meister Eckhart
gelten: „Gott geht nimmer in die Ferne, er bleibt beständig in der
Nähe; und kann er nicht drinnen bleiben, so entfernt er sich doch
nicht weiter als bis vor die Tür.“ (Quint, S. 78)
„Freilich, wo der böse Wille ist, ist auch in Zukunft ein Weg. Man
kann den Weg ohne Gott gehen. Aber man geht dann doch einen schon
durchkreuzten Weg, und zwar einen von der Liebe Gottes durchkreuzten
Weg. Man kann wohl proklamieren und demonstrieren, Gott sei tot. In
der Welt hat Gott nur das Kreuz hinterlassen, das Zeichen des
Abschieds. Aber dieses Kreuz ist nicht stumm. Es erhebt Einspruch
gegen Gottes Abwesenheit im Leben der Welt. Es erhebt Einspruch
gegen Gottes Abwesenheit im öffentlichen und privaten Leben eines
jeden von uns.“ (Jüngel, aaO, S. 85)
Gott lässt sich nicht loswerden. Und da können wir doch eigentlich
nur sagen: „Gott sei Dank“.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
... zur Predigtseite der Hospitalkirche
Die Predigt zum Hören
Text:
15 Und darum ist er auch der Mittler des
neuen Bundes, auf dass durch seinen Tod, der geschehen ist zur
Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen
das verheißene ewige Erbe empfangen.
26 Nun aber, am Ende der Zeiten, ist er ein für alle Mal erschienen,
um durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.
27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber
das Gericht:
28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler
wegzunehmen; zum zweiten Mal erscheint er nicht der Sünde wegen,
sondern zur Rettung derer, die ihn erwarten.
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