Predigt    Hebräer 10/19-25    1. Advent    02.12.01

"Gegen die Weihnachtsdepression"
(von Pfr. Johannes Taig, Hospitalkirche)

Liebe Leser,

heute beginnt sie wieder, die stille Advents- und Weihnachtszeit. Und vielleicht waren sie schon naschen am Weihnachtsmarkt und die Kirchen sind bald wieder so heimelig, dass man in ihnen „vor Andacht schmatzen“ kann, wie Luther unnachahmlich formuliert hat. Alle Jahre wieder kehren wir auf der letzten Runde im alten Jahr ein in die kollektive Erinnerung an die gute alte Zeit mit Weihnachtsmann und Christkind, dem Musikantenstadel und Karl Moik, dem Coca-Cola Christmas Truck und Harry Potter. Auch dieses Jahr so scheint es, nichts wirklich Neues unter der Wintersonne. 

Solche Gedanken sind der Anfang der jährlichen Weihnachtsdepression mit drohendem Leberschaden. Und da ist es kein Zufall, dass die Verse des Hebräerbriefes am 1. Advent gepredigt werden und uns gleich am Anfang der Weihnachtszeit in die andere Richtung in dreifache und dreifach heilsame Bewegung setzen. Sie ermuntern uns zum Ersten, uns dem Leben zuzuwenden; zum Zweiten, die Hoffnung festzuhalten und zum Dritten, den achtsamen Umgang miteinander nicht zu vernachlässigen. 

In der vergangenen Woche ist Regine Hildebrandt gestorben. Schnauze mit Herz hat man sie genannt und Stimme des Ostens. Totreden konnte sie sich für die Belange der sozial Schwachen und Benachteiligten. Gestorben ist sie an Krebs. Aber nichts lag ihr ferner als die „Gestik des privaten Winselns und die Liturgie der Beschwerde“ (M. Holub). Noch in ihren letzten Wochen umgab sie eine Aura der Kraft und des Lebens, war sie beschienen von Menschenfreundlichkeit und Vertrauen, ließ sie es sich nicht nehmen im Kirchenchor „Lobe den Herrn“ zu singen. Und als sie schon tot war, haben all die Fernsehbilder, mit denen an sie erinnert wurde, immer wieder vor allem dieses zum Ausdruck gebracht. Wie blamabel für alle, die dies auf ihren Wohnzimmersofas made in Sorgenland oder auf den Parlamentssitzen made in Schimpf- und Jammerland sahen. „Ich wollte nicht, dass meine Krankheit mich am Leben hindert“, das war so ein Hildebrandtsatz und ein überzeugendes Vermächtnis selbstverständlichen christlichen Glaubens. 

Freimut, freimütigen Zugang zum Allerheiligsten, zum innersten Geheimnis Gottes und des Lebens, nennt unser Predigttext diese Haltung des Glaubens. Wer sich an der Hand des Hohenpriesters Jesus Christus weiß, der selbstverständlich im Allerheiligsten aus und ein geht, wird dort hin, dort hinein ins Leben nach Hause gehen, komme, was will. Wie sollte der sich vom Leben abhalten lassen? Vielleicht ist es alles andere als ein Zufall, dass besonders Menschen an der Schwelle zum Tode oder beladen mit einem unbarmherzigen Schicksal, von solcher Hoffnung beschienen, aufleuchten können, heller als alle Stars und Sternchen dieser Welt. Nein, es ist alles andere als ein Zufall, dass gerade die dunkle Adventszeit uns zur Sonne des Eingangs in das Heiligtum ruft, an dem Gott zwischen Himmel und Erde aus und ein geht und durch das auch wir nicht nur im Advent aus und ein gehen dürfen. Gott kommt zur Welt, damit wir zu ihm kommen können. Was sollte uns da dann am Leben hindern?

Das soll uns zum Zweiten deutlich machen, dass die Advents- und Weihnachtszeit nicht die Einkehr in die kollektive Erinnerung an die gute alte Zeit ist, sondern die kollektive Erinnerung an die Zukunft, die wir von Gott erhoffen dürfen, weil er zur Welt gekommen ist. Die Hoffnung auf den Advent Gottes ist das Gegenteil aller Weihnachtstümelei, aller Verklärung der Vergangenheit zur guten alten Zeit und aller verlogenen Dekoration finsterer Gegenwart. Weihnachtshoffnung reißt der Welt das Lametta ab. Keine Dekoration kann sie retten. Nur der Christus kann sie waschen, bis der Glanz auf sie und in sie zurückkehrt. Bis sie sich nicht mehr vor sich selbst (weihnachtlich dekoriert) verstecken muss: Besprengte Herzen, aufatmende Gewissen, versöhnte Erinnerung, aufrechter Gang. „Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her“ (EG 16/4). 

Die adventliche Gemeinde ist deshalb keine Selbsthilfegruppe, sondern der Teil der Menschheit, der sich helfen lässt; kein Verein zur Pflege der Tradition und des Brauchtums, sondern der Erwartung und Hoffnung. Wir haben das Weihnachtslicht nicht im Rücken, sondern auf dem Gesicht; hintendrauf unser finsteres Gepäck aus Schicksal und Schuld, vor uns die himmlischen Heerscharen und der Christus, der den Weg nach Hause kennt. 

Neben uns – zum Dritten – unsere Schwestern und Brüder. Der Glaube hat hinten keine Augen, wohl aber nach jeder Seite. Es ist Ausweis einer verlorenen Welt, wenn jeder nur noch seine eigene Zukunft im Blick hat, wenn die Börsenkurse und die Bilanzen mehr zählen als Menschen, wenn die Großen die Kleinen und die Reichen die Armen fressen. Gleichgültigkeit ist ein Ort der Verdammnis. 

Darum lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken. „Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein neuen Schein“ (EG 23,4), so singen wir’s zur Weihnachtszeit. Die Aufforderung unseres Predigttextes nimmt eben darauf Bezug und ermuntert uns nicht nur die Welt in neuem Schein zu sehen, sondern auch unseren Mitmenschen. Die Achtsamkeit des Glaubens für den anderen ist kein Wächteramt zur Hebung der allgemeinkirchlichen Moral und wer an der Krippe am liebsten vor Andacht schmatzt und dabei nicht gestört werden möchte, sollte lieber Zuhause bleiben und seine Adventszeit mit Weihnachtsliedern von Mireille Matthieu verbringen. 

An der Krippe kann man nicht alleine stehen. Weihnachten ist ein Gemeinschaftsfest. Der Christus versammelt uns um die Weihnachtslichter nicht nur, damit wir ihn erkennen, sondern auch, damit wir einander erkennen. Im Licht seiner Gnade werden wir auch einander als das erkenntlich, was wir wirklich sind: Verlorene und doch Gottes Kinder, voller Sünden und doch gerecht. Der Glaube lernt den anderen immer wieder mit neuen Augen sehen und das ist das Geheimnis jeder Liebe. 

Wer den anderen mit solcher Liebe entdeckt, wird sich seiner Not und seiner Bedürftigkeit, wie der eigenen, nicht schämen, sondern sich dieser Not annehmen, im wahrsten Sinn des Worten. Und deshalb beginnt am 1. Advent auch die diesjährige Aktion von „Brot für die Welt“, die auch in diesem Jahr wieder unter dem Motto „Auf eigenen Füßen“ steht. Ein gutes Motto für jede Achtsamkeit von Christenmenschen mit ihren nahen und fernen Nächsten. 

Eine gesegnete Adventszeit wünschen wir uns: Zum Ersten im Blick auf unseren Gott, dem wahren Hüter des Lebens. Was soll uns am Leben hindern? Zum Zweiten in Erinnerung an die Zukunft, der wir entgegengehen, das Weihnachtslicht auf dem Gesicht. Zum Dritten in der Achtsamkeit miteinander, in der Gott uns zeigen kann, wer wir wirklich sind. Drei Gründe gegen die Weihnachtsdepression. Drei Gründe zum Warten und Hoffen. 

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

(19)Weil wir denn nun, liebe Schwestern und Brüder, durch das Blut Jesu den Freimut haben zum Eingang in das Heiligtum,
(20)den er uns aufgetan hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch das Opfer seines Leibes,
(21)und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes,
(22)so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser.
(23)Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat;
(24)und lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken
(25)und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht.


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