Predigt     Hebräer 10/35-39     16. Sonntag nach Trinitatis    07.09.08

„Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen!”
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

vor zwei Monaten hat Jürgen Klinsmann als Trainer beim FC Bayern München angefangen. Eine seiner ersten Maßnahmen war es, vier aus weißem Stein gefertigte Buddha-Figuren auf dem Vereinsgelände aufzustellen. Auf der Dachterrasse des neuen Leistungszentrums sollten sie nicht nur als Dekoration dienen, sondern so Klinsmann wörtlich: „Die Buddhas geben uns einen gewissen Energiefluss.“ Steinerne Skulpturen sollen Kraft spenden. Einem lebendigen Gott traut man das aber scheinbar nicht zu. Die Buddhastatuen beim FC Bayern München sind ein Beispiel dafür, wie der christliche Glaube als eine Kraft, die das Leben von Menschen prägt, immer mehr schwindet.

Christen werden ihres Glaubens müde. Ein Phänomen, das auch das Neue Testament kennt. Unser heutiger Predigttext ist an eine kleine Gemeinde im Mittelmeerraum um das Jahr 90 nach Christus geschrieben. Die Christen werden geschmäht und ausgegrenzt. Damit nicht genug: Einige wurden gefangen genommen, wohl weil sie nicht dem Kaiser die geforderten Opfer darbrachten. Anderen wurden Güter geraubt. Und Christus, von dem es heißt, er wird bald wieder kommen, die Welt richten und die Seinen zu sich führen, er ist nicht zu spüren. Lohnt da der Glaube noch?, fragen die Gläubigen. Ist es nicht einfacher, dem Evangelium den Rücken zu kehren? Die Frohe Botschaft, sie macht nicht froh, sie führt geradewegs in die Bedrängnis. Ohne Christus bliebe ihnen so manches Leid erspart. Deshalb sind viele von ihnen des Glaubens müde geworden. Ein Apostel, der seinen Namen nicht nennt, sieht die Not der Gemeinde. Und er schreibt ihr die Worte unseres Predigttextes. Ich lese Heb 10,35-39: Predigttext.

Gott sei´s gedankt, steht unsere Gemeinde in Hof über 1900 Jahre später anders da: Als Christen müssen wir keine staatliche Verfolgung oder den Einzug unserer Güter fürchten. Die Kirche ist anerkannt und wird in Politik und Gesellschaft gehört. Und doch merke ich, dass viele Christen ihres Glaubens müde geworden sind. Unser Problem ist nicht die Anfechtung durch Verfolgung wie zur Zeit des Hebräerbriefs, sondern der Wohlstand, die Bequemlichkeit und die Vielfalt der Lebensmöglichkeiten.

Viele Menschen werfen ihre Sorgen nicht auf Gott und verzichten auf die heilsame Kraft des Glaubens. Die Buddhastatuen in München sind nur ein Beispiel. Christen sind ihres Glaubens müde geworden. Anzeichen dafür ist auch der Gottesdienstbesuch: Ist nicht der Gottesdienst der Ort, wo die christliche Gemeinde Sonntag für Sonntag zusammenkommt, den Sieg ihres Herrn über den Tod feiert und sich an Wort und Sakrament stärkt? Wir haben 4000 Gemeindeglieder, doch nur ein kleines Häufchen versammelt sich sonntäglich. Wozu in die Kirche gehen: Sonntags länger im Bett bleiben und brunchen ist gemütlicher, auf den Fußballplatz gehen bringt mehr Kick. Die Vielfalt der Lebensmöglichkeiten bietet spannendere Alternativen. Doch diese halten kaum, was sie versprechen, und können nicht helfen, die Sorgen, die Trägheit oder Lebensmüdigkeit zu vertreiben. Oder die Bequemlichkeit siegt am Sonntag Morgen. Aber verzichtet man da nicht auf etwas, was die Seele anzurühren vermag, was Impulse für die aktuelle Lebenssituation gibt, was zur Ruhe kommen lässt und stärkt?

Und noch ein Anzeichen entdecke ich dafür, dass Christen ihres Glaubens müde geworden sind. Eine christliche Gemeinde zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Wachheit und Offenheit für andere hat, dass sie zusammenhält, Rücksicht aufeinander nimmt und sich gegenseitig hilft. Doch viele hier in Hof kennen nicht einmal ihre Nachbarn, die in den Wohnblocks der Baugenossenschaft über oder unter ihnen wohnen. Und sich Einsetzen für die Schwachen, das soll die Diakonie machen, wozu gibt’s denn die.

Ein Theologe hat einmal gesagt, dass die Menschen mit einer zunehmenden Rationalisierung des Lebens konfrontiert sind, also damit, dass kein Platz mehr für Gefühle und Begegnungen ist, dass Leistung, Zahlen und Fakten das Denken bestimmen. Auf dreierlei Weise sagt er, reagieren die Menschen darauf: Die einen stellen sich selbst in den Mittelpunkt und kreisen um ihre Selbstfindung, die anderen suchen Halt in vormodernen Sinngewissheiten wie dem Okkultismus und der Esoterik, und die Dritten streben nach postmodernen Steigerungen des Lebens, nach Events und Party, nach Wellness, Kunst und Kultur. Und wo bleibt die Kirche? Glaube und Christsein weicht mehr und mehr zurück, es verliert seine Prägekraft für moderne Lebensentwürfe. Christen sind ihres Glaubens müde geworden, und deshalb strahlt der Glaube auch nicht mehr aus zu anderen. Weil sich Menschen auch nicht mehr Gott aussetzen und ihn wirken lassen wollen, merken sie auch nicht mehr, wie der christliche Glaube ihrem Leben Tiefe verleihen kann, und gehen noch mehr auf innerliche Distanz.

„Werft euer Vertrauen nicht weg“. Der Apostel fordert seine Gemeinde auf, den Kontakt zu Christus nicht zu verlieren, den Glauben nicht mehr und mehr ermüden zu lassen, bis er gar ganz einschläft. Er rüttelt wach. Denn es zahlt sich aus, auf Christus zu vertrauen. Der Apostel spricht von einer Belohnung, vom Erretten der Seele. Er stellt dem aber auch die Verdammung gegenüber: „Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und errettet werden.“

Belohnung oder Verdammung, ist das die Alternative? Will er so Menschen motivieren, an Jesus dranzubleiben? In Zeiten, in denen die Menschen Angst vor dem Teufel und der Hölle hatten, mag das ja funktioniert haben. Da konnte die Kirche den Menschen mit Verdammung drohen und ihnen Höllenqualen vor Augen malen. Aber lassen sich so Menschen für das Evangelium begeistern? Ist ein Drohen mit Verdammung überhaupt evangeliumsgemäß? Der Apostel schreibt in eine Situation der Verfolgung. Er weiß, dass Kraft zum Standhalten nicht aus toten Buddhasteinen kommen kann, sondern vom lebendigen Gott. Deshalb tröstet er seine Gemeinde in der Bedrängnis mit den Worten des Propheten Habakuk: „Nur noch eine kleine Weile, und so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben.“. Er kündigt die Wiederkunft Christi an. Die Gegenwart Gottes nämlich ist heilsam und führt zu heilem Leben. Ein Leben aber, in dem die Gegenwart Gottes keinen Raum gewinnen konnte, ist für den Apostel ein verlorenes Leben. Es hat das verloren, was die Gegenwart Gottes bewirkt: Die Gegenwart Gottes ruft heraus aus den Räumen der Bedrängnis und Enge, aus den Räumen der Angst und des Selbstzweifels, aus den Räumen der Anfeindung und des Leids, hin in die Freiheit, dass der Mensch wieder atmen kann. Die Gegenwart Gottes spricht dem schuldbeladenen Gewissen Vergebung zu, tritt uns mit Liebe und Trost entgegen, gibt Halt und zeigt Zukunftsperspektiven auf. Ein Leben in der Nachfolge Gottes lohnt sich. Dieser Lohn ist nicht zu verdienen oder zu erwerben. Gott schenkt sich und seine heilsame Gegenwart.

Der Apostel hat der Gemeinde damals angekündigt, dass diese heilsame Gegenwart Gottes bald greifbar sein wird, wenn Christus zum Gericht wiederkommt und die Seinen errettet. Heute rechnet kaum einer damit, dass morgen oder übermorgen Christus wiederkommen könnte. Und doch wissen wir, dass er nicht fern von uns ist. Denn er kommt uns immer wieder ganz nahe, in seinem Wort, in Brot und Wein, und in unseren ganz persönlichen Glaubenserfahrungen. Er schenkt uns seine heilsame Gegenwart.

Das Wissen um diese heilsame Gegenwart Gottes ist es, die den Apostel mit fester Überzeugung sagen lässt: „Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen, sondern von denen, die glauben!.“. Und Gott sei Dank gibt es auch heute viele Christen, die die gleiche Haltung haben.

Gott sei Dank gibt es Christen, die nicht zurückweichen, wie den Bayernspieler Zé Roberto, der als gläubiger Christ in einem Interview zu den Buddhas beim FC Bayern gesagt hat: „Mir können die Buddha-Figuren nicht helfen. Ich habe schon meinen Glauben.“. Und scheinbar haben auch die anderen Spieler von den Buddhas keine Kraft bekommen, denn wie lässt es sich sonst erklären, dass die Statuen nach nichtmal zwei Monaten wieder entfernt worden sind? Zé Roberto weiß, dass es sich lohnt, bei Christus zu bleiben. Er hat bestimmt schon erlebt, dass Christus ihm das schenken kann, was die toten Steine nicht vermögen: In seiner Gegenwart kann er alle Lasten ablegen, Ruhe finden, und bekommt Anteil an Jesu Kraft für die täglichen Herausforderungen.

Gott sei Dank gibt es Christen, die nicht zurückweichen, und gerne ihre Kirchensteuern zahlen und für Brot für die Welt spenden, weil ihnen die Solidarität in der Kirche und weltweit wichtig ist. Gott sei Dank gibt es Christen, die nicht zurückweichen, die nicht die Verantwortung für ihre Nächsten abschieben und sie in der Not sitzen lassen, sondern anpacken, sich für andere einsetzen, im Großen und Kleinen, Christen, die für bessere Strukturen und gerechtere Verhältnisse kämpfen, die Mobbing beim Namen nennen, Unrecht aufdecken und sich für Umkehr, Heilung und Vergebung stark machen. Ihr Lohn ist die tiefe Dankbarkeit der Menschen, denen geholfen wird. Und Christus wird sich ihre Namen merken, denn er spricht: „Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan!“.
Und Gott sei Dank gibt es Christen, die sich nicht in ein frommes Schneckenhaus zurückziehen und dabei weltfremd werden, sondern die leben, die tanzen gehen und gerne feiern, die Entspannung bei einer Tai-Massage in der Marienstraße oder in der Therme Bad Steben finden und dabei bezeugen, dass Gott ein Gott der Lebensfreude ist, der uns allerlei Wohltaten im Leben schenkt und will, das wir die Vielfalt des Lebens genießen.

Liebe Brüder und Schwestern! Dieses Nicht-Zurückweichen, dieses Dranbleiben an Gott sieht bei jedem anders aus. Jeder hat in seiner Lebensgeschichte und in den Dingen, die ihm begegnen, seine eigenen Möglichkeiten den Glauben zu leben und seine eigenen Herausforderungen, um an Christus dranzubleiben. Nicht immer wird es leicht sein. Schon der Apostel weiß: „Geduld aber habt ihr nötig.“ Geduld, Standfestigkeit gegenüber den Verlockungen der Bequemlichkeit oder der Vielfalt der Lebensmöglichkeiten, die Christus nicht zu brauchen scheinen. Standfestigkeit angesichts der existentiellen Nöte, die einen treffen. Doch es lohnt sich, am Glauben festzuhalten und Christ zu sein! Denn Christus, der Lazarus zum Leben gerufen hat, ruft auch uns täglich heraus aus aller Enge, Sorge und Trägheit zu neuem Leben, und er ruft uns zum Einsatz für das Leben. Als Christen haben wir Anteil am Leben Christi. Und deshalb schließe ich mich dem Apostel an und sage mit ihm: „Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen.“

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

35 Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.
36 Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.
37 Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben.
38 Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm« (Habakuk 2,3-4).
39 Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten.
 


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