Predigt     Hebräer 11/8-10     Reminiscere     17.02.08

"Schluckauf des Glaubens oder: Er denkt an uns!"
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

wenn jemand eine Prüfung vor sich hat, dann sagen wir gerne: Ich denke an dich! „Ich denke an dich!“ sagen wir auch zum Abschied zu unseren Partnern, wenn wir uns für einige Tage nicht sehen. Kann ich das aber dann irgendwie fühlen, dass an mich gedacht wird? Immer wenn ich als Kind Schluckauf hatte, wurde mir gesagt: Da denkt jemand an dich! Und ab einem gewissen Alter war mir dann der Schluckauf peinlich! Schluckauf als Zeichen dafür, dass jemand an mich denkt? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass mir warm ums Herz wird, wenn mir jemand schreibt oder sagt: Ich denke an dich! „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind!“ – das beten wir am Sonntag Reminscere: „Denke an uns, Gott!

Wie aber merken wir, dass Gott an uns denkt? Bekommen wir da auch eine Art Schluckauf, so etwas wie den „Schluckauf des Glaubens“? Diese Frage hat sich mir in den letzten Wochen durch zwei Begegnungen aufgedrängt. Eine junge Frau sagte zu mir: „Ich höre die Stimme Gottes nicht. Weil's Gott nämlich nicht gibt!“ Sie erlebt Gott nicht und zieht für sich diese bittere Konsequenz. Und eine gute Freundin von mir klagte: „Ich weiß, dass Gott ein Gott ist, der mit mir durchs Leben geht, aber ich spüre seine Gegenwart gerade nicht und gerate ins Zweifeln.“

Ach wenn doch Gott reden würde wie zu Abraham! Ich sehe es bildlich vor mir, wie er ihn mit seiner Himmelsstimme direkt anspricht: „Abraham, verlasse deine Heimat und deine Familie, und mache dich auf. Geh in das Land, das ich dir zeigen werde!“

Macht sich Gott bemerkbar im Leben? Der Hebräerbrief sagt: Ja! Der Apostel schreibt an eine Gemeinde, in der viele Menschen im Glauben unsicher geworden sind. Er zählt im 11.Kapitel seines Briefes Beispiel um Beispiel von Menschen aus dem Alten Testament auf, die Gott in ihrem Leben erfahren haben. Die Wolke der Zeugen nennen wir dieses 11.Kapitel des Hebräerbriefs: Da erscheinen Noah und Isaak und Jakob und Josef und Mose und sogar die Prostituierte Rahab: Alles Menschen, die Gott erlebt haben, und die deshalb ihr Leben lang am Gottvertrauen festhielten. Mitten drin in der Wolke dieser Glaubenszeugen erscheint unser Abraham. Es gibt also solche Glaubenserlebnisse. Es gibt so etwas wie den Schluckauf des Glaubens, Momente, in denen ich spüre, dass Gott spricht und da ist. Vielleicht kennen sie solche Momente.

Wie macht sich Gott nun bemerkbar? Ich habe darüber nachgedacht, wie ich die Stimme Gottes höre, und wie Menschen unserer Gemeinde das tun. Ein paar solcher Erfahrungen mit Gott will ich nennen:

Ich erlebe es immer wieder, dass Besucher unserer Gottesdienste mir sagen, wie sie in der Predigt die Stimme Gottes gehört haben: An Weihnachten habe ich von einer Frau gesprochen, die unter dem Gesetz des Perfektionismus leidet: sie will es allen und jedem recht machen, gibt sich und ihr Leben dabei aber auf. Nach dem Gottesdienst kam eine Frau mit Tränen in den Augen zu mir: „Das war, als hätten sie über mich geredet. Es hat mir gutgetan.“. Sie hat die Stimme Gottes gehört, der sie herausruft aus dem Druck des Perfektionismus, und der sie hineinruft in ein neues Land wie Abraham. Paulus schreibt: „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“ Und das stimmt: Gott redet durch die Predigt und das Wort der Bibel.

Die Losungen sind auch so ein Wort Gottes, das mich ganz oft direkt anspricht. Ich lese sie jeden Morgen – einen Vers aus dem Altem und einen aus dem Neuen Testament für den Tag. Und immer wieder einmal empfinde ich es so, als ob dieses Wort direkt zu mir gesagt würde. Es passt genau zu dem, wie es mir geht oder was ich vorhabe. Gott stärkt mich und macht mir Mut, oder aber er sagt: Halt! So lieber nicht! Die Predigt und Gottes Wort sind so ein Schluckauf des Glaubens: Da können wir merken: Er ist da! Er hat zu mir geredet!

Szenenwechsel. Sie sitzen zu Hause und etwas macht sie traurig und zieht sie runter. Dann klingelt es und da steht jemand an der Türe, der sich Zeit nimmt, zuhört und uns aufbaut. Zu ihm sagen wir dann: „Dich hat mir der Himmel geschickt!“. Andere Menschen sind, glaube ich, wirklich manchmal vom Himmel geschickt: Auch sie können zum Schluckauf des Glaubens werden, denn in ihnen kann uns Gott begegnen und wir können seine Nähe spüren.

Auch das Gebet kann so ein Schluckauf des Glaubens sein: Es gibt beim Beten das Gefühl, dass Gott da ist und hört. Und manchmal bekommt man eine Antwort. Ob das nun wirklich akustisch wahrnehmbar ist oder eher ein Gefühl bzw. eine Gewissheit? Manche Erfahrungen lassen sich mit Worten nur schwer ausdrücken.
Dann gibt es noch viele andere Situationen, in denen ich gespürt habe: Da hat sich Gott bei mir gemeldet. Ich saß in der Kneipe, und musste eine wichtige Entscheidung treffen. Und da spielte der CD-Player gerade ein Lied, das wie zu meinem Thema passte, und eindeutig eine Richtung vorgab. Für mich die Stimme Gottes, ein Schluckauf des Glaubens.

Sicher werden manche sagen: Das ist doch alles sehr weit hergeholt. Das ist doch Zufall, dass dieses Lied kam oder dass der andere Mensch im rechten Augenblick aufgetaucht ist. Und es ist nicht Gott, sondern die Leistung des Predigers, wenn es Menschen nach der Predigt besser geht. Es stimmt schon: Wir können nicht beweisen, dass das jeweils die Stimme Gottes war. Es liegt in der Interpretation unserer Wirklichkeit: Das, was gelingt, dort, wo ich neue Lebensmöglichkeiten herbekomme, wo mir Hilfe und Orientierung geschenkt wird – ich kann es auf alles mögliche zurückführen, oder auf Gott.

Aber es gibt gute Gründe, weshalb ich es dennoch auf Gott zurückführe, weshalb ich in meinem Leben mit Gott rechne: Zum Ersten drängt das Wort der Heiligen Schrift hinein in den Menschen: Glaube und Gott wollen subjektiv werden. Luther sagt immer wieder: Das Wort Gottes muss in meinem Leben erfahren werden. Was nützt es mir, wenn die Rechtfertigung allein aus Glauben nur auf dem Papier steht? Ich muss sie verinnerlichen. Gott will subjektiv werden, will zu uns kommen und uns Erfahrungen mit sich schenken, die der Heilige Geist wirkt. Deshalb kam er auch als Subjekt auf die Welt in Jesus Christus. Deshalb schenkt er sich jedem von uns in Brot und Wein.

Zum Zweiten lesen wir im Hebräerbrief: Der Glaube ist eine feste Zuversicht und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Ich habe die feste Zuversicht, dass Gott ein Gott ist, der an mich denkt, der sich bei mir bemerkbar machen will, wie es neulich in der Tageslosung aus der Offenbarung hieß: „Siehe, ich stehe vor deiner Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ (Off 3,20). Und deshalb rechne ich mit Gott in meinem Leben.

Und deshalb auch zum Dritten: Glaube ist kein Fürwahrhalten von irgendwelchen Lehrsätzen. Glaube, das ist ein Beziehungsgeschehen, das ist ein Leben mit Gott.
Und jenseits aller guten Gründe schaue ich auch auf die Glaubenserfahrungen der Menschen vor und neben mir. Der Hebräerbrief zeigt uns eine Wolke von Zeugen: Er führt viele Beispiele von Menschen vor Augen, die Gott so erlebt haben. Und auch die letzten 2000 Jahre haben Menschen immer wieder die Stimme Gottes gehört, sich von ihm rufen, trösten, stärken und korrigieren lassen. Nein, das ist kein Beweis, dass Gott zu uns spricht, aber es ist eine gemeinsame Interpretation der Wirklichkeit, der Gewicht zukommen muss.

Es gibt freilich auch Gefahren: Kann ich alles, was mir geschieht, auf Gott zurückführen? Richtschnur zur Überprüfung meiner Erfahrungen ist und bleibt die Heilige Schrift: Von Gott kommt, was ihrem Zeugnis entspricht. Gott redet nicht anders zu uns, als er zu unseren Müttern und Vätern im Glauben geredet hat. Und die zweite Gefahr besteht darin, dass Menschen solche Gotteserlebnisse festzementieren und zum Kennzeichen für wahren Glauben und wahres Christentum machen. Da wird schnell jemandem der Glaube abgesprochen. Ein Blick auf Abraham lehrt, dass Gott nicht ständig redet. Abraham musste auch genügend Wegstrecken gehen, auf denen er Gott nicht erlebt hat, ja sogar an Gottes Verheißungen zweifelte. Gott zeigt sich nicht immer, und oft auch in verborgener Gestalt.

Und noch etwas: Es ist nicht gut, wenn wir feste Vorstellungen haben, wie sich die Stimme vom Himmel herab zu melden hat. Gott spricht zu jedem Menschen anders. Es gibt keine Regeln! Also bleibt uns nur offen zu sein und zu warten, auf welche Weise Gott uns persönlich ansprechen will. Und dazu ist es vielleicht auch nötig still zu werden. Denn manchmal, da redet Gott nur ganz leise. Und da ist es hilfreich, wenn es ruhig um uns ist. Unser Alltag wird von so vielen Stimmen beherrscht, Lärm und Geschrei gibt es überall, nur Stille finden wir selten. Wo finden wir zur Ruhe? Und halten wir die Stille überhaupt aus? Mir tut es gut, mich Abends im Kerzenschein hinzusetzen und zu bedenken, was mir den Tag über begegnet ist.
Erlebnisse mit Gott gibt es. Aber sie sind unverfügbar, weil wir nicht in der Hand haben, wie und wann sich Gott zu melden hat. Wer Gott schon lange nicht mehr erlebt hat, der kann mit ihm Ringen, wie es Abraham vor Sodom und Gomorra tat, der kann Gott auf seine Verheißungen festlegen und am Sonntag Reminiscere bitten: „Gott, gedenke meiner!“

Und wenn Gott sich zeigt, dann stärkt das den Glauben und das Gottvertrauen, wie es mit Abraham geschehen ist, der aufgebrochen ist ins Gelobte Land. Viele unbekannte Wege lagen vor ihm in diesem Land, er lebte dort als Fremder und in Zelten, eine bleibende Stadt hatte er noch nicht gefunden. Aber er wusste: Gott geht mit! Gott ist dabei auf meinen Wegen!

Die Geschichte von Abraham lädt uns ein, auf die Stimme Gottes zu hören. Werden wir doch gerade in der Passionszeit still, um zu hören und zu spüren, wo Gott uns begegnet. Ich wünsche uns allen den Schluckauf des Glaubens: Dass wir spüren, dass Gott an uns denkt, und dass wir erleben, dass er uns auf unseren Wegen geleitet.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:
8 Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.
9 Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung.
10 Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.

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