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      Liebe Leser,
       wer in den letzten Wochen die Vorgänge um die 
      Bundesanstalt für Arbeit verfolgt hat, wird um ihren tragischen Helden 
      nicht herumkommen. Bernhard Jagoda ist gegangen worden. „Der Steuermann 
      geht nicht von Bord, wenn Sturm ist. Und jetzt ist Sturm.“ So hatte er 
      noch vor einigen Tagen verkündet und unser aller Mitgefühl war ihm gewiss. 
      Ja, das ist ein Mann! Ein Mann, der sitzen bleibt, auch wenn die Hütte 
      über ihm schon zusammengebrochen ist. Ja, das ist ein Mann, der am Steuer 
      stehen bleibt, auch wenn das sinkende Schiff, die Wasserlinie schon nach 
      unten durchbrochen hat. Ein Mann wie Jagoda, ein Urbild aller 
      Sitzenbleiber und - so scheint es in unseren Zeiten – ein typisch 
      deutscher Archetyp. Lieber die Jalousien herunterlassen, als wahrnehmen, 
      dass sich das Wohnzimmer schon auf hoher See befindet.  
       
      Nein, wir sollten uns über ihn nicht lustig machen. Es sei denn, wir 
      verfügen über eine gehörige Portion Selbstironie. Sitzen bleiben wir doch 
      alle gern, auf unseren Besitzständen, unseren Gewohnheiten, unseren Posten 
      und sogar in so manchem vertraut gewordenen Elend. Und wenn wir verreisen, 
      dann tun wir das wirklich nur beruhigt, wenn wir am Ziel die üblichen An- 
      und Unannehmlichkeiten vorfinden und wenn zuhause jemand nach dem Rechten 
      sieht. Ach, die Zeit der Umbrüche und Aufbrüche ist längst vorbei. Da gilt 
      es möglichst heldenhaft sitzen zu bleiben, mit dem Mut der Verzweiflung. 
      Was bleibt uns denn anders übrig? 
       
      Auch die Hebräer, an die der Brief geschrieben ist, dem unser heutiger 
      Predigttext entstammt, kennen dieses „Ach“. Ach, was war das für eine 
      Zeit, als der christliche Glauben in ihr Leben fuhr und alles anders 
      machte. Was war das für eine Gemeinschaft, in die sie ohne groß 
      nachzudenken ihr Hab und Gut einbrachten. Wie sie die Welt mit anderen 
      Augen sahen. Es war, als ob ihr Leben noch einmal neu erfunden, neu 
      begonnen wurde. Es ging kaputt, was sie kaputtmachte. Am Horizont wartete 
      der Auferstandene, der Pantokrator, der Herr des Himmels und der Erde auf 
      sie. Alles wird gut und schon bald. 
       
      Und dann wurden sie mit all ihren begeisterten Erfahrungen in die sich 
      dehnende Zeit geschickt, in den Alltag des Glaubens. Und was war aus ihnen 
      geworden? Ein bierseliger Altherrenverein, der am Stammtisch die alten 
      Zeiten hochleben ließ und auf die Gegenwart und ihre Jugend schimpfte? Für 
      ein paar Stunden war man wieder in der guten alten Zeit und auf der 
      Toilette sah sich mancher beim Händewaschen im Spiegel, erkannte sich kaum 
      und blickte verständnislos in ein zerfurchtes und welkes Gesicht. 
       
      Andere waren längst abgesprungen aus diesem Christenverein. Hatten sich 
      jung gehalten mit immer neuen Welt- und Selbstverbesserungskonzepten. 
      Schon damals war die Welt voll davon. Oder sie hatten sich neu gegründet, 
      als freie Christengemeinde, was zu allen Zeiten vor allem Freiheit von 
      zermürbender Vergangenheit bedeutet. Geschichte macht müde und alt. Damit 
      wollte die freie und junge Christengemeinde nichts zu tun haben. Jetzt 
      geht’s noch mal von vorne los. Hier steppt der Bär noch in hundert Jahren. 
      Nur nicht veralten.  
       
      Was nicht weniger anstrengend ist. Auch durch das geliftete Gesicht pumpt 
      das Blut aus einem alten Herzen, beseelt vom Mut der Verzweiflung. 
      Facelifting war auch noch nie eine Alternative zur Erneuerung der Kirche 
      an Haupt und Gliedern. Ein frisches Erscheinungsbild, neue Logos, 
      einheitliche Briefvorlagen und schicke Schilder an Kirchen machen den 
      Kirchenkahn nicht flott. Sie sind ein bisschen frisch glänzendes Stanniol 
      um einen alten Käse.  
       
      Vielleicht fiel dieses Wort auch den Hebräern ein, wie uns, wenn wir von 
      Abraham lesen. Und vielleicht hatte der sich damals ja auch schon so 
      gefühlt, als der Herr nach ihm rief. Abraham – war mit seiner Frau schon 
      auf dem Weg ins Seniorenheim, konnte nicht einmal Mutti zu ihr sagen, wie 
      das andere alte Männer mit ihrer Frau tun. Keine Kinder, keine Enkel. War 
      schon fast an der Endstation, als der Herr nach ihm rief.  
       
      Und der Herr sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland und von deiner 
      Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen 
      will (1. Mose 12/1). Da zog Abraham aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte 
      und blieb nicht heldenhaft sitzen. Verwies nicht auf den Ansturm der 
      Jahre, kämpfte nicht um die geschönte Bilanz seines Lebens, hielt Gott 
      nicht seine abgenutzten Hoffnungen hin und dass hier nächstes Jahr alles 
      besser würde. Da zog Abraham aus.  
       
      Nicht mit dem Mut der Verzweiflung, sondern mit dem Mut des Vertrauens. 
      Ging, dieser Abraham, ein Fremdling zu werden, ein Bewegter unter 
      kopfschüttelnden Sitzenbleibern, in ein Leben der Unsicherheit und der 
      provisorischen Zelte. Nein, die verheißene Stadt, von der der Hebräerbrief 
      spricht, hat er nie gesehen. Aber die Augen seines späten Sohnes Isaak. 
      Wäre Abraham geblieben, wir säßen heute nicht hier.  
       
      Wäre Jesus von Nazareth geblieben, wir säßen heute nicht hier. Ging, 
      dieser Jesus von Nazareth, ein Fremdling zu werden, ein Bewegter unter 
      kopfschüttelnden Sitzenbleibern, in ein Leben der Unsicherheit und der 
      provisorischen Nachtlager. Was, wenn er im Garten Gethsemane sitzen 
      geblieben wäre, statt seinen Weg mit dem Mut des Vertrauens zu Ende zu 
      gehen. Wir säßen heute nicht hier.  
       
      Nein, die verheißene Stadt haben wir auch noch nicht gesehen. Zelt bleibt, 
      was wir für dauerhaft halten. Auch unsere Zeit wird einmal Episode sein. 
      Aber welcher Geschichte? Der Geschichte der heldenhaften Sitzenbleiber, 
      die irgendwann gegangen wurden. Deren gute alte Zeiten mit dem Rauch über 
      den Stammtischen verzogen ist. Denen das geliftete Gesicht irgendwann vor 
      die Füße fiel.  
       
      Oder werden unsere Namen einmal in der Geschichte der Kinder Abrahams und 
      der Jünger des Christus stehen, dessen Mut des Vertrauens zu seinem 
      himmlischen Vater nicht im Nebel der Geschichte versank, sondern zum 
      Fundament, zur Quelle des Lebens schlechthin wurde. Jesus Christus, heute, 
      morgen und derselbe auch in Ewigkeit.  
       
      Und so fragt uns der Brief an die Hebräer, was uns heute als Christen so 
      treibt. Der Mut der Verzweiflung, der die Sitzenbleiber so heldenhaft 
      macht und die Verpackungskünstler der ständigen Erneuerung und der ewigen 
      Jugend so lächerlich.  
       
      Oder der Mut des Vertrauens. Wir sind auf Heimatkurs in die himmlische 
      Stadt. Am Steuer stehen nicht wir, sondern der Christus. Und diese Stadt 
      wird nicht von uns gebaut. Ihr Baumeister und Schöpfer ist Gott. Und drum 
      darf die Hoffnung auf sie gelassen bleiben auch im Ansturm der Jahre. Was 
      neu ist, wird alt, und was gestern noch galt, stimmt schon heut oder 
      morgen nicht mehr. Der Mut des Vertrauens darf gelassen sagen: So sei es 
      und so ist es! Mit einer Ausnahme! 
  
      
		Pfarrer Johannes Taig   
      (Hospitalkirche Hof) 
		 (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter 
		www.kanzelgruss.de)  | 
    
      Text: 
       (8)Durch den Glauben wurde Abraham 
      gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben 
      sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. 
      (9)Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande 
      wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den 
      Miterben derselben Verheißung. 
      (10)Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren 
      Baumeister und Schöpfer Gott ist.  |