Liebe Leser,
mit Jahreslosungen haben wir immer das gleiche Problem: Sie dürfen
nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. Nein, hier geht es nicht
um Vertröstung auf das Jenseits und auch nicht um Trost aus dem
Jenseits. Nein, hier wird nicht über die allgemeine Vergänglichkeit
der Welt und des eigenen Lebens nachgedacht und auch nicht darüber,
was dann noch kommen könnte.
Solche Überlegungen kann man nur anstellen, wenn man den Orgelpunkt
des Hebräerbriefes übersieht, der sich wenige Verse vor der
Jahreslosung finden lässt: „Jesus Christus gestern und heute und
derselbe auch in Ewigkeit.“ (13,8) Dass wir hier keine bleibende
Stadt haben, ist keine allgemeine Einsicht, sondern sie ist
pointiert begründet: Durch Jesus Christus.
Wir haben ja alle noch das Weihnachtsevangelium im Ohr, das davon
spricht, dass Gott eben nicht in seinem Jenseits blieb, um dort auf
uns in all seiner Herrlichkeit zu warten. Er macht sich auf, um zur
Welt zu kommen und in Fleisch und Blut sehr diesseitig bei uns zu
sein. Nein, er wird nicht geboren im Königshaus oder in den Häusern
des Geldes, der Macht, der Politik und der Religion. Was immer der
Stall von Bethlehem gewesen sein mag: Schon bei seiner Geburt
befindet sich der Christus draußen vor dem Tor. Und draußen vor dem
Tor wird man ihn umbringen.
„Draußen vor dem Tor, dort wurden die Opferreste verbrannt. Dort
wurden die Verbrecher hingerichtet. Dort haben manchmal die
Scheiterhaufen gestanden. Dort vegetierte der tote und der lebende
Müll der Gesellschaft.“ (Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh, GPM,
1/2008, Heft 2, S. 167) Es ist ja alles andere als ein Zufall, dass
die Hospitäler des Mittelalters – wie auch das 1264 erbaute Hofer
Hospital mit seiner Kirche – außerhalb der Stadtmauern errichtet
wurden. Dort gehörten die hin, die aufgrund ihrer körperlichen und
geistigen Gebrechen auf Barmherzigkeit angewiesen waren. Man wollte
sie nicht im Alltag der Stadt sehen. In der Hospitalkirche saß man
lange draußen vor dem Unteren Tor.
Noch 1675 schrieb der Hospitalpfarrer Nicolaus Meyer: „Es ist ein
Kirchlein, gewesen als armes Waislein, um welches sich niemand groß
bekümmert hat und ist von den großen Herren und Frauen der Stadt
wenig oder gar nicht besucht worden, dass auch viele nicht gewusst,
wie es darinnen stehe und sehe, auch wohl eine Furcht und Abscheu
davor gehabt. Es hat ausgesehen wie eine Badstube, darinnen man
nichts Gemaltes gesehen. Die Decke auf der halben Seite gegen die
Pfründerstube war sie meistens verfaulet, unförmlich ausgeflickt und
unterstützt vom Überlauf der Rinnen, welche zwischen der Kirche und
Pfründners Wohnung gelegen. Die Wände waren düster, staubicht und
auf zwei Seiten von dem Eintriefen grün und gelb angelaufen.“ Zitat
Ende. Da gingen die feinen Damen und Herren doch lieber in die
Michaeliskirche.
Dass die Hospitalkirche dank vieler Bewahrungen und der tätigen
Liebe ihrer Gemeindeglieder über die Jahrhunderte ein Schatzkästlein
geworden ist, soll uns die Wahrheit nicht verstellen, die in der
Jahreslosung ausgesprochen wird. Wir sind als Christenmenschen nicht
zum Gucken in das Himmelreich, sondern zur konsequenten Nachfolge
Christi gerufen. Und wer ihm konsequent nachfolgt, der muss vor die
Tore der Stadt. Haben wir noch den Mut dazu?
Ein Ausleger schreibt: „Diese Fragen provozieren ein Christentum,
das sich eine Steigerung seiner Attraktivität von einer verbesserten
Lokalisierung und Temporalisierung in schönen Kirchen, mit Bräuchen
und Festen, von einer engen Verbindung zu Kultur und Bildung
erhofft. Die politische Macht konzentriert sich hinter Mauern und
Zäunen; doch das Heil ist draußen vor dem Tor. Auf den Märkten der
Städte sammelt sich der Reichtum; doch das Heil ist draußen vor dem
Tor. Durch die Straßen und über die Bildschirme flanieren die
Schönheit und die Erotik; doch das Heil ist draußen vor dem Tor. Die
Religion findet ihre anerkannte und ausstrahlende Gestalt in den
gepflegten Kirchen der Stadt; doch das Heil ist draußen vor dem Tor.
Wo ist das heute: ‚draußen vor dem Tor‘? Wer ist da zu finden? Was
ist die Schmach, die es mit zu tragen gilt? Vielleicht erst einmal
nur die, nicht vorne und oben dabei zu sein. Zu einem ‚Verein‘ zu
gehören, der in den Augen der veröffentlichten Meinung vielleicht
gut für Kinder und Alte ist, aber doch nicht für die Schönen und
Starken, für die, die etwas erreichen wollen und ihr Leben
selbstbewusst in die Hand nehmen. Ist das ein Schatten der Schmach:
zu einer Kirche der Zurückbleibenden und Unbedeutenden zu gehören?
Wer hinausgeht zum Opferplatz, muss vieles hinter sich lassen:
Häuser, Gemeinschaft, Kultur, Macht. Wer hinausgeht zum Opferplatz,
muss sich von vielem trennen: von vermeintlicher Anerkennung und
Sicherheit. Türen fallen zu, wenn Gemeinden aus dem Tor gehen: Herr
Studienrat, Herr Direktor, Herr Gerichtsarzt, Herr Oberarzt. ...
Alle sitzen sie hinter ihren Türen. Und ihre Tür haben sie fest zu.
Und wir stehen draußen.“ (Cornelius-Bundschuh, aaO. S.166 f.)
Und doch: Was hilft es, wenn der Christus nur draußen auf uns
wartet? Was hilft es, wenn der Christus sich demonstrativ nicht
eingemeinden lässt in das, was auf unserer Welt etwas gelten und
gern ewig bleiben will? Das Heil Gottes ist eben nicht anders zu
haben, als draußen vor dem Tor, ohne die vermeintliche Sicherheit
des Menschengemachten, nur in der Abkehr und im Lassen der Dinge,
wie Meister Eckhart nicht müde wird zu erklären.
Und doch: Ist das nicht überaus tröstlich, dass wir auf der Suche
nach Gott nicht alle verdammten Wüsten dieser Welt und alle
verdammten Wüsten unserer Seele durchstöbern müssen, sondern dass er
schon draußen vor dem Tor steht? Er ist nicht weiter weg, als vor
der eigenen Tür. Der Christus, in dem alle Vergangenheit, alle
Gegenwart und alle Zukunft beschlossen liegt. Der Christus, der die
Schlüssel der Hölle und des Todes hat (Offenbarung 1,18), damit dort
keiner mehr eingesperrt bleibt. Der Christus, der die Tür wieder
aufschließt zum schönen Paradies, wie wir im Weihnachtslied gesungen
haben (EG 27/6).
Am Ende eines alten und am Beginn eines neuen Jahres halten wir
inne. Wir erinnern uns, was war und brechen auf in eine ungewisse
Zukunft. Nein, wir haben hier keine bleibende Stadt. Aber nicht aus
Gründen der allgemeinen Vergänglichkeit der Welt und unseres Lebens,
sondern aus einem ganz konkreten Grund: Weil Gott seinen Christus zu
uns gesandt hat, um uns auf den Heimweg zu Gott zu bringen. Die
Jahreslosung ruft uns dazu auf, ihm nachzufolgen, ihn vor Augen und
sein Wort im Ohr zu haben. Dann werden auch die Besucher der
Hospitalkirche, der Kirche draußen vor dem Tor, nicht vergessen und
notfalls neu lernen, was christliche Gemeinde eigentlich ist:
Ekklesia, die von Gott Herausgerufene.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Die Predigt zum Hören
Text:
12 Darum hat auch Jesus, damit er das Volk
heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine
Schmach tragen.
14 Denn wir haben hier keine bleibende
Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
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