Predigt     Hebräer 13/20-21    Miserikordias Domini    06.04.08

"Kraft zum Frieden"
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Junge, warum hast du nichts gelernt?
Junge – und wie du wieder aussiehst!
Löcher in der Hose und ständig dieser Lärm.
Was sollen denn die Nachbarn sagen?
Und dann noch deine Haare, da fehlen mir die Worte.
Musst du die denn färben?
Nie kommst du nach Hause, wir wissen nicht mehr weiter.

Kommt ihnen das bekannt vor? Ich habe diesen Hit der Rock-Band „Die Ärzte“ durch meine Schüler in der Realschule kennengelernt. Ihnen gefällt er deswegen so gut, weil er mitten aus dem Leben gegriffen ist.

Ich stelle mir dabei vor, wie dieser Junge, 14 Jahre alt, recht spät nach Hause kommt. Er hat das Wohnzimmer noch nicht betreten, schon legt die Mutter los: „Warum kommst du erst jetzt? Schon wieder ist es so spät!“. Und weil sich schon viel Ärger angestaut hat, setzt sie noch eins drauf: „Denk doch an deine Zukunft! Lerne mal etwas mehr, dass du einen guten Ausbildungsplatz findest. Und Junge – wie du wieder aussiehst! Unmöglich!“. Und sofort poltert der Junge zurück: „Das geht dich gar nichts an. Lass mich doch in Ruhe!“. Und schon dampft er davon, krachend fällt die Wohnzimmertüre ins Schloss. Er stürzt in sein Zimmer und dreht, anstatt endlich ins Bett zu gehen, seine Musik laut auf. Streit, aufgereizte Stimmung, eine Spannung, die schon seit Wochen zwischen Mutter und Sohn besteht.

Ach, wenn sich da doch der Gott des Friedens bemerkbar machen würde, von dem der Apostel schreibt, wenn Gott käme und Frieden schenken würde zwischen dem Jungen und seiner Mutter. Ja nicht nur zwischen den beiden, denn die Friedlosigkeit geht tiefer: Wer solche Situationen kennt, und wer kennt sie nicht, der weiß, dass es auch in Beiden innen drin alles andere als friedlich ist, dass weder Sohn noch Mutter so selbstsicher sind, wie es scheint.

Zurückgezogen in seinem Zimmer kocht in dem Jungen der Ärger hoch. Er stampft im Rhythmus der Musik auf den Boden und grollt vor sich hin: „Meine Eltern verstehen mich nicht. Ich soll funktionieren, aber was wirklich mit mir ist, das ist ihnen egal“. Er ist aufgewühlt, von Ausgeglichenheit und vom Seelenfrieden weit entfernt.

Warum kommt er so spät nach Hause? Natürlich, weil ihm das Fortgehen gefällt, aber auch, weil es so sein muss. Alle Freunde bleiben solange. Wenn er sagen würde: „Ich muss heim“, dann wäre er bei denen sofort unten durch. Und wer keine Löcher in der Hose hat, den beschimpfen die doch als Spießer. Aber dann wieder halten ihn die Eltern für einen Taugenichts, und das gräbt sich tief in die Seele ein. Der Junge steckt in Zwängen, von denen Eltern oft keine Ahnung haben: den Freunden gerecht werden, den Eltern, der Schule. Wenn wir immer von der „sorgenfreien Jugend“ reden, dann wird uns so manch ein Jugendlicher widersprechen.
Und damit befindet sich der Junge nicht bei der friedlichen Schafherde auf grüner Aue, sondern er sitzt im finstern Tal.

In diesem finstren Tal aber ist er in guter Gesellschaft. Denn dort begegnet er Christus. Christus wurde auch von vielen nicht anerkannt, ja sogar verraten und verhaftet. Er kennt das Tal der Verzweiflung, des Haderns und Ringens, selbst mit Gott hat er gerungen, in Gethsemane und am Kreuz. Und schließlich musste er bis in den tiefsten Abgrund des dunklen Tales, in den Tod. Doch Gott hat ihn nicht dem Tod überlassen. Gott ist ihm im Tod begegnet. Der Apostel bekennt die Botschaft von Ostern: Jesus wurde heraufgeführt von den Toten. Gott hat ihn an der Hand genommen und zu neuem Leben geführt.

Schön und gut, mögen wir sagen. Doch was hat der Junge davon, der noch immer im dunklen Tal sitzt? Der Apostel scheint ja nur von Christus zu reden, und nicht von uns, wenn er schreibt: „Gott hat den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt durch das Blut des ewigen Bundes.“. Und doch kommen wir vor. Und zwar in dem kleinen Wörtlein „Bund“: Gott bindet sich an uns, wie sich zwei Eheleute aneinander binden, und noch viel tiefer: Er will uns Gemeinschaft mit sich ermöglichen und alles Trennende überwinden. Das hat Jesus zeit seines Lebens gelebt: Zu Sündern, Zöllnern und Aussätzigen ist er gegangen, hat mit ihnen gespeist und sie die Liebe Gottes erleben lassen. Für diesen Bund ist Jesus eingetreten. Damit aber ist er angeeckt. Für diesen Bund ist sein Blut geflossen. Ist mit seinem Tod dieser Bund hinfällig? Hat Gott Jesu Botschaft mit dem Kreuz durchkreuzt? Nein, deshalb hat Gott ihn auferweckt: um zu zeigen, dass mit seinem Tod nicht auch der Bund hinfällig ist, um zu zeigen, dass selbst Tod und Schuld uns nicht von Gott trennen können. Gottes Ort ist da, wo Menschen im dunkeln Tal sind: Im Tal der Schuld und des Todes, im Tal der Krankheit und der Not oder im Tal fehlender Anerkennung und übergestülpter Zwänge.

Und das gilt auch uns, denn in diesen Bund sind wir hineingenommen durch unsere Taufe. Ihr Konfis habt letzten Sonntag „Ja“ zu diesem Taufbund gesagt, als ihr mit euren Taufkerzen hier um den Taufstein standet und euer Konfirmationsversprechen abgelegt habt. Nach eurem Konfirmationsversprechen habe ich euch den Segen Gottes zugesprochen, den Segen, der euch seit eurer Taufe gilt: Im Segen tritt Gott an eure Seite. Der Segen vergewissert euch, dass euch der Gott des Friedens gerade auch im finstern Tal begleitet. So wie ihr den Druck meiner Hand auf eurem Kopf bei der Einsegnung gespürt habt, so gewiss ist Gott bei euch: Ihr seid Gesegnete! Wenn sich der Junge an seinen Konfirmationssegen erinnert, kann ihn das im finstern Tal trösten: Gott ist bei ihm. Gottes Nähe schenkt Geborgenheit. Er spürt: „Gott hat Interesse an mir. Ich bin Gott wichtig, weil er mich in meinem finstern Tal aufsucht.“. Und das gibt Selbstsicherheit: „Ich bin wer, ich bin wertvoll, auch ohne dass ich es allen beweisen muss.“ Der Junge weiß sich von Gott akzeptiert, auch wenn Freunde oder Eltern ihm dieses Gefühl verwehren.

Und damit geschieht etwas mit dem Jungen: Es zieht in ihm Stück für Stück Friede ein. Da erlebt er, wie er vom großen Hirten der Schafe, dem Herrn Jesus, heraufgeführt wird von den Toten, heraufgeführt vom dunklen Tal zu neuem Leben. Jesus als Hirte nimmt ihn an der Hand und führt ihn zurück zur grünen Aue. Das Gefühl angenommen zu sein befreit ihn dann vielleicht auch vom Zwang, es immer jedem rechtmachen zu müssen, ob Eltern oder Freunden. Ob er dann auch einen neuen Blick auf seine Eltern gewinnt und sehen kann, dass es seine Eltern gut mit ihm meinen? Zu wünschen wäre es. Jesus begegnet uns im dunkeln Tal. Sein Segen gibt Kraft und schenkt Frieden. Deshalb ist euer Konfirmationssegen ein Schatz. Und deshalb stellt uns alle der Hebräerbrief heute erneut in den Segen Gottes. Und das tut auch der Segen am Ende eines jeden Gottesdienstes. Und daher natürlich mein Tipp: Erinnert euch an den Segen, und lasst euch immer wieder den Segen zusprechen, besonders wenn ihr in einem dunklen Tal seid!

Was dem Jungen Kraft gibt, das kann auch der Mutter helfen, die traurig im Wohnzimmer sitzt. Einerseits ärgert sie sich, dass ihr Sohn scheinbar gar nicht an seine Zukunft denkt und alles auf die leichte Schulter nimmt.

Andererseits macht sich die Mutter auch Vorwürfe: „Habe ich ihn zu hart angepackt?" Sie ist sich unsicher, und auch in ihr ist es alles andere als friedlich. Christus sucht auch sie im dunklen Tal auf und will sie heraufführen. Er sagt zu ihr heute durch den Apostel: „Gott schafft in uns, was ihm gefällt.“

Heißt das nicht: Nicht sie muss alles tun und richtigmachen in der Erziehung – was ja sowieso selten gelingt. Der Apostel überlässt die Zukunft Gott. Er überlässt es Gott, dass sich der Mensch und auch dieser Junge hin zum Guten entwickelt. Da steckt doch eine ungeheure Entlastung drin - die sich aber der Mensch, der gewohnt ist, immer alles selbst zu regeln, nur schwer gefallen lässt. Diese Entlastung kann die Mutter des Jungen ganz praktisch einüben: Zum Beispiel in dem sie ihren Jungen Gott anbefiehlt. Wer betet heute noch für sein Kind? In der Taufe haben es Eltern und Paten einmal versprochen. Viele unterschätzen, wie viel Frieden so ein Gebet auch einem selbst schenken kann. Auch nach der Konfirmation kann man für sein Kind noch beten, etwa mit den Worten, die sich in unserem Gesangbuch im grünen Textteil finden: „Vater im Himmel, ich bitte dich für mein Kind. Es beginnt sich von mir zu lösen. Gib mir Mut und Geduld, es loszulassen. Zeige mir, wo ich reden und wo ich schweigen muss. Begleite du mein Kind. Gib ihm aufrichtige Freunde, denen es vertrauen kann.“ (EG 822.1).

Das Gebet und das Gottvertrauen können in der Mutter Frieden einziehen lassen. Und dann wird sich dieser Friede nach außen auswirken, denn sie wird gelassener und lernt, ihren Sohn Gott anzubefehlen. Vielleicht hört sie nun genauer hin auf das, was den Jungen bewegt, und wird offener für die Zwänge, in denen er steht. Sie lernt, nicht jede Kleinigkeit besserzuwissen, ihm Freiheiten zu geben und auch einmal ein Auge zuzudrücken. Und das verändert die Beziehung der beiden.

Der von Gott geschenkte innere Friede wirkt sich aus. Das ist die Bewegung, die der Apostel beschreibt, wenn er sagt: „Der Gott des Friedens mache uns tüchtig zu allem Guten zu Tun seinen Willen“. Gott macht uns tüchtig zum Guten, d.h. er ertüchtigt uns dazu, wie er anderen zum Frieden zu verhelfen und unsere Begegnungen aus dem Frieden heraus zu gestalten.

Der Glaube lebt nicht von einem erhobenen Zeigefinger, auch wenn der Apostel den natürlich immer einmal für nötig hält. Der Zeigefinger macht uns nicht tüchtig zum Frieden. Denn das kann nicht anders gehen als so, dass Gott in uns Friedens schafft. Nur wenn in uns Frieden ist, so sind wir ertüchtigt, auch Frieden weiterzutragen. Freilich ist der Weg des Friedens nicht immer leicht und harmonisch, Jesus hat er ans Kreuz gebracht. Und auch wir werden immer wieder schuldig werden. Aber gleichzeitig können wir darauf vertrauen, dass Gott uns neu in seinen Frieden stellt, in uns Frieden schafft und so dazu bewegt, Frieden weiterzugeben - so wie vielleicht die Mutter ihren Frieden an den Jungen weitergibt. Dann müssten aber die Ärzte ihr Lied umschreiben, etwa so:

Junge, ich kenne die Zwänge, in denen du stehst.
Junge, ich akzeptiere dich, wie du bist.
Junge, ich bete für dich.
Junge, ich bitte dich: Nimm meine Ratschläge an, ich meine es gut mit dir.
Redet die Mutter so mit ihm, wirkt sich das auf die Beziehung zwischen dem Jungen und ihr aus, und wird auch weiterstrahlen zu seinen Freunden oder in ihren Beruf. Das ist ähnlich wie neulich, als mich eine unbekannte Frau in der Fußgängerzone angelächelt hat. Da habe ich mich gefreut, und nicht nur zurückgelächelt, sondern auch dieses Lächeln in mir weitergetragen und andere angelächelt. Es pflanzt sich fort. Ich glaube, darin scheint auf, was sich der Apostel wünscht, was es heißt, Frieden in sich zu haben und Frieden zu leben.

Der Apostel kennt das Wirken Gottes, das zum Frieden führt. Deshalb schließt er seinen Brief mit dem Lobpreis: Gott sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und ich zumindest kann nicht anders, als darin einzustimmen. Denn wem sollte ich sonst Ehre geben? Wer führt mich sonst von den Toten herauf, leitet mich vom dunklen Tal wieder auf grüne Aue? Wer wirkt sonst in mir, dass ich Frieden ausstrahle? Allein Gott und der große Hirte der Schafe, Jesus Christus. Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

20 Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes,
21 der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
 


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