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			Liebe Leser, 
			 
			der Prophet Hesekiel bekommt Post von der Kirchenleitung:  
			 
			Sehr geehrter Herr Pfarrer, lieber Bruder Hesekiel,  
			 
			Ihr Pamphlet haben wir zur Kenntnis genommen und sind traurig 
			darüber, dass Sie es gleich veröffentlicht haben, und noch dazu in 
			der Bibel, statt mit uns das persönliche und vertrauensvolle 
			Gespräch zu suchen, zu dem wir zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit 
			sind.  
			 
			„Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und 
			können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser 
			Sollen und unser Nicht-können, wissen und eben damit Gott die Ehre 
			geben.“ Sicher kennen Sie diesen Satz des großen Theologen Karl 
			Barth aus dem Theologiestudium. Solche gesunden Selbstzweifel 
			scheinen Sie aber leider nicht zu haben. Sie tun so, als sprächen 
			Sie in Gottes Namen. Damit stoßen Sie nicht nur uns, sondern jeden 
			vernünftig denkenden Menschen vor den Kopf. Niemand kennt die 
			Wahrheit über Gott und nur wenn wir das ernst nehmen, können wir als 
			Kirche auch für die Menschen einladend sein, die die Wahrheit über 
			Gott nicht kennen. So wie Paulus den Juden ein Jude und den Griechen 
			ein Grieche wurde, so sollen wir den Suchenden ein Suchender, den 
			Sprachlosen ein Sprachloser, den Blinden ein Blinder und den 
			Ungläubigen ein Ungläubiger werden. Denn die Menschen sollen sich 
			bei uns wohl, verstanden und wie zuhause fühlen und auch weiterhin 
			gerne ihre Kirchensteuer zahlen.  
			 
			Was aber viel schwerer wiegt, ist ihr Umgang mit den Kolleginnen und 
			Kollegen im Pfarramt und in den kirchenleitenden Ämtern. Wenn – wie 
			in ihrem Pamphlet - der Ton und die Art und Weise nicht stimmen, 
			braucht man sich mit dem Inhalt gar nicht mehr befassen. Was hilft 
			denn die schönste Wahrheit, wenn sie jemand als lieblos empfindet? 
			Denken Sie daran: Gefühle sind in der Kirche fast alles. Der Umgang 
			in der Kirche sollte deshalb gerade unter den Amtsträgern von 
			Freundlichkeit, Achtung und Wertschätzung füreinander geprägt sein. 
			Denn das sind unsere allerhöchsten Werte. Nur so geben wir der Welt 
			ein gutes Beispiel. Nur so zeigen wir, dass wir für alles und jeden 
			Verständnis haben. Genau das ist der wichtigste Teil der Botschaft 
			vom menschenfreundlichen Gott, der jeden so liebt, wie er ist. Wer 
			ihren Brief liest, fühlt sich stattdessen kritisch beurteilt und 
			schlecht und zum Nachdenken gezwungen, auch wenn er das gar nicht 
			will. Wie Sie wissen, haben wir deshalb die Fähigkeit zum 
			wertschätzenden Umgang mit jedermann, besonders aber mit Kollegen 
			und Vorgesetzten, in unsere Beurteilungsrichtlinien für Geistliche 
			aufgenommen und bescheinigen Ihnen schon auf diesem Wege dringenden 
			Fortbildungsbedarf auf diesem Gebiet.  
			 
			Wir bitten Sie daher, Ihre Worte in der Bibel zu widerrufen und sich 
			bei uns und den Kolleginnen und Kollegen für ihre Entgleisung zu 
			entschuldigen. Jeder hat heute Verständnis, dass es bei den 
			übermäßigen Belastungen im Pfarramt irgendwann zu einer solchen 
			Fehlleistung, wie der Ihren, kommen kann. Wir bieten Ihnen danach 
			einen Sonderurlaub in einem unserer Erholungshäuser an, bis Sie 
			wieder zu sich gekommen sind.  
			 
			Mit herzlichen Grüßen - Ihre Kirchenleitung 
			 
			Die Krise der evangelischen Kirche ist keine finanzielle Krise, 
			keine strukturelle Krise, keine organisatorische Krise, keine 
			demographische Krise, keine Mitgliederkrise, keine Personalkrise. 
			Die Krise der evangelischen Kirche ist „eine theologische 
			Orientierungskrise“. Das schreibt die Theologin Isolde Karle in 
			ihrem Buch „Kirche im Reformstress“ (Gütersloh 2010, S. 259).  
			 
			Und wer den fiktiven Brief der fiktiven Kirchenleitung aufmerksam 
			und mit gemischten Gefühlen gehört hat, spürt: Es klingt alles 
			irgendwie richtig und doch ganz falsch. Hier schreibt eine Kirche, 
			die nicht mehr weiß, um was es in der Kirche eigentlich geht. Nein, 
			Blinde können Blinde nicht führen. Ja, Gott nimmt jeden an, wie er 
			ist, aber so sollen wir nicht bleiben. Ja, unsere Rede von Gott ist 
			Stückwerk, aber sie hat ja auch nicht zum Ziel, dass Menschen an uns 
			glauben und in der Kirche eine Heimat finden, sondern Gott vertrauen 
			und im Glauben an ihn eine Heimat finden. Gerade die 
			Unvollkommenheit unserer menschlichen Rede von Gott gibt Gott die 
			Ehre. Sie muss aus dieser Einsicht heraus von Gott alles erwarten.
			 
			 
			Aber wir dürfen gerade deshalb nicht feige schweigen und verstummen 
			und jedem nach dem Mund reden. Das hieße, von Gott gar nichts mehr 
			erwarten. Dann verwechseln wir die eigene Orientierungslosigkeit mit 
			Toleranz und Achtung vor der Meinung der anderen. Vielmehr gilt: 
			Gerade die Einsicht in die Unvollkommenheit, ja die Unmöglichkeit 
			unserer Rede von Gott, ist das Ergebnis einer großen Anstrengung des 
			Denkens. Und das ist etwas völlig anderes, als der windelweiche Rat, 
			es mit dem Denken in Glaubensdingen gar nicht erst zu versuchen. 
			Dann ist die Kirche selbst ein Verein geworden, in dem – wie heute 
			überall schick und üblich - in Sachen Religion vor allem im Trüben 
			gefischt wird.  
			 
			Und schließlich: Wir hören in diesem Brief wie die Hochschätzung der 
			Wertschätzung ganz schnell zur Abwertung und zur Abschätzigkeit 
			gegen den führt, der die vermeintliche Regel verletzt. Der wahre 
			Schatz der Kirche ist aber nun einmal nicht die Moral, sondern das 
			Evangelium von Jesus Christus und das gehört in der Kirche deshalb 
			mit allen Kräften wertgeschätzt und die Menschen, die das Evangelium 
			hören und tun und es weitertragen und weitersagen. Dann wird sich 
			alles andere daraus ergeben.  
			 
			„Denn es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche 
			sei, nämlich die heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres 
			Hirten Stimme hören.“ (Martin Luther: Die Schmalkaldischen Artikel, 
			1537, Luther-W Bd. 3, S. 366) Das muss die Kirche sein dürfen, ohne 
			dass es jemand in ihr und neben ihr als unzumutbare Zumutung 
			empfindet. Wer solches in der Kirche als Zumutung empfindet, der 
			setzt sich dem Verdacht aus, dass er selbst zu den selbsternannten 
			Hirten gehört, die gerne möchten, dass in der Kirche nicht die 
			Stimme des guten Hirten, sondern ihre eigene gehört wird. Tröstlich 
			ist, dass Schafe weder lammfromm noch dumm sind, und sehr wohl 
			merken, ob der, der zu ihnen redet mit der Stimme des guten Hirten 
			redet oder seine eigene Politik betreibt. Sie merken genau, ob der, 
			der ihnen predigt, ihnen den guten Hirten predigt oder das, was er 
			selbst im Schilde führt. Tröstlich am Brief des Hesekiel ist, dass 
			Gott dem Treiben der unfähigen Hirten nicht lange zuschaut.  
			 
			Und wir merken und begreifen ganz schnell, dass im Brief des 
			Hesekiel der einzige und wahre gute Hirte zu Wort kommt. Wenn wir 
			seine Worte hören, hat jede theologische Orientierungskrise ein 
			heilsames Ende: „Ich will das Verlorene wieder suchen und das 
			Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache 
			stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, 
			wie es recht ist.“ Am Hirtensonntag ist die Kirchenleitung 
			abgemeldet und unsere Sorge um uns, um die Kirche und um unsere 
			geschundene Welt dazu. Heute dürfen wir uns die Fürsorge Gottes 
			gefallen lassen, damit wir morgen wieder miteinander und mit unserer 
			Welt umgehen – hoffentlich so, wie es dem guten Hirten gefällt.  
		
      	Pfarrer Johannes Taig   
      (Hospitalkirche Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter 
      www.kanzelgruss.de)  | 
			
			 
			Text: 
			1 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 
			2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und 
			sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, 
			die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 
			3 Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und 
			schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 
			4 Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das 
			Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, 
			und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder 
			mit Gewalt. 
			5 Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und 
			sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. 
			6 Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und 
			sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach 
			ihnen fragt oder sie sucht. 
			7 Darum hört, ihr Hirten, des HERRN Wort! 
			8 So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Weil meine Schafe zum 
			Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, 
			weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde 
			nicht fragten, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine 
			Schafe nicht weideten, 
			9 darum, ihr Hirten, hört des HERRN Wort! 
			10 So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will 
			meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit 
			machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst 
			weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie 
			sie nicht mehr fressen sollen. 
			11 Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde 
			selbst annehmen und sie suchen. 
			12 Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde 
			verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten 
			von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und 
			finster war. 
			13 Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern 
			sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den 
			Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. 
			14 Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen 
			in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern 
			und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 
			15 Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern 
			lassen, spricht Gott der HERR. 
			16 Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte 
			zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken 
			und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es 
			recht ist. 
  
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