Predigt Hiob 14/1-6 Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres 11.11.18
"Wie Hiob lacht ..." |
Liebe Leser, der Schriftsteller Botho Strauß lässt in seinem Buch mit Kalendergeschichten einen modernen Hiob auftreten; einen Intellektuellen, den das Unglück trifft. Seine Familie zerbricht und die Frau nimmt den Sohn mit. Im leeren Kinderzimmer sehen wir ihn sitzen: „Mach nichts wie ich“, stammelte er mehrmals, und als er nicht weitersprechen konnte, schrieb er seine Worte auf einen Block. „Ich habe nach den Begriffen gelebt. Es ist aber besser, viele Sagen, Mythen, Geschichten zu besitzen, sie nicht bloß zu kennen, sondern wirklich zu besitzen. Das heißt: von ihnen besetzt und besessen zu sein. Damit kann jeder seine Familie beliebig vergrößern. Sein Typ mitsamt seinem Unglück bekommt eine Menge Geschwister. Onkel und Väter, Vorgänger, Ahnen, einen ganzen Clan, zu dem er gehört und der im Notfall ihm beisteht. Damit du nicht nackt und abstrakt dastehst, wenn dir einmal etwas so Unbegreifliches passiert wie mir. Wenn man viele Geschichten besitzt, wird man sich immer an eine andere, sehr alte, sehr ähnliche erinnern und ein wenig Trost finden bei seiner jahrhundertealten Verwandtschaft, bei seiner Familie. Alles, was dir als ein grausamer Zufall erscheint, der dich in furchtbarer Vereinzelung trifft, ist in Wahrheit nichts als eine Erinnerungslücke: weil dein Hirn den Zusammenhang mit der großen Geschichte des menschlichen Unglücks verlor. Nicht herstellen kann. Nicht parat hat. Und auch deine Mutter nestelt jetzt euer neues Nest aus altem Plunder, aus dem Plunder uralter Neuanfangsgeschichten. Jeder Angstschrei des Hasen, den man hetzt/eine Faser im menschlichen Hirn zerfetzt. Und dann setzt die Verwirrung ein. Die Engel sind übrigens deshalb so klein, weil sie auf den Kern des Guten geschrumpft sind.“ (Botho Strauß, Mikado, Hanser, 2006, S.101f.) Bange muss einem werden, bei den Klagen des antiken und des modernen Hiob, die sich im „Zusammenhang der großen Geschichte des menschlichen Unglücks“ wiederfinden und deren letzter Trost darin besteht, dass es überhaupt einen Zusammenhang gibt und das eigene Unglück und der eigene Tod nicht etwas Vereinzeltes sind, sondern das Allgemeine. Dem modernen Hiob sind die Engel geschrumpft und der antike verbittet sich Gott als himmlischen Glotzer und Gaffer, der sich auch noch anmaßt, dieses kurze und zwangsläufig vergehende Leben mit Forderungen und Kommentaren zu stören. „Hiob gehört nicht auf die Kanzel. Hiob gehört unter die Kanzel“, schreibt ein Ausleger lapidar. (Dr. Gerhard Hennig, GPM, Heft 4, 3/2006, S. 456) Um aber gleich zu vermuten, dass Hiob sich eine solche Platzanweisung wohl kaum gefallen lassen würde. „Hiob und wer so dran ist wie Hiob, braucht keine Belehrung – die hat er genug an seinen Freunden. Was Hiob braucht, das braucht er wie wir, und er sagt es auch: seine Ruhe, seinen Frieden.“ (ebd.) Haben wir den Mut, Hiob auf der Kanzel oder auch in der Kirchenbank einmal ausreden zu lassen? Ohne in die unerbittliche Milde seiner „leidigen Tröster“ (Hiob 16,2) zu verfallen, die auch in der Kirche gerne lustig und fröhlich sein möchten und alles daran setzen, diesen Hiob so in die Arme zu nehmen, dass er selbst kein Wort mehr herausbringt? Erstickend sind solche Umarmungen mit leeren Worten des Trostes. Wir sollten uns vor ihnen in Acht nehmen. Weiß doch Hiob nur zu gut, dass es etwas völlig anderes ist, aus der Stellung des eigenen Glücks das Elend der anderen zu sehen, als aus der Position des eigenen Unglücks das Glück der anderen. Spätestens da erweist sich das Glück als schnell verwelkte Blüte, als Eintagsfliege, als windige Herberge, die der Sturm des Menschenschicksals im wahrsten Sinne des Wortes bald schon, sehr bald schon, dem Erdboden gleich macht. Weiß Hiob doch auch, dass das Leben keinen von uns an solchen Einsichten vorbeiführt, sondern dass wir alle – all den ewig jungen, strahlenden Gesichtern, die über unsere Bildschirme flimmern zum Trotz – früher oder später unsere ganz persönliche Begegnung mit den Abgründen des Lebens haben werden. Deshalb fanden es die KonfirmandInnen und Konfirmanden ganz gut, dass wir uns im Unterricht jetzt im November nicht mit zu früh angekommenen Nikoläusen, sondern mit dem Tod beschäftigt haben. Das will ja keiner so recht, bevor er nicht muss. Und deshalb hat es ja Hiob auch so schwer, auf der Kanzel oder auch nur in der Kirchenbank einmal zu Wort zu kommen. Dabei wäre hier in der Kirche doch gerade der richtige Ort. Hier vor dem Angesicht Gottes. Denn wem sollten wir mit Hiob sonst unser schweres Herz ausschütten? Wem sollten wir sonst unsere unruhevolle und todgeweihte Existenz vor die Füße schmeißen, wenn nicht dem, der für sie verantwortlich ist? Dem Schöpfer, der die Idee hatte zu dieser „großen Geschichte des menschlichen Unglücks“? Und der dieser Geschichte so undurchschaubar die Termine setzt, die Zahl der Monde, das letzte Ziel, das keiner überschreiten kann? Ja, ist die rechte Kleidung im Gottesdienst wirklich das „Sonntagszeug“ mit dem man auch im Theater, im Rathaus oder bei Hofe erscheint? Wäre die rechte Kleidung im Gottesdienst nicht besser das letzte Hemd des Hiob oder noch besser: unser eigenes letztes Hemd, das bekanntlich keine Taschen hat? Müssten wir uns nicht selbst als Dankopfer einlegen und all die dicken Fragezeichen gleich mit, die Schicksal, Schuld und Tod hinter unser Leben gesetzt haben? Müssten wir nicht die Kirchenbänke hinausschaffen, damit man sich im Gotteshaus mit Hiob so richtig in den Staub schmeißen kann? Ich stelle mir vor wie Hiob das tut. Ich stelle mir vor, wie wir das tun. Ich sehe Hiob mit dem Gesicht auf der Erde. Ich sehe, wie er blinzelt. Und ich blinzle mit. Ein Auge wenigstens ist hinauf zu diesem Gott gerichtet. Eine Hoffnung ist noch geblieben: Die Hoffnung, dass Gott die Bitte des Hiob, ihn gefälligst in Ruhe zu lassen, doch nicht erfüllt. Dass Gott für Hiob und uns noch einen anderen Zusammenhang kennt, als den mit der „großen Geschichte des menschlichen Unglücks“. Dass der Gott, der uns die Termine setzt, sich als Gott erweist, der auch dem Unglück, dem Leid, dem Tod die Termine setzt. (vgl. Hennig, ebd.) Wer mit Hiob durch die Kirche schaut, wird diese Hoffnung entdecken. Am Kruzifix wird Hiob stehen bleiben und fragen, wer das wohl sei, dieses Unglück im Unglück, dieser Bruder im Tod. Und dann werden wir ihm und uns und all der nach Freiheit seufzenden Kreatur diese Geschichte hoffentlich zu erzählen wissen. Die Geschichte, in der Gott selbst in Zusammenhang kam mit der großen Geschichte des menschlichen Unglücks. Und selbst vor dem letzten Zusammenhang nicht Halt machte: dem Tod. Und wie der dem Erdboden gleichgemachte Christus sich aus dem Staub wieder erhob, um auch Hiob und uns und aller Kreatur die Hand zu reichen. Wie er die geschrumpften Engel einer trostlosen Welt wieder wachsen ließ, damit sie als seine Engel an unseren Kinderbetten und an unseren Sterbebetten stehen und alles überragen, was uns aus Gottes Hand reißen will. Alle Menschen müssen sterben. Aber wohl dem, der dann eine helfende Hand und ein freundliches Wort nicht vermissen muss. Menschen eben, die den Zusammenhang mit der großen Geschichte des menschlichen Unglücks im Herzen parat haben und eine Hand, die die Hand des anderen hält, statt sie ängstlich und feige zurückzuziehen. Solidarität im Unglück. Geschwister im Tod. Auch schon ein Trost. Aber um wie vieles besser, wenn wir im Glauben parat haben, dass Gott sich in Zusammenhang gesetzt hat mit unserer Geschichte und unsere Hand auch im Tod nicht losgelassen hat, damit er und wir eine gemeinsame Zukunft haben. Gott hat in Christus einer verlorenen Welt und dem Herrn aller Herren, dem Tod, die Termine gesetzt. Seither gilt: Nicht das Leben hat Grenzen, sondern der Tod. Und wer fällt, wie wir alle, fällt nicht in Nichts, sondern dem lebendigen Gott in die Hand. Dort werden wir alle einmal sehen, wie Hiob lacht.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) |
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