Predigt     Hiob 14/1-6     Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres    11.11.12

"Der Herr hat's gegeben!"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

wir hören heute Worte von Hiob, einem Mann im Alten Testament. Ein ganzes Buch ist nach ihm benannt - ein Buch, das selten gelesen wird, ja, das häufig gemieden wird! Warum? Weil da einer sagt, was keiner gerne hört: Da klagt ein Mensch am Rande der Verzweiflung; da verklagt ein Mensch Gott wegen der schier unmenschlichen Schicksalsschläge, die sein ganzes Leben zerstört haben, und fragt: Warum? ... und das tut Hiob in 19 von 42 Kapiteln dieses Buches. So etwas hört man nicht gerne, und so etwas liest sich auch nicht leicht, weil wenn man so etwas Ähnliches wie Hiob schon erlebt hat, dann möchte man häufig nicht daran erinnert werden. Und derjenige, der so etwas noch nicht erlebt hat, dass er so gänzlich ins Bodenlose gestürzt ist, der beschäftigt sich in der Regel mit anderen Gedanken als mit dem Nachdenken über eine mögliche Lebenskrise.

Nein, Hiob ist keine allgemeine beliebte Figur des Alten Testamentes, und das Buch Hiob wird wohl sicher nie ein populärer Bestseller werden. Aber Hiob ist Teil der Heiligen Schrift! Und das heißt: in diesem Buch ist für uns ein kostbarer Schatz aufbewahrt: ein kostbarer Schatz an Lebens- und Glaubenserfahrung!

Ich möchte das (kurz) verdeutlichen: Lebens- und Glaubenserfahrung insofern, weil es ja stimmt: Krisen gehören zum Leben! Und wenn ich jetzt Krisen sage, dann meine ich Glaubenskrisen. Und Glaubenskrisen treffen einen im Innersten. Nicht alles und jedes Unglück ist deshalb gleich eine Glaubenskrise. Wenn außen etwas zusammenbricht, bricht nicht immer der Mensch auch gleich innerlich zusammen. Aber bei einer Glaubenskrise, da erwischt es einen richtig, da gerät der Boden unter mir ins Wanken, da tut es weh, da weiß ich nicht mehr aus und ein! Weil, ja weil mir der Sinn meines Lebens verlorengegangen ist! Oder weil er mir genommen worden ist! So wie bei Hiob, der es in seinem Leben zu allem gebracht hat und der alles an einem Tag verliert: seinen gesamten Besitz, alle seine Kinder, schließlich auch noch seine Gesundheit. Im Staub sitzt Hiob und fragt laut, warum Gott ihn so straft.

Diesen Anblick auszuhalten von diesem Hiob „in Sack und Asche“, der nicht mehr tiefer sinken kann und nicht die Augen zuzumachen oder gar den Blick abzuwenden, die Klage des Hiob, seinen Aufschrei zu hören, und nicht die Ohren davor verstopfen, das ist der erste kostbare Schatz, der im Buch Hiob aufbewahrt ist. Wohl zuallererst denen zur Ehre und zum Trost, die wie Hiob im Staube sitzen und aufschreien wie er. Für die anderen, für uns, die wir die ganze Heilige Schrift ernst nehmen, ist und bleibt Hiob die Herausforderung, hinzuschauen und hinzuhören! Weil, ja weil kein Mensch im Leben sicher sein kann, nicht eines Tages neben Hiob im Staube zu sitzen und zu klagen wie er! So wie heute viele Menschen im türkisch-syrischen Grenzgebiet und in so vielen anderen Gegenden der Welt und so mancher auch bei uns.

Ich lese aus dem Buch Hiob. Text (siehe rechts Spalte)

Hiob ist müde und verbittert. Er versteht es nicht! Was er erlebt ist sinnloses Leiden, unschuldiges Leiden. Und so fragt er zu Recht, ob denn lediglich die Tatsache, dass er Mensch ist (ein „Unreiner“), eine solche Bestrafung rechtfertigt. Denn als Bestrafung erlebt er sein Unglück, als ein Gericht Gottes! Aber warum macht Gott das? Und warum mir? Hiob kommt von dieser Frage nicht mehr los. Er spielt sie durch, nein: er kaut sie durch - mit dem ganzen bitteren Beigeschmack unverschuldeten, sinnlosen Leidens: Warum tut Gott das? Ist das Leben nicht kurz genug - wie eine Blume, die kurz aufblüht und dann „abfällt“, wie ein Schatten, der nicht bleibt?! Reicht es nicht, dass der Mensch, dass alles vergänglich ist und dass jeder voll Unruhe ist, weil er eines Tages sterben muss? Muss Gott da noch extra draufhauen und willkürlich Menschen in Gericht und Krisen stoßen?

Hiob bekommt Besuch von seinen Freunden. Sie wollen ihn trösten. Wunderschön wird am Anfang des 2. Kapitels berichtet, wie sie ihn aufsuchen und sich zunächst 7 Tage und 7 Nächte zu ihm in den Staub setzen, ohne ein Wort zu reden, „weil sie sahen, wie groß sein Schmerz war“. Wer auch immer in die Situation kommt, einen anderen Menschen trösten zu wollen, der möge die erste Regel des Tröstens am Verhalten der Freunde ablesen: den Schmerz des anderen erst einmal anschauen und aushalten - mit dem anderen, bei dem anderen. Und das ohne gleich loszureden. Denn in der Regel sind Worte, sind Ratschläge, sind unsere Tröstungsversuche zwar gut gemeint, aber keine Hilfe, kein wirklicher Trost für den Betroffenen. Häufig drücken unser Worte eher unsere eigene Hilflosigkeit aus.

Das gilt dann auch für die verschiedenen Trostversuche der Freunde Hiobs. Sie sind Antwortversuche auf Hiobs Frage. Und das Buch Hiob lässt keinen Zweifel daran, dass die Antworten von Elifas, Bildad und Zofar und Elihu keine Antworten sind, auch theologisch keine Antworten sind. Es ist eben kein Trost für einen Hiob, wenn Elifas ihn daran erinnert, dass er das schon schafft: „Glaub‘ nur an Gott, wie du es immer getan hast!“ Das ist kein Trost, wenn man gerade den Glauben verloren hat. Es ist auch kein Trost für einen Hiob, wenn Bildad ihn daran erinnert, dass Gott doch barmherzig ist, und dass eines Tages auch der Mund von Hiob wieder voll Lachens sein wird. „Irgendwann wird das vorbei sein“ ist kein Trost für jemanden, der an der Gegenwart verzweifelt. Und es ist auch kein Trost für einen Hiob, wenn Zofar ihn daran erinnert, dass er viel zu klein ist, um Gottes Wege zu verstehen. „Füg‘ dich in dein Schicksal!“ ist kein Trost für jemanden, dessen Seele nach Gerechtigkeit schreit.

Was aber kann man dann sagen? Kann man überhaupt etwas von außen dazu sagen? Muss nicht jeder Betroffene, jeder Hiob, seine eigene Antwort finden nach dem je eigenen Sinn seiner Gerichtserfahrung?

Das Buch Hiob macht in meinen Augen drei Antwortversuche, wie Menschen die Erfahrung von Gericht persönlich verstehen können. Ich sage „können“ und weiß, dass viele Menschen ihre Krisenerfahrung eben nicht so verstehen konnten oder können, dass sie unverständlich bleiben und sinnfern, und dass sie ihren Glauben sprachlos gemacht haben. Das warnt vor dem Glauben, als könne einem Christen das nicht passieren: dass er seinen Glauben verliert. Keiner weiß, ob sich sein Glaube bewährt, wenn er in die Krise gerät. Deshalb sind die 3 Antworten im Hiob-Buch Angebote, ja Hoffnungszeichen an der Grenze, was man auch an Erfahrung machen kann.

Ich kann die 3 Antworten nur andeuten, in 3 altertümlichen Sätzen: Erstens: Not lehrt beten!

Damit ist nicht gemeint: Erst wenn’s uns dreckig geht, fängt der Mensch wieder an, an Gott zu denken. Nein, Not lehrt beten meint: Not, Krise, Leid und Anfechtungen zentrieren, führen in die Mitte, lassen uns nach dem Wesentlichen fragen. Ein jeder kennt das: Schon banale Zahnschmerzen, erst recht Kummer oder Krankheit oder Ängste führen nach innen. Was vorher vermeintlich wichtig war, verliert an Glanz. Not macht wesentlich und führt ins Land der Sinnfrage. Not nimmt das Tempo raus, unterbricht unsere Geschäftigkeit. Not stellt vor Gott und lässt nach Sinn und Halt fragen. Und manchmal klingen dann auch die vertrauten Texte der Bibel neu, schöpft man aus einem längst abgesungenen Lied neue Kraft.

Zweitens: Not lehrt Demut.

Wirklicher Kummer, wahre In-Frage-Stellungen, echtes Leid führen uns an die Grenzen des Machbaren. Das Bücherbord mit der Lebenshilfe-Literatur für alle Fälle wird schmal, die Handlungsoptionen werden eng, alle Fast-Food-Lösungen verblassen vor dem Ernst des Kummers. Es gibt keine schnellen Lösungen mehr; der „homo faber“, der Machermensch, entdeckt seine Grenzen. Dieser Punkt ist missverständlich, deswegen betone ich: Es geht nicht darum, sich auszustrecken im warmen Bett des Selbstmitleids. Es geht darum, den Kummer anzusehen, auszuhalten, durchzustehen, also zu klagen, ohne anzuklagen, Schuld zu sehen, ohne Schuldige zu benennen, Leid zu spüren, ohne Sündenböcke zu brauchen. Demütig werden wir, wenn wir über uns, nicht über die anderen weinen, wenn wir uns ehrlich ansehen müssen, weil wir uns nicht so schnell verändern können. Demut ist dort, wo wir nicht mehr wehklagen über das Leid, das Gott oder die anderen oder wer auch immer uns zugefügt hat, sondern wenn wir klagen müssen über das, was wir Gott, den anderen und auch uns selbst nicht ersparen konnten.

Drittens: Not lehrt Glauben.

Wenn wir diese Tiefe, diese Grundsätzlichkeit erreichen, wenn uns Krankheit oder Krise zu diesem Kern geführt haben, dann ahnen wir plötzlich etwas von dem Satz: Not lehrt Glauben! Denn in dieser Grundsätzlichkeit kann uns der Gott vor die Augen des Herzens treten, der auch Leid verwandeln kann, der auch dem Tod Leben abringen kann, der auch nach Sterben, Abschied und Eingraben Auferstehung schaffen kann. Dass wir in der Tiefe unseres Leides, unserer Krankheit, unserer Krisen auf Gott vertrauen, der auch die dunklen Kräfte zum Hellen wenden kann, der auch die Schatten gebrauchen kann als Wegweiser zum Licht, das ist ein Stück Glaube, den die Not lehren kann.

Natürlich kann niemand diesen Gott erklären, berechnen, einplanen; er geht über unsere Hutschnur und über unseren Verstand. Aber wir können uns daran erinnern lassen, dass die Väter und Mütter des Glaubens diesen Gott vor Augen hatten, als sie seinen Sieg über Leid und Geschrei und Schmerz beschrieben. Dort, wo wir nicht mehr handeln und machen können, sind wir geworfen auf die Güte des Lebens selbst, und wir können nur glauben und hoffen, dass in der Tiefe des Diesseits letztlich ein Gott regiert, der es gut mit uns meint, ein Gott, der uns trotz und durch Kummer ins Licht bringen will, der vielleicht keine Lösungen, wohl aber Leuterungen bringen kann, der keine Zaubereien wohl aber Häutungen schenken kann. Auch diese Auferstehung mitten im Leben ist keine Garantie, und der Weg ins Licht ist zumeist anders, als wir uns das wünschen und ausdenken. Aber dass Gott niemanden hängen lässt und dass er auch größten Kummer in Sinn und Halt verwandeln kann, das ist der Kern des Glaubens, der in der Not besteht.

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe,
2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.
4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!
5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:
6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
 


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