Liebe Leser,
wir hören heute Worte von Hiob, einem Mann im Alten Testament. Ein
ganzes Buch ist nach ihm benannt - ein Buch, das selten gelesen
wird, ja, das häufig gemieden wird! Warum? Weil da einer sagt, was
keiner gerne hört: Da klagt ein Mensch am Rande der Verzweiflung; da
verklagt ein Mensch Gott wegen der schier unmenschlichen
Schicksalsschläge, die sein ganzes Leben zerstört haben, und fragt:
Warum? ... und das tut Hiob in 19 von 42 Kapiteln dieses Buches. So
etwas hört man nicht gerne, und so etwas liest sich auch nicht
leicht, weil wenn man so etwas Ähnliches wie Hiob schon erlebt hat,
dann möchte man häufig nicht daran erinnert werden. Und derjenige,
der so etwas noch nicht erlebt hat, dass er so gänzlich ins
Bodenlose gestürzt ist, der beschäftigt sich in der Regel mit
anderen Gedanken als mit dem Nachdenken über eine mögliche
Lebenskrise.
Nein, Hiob ist keine allgemeine beliebte Figur des Alten
Testamentes, und das Buch Hiob wird wohl sicher nie ein populärer
Bestseller werden. Aber Hiob ist Teil der Heiligen Schrift! Und das
heißt: in diesem Buch ist für uns ein kostbarer Schatz aufbewahrt:
ein kostbarer Schatz an Lebens- und Glaubenserfahrung!
Ich möchte das (kurz) verdeutlichen: Lebens- und Glaubenserfahrung
insofern, weil es ja stimmt: Krisen gehören zum Leben! Und wenn ich
jetzt Krisen sage, dann meine ich Glaubenskrisen. Und Glaubenskrisen
treffen einen im Innersten. Nicht alles und jedes Unglück ist
deshalb gleich eine Glaubenskrise. Wenn außen etwas zusammenbricht,
bricht nicht immer der Mensch auch gleich innerlich zusammen. Aber
bei einer Glaubenskrise, da erwischt es einen richtig, da gerät der
Boden unter mir ins Wanken, da tut es weh, da weiß ich nicht mehr
aus und ein! Weil, ja weil mir der Sinn meines Lebens
verlorengegangen ist! Oder weil er mir genommen worden ist! So wie
bei Hiob, der es in seinem Leben zu allem gebracht hat und der alles
an einem Tag verliert: seinen gesamten Besitz, alle seine Kinder,
schließlich auch noch seine Gesundheit. Im Staub sitzt Hiob und
fragt laut, warum Gott ihn so straft.
Diesen Anblick auszuhalten von diesem Hiob „in Sack und Asche“, der
nicht mehr tiefer sinken kann und nicht die Augen zuzumachen oder
gar den Blick abzuwenden, die Klage des Hiob, seinen Aufschrei zu
hören, und nicht die Ohren davor verstopfen, das ist der erste
kostbare Schatz, der im Buch Hiob aufbewahrt ist. Wohl zuallererst
denen zur Ehre und zum Trost, die wie Hiob im Staube sitzen und
aufschreien wie er. Für die anderen, für uns, die wir die ganze
Heilige Schrift ernst nehmen, ist und bleibt Hiob die
Herausforderung, hinzuschauen und hinzuhören! Weil, ja weil kein
Mensch im Leben sicher sein kann, nicht eines Tages neben Hiob im
Staube zu sitzen und zu klagen wie er! So wie heute viele Menschen
im türkisch-syrischen Grenzgebiet und in so vielen anderen Gegenden
der Welt und so mancher auch bei uns.
Ich lese aus dem Buch Hiob. Text (siehe rechts
Spalte)
Hiob ist müde und verbittert. Er versteht es nicht! Was er erlebt
ist sinnloses Leiden, unschuldiges Leiden. Und so fragt er zu Recht,
ob denn lediglich die Tatsache, dass er Mensch ist (ein „Unreiner“),
eine solche Bestrafung rechtfertigt. Denn als Bestrafung erlebt er
sein Unglück, als ein Gericht Gottes! Aber warum macht Gott das? Und
warum mir? Hiob kommt von dieser Frage nicht mehr los. Er spielt sie
durch, nein: er kaut sie durch - mit dem ganzen bitteren
Beigeschmack unverschuldeten, sinnlosen Leidens: Warum tut Gott das?
Ist das Leben nicht kurz genug - wie eine Blume, die kurz aufblüht
und dann „abfällt“, wie ein Schatten, der nicht bleibt?! Reicht es
nicht, dass der Mensch, dass alles vergänglich ist und dass jeder
voll Unruhe ist, weil er eines Tages sterben muss? Muss Gott da noch
extra draufhauen und willkürlich Menschen in Gericht und Krisen
stoßen?
Hiob bekommt Besuch von seinen Freunden. Sie wollen ihn trösten.
Wunderschön wird am Anfang des 2. Kapitels berichtet, wie sie ihn
aufsuchen und sich zunächst 7 Tage und 7 Nächte zu ihm in den Staub
setzen, ohne ein Wort zu reden, „weil sie sahen, wie groß sein
Schmerz war“. Wer auch immer in die Situation kommt, einen anderen
Menschen trösten zu wollen, der möge die erste Regel des Tröstens am
Verhalten der Freunde ablesen: den Schmerz des anderen erst einmal
anschauen und aushalten - mit dem anderen, bei dem anderen. Und das
ohne gleich loszureden. Denn in der Regel sind Worte, sind
Ratschläge, sind unsere Tröstungsversuche zwar gut gemeint, aber
keine Hilfe, kein wirklicher Trost für den Betroffenen. Häufig
drücken unser Worte eher unsere eigene Hilflosigkeit aus.
Das gilt dann auch für die verschiedenen Trostversuche der Freunde
Hiobs. Sie sind Antwortversuche auf Hiobs Frage. Und das Buch Hiob
lässt keinen Zweifel daran, dass die Antworten von Elifas, Bildad
und Zofar und Elihu keine Antworten sind, auch theologisch keine
Antworten sind. Es ist eben kein Trost für einen Hiob, wenn Elifas
ihn daran erinnert, dass er das schon schafft: „Glaub‘ nur an Gott,
wie du es immer getan hast!“ Das ist kein Trost, wenn man gerade den
Glauben verloren hat. Es ist auch kein Trost für einen Hiob, wenn
Bildad ihn daran erinnert, dass Gott doch barmherzig ist, und dass
eines Tages auch der Mund von Hiob wieder voll Lachens sein wird.
„Irgendwann wird das vorbei sein“ ist kein Trost für jemanden, der
an der Gegenwart verzweifelt. Und es ist auch kein Trost für einen
Hiob, wenn Zofar ihn daran erinnert, dass er viel zu klein ist, um
Gottes Wege zu verstehen. „Füg‘ dich in dein Schicksal!“ ist kein
Trost für jemanden, dessen Seele nach Gerechtigkeit schreit.
Was aber kann man dann sagen? Kann man überhaupt etwas von außen
dazu sagen? Muss nicht jeder Betroffene, jeder Hiob, seine eigene
Antwort finden nach dem je eigenen Sinn seiner Gerichtserfahrung?
Das Buch Hiob macht in meinen Augen drei Antwortversuche, wie
Menschen die Erfahrung von Gericht persönlich verstehen können. Ich
sage „können“ und weiß, dass viele Menschen ihre Krisenerfahrung
eben nicht so verstehen konnten oder können, dass sie unverständlich
bleiben und sinnfern, und dass sie ihren Glauben sprachlos gemacht
haben. Das warnt vor dem Glauben, als könne einem Christen das nicht
passieren: dass er seinen Glauben verliert. Keiner weiß, ob sich
sein Glaube bewährt, wenn er in die Krise gerät. Deshalb sind die 3
Antworten im Hiob-Buch Angebote, ja Hoffnungszeichen an der Grenze,
was man auch an Erfahrung machen kann.
Ich kann die 3 Antworten nur andeuten, in 3 altertümlichen Sätzen:
Erstens: Not lehrt beten!
Damit ist nicht gemeint: Erst wenn’s uns dreckig geht, fängt der
Mensch wieder an, an Gott zu denken. Nein, Not lehrt beten meint:
Not, Krise, Leid und Anfechtungen zentrieren, führen in die Mitte,
lassen uns nach dem Wesentlichen fragen. Ein jeder kennt das: Schon
banale Zahnschmerzen, erst recht Kummer oder Krankheit oder Ängste
führen nach innen. Was vorher vermeintlich wichtig war, verliert an
Glanz. Not macht wesentlich und führt ins Land der Sinnfrage. Not
nimmt das Tempo raus, unterbricht unsere Geschäftigkeit. Not stellt
vor Gott und lässt nach Sinn und Halt fragen. Und manchmal klingen
dann auch die vertrauten Texte der Bibel neu, schöpft man aus einem
längst abgesungenen Lied neue Kraft.
Zweitens: Not lehrt Demut.
Wirklicher Kummer, wahre In-Frage-Stellungen, echtes Leid führen uns
an die Grenzen des Machbaren. Das Bücherbord mit der
Lebenshilfe-Literatur für alle Fälle wird schmal, die
Handlungsoptionen werden eng, alle Fast-Food-Lösungen verblassen vor
dem Ernst des Kummers. Es gibt keine schnellen Lösungen mehr; der
„homo faber“, der Machermensch, entdeckt seine Grenzen. Dieser Punkt
ist missverständlich, deswegen betone ich: Es geht nicht darum, sich
auszustrecken im warmen Bett des Selbstmitleids. Es geht darum, den
Kummer anzusehen, auszuhalten, durchzustehen, also zu klagen, ohne
anzuklagen, Schuld zu sehen, ohne Schuldige zu benennen, Leid zu
spüren, ohne Sündenböcke zu brauchen. Demütig werden wir, wenn wir
über uns, nicht über die anderen weinen, wenn wir uns ehrlich
ansehen müssen, weil wir uns nicht so schnell verändern können.
Demut ist dort, wo wir nicht mehr wehklagen über das Leid, das Gott
oder die anderen oder wer auch immer uns zugefügt hat, sondern wenn
wir klagen müssen über das, was wir Gott, den anderen und auch uns
selbst nicht ersparen konnten.
Drittens: Not lehrt Glauben.
Wenn wir diese Tiefe, diese Grundsätzlichkeit erreichen, wenn uns
Krankheit oder Krise zu diesem Kern geführt haben, dann ahnen wir
plötzlich etwas von dem Satz: Not lehrt Glauben! Denn in dieser
Grundsätzlichkeit kann uns der Gott vor die Augen des Herzens
treten, der auch Leid verwandeln kann, der auch dem Tod Leben
abringen kann, der auch nach Sterben, Abschied und Eingraben
Auferstehung schaffen kann. Dass wir in der Tiefe unseres Leides,
unserer Krankheit, unserer Krisen auf Gott vertrauen, der auch die
dunklen Kräfte zum Hellen wenden kann, der auch die Schatten
gebrauchen kann als Wegweiser zum Licht, das ist ein Stück Glaube,
den die Not lehren kann.
Natürlich kann niemand diesen Gott erklären, berechnen, einplanen;
er geht über unsere Hutschnur und über unseren Verstand. Aber wir
können uns daran erinnern lassen, dass die Väter und Mütter des
Glaubens diesen Gott vor Augen hatten, als sie seinen Sieg über Leid
und Geschrei und Schmerz beschrieben. Dort, wo wir nicht mehr
handeln und machen können, sind wir geworfen auf die Güte des Lebens
selbst, und wir können nur glauben und hoffen, dass in der Tiefe des
Diesseits letztlich ein Gott regiert, der es gut mit uns meint, ein
Gott, der uns trotz und durch Kummer ins Licht bringen will, der
vielleicht keine Lösungen, wohl aber Leuterungen bringen kann, der
keine Zaubereien wohl aber Häutungen schenken kann. Auch diese
Auferstehung mitten im Leben ist keine Garantie, und der Weg ins
Licht ist zumeist anders, als wir uns das wünschen und ausdenken.
Aber dass Gott niemanden hängen lässt und dass er auch größten
Kummer in Sinn und Halt verwandeln kann, das ist der Kern des
Glaubens, der in der Not besteht.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze
Zeit und ist voll Unruhe,
2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und
bleibt nicht.
3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor
dir ins Gericht ziehst.
4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!
5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und
hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:
6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt,
auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
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