Predigt    Jeremia 7/1-11    10. Sonntag nach Trinitatis    19.08.01

"Das Leben - ein einziger Entschädigungsfall?"

Liebe Leser,

lassen sie mich mit einem Auszug aus einer Predigt beginnen und überlegen sie einmal in welchem Jahr sie gehalten wurde: 

„Liebe Freunde, wir ahnen vielleicht wieder etwas davon, dass die Frage nach Gott mehr ist als eine Ansichtssache, dass diese Frage nicht damit beantwortet ist, dass wir uns Rechenschaft darüber geben, was wir uns für Gedanken über Gott machen; denn das wäre und war immer eine recht harmlose Angelegenheit ... Manch einer hat sich eine Gottesanschauung gebildet, wie wir uns eine Weltanschauung oder eine Lebensanschauung zurechtlegen nach der Melodie: „Das Bessere ist der Feind des Guten“, und darum hält das alles nur solange vor, bis uns etwas Besseres oder Richtigeres in den Kopf gekommen ist. 

Heute wird fabrikmäßig Weltanschauung gemacht, und die bleibt genau so lange am Leben wie die Macht, die über uns bestimmt, besteht. Aber die Frage nach Gott wird auf diese Weise, mit solcher Weltanschauung niemals beantwortet; da ist die Frage nach Gott überhaupt noch nicht gestellt!

Die taucht erst da auf, wo wir uns der Wirklichkeit bewusst werden, dass wir es mit dem lebendigen Gott zu tun haben; wenn wir begreifen, dass gar nicht wir es sind, die die Frage nach Gott stellen, sondern dass Gott die Frage nach uns stellt, dass wir die Gefragten sind, dass wir uns zu rechtfertigen haben vor ihm, mit dem was wir tun ...

Nun heißt die Gottesfrage: „Was denkt Gott über uns? Was will Gott von uns? Was sagt Gott von uns?“ Da geht es nicht um unsere Gottesanschauung, um unsere Lebensanschauung, sondern um Gott selber und um das Leben selber! Und das ist die Frage, die uns heute mit allem Ernst begegnet ...“(aus: GPM 2, 2001, 55.Jahrg., Heft 3, S. 339f.)

Zu dieser Predigt könnte uns auch heute eine Menge einfallen. Gehalten hat sie der Pfarrer und Kämpfer der Bekennenden Kirche Martin Niemöller in der Christuskirche in Berlin-Dahlem am 6. Juni 1937. 

Was er dann erleben musste, war der frenetisch gefeierte und größenwahnsinnige Aufbruch des deutschen Volkes in eine scheinbar goldene Zukunft, der in rauchenden Trümmern und unermesslicher Schande und Schuld endete. Auch Deutsche Christen haben zum Mord an 6 Millionen Juden nicht nur geschwiegen, sondern mit den Mördern durch ihr Tun und Unterlassen gemeinsame Sache gemacht. Auch Hofer Pfarrer haben von den Kanzeln ein Regime und seine Ideologie gefeiert, bei dem auch die Pläne für die Aus- und Gleichschaltung der Christen längst in der Schublade lagen. 

Am 13. August jährte sich zum 40. Mal der Bau der Berliner Mauer. In seiner Fernsehansprache sagte Bundespräsident Johannes Rau: „Die Berliner Mauer hat ungezählten Frauen und Männern Leid gebracht. Eltern und Kinder, Familien und Freunde wurden auseinander gerissen. Diese mörderische Grenze mitten durch Berlin und mitten durch Deutschland war das Kainsmal eines Regimes, das Machterhalt und Ideologie über Menschenrecht und Menschenwürde gestellt hat.“

In der Rückschau hat das Volk Israel das, was als die Katastrophe von 587 vor Christus in seine Geschichte einging, und das der Prophet Jeremia in unserem Predigtext unausweichlich kommen sah, ähnlich beurteilt: Das, was das Volk an eigenen Wünschen, eigenen Plänen, eigenen Ideologien, ja eigenen Gottesvorstellungen hatte, stand weit über dem, was Gott von seinem Volk wollte. Gegen das Gebrüll der eigenen weltlichen und frommen Utopien, hatte die Stimme Gottes keine Chance. 

Und heute? Ist das alles Geschichte? Hat die Stimme Gottes, hat das Leben selber – wie Martin Niemöller keineswegs beiläufig hinzufügt – eine Chance unsere mit allen möglichen neuen Ideologien und Heilsversprechungen zugekleisterten Ohren zu erreichen? Haben Fluten und Dürren und brennende Wälder, von denen wir täglich in Wort und Bild erfahren, eine Chance, uns davon zu überzeugen, dass wir noch andere Probleme haben, als unseren Wohlstand und den ungebremsten Fluss unseres Kapitals? Oder bleiben wir dabei ehr geneigt, Gott vor unser Gericht zu zitieren, statt unsere Ohren aufzusperren. Bleiben wir doch ehr die Prozesshansel, die rechtschutzversichert so lange streiten, bis die Schuld bei jemand anderem liegt. Das Leben – ein einziger Entschädigungsfall? 

In 500 Millionen Jahren – das haben Astronomen jüngst herausgefunden - wird die Sonne so stark scheinen, dass die Erde die lebensfreundliche Sphäre unseres Sonnensystems verlässt. Was noch lebt wird verbrennen und ersticken. Sollte es noch Menschen geben, werden die wahrscheinlich eine Schadenersatzklage in Billionenhöhe gegen den lieben Gott einreichen – dass im Himmel alle Engel vor Lachen unter den Tisch fallen. 

Dass wir das nicht mehr erleben, sollte uns nicht beruhigen. Hier zeigt die Wissenschaft uns einmal nicht unsere unbegrenzten Möglichkeiten, sondern die Begrenztheit, die Unverfügbarkeit der Welt und des Lebens. Solche Erkenntnisse entlarven unsere Allmachtphantasien und unsere Hoffnungen auf ewiges Wachstum. Sie führen uns die Börsen dieser Welt als Tollhäuser vor. 

Diese Welt ist und bleibt unbezahlbar. Sie ist Gottes Wunder und Geschenk, wie unser Leben. Es ist begrenzt und vergänglich und doch für unsere Sinne unendlich groß und unbegreifbar. Was für eine Anmaßung steckt darin – und auch ich erliege ihr ständig - dass wir unsere Welt sagen und unser Leben. Nein, es gehört uns nicht und die Erde wäre auch schön ohne den Menschen. Ein funkelnder blauer Edelstein in den Wüsten des Universums. Wer wollte das bestreiten. Dass Gott ihn nicht ohne den Menschen wollte, steht nicht in unserer Verfügung. 

„Liebe Freunde, wir ahnen vielleicht wieder etwas davon, dass die Frage nach Gott mehr ist als eine Ansichtssache, dass diese Frage nicht damit beantwortet ist, dass wir uns Rechenschaft darüber geben, was wir uns für Gedanken über Gott machen; denn das wäre und war immer eine recht harmlose Angelegenheit... wir (müssen) begreifen, dass gar nicht wir es sind, die die Frage nach Gott stellen, sondern dass Gott die Frage nach uns stellt, dass wir die Gefragten sind, dass wir uns zu rechtfertigen haben vor ihm, mit dem was wir tun ... Nun heißt die Gottesfrage: „Was denkt Gott über uns? Was will Gott von uns?“ (Niemöller, a.a.O.)

Wie sagt Jeremia? „Bessert euer Leben und euer Tun, dass ihr recht handelt einer gegen den andern und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen und nicht unschuldiges Blut vergießt an diesem Ort und nicht andern Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden“. Der große Geber und Schenker fordert nicht viel. Nicht mehr und nicht weniger, als dass wir unsere Welt, unsere Welt sein lassen; dass wir die Welt, die Gott mit uns teilt, auch untereinander teilen. 

Genau das haben wir Christen nicht im Stillen Kämmerlein zu sagen, sondern wie Jeremia in aller Öffentlichkeit: Gegen eine Mentalität, die immer den Politikern die Stimme gibt, deren Wahlprogramm die meisten Übereinstimmungen mit dem ganz persönlichen Wunschzettel an den Weihnachtsmann hat. Gegen eine Kultur, die das eigene Selbst und seine grenzenlosen Entfaltungsmöglichkeiten vergöttert und so die Wahrnehmung der Lebensumstände der anderen geradezu im Keim erstickt. Gegen eine Politik, die den Erhalt des gegenwärtigen Wohlstands auf Kosten künftiger Generationen gewährleisten will. Gegen eine Einstellung, die sich rühmt, für möglichst wenig Geld möglichst viel produziert und konsumiert zu haben, ohne wahrnehmen zu wollen, wer dafür auf dieser Welt mit Armut und Krankheit bezahlt hat. Gegen einen Stolz, der die Insignien der eigenen Nation und ihrer Leistungen anbetet

und dabei das Wunder vergisst, vor dem allein man nur auf die Knie fallen kann: Dass wir auf dieser Welt überhaupt die Augen aufschlagen dürfen und Gott aller Gnade wert sind. 

 Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

(1)Dies ist das Wort, das vom HERRN geschah zu Jeremia:
(2)Tritt ins Tor am Hause des HERRN und predige dort dies Wort und sprich: Höret des HERRN Wort, ihr alle von Juda, die ihr zu diesen Toren eingeht, den HERRN anzubeten!
(3)So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels: Bessert euer Leben und euer Tun, so will ich bei euch wohnen an diesem Ort.
(4)Verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel!
(5)Sondern bessert euer Leben und euer Tun, dass ihr recht handelt einer gegen den andern
(6)und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen und nicht unschuldiges Blut vergießt an diesem Ort und nicht andern Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden,
(7)so will ich immer und ewig bei euch wohnen an diesem Ort, in dem Lande, das ich euren Vätern gegeben habe.
(8)Aber nun verlasst ihr euch auf Lügenworte, die zu nichts nütze sind.
(9)Ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige und opfert dem Baal und lauft fremden Göttern nach, die ihr nicht kennt.
(10)Und dann kommt ihr und tretet vor mich in diesem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, und sprecht: Wir sind geborgen, - und tut weiter solche Gräuel.

(11)Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle? Siehe, ich sehe es wohl, spricht der HERR.


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