Predigt    Jeremia 8/4-7    Konfirmandenbeichte 2007    31.03.07

"Nadelmann lässt grüßen"
(von Pfr. Johannes Taig, Hospitalkirche)

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, liebe Gemeinde,

kennt ihr Sandor Nadelmann? Er ist der Held eines kleinen Nachrufs, den der Komiker Woody Allen verfasst hat. Allerlei Wunderlichkeiten werden diesem Nadelmann nachgesagt. Unter anderem auch dies: „Als Nadelmann mit meiner Tochter und mir einmal in der Mailänder Oper war, beugte er sich aus seiner Loge und fiel in den Orchestergraben. Zu stolz zuzugeben, dass das ein Missgeschick war, besuchte er die Oper einen Monat lang jeden Abend und wiederholte jedes Mal den Sturz. Bald zog er sich eine leichte Gehirnerschütterung zu . Ich machte ihm klar, dass er damit aufhören könne, da er seinen Zweck erreicht habe. Er sagte: Nein, noch ein paar Mal. Es ist wirklich gar nicht übel.“ (W. Allen, Nebenwirkungen, Rowohlt, 1983, S. 11)

Kürzlich lief im Fernsehen „The Day After“, ein Film über den Tag nach einer plötzlich hereinbrechenden Klimakatastrophe. Eine vom Menschen aufgeheizte Welt schlägt erbarmungslos und eiskalt zurück und wird unbewohnbar und menschenfeindlich. Nach dem Sturm Kyrill, der auch im Theresienstein wie mit einer riesigen Faust zugeschlagen und hundert Jahre alte Bäume in drei Meter Höhe einfach abrasiert hat, sind nun auch die letzten verstummt, die die Schuld des Menschen an den Veränderungen in der Natur bestreiten. Wir selbst sind es, die all diese apokalyptischen Schrecken fabrizieren. Und wollen dem durch Atomkraft abhelfen, die zwar keine Treibhausgase, aber Müll produziert, für den es noch kein sicheres Endlager gibt, weil er Tausende von Jahren lebensgefährlich strahlt.

Wann werden wir unseren Lebensstil und unsere Erfindungen endlich auf Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit hin überdenken? Wann werden wir sagen: Was haben wir getan? Oder werden wir weiter mit Nadelmann sagen: Nein, noch ein paar Mal. Es ist wirklich gar nicht übel?

Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Äußerst pessimistisch blickt Gott in unserm Predigttext auf sein Volk und attestiert ihm die notorische Unfähigkeit zur Einsicht in die eigene Schuld und zur Umkehr.

Umkehr, Buße, zwei typische Kirchenbegriffe, die wir – warum eigentlich? – immer mit sich klein machen, sich auf den Boden werfen, sich schlecht machen verbinden. Hier werden diese Begriffe einmal ganz anders gefüllt: mit aufrechtem Gang, mit Einsicht in den richtigen Weg. Dumm und blind erscheint der, der meint, Umkehr Buße und Beichte nicht nötig zu haben: Wie einer, der im Dreck liegen bleibt, wenn er hinfällt; wie einer der lieber umherirrt, statt die richtige Richtung zu finden: ein gedankenloser Aufgalopp in den eigenen Untergang. Immer schneller, immer weiter, immer höher, immer besser.

„Darüber hat sich später Martin Luther den Mund fusselig geredet“, so ein Ausleger, „dass das Gegenteil zum geknechteten Willen nicht der freie Wille ist, sondern die Frage, wessen Knecht der Mensch sein wolle: der Sklave welches Herrn. Da denkt ein Mensch wie du und ich: Frei sein heiße, keinen Herrn haben oder sein eigener Herr sein, das liege klar auf der Hand, im Licht der Aufklärung. Armes Pferd! Was reitet dich dann? Wenn nicht der Teufel, reitest dich selbst, wahrscheinlich zu Tode reiten dich beide“ (L. Steiger, zitiert nach GPM, 55. Jahrg., Heft 4, S.467).

Liebe Gemeinde, so kann nicht allgemein geredet werden. Solche Erkenntnis ist ohne Gott und sein Wort nicht erschwinglich. Gott ist es, der durch den Mund des Propheten uns Menschen „entdeckt“, wie es um uns steht. Und darin liegt das Erschreckende und das Tröstliche zugleich.

Erschreckend, weil hier von höchster Instanz eine letzte Erkenntnis über unsere menschliche Existenz und ihre Möglichkeiten ausgesprochen wird, die auf den ersten Blick nur desillusionierend und enttäuschend genannt werden kann. Eine Erkenntnis, die unsere Allmachtsphantasien und unser Vertrauen in die Kräfte des menschlichen Geistes und seinen ewigen Fortschritt als Illusion entlarvt: Wir werden immer wieder dort landen, wo wir nicht hinwollten. Und wir werden selbst schuld sein! Und wir werden uns, wie Nadelmann, immer wieder in den Orchestergraben stürzen, damit wir um diese Einsicht herumkommen und sagen: Noch ein paar Mal. Es ist wirklich gar nicht übel. Von solcher Sturheit hat unsere Welt leider schon mehr als eine Gehirnerschütterung davongetragen.

Tröstlich ist, dass solche Einsicht aus dem Mund Gottes kommt, der über solcher Einsicht nicht zum depressiven Menschenhasser wird. Liebevolle Bekümmerung spricht aus diesen Worten. Nicht die verächtliche Abwendung eines Besserwissers, der sich auf das Lorbeerblatt seiner moralischen Integrität zurückzieht, sondern Gottes beharrliche Zuwendung. Hier blutet das Herz aller Dinge uns Menschen zugewandt. Gott gibt sich zu erkennen als der, der in seiner Liebe uns Menschen auf den Grund geht.

So muss es stehen bleiben! Nur so ist es Evangelium. Denn nur wenn wir Gott uns auf den Grund gehen lassen, gibt es Hoffnung. Das ist die Art, ihm die Zügel in die Hand zu geben. Damit wir ihm nicht vorschnell recht geben und ihn einbauen in unser Dilemma. Damit aus Nadelmann nicht ein frommer Nadelmann wird und aus dem Pferd, das sich selber reitet, ein frommes Pferd, das sich selber reitet.

Ja, dieses Bild muss sich auch die moderne Kirche vorhalten, die um ihre Zukunftsfähigkeit bekümmert, einen Perspektivwechsel und einen Mentalitätswandel nach dem anderen vollzieht und mehr und mehr von ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verlangt. Nie hatten wir so viele Pfarrer und so viele Kirchenaustritte, sagte ein Oberkirchenrat vor nicht allzu langer Zeit.

Ach, gegen solche Gedanken sind wir alle nicht gefeit und stürzen uns stolz und beleidigt zugleich angesichts unserer (Un-) Fähigkeiten wieder in den Orchestergraben, statt uns in die Hand Gottes fallen zu lassen, statt ihm recht zu geben und alles von ihm zu erhoffen. Statt dass wir uns fröhlich für bankrott erklären und unsere leeren Hände Gott entgegenstrecken. Wir sind Bettler das ist wahr! soll Martin Luther auf dem Sterbebett gesagt haben. Dieses Bekenntnis würde einer sich selbst maßlos überschätzenden Menschheit ein tieferes Zeugnis von unserem Gott und unserem Glauben geben, als der Aufgalopp unseres Aktionismus. O diese Eitelkeit, mit der wir der Welt dann doch unser schönes und überlegenes Gesicht zeigen wollen, statt das bekümmerte Antlitz unseres Gottes und das geschundene Haupt unseres Christus! Nadelmann lässt grüßen!

Nadelmann ist kein Vorbild. Nadelmann ist lächerlich. Den guten Rat, den er erhält erhalten wir von Gott auch: Halte inne, komm einmal zum Stillstand; hör auf, du musst dir und mir und der Welt nichts beweisen; dreh dich einmal her zu mir, zu dem Gott, der dir dieses Leben geschenkt hat. Da bekommt alles die Größe, die es wirklich hat. Sogar deine Schuld. Denn wer sich Gott zuwendet, für den wird nicht die Schuld, das eigene Ungenügen immer größer, sondern Gottes Güte.

Ja, das ist schon eine andere Botschaft, als die, die ihr vielleicht in den Reden zu eurer Konfirmation oder in der Schule oder am Arbeitsplatz hört. Und es ist versprochen, dass ihr diese Botschaft in der Kirche euer Leben lang hören könnt: Gott ist nicht der Lehrer, der euch unter immer größeren Leistungsdruck setzt. Gott ist nicht der Chef, der mit der Stoppuhr neben eurem Arbeitsplatz steht. Gott ist nicht der Liebhaber, der euch liebt, solange ihr gesund, schön und erfolgreich seid.

Gott ist der Vater, dem gefällt, wenn ihr euch ihm zuwendet. Umkehr, Buße, Beichte, das ist für ihn keine Schwäche, sondern Weisheit und Klugheit. Er hat immer ein offenes Ohr für euch. Er weiß um eure Bedürfnisse und um euren wahren Bedarf. Er wendet sich nicht ab, wenn ihr Irrwege und Umwege im Leben geht, oder blöd dasteht, wie Nadelmann. Er schaut euch heilsam ins Herz und nimmt euch tröstend in seine Arme. Er verdient euer Vertrauen.

Darauf dürft ihr mit uns alle Tage sagen: Amen.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

(4)Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme?
(5)Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen.
(6)Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt.
(7)Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.


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