Liebe Leser, ein junger Pfarrer,
gefragt, wie er denn zu diesem Beruf gekommen sei, erzählte, er sei
eines Nachts unter dem Sternenhimmel gelegen, Auge in Auge mit dem
gewaltigen Universum sozusagen, und da kamen die Gedanken über ihn.
Kannst Du, so fragte es in ihm, mit einer Drei in Mathe ein
berühmter Mathematiker werden? Kannst du mit dem bisschen Gitarre
und deiner dünnen Stimme ein Rockstar werden? Kannst du mit deinen
dünnen Beinen ein weltbekannter Fußballer werden? Kannst du mit
deinen zwei linken Händen ein gut verdienender Handwerker werden?
Nein, nein, nein, sagte die Stimme in ihm, da wird dir wohl gar
nichts anders übrig bleiben als Pfarrer zu werden.
Diese augenzwinkernd zu erzählende Geschichte erklärt auf humorvolle
Weise, was es mit einer Pastorenkirche auf sich hat, in der die
Mitglieder von Leuten mit Hochschulabschluss, die vielleicht doch
besser Kaufmann, Manager, Politiker oder Alleinunterhalter geworden
wären, möglichst professionell erfreut, geschimpft oder gelangweilt
werden. Liturgische Inkompetenz, theologischer Unsinn oder einfach
nur Nichtssagendes von den Kanzeln - alles nicht wirklich schlimm,
solange man gut rüberkommt, bei Facebook über 500 Freunde hat und
keinem auf den Schlips tritt, vor allem nicht den Vorgesetzten.
Erkennen wir uns wieder?
Wollen wir da eine solche Geschichte, wie die Berufung des Propheten
Jeremia, hören und bedenken? Denn Vorsicht, diese Geschichte ist
gewaltig und gewalttätig. Man kann sie nicht konsumieren, wie den
geistlichen Impuls. Der Text taugt nicht für die Wohlfühlbibelstunde
und den Krabbelgottesdienst. Er ist vielmehr das Protokoll einer
elementaren und abgründigen Begegnung. Einer Begegnung, die den
Menschen mit Namen Jeremia und seine Welt (!) in ihren Grundfesten
erschütterte und veränderte. Die ihn selbst und sein späteres Leben
formte und auch deformierte. Ein Mensch bekommt von Gott Format.
Es spricht vieles dafür, dass Jeremia seine Berufungsgeschichte, die
jetzt am Anfang seines Buches steht, erst viel später aufgeschrieben
hat. Viel später, als er hineingewachsen war in dieses Leben, das
Gott ihm damals offenbarte, und das alles andere als eine
Wellnessveranstaltung war.
Da war er schon im Schlamm der Zisterne fast verreckt (Jer. 38); da
war er schon oft verzweifelt, zum Gespött der Leute geworden; ein
Mann, der sich manchmal wünschte, nie geboren zu sein; der vergessen
hatte, was Glück ist und sprach: Dahin ist meine Hoffnung auf den
Herrn (Klagelieder 3,18f.). Da hatte er schon seinem braven
Schreiber Baruch Rolle für Rolle in gewaltiger Sprache diktiert. Wie
eine Flamme wehten ihm die Worte vom Mund. So spricht der Herr! Da
hatte Jeremia schon erfahren, dass seine Botschaft keiner hören
wollte; dass die Menschen zu allen Zeiten lieber etwas über Friede,
Freude und Eierkuchen hören und lieber gutgelaunt dem eigenen
Untergang entgegenfeiern. Da hatte Jeremia schon erlebt, dass Worte,
die einer in den Mund gelegt bekommt, leicht ins Zwielicht zu
bringen sind. Was, sagten seine Gegner lächelnd, Gott legt ihm seine
Worte in den Mund? Umgekehrt ist es! Er legt Gott seine Worte in den
Mund! Erwählt haben sich viele. Keine Angst, Leute, alles wird gut!
Aber er, Jeremia, musste es kommen sehn: Die Katastrophe, den
Untergang Israels, Deportation und Exil, die rauchenden Trümmer des
Tempels. Vielleicht war er nachts oft wachgelegen und sah die
Gesichter der Menschen, die er liebte, wie sie noch lachten und
scherzten, aßen und tranken. Und dann, wie sie dalagen,
blutverschmiert und verkrümmt oder an Ketten weggeschleift durch die
Wüste. Es war das Zuendeleben einer schon unbedeutend gewordenen
Welt. Sein Herz musste mit Gottes Herzen bluten. Er musste die Welt
mit SEINEN Augen sehen. Es half nichts die Augen zu schließen. Was
das Gesicht des alten Jeremia zerfurchte, waren keine Lachfalten.
„Die Zukunft gehört denen, die von allem befreit sind, was uns
beschwerte. Man macht sich ja keine Vorstellung, wie gut alles gehen
wird, sobald wir vom Guten nichts mehr wissen.“ So beschreibt
hellsichtig ein Schriftsteller unsere nachpostmoderne Befindlichkeit
(Botho Strauß, Die Fehler des Kopisten, Hanser 1997, S.87).
Tut noch was weh? „Hochverehrte Apokalyptiker!“, schrieb Silke
Burmester bei Spiegel Online, „Ich bin so froh, dass es Sie gibt!
Wenigstens irgendjemand, der noch an etwas glaubt. Und wenn es an
das Ende ist. Das ist mir egal! Hauptsache irgendjemand ist noch von
irgendetwas überzeugt! Nehmen Sie mich! Ich bin gebeutelt von einem
Dasein zwischen Menschen, die mal "hü!" und mal "hott!" sagen.
Menschen, denen nichts heilig ist. Menschen, die ihre Jugendjahre
durch die Betten des anderen Geschlechts toben… und dann in Weiß,
der Farbe der Unschuld, heiraten. Vor Gott. Weil das so sein muss.
Leute, die, kaum volljährig, aus der Kirche austreten, außer in
Florenz nie wieder einen Fuß hineinsetzen, aber ihre Kinder taufen
lassen. Menschen, die sagen, sie seien Vegetarier, aber
Bratkartoffeln selbstverständlich mit Speck essen. Leute, die Grün
wählen und gegen Ausbeutung wettern, aber bei Lidl kaufen. Lauter
Menschen, die man vorn und hinten nicht ernst nehmen kann und die
mir mit ihrer Prinzipienlosigkeit das Leben schwermachen.“ Wer sind
am Ende eigentlich die Deformierten?
Dazu hätte sicher auch ein Jeremia etwas zu sagen gehabt. Der
Heilige Geist ist schließlich der beste Freund des gesunden
Menschenverstandes. Und auch die Prophetie des Jeremia erweist sich
bei näherer Betrachtung als klarsichtige und geistesgegenwärtige
Zeitgenossenschaft. Und dabei gilt: Wer mit den Augen Gottes sehen
muss, dem tun nicht nur die Augen manchmal weh.
Und das hat einen ganz einfachen Grund: Gott selbst ist unser
mitfühlender, mitsehender, mitleidender Zeitgenosse. Er ist es, ehe
wir im Mutterleibe bereitet und von unserer Mutter geboren wurden.
Er ist es, ehe wir so etwas wie ein Bewusstsein entwickeln konnten.
Und er wird es schließlich und unüberbietbar in unserem
Menschenbruder Jesus von Nazareth, dem Christus am Kreuz. Lachfalten
sind von ihm nicht überliefert. Wie unendlich schwer ist es, uns
nach Hause zu bringen in die Freiheit der Kinder Gottes. Aber er
tut’s. Gott schafft, was wir nicht schaffen.
Jeremia hat das nicht mehr erlebt. Er hatte das Ende der Geschichte
Israels vor Augen und ein Heil, das in unendlicher Ferne lag. Aber
seine Worte blieben erhalten und waren dem Gottesvolk Anlass, die
eigene Geschichte als Folge eigener Schuld, aber eben und trotz
allem nicht als Geschichte der Gottverlassenheit zu begreifen. Auch
diese Geschichte des Scheiterns hat in Gott Format.
Der alte Jeremia kann nur singen: O du lieber Augustin, alles ist
hin! So wird er vielleicht manchen Abend dagesessen sein und
irgendwann hat er aufgeschrieben, wie alles begann. Und dass seine
Einwände damals sehr verständlich waren. Ich bin zu jung, ich stelle
nichts dar, ich bin nur Möglichkeit, keine Bestimmung.
Macht nichts, sagt Gott, dein Leben hat und bekommt in mir Format.
In den Glauben und in meine Geschichte muss man hineinwachsen wie in
sein narbenscheckiges Leben. Wenn ihr bleiben werdet an meiner Rede,
so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und ihr werdet die Wahrheit
erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen (Joh. 8/31), sagt
Jesus zu seinen Jüngern 600 Jahre später. Es gibt kein größeres
Vorrecht, als in Gottes Geschichte eine Rolle zu spielen und in ihr
Format zu haben, wie Jeremia, wie Du und ich. Denn diese Geschichte
führt – trotz allem – nach Hause, ins Leben.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
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Die Predigt zum Hören
Text:
4 Und des HERRN Wort
geschah zu mir:
5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und
sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und
bestellte dich zum Propheten für die Völker.
6 Ich aber sprach: Ach, Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich
bin zu jung.
7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«,
sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles,
was ich dir gebiete.
8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich
erretten, spricht der HERR.
9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und
sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du
ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen
und pflanzen.
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