| 
			Liebe Leser, jeder hat seinen Feind. Und der Prophet Jeremia hatte 
			viele. Geboren in eine ruhelose Zeit voll Krieg und Gewalt, voll 
			großer Visionen und ebenso großer Irrtümer, hatte er in Gottes 
			Auftrag vor allem die Irrtümer zu benennen und ihre schrecklichen 
			Folgen.  
			 
			Ach, seine Freunde hatten es nicht leicht mit ihm. „Wie geht’s dir?“ 
			wurde er immer seltener gefragt, weil keiner sein „schlecht“ hören 
			wollte. „Schrecken ist um und um“, das hätte sein Spitzname sein 
			können. Ein Bedenkenträger, ein finsterer Redner war Jeremia und man 
			konnte nie sicher sein, dass er nicht mitten auf dem Fest anfing, 
			solche Reden zu schwingen. „Ansichten gehören zum Mann und er muss 
			ihnen Luft machen, auch wenn die Poesie darunter leidet“
			(Robinson 
			Jeffers). Ach, wenn es nur seine Ansichten gewesen wären!  
			 
			Im Namen Gottes hatte er finster zu reden. Und das war keine Werbung 
			für diesen Gott und für den Glauben. Jeremia der Tempel- und 
			Kirchenfeger. Die Pestbeule an der erfreulichen Corporate Identity 
			der Glaubensgemeinschaft, die doch zu allen Zeiten Stimmungskanonen 
			braucht und keine Spielverderber.  
			 
			Das sah der Tempelaufseher und Priester Paschhur, die 
			Leitungspersönlichkeit des damaligen Kirchenbetriebs, nicht anders. 
			Und empfand es als seine heilige und kirchenpolitische Pflicht, 
			selbstverständlich unter Berufung auf Schrift und Bekenntnis, den 
			finsteren Reden Jeremias seine entgegenzusetzen, in denen er seinen 
			Zuhörern das Blaue vom Himmel versprach. Und das sei so sicher, wie 
			das Amen in der Kirche. So gingen denn seine Anhänger gläubig und 
			fröhlich dem eigenen Untergang entgegen. Und „Schrecken ist um und 
			um“ wurde der Beiname des Paschhur, des Dampfplauderers von besseren 
			Zeiten.  
			 
			Es ist alles Psychologie, vielleicht pflegte das auch Paschhur zu 
			sagen. Es kommt, wie es kommt. Und da hat es doch gar keinen Sinn 
			vorher schon Trübsal zu blasen. Das ist schlecht fürs Geschäft. Und 
			so wurde versucht, Jeremia mundtot zu machen. Man wurde persönlich. 
			Auch in seiner Vergangenheit müsste sich doch etwas finden lassen. 
			Irgendwas kann man immer anhängig machen, Gerüchte streuen, den Ruf 
			ankratzen. Im Fall des Jeremia war man nicht zimperlich. Jeremia hat 
			Prügel bezogen, verhungerte fast in einer Zisterne, wurde in den 
			Block geschlossen. Heute wäre er ein Fall für Amnesty International; 
			einer, der steht für die Vielen, die wie er für ihre Überzeugung, 
			ihren Glauben, ihre Worte hinter Gittern sitzen oder für immer 
			verschwinden.  
			 
			Keine Psychologie!, fordert ein Ausleger für die heutige Predigt. 
			Diese Worte hätte Jeremia allenfalls im stillen Kämmerlein gesagt. 
			Seine Schüler hätten aufgeschrieben, was zur Botschaft des Propheten 
			niemals gehört hätte. Und die letzten zwei Verse empfiehlt man dem 
			christlichen Hörer zu ersparen, wegen der Rachegedanken und dem 
			damit verbundenen schlechten Vorbild. Die Geschichte des leidenden 
			Jeremia sei die Geschichte des leidenden Wortes und als solche zu 
			retten.  
			 
			Ja, ist denn ein solcher Ausleger noch zu retten? Wäre das nicht 
			Betrug um den größten Trost dieses Textes? Gibt es nicht auch unter 
			uns genug Menschen, die sich in diesen Worten wiederfinden? Waren 
			Sie noch nie als einer der letzten Rückständigen unter lauter 
			Fortschrittlichen mit rotem Kopf in der Ecke gestanden? Hat man Sie noch 
			nie als Querdenker gelobt und dann faktisch kaltgestellt? Sind Sie 
			noch nie für die Behinderung durch ihr schlechtes Gewissen gehänselt 
			worden oder als Spielverderber geschnitten worden, weil Sie nicht 
			mitlachen konnten? Waren Sie noch nie der Blödmann, der eine 
			getürkte Versicherungsmeldung nicht unterschreiben wollte? Ist Ihnen 
			noch nie der Gedanke eines kleinen, sich plötzlich auftuenden 
			Abgrunds gekommen, der Ihre Feinde verschluckt?  
			 
			Jeremia schon. Der Bibel sei Dank, dass sie nicht einer Vorstellung 
			von religiöser Correctness folgt und uns den großen Propheten in 
			seiner Menschlichkeit nicht verschweigt. Welche Wohltat in unserer 
			Zeit der geschniegelten Oberflächen, der polierten Corporate 
			Identities, der nichtsagenden Ausgewogenheit, des machterhaltenden 
			Rumeierns, der designten Lebensläufe und geschönten Geschichte.  
			 
			Welche Wohltat: Hier ist ein Herz, das noch nicht verpackt ist in 
			das Styropor der Gleichgültigkeit, das noch nicht gefangen ist in 
			der furchtbaren Schwerkraft der bestehenden Verhältnisse, das noch 
			nicht erstickt wurde vom Löschschaum des Überdrusses und der 
			Langeweile einer gesicherten Existenz, das noch nicht befallen ist 
			von rosaroter Vergesslichkeit für die Abgründe der eigenen 
			Geschichte. Dieses Herz ist noch feuergefährlich, man kann ihm noch 
			wehtun. Gott kann ihm noch wehtun.  
			 
			Und er tut dem Jeremia weh, weil das eine Liebesgeschichte ist. Eine 
			Liebesgeschichte zwischen Gott und Jeremia, zwischen Gott und seinem 
			Volk, zwischen Jeremia und Gottes Volk. Und jeder kann unschwer 
			erkennen, dass sie nicht glücklich verläuft. Ein Scherbenhaufen 
			(vgl. Jer 19/1ff.) ist von ihr übriggeblieben und diese Scherben 
			bringen kein Glück. Das Volk hat sich scheiden lassen und kümmert 
			sich nicht. Und Jeremia muss fast vergehen am Liebeskummer Gottes.
			 
			 
			Und wird mit diesem belächelt. Liebeskummer, eine entbehrliche 
			Krankheit, die mit dem Alter von selber erlischt, wie die Träume von 
			einer besseren Welt und die Moral von jeder Geschichte. Ist es eine 
			Gnade des Schöpfers für uns, weil wir von solchem Kummer nicht zu 
			viel vertragen?  
			 
			Es ist eine Gnade, dass Gott sich eine solche Gnade versagt. Es ist 
			eine Gnade, dass die Bibel vom Anfang bis zum Ende eine solche 
			Liebesgeschichte bleibt und das Gott vor dem Kummer, den wir ihm 
			bereiten, nicht kapituliert. Dass der Christus sein Kreuz 
			hinaufträgt bis auf den Hügel von Golgatha. „Niemand hat größere 
			Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ (Joh 
			15/13) So sagt und lebt es der Christus. Die Liebe Gottes hat nicht 
			einmal Angst vor dem Tod. Sie durchbricht seine ewige 
			Gleichgültigkeit mit Gottes gebrochenem Herzen und erweist sich als 
			stärker.  
			 
			Wer sich dieser Liebe Gottes anvertraut, und das tut der Glaube, 
			bleibt von ihrem Schmerz nicht verschont, kann der Bedrohung des 
			Lebens nicht schmerzfrei zusehen, kann dem fremden Leid nicht 
			unbeteiligt gegenüberstehen, kann den Mund nicht halten, auch wenn 
			er sich den Mund verbrennt, spürt das eigene Herz im Herzen aller 
			Dinge. Gottes Ansichten gehören zum Glaubenden, und 
			er muss ihnen Luft machen, auch wenn die Poesie 
			darunter leidet.  
			 
			Ob Jeremia auch zuhause einmal mit Geschirr geworfen hat? Seine üble 
			Laune an seinem Schreiber Baruch ausgelassen hat? Nicht nur den Tag 
			seiner Geburt verflucht hat? Es gibt rohe Kritik, vor der man 
			zurückfährt und in Verteidigungsstellung geht. Aber vielleicht tobt 
			hier einer aus dem Kummer der Liebe, bekümmert um die Zukunft derer, 
			die er liebt, seiner Welt, seiner Kirche? Wie Jeremia. Und Gott 
			steht auf seiner Seite. Der Gott, der des Armen Leben aus den Händen 
			der Boshaften errettet!  
			
			Pfarrer Johannes Taig    
			(Hospitalkirche 
			Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
			
			www.kanzelgruss.de) 
			 | 
			Text:  
			7 HERR, du hast mich überredet und ich habe 
			mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast 
			gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und 
			jedermann verlacht mich. 
			8 Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muss 
			ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden 
			täglich. 
			9 Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in 
			seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein 
			brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht 
			ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. 
			10 Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und 
			um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde 
			und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich 
			überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« 
			11 Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden 
			meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz 
			zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. Ewig wird ihre 
			Schande sein und nie vergessen werden. 
			12 Und nun, HERR Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und 
			Herz durchschaust: Lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen; denn 
			ich habe dir meine Sache befohlen. 
			13 Singet dem HERRN, rühmet den HERRN, der des Armen Leben aus den 
			Händen der Boshaften errettet!  |