Liebe Leser, „Aber wir sind voll
himmlischer Träume, die uns tränken - und wenn dann die Wonne oder
die Erwartung der träumerischen Labung zu groß wird, dann werden wir
etwas Besseres als satt - wach!“ Jean Paul hat das im „Quintus
Fixlein“ geschrieben.
Natürlich war das analog gemeint. Weder Jean Paul noch der Prophet
Jeremia kannten die modernen digitalen Welten und ihre
Traumfabriken, mit deren Träumen und Botschaften das ganz große Geld
gemacht wird. Immer mehr Menschen beziehen ihr Wissen um das, was
der Fall ist, fast ausschließlich aus den sozialen Netzwerken, von
denen sie rund um die Uhr mit allen Tricks gefangen gehalten werden.
In manchen Städten wird in Fußgängerzonen schon Schaumstoff um
Laternenmasten gewickelt, damit Handygucker sich nicht verletzten,
wenn sie dagegenlaufen.
Jaron Lanier war einmal einer, der sich von den sozialen Netzwerken
fast alles versprach. Mindestens aber eine bessere Welt. Heute ist
der Mitarbeiter von Microsoft, der viele Patente eingereicht hat und
an der Columbia University gelehrt hat, schwer ernüchtert und
fordert eindringlich Korrekturen. Die Überschriften eines seiner
Bücher sind Weckrufe und lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen
übrig (ich zitiere): „Social Media ist deprimierender Mist. - Social
Media macht dich zum Arschloch. - Social Media untergräbt die
Wahrheit. - Social Media macht das, was du sagst, bedeutungslos. -
Social Media tötet dein Mitgefühl. - Social Media macht dich
unglücklich. - Social Media fördert prekäre Arbeitsverhältnisse. -
Social Media macht Politik unmöglich. - Social Media hasst deine
Seele.“ (SZ vom 31.05.2018)
Hätte der Prophet Jeremia all das sehen können, er wäre nicht eine
halbe Stunde zum Brüllen in den Keller gegangen. Das hätte er schon
in aller Öffentlichkeit gemacht. So wie damals, als er dem König
Zedekia die Worte unseres heutigen Predigttextes wie ein „Hallo
wach!“ entgegenschleuderte. Der König hatte es 588 vor Christus
satt, noch Abgaben an die Babylonier zu zahlen. Man fühlte sich als
Nation wieder stark. Ein Bündnis mit Ägypten sollte die
Selbständigkeit sichern. Wir sind wieder wer, Gott ist auf unserer
Seite, alles wird gut, so zwitscherten alle, die am Königshof etwas
werden wollten, die Geistlichkeit eingeschlossen. Umdunstet von so
viel falscher Seligkeit kam eine wirklichkeitsfremde und dumme
Politik zustande, für die viele mit dem Leben und die nächsten zwei
Generationen mit dem Exil, dem Verlust der Heimat, bezahlten. Der
babylonische König Nebukadnezar machte kurzen Prozess und schlug den
israelitischen Visionären seine Eisenfaust ins verklärte Gesicht.
Der Rest ist böse Geschichte. Aber wir verstehen so vielleicht
besser, warum Gott im Vorfeld dieser Geschichte sein heiliges
Donnerwetter aufziehen lässt. Er tut es nicht, weil es ihm Spaß
macht, sondern weil er sein Volk vor dem letzten Schritt in den
Abgrund aufhalten möchte, den es so gottvergessen und unter
Verdrängung aller Realitäten geht. Gottes Wort stellt sich gegen die
Träume der falschen Propheten. Gottvergessenheit und
Realitätsverlust gehören nicht nur im Gottesvolk immer zusammen, ja,
man hat den Eindruck, sie bedingen einander. Im Dunst falscher
Visionen geht die Entscheidungsfähigkeit für das Richtige verloren.
Allgegenwärtig ist in der Geschichte bis heute auch die Gefahr, Gott
zum Kumpan der eigenen Wünsche und Vorstellungen zu machen. Groß ist
die Versuchung mit Hilfe des Glaubens das eigene Ego aufzublasen.
Was scheinbar in Gottes Namen daherkommt, ist oft nichts als
erbärmlicher Eigennutz. Nur mühsam bemäntelt so manche entschiedene
Frömmigkeit die eigene Machtgier, die lustvoll und unbarmherzig
andere mit dem Terror der Tugend traktiert. Ich sandte diese
Propheten nicht, und doch laufen sie (V 21). Deshalb sehen solche
falsche Propheten auch nie weiter, als ihre eigene Nase lang ist.
Wer sich mit Gott so kumpelhaft auf Du und Du wähnt, wer ihn vor den
eigenen – auch den politischen - Karren spannen will, wer Gott auf
solche Art und Weise zu nahe tritt, der wird erleben müssen, was die
Worte des Jeremia deutlich sagen. Der wird erleben, wie Gott einen
entschiedenen Schritt hinaus aus solch falscher Umarmung tut. Bin
ich nicht auch ein Gott der Ferne?, spricht der HERR.
Heute wünschen sich viele eine Kirche, die sich um das innere
Gleichgewicht der Menschen verdient macht und ansonsten die Kreise
der Macht und Politik nicht stört. Wer das will macht die Kirche zum
Trostpflaster, zum Teddybär, zur Schmusedecke für ein Leben in einer
ansonsten trostlos sich selbst überlassenen Welt. Wer das will,
macht Gott zum Wasserträger für fremde Interessen. Das lässt sich
Gott nicht gefallen und eine Kirche, die sein Wort auszurichten hat,
darf es sich auch nicht gefallen lassen.
Manchen ist es gar nicht so unrecht, wenn Gott in der Ferne weilt,
bis er schließlich ganz in Vergessenheit gerät. Gott nennt sie die,
die wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen,
die einer dem andern erzählt (V 27). In das Vakuum rücken andere
Götter nach. Es sind eben nicht nur die Politiker, die wirkliche
Reformen in unserem Land verhindern, sondern ebenso der Wähler, der
sich immer dann lautstark zu Wort meldet, wenn das eigene Umdenken
gefragt ist.
Hier wird das Rad nicht neu erfunden. Eine solche Politik, wie sie
der Prophet gegenüber dem König Zedekia aufs Schärfste kritisiert,
ist auch heute daran zu erkennen, dass sie immer zu Lasten der
Schwachen und der kommenden Generationen geht. Wer sich auf dieser
Welt z.B. immer noch für die Atomkraft einsetzt, streitet um das
Recht oder besser um das Unrecht, heute billigen Strom zu
konsumieren und künftige Generationen auch dann noch mit dem
Müllproblem belasten zu dürfen, wenn die eigenen Knochen längst zu
Staub zerfallen sind. Wer die Rente in gewohnter Höhe verspricht,
weiß, dass er Geld verteilt, das in Zukunft von immer weniger jungen
Menschen durch immer höhere Beiträge aufgebracht werden muss. Wer
nur die Ansprüche der Lobbys bedient, macht eine dumme und
wirklichkeitsferne Politik zu Lasten der Mitwelt und damit zu Lasten
künftiger Generationen und zu Lasten der Bedürftigen, die in unserer
Gesellschaft wenn überhaupt nur eine schwache Stimme haben.
Einer solchen Politik fällt Gott mit donnerndem Einspruch in den
Arm. Weil sie nicht Frieden schafft, sondern Krieg, nicht
Gerechtigkeit, sondern Unrecht, nicht Heil, sondern Unheil, nicht
Leben, sondern Tod, nicht Heimat, sondern Obdachlosigkeit. Wie
berechtigt der Einspruch Gottes war, darüber hat das Gottesvolk
angesichts einer langen und leidvollen Geschichte auf vielen Seiten
des Alten Testaments laut nachgedacht. In der Späte der Tage haben
sie den Sinn dieses Einspruchs erkannt und die Entwürfe seines
Herzens, des Herzens Gottes, der auch noch im Zorn auf das Heil
seiner Menschen aus ist.
„Die moderne Geschichte lässt sich begreifen als das Gespräch eines
Menschen, der an Gott glaubt mit einem Menschen, der sich selbst für
Gott hält.“ Nicolas Gomez Davila hat das gesagt. Wir werden als
Menschen, die an Gott glauben, dieses Gespräch nicht abreißen
lassen. Weil wir der Überzeugung sind, dass der Mensch, der sich für
Gott hält, den Sinn für die Realität verliert. Stroh wird wohl auch
von mancher Kanzel herab gedroschen. Das Wort Gottes ist Weizen. Es
stellt sich gegen die Träume und Illusionen der falschen Propheten
und ihrer Traumfabriken damals und heute. Es hilft wach zu werden
und wach zu bleiben. Es ist der beste Freund des gesunden
Menschenverstandes.
Mag das Wort Gottes bei vielen auf Granit beißen. Ist mein Wort
nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der
Felsen zerschmeißt? (V 29) Darauf sprechen wir: Amen!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
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Die Predigt zum Hören
Text:
16 So spricht der HERR
Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen!
Sie umdunsten euch, sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und
nicht aus dem Mund des HERRN.
17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch
wohlgehen -, und allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln,
sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.
18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort
gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört?
19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein
schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen.
20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er erstellt hat die
Entwürfe seines Herzens; in der Späte der Tage werdet ihr den Sinn
dran ersinnen.
21 Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete
nicht zu ihnen, und doch weissagen sie.
22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine
Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von
der Bosheit ihrer Geschäfte zu bekehren.
23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht
auch ein Gott, der ferne ist?
24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich
ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und
Erde erfüllt?, spricht der HERR.
25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in
meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.
26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und
ihres Herzens Trug weissagen
27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren
Träumen, die einer dem andern erzählt, so wie ihre Väter meinen
Namen vergaßen über dem Baal?
28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein
Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und
Weizen zusammen?, spricht der HERR.
29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein
Hammer, der Felsen zerschmeißt?
(Kursiv nach der Übersetzung Martin Bubers)
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