Liebe Leser,
schlechte Zeiten waren das bekanntlich, in denen der Prophet Jeremia
sein großes Hoffnungswort gesprochen hat. Die gesamte Oberschicht des
Gottesvolkes war nach Babylonien deportiert worden. Tempel und
gottesdienstliches Leben lagen danieder. Den Zurückgebliebenen blieb nur
der Traum von den guten alten Zeiten, zum Beispiel von den guten alten
Zeiten des König David, unter dem Israel seine größte Sicherheit,
Wohlstand, Achtung und Anerkennung bei den Völkern genoss. Das war eine
Zeit, in der Recht und Gerechtigkeit herrschten. In den Tagen des
Jeremia bekamen die Kinder wohl leuchtende Augen, wenn man ihnen davon
erzählte: Es war einmal …
Es war einmal, so beginnen auch viele Advents- und
Weihnachtsgeschichten, die wir jetzt schon am frühen Abend bei
Kerzenschein lesen oder vorlesen können. Und zu keiner Zeit scheint der
Wille zur Flucht in die heimeligen Welten der guten alten Zeiten wilder
und entschlossener zu sein als zur Weihnachtszeit: Natürlich kommen in
diesen Geschichten auch die Armen zu ihrem Recht oder zumindest zu einer
warmen Stube; natürlich entdecken dort auch eiskalte Menschenverächter
ihr menschliches Herz, natürlich kommen da die Familienmitglieder aus
aller Herren Länder in Eintracht zusammen und natürlich lag da der
Schnee meterhoch.
Reaktionär sind solche Fluchten in vergangene Zeiten. Im besten Sinne
des Wortes: Reaktion auf eine Welt, die man nicht als heimelig, sondern
als unheimlich empfindet. Ja, nicht alles, was wir in den modernen
Zeiten gegen die alten Sachen eingetauscht haben, hat gehalten, was es
versprochen hat. Reaktionär im schlechtesten Sinne des Wortes: Wenn
Menschen zur Wiederherstellung vermeintlich guter alter Zeiten brennen
und morden. Kitsch und schlechte Manieren gehören leider oft zusammen.
Von der volkstümlichen Begeisterung für die stille und heilige Nacht bis
zum Brandsatz in die Fenster von Flüchtlingsunterkünften ist es manchmal
ein verdammt kurzer Weg. Welcher Jude, welcher Muslim, welcher Christ
wollte bestreiten, dass er damit in den eigenen Reihen nicht auch mehr
oder weniger große Probleme hat?
Natürlich kann man auch die Verheißung des Jeremia lesen, wie sie
Zionisten wohl lesen. Irgendwann wird alles wieder so gut, wie in der
guten alten Zeit des König David. Aber dafür muss man sich schon ein
dickes Brett vor den Kopf nageln. Nur dann kann man übersehen, was Gott
hier in seinen eigenen Worten tut. Er streicht einen Kernsatz des
Glaubensbekenntnisses des Gottesvolkes durch: Ich bin der Herr Dein
Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat. (vgl das „Schma Jisrael“, 5.
Mose 6,4) Unerhört! So spricht der Herr: Diesen Satz wird man nicht mehr
sagen.
Als wäre das Kinderkram gewesen. Eine Episode, die verblasst gegen das,
was Gott noch tun wird. Die Hoffnung auf den Gott, der Israel aus der
Knechtschaft Ägyptens geführt hat, wird überboten durch den Gott, der
sein Volk von allen Enden der Erde sammelt. Gott verspricht seinem
geplagten Volk nicht die Rückkehr in alte Zeiten. Er schenkt ihm
entgrenzte Hoffnung. Es ist daher alles andere als ein Wunder, dass die
Christenheit in Jesus von Nazareth den gesehen hat, den Gott sich
erweckt als Spross aus dem Stamm Davids, um Menschen aus aller Welt
heimzubringen in das Volk der Kinder Gottes. Und so gehören in der
Adventszeit die Texte von der Ankunft Gottes auf unserer Welt im Kind in
der Krippe und von der Wiederkunft des Christus und der Vollendung der
Welt nicht nur nebeneinander, sondern zusammen. In der stillen und
heiligen Nacht beginnt Gott, nicht nur sein Volk, sondern alle Menschen
und Völker heimzubringen in sein himmlisches Reich.
Als Lutheraner muss man die Ohren spitzen, wenn Gott dem Spross Davids
den Namen: Der Herr, unsere Gerechtigkeit, beilegt. Denn da klingt schon
die halbe Christologie und alles was Paulus zur Gerechtigkeit allein aus
dem Glauben schreibt, an. Wir wollen den Propheten Jeremia nicht im Grab
umdrehen. Aber da wäre er mit uns ganz einig: Gott versammelt sein Volk
um eine neue, entgrenzte Hoffnung, für die er allein einsteht. Diese
Hoffnung stellt auf unserer Seite keine Bedingung. Wir können uns nur um
diesen Spross Davids versammeln und damit um den, der unsere
Gerechtigkeit ist und uns heimbringen wird in sein Reich.
Um nicht weniger sind wir in dieser dunklen Zeit des Jahres und der Welt
versammelt. Die Kerzen, die wir anzünden sind Christuslichter. Wir sind
darum versammelt, um zu hören, welche Hoffnung sich mit ihnen verbindet.
Der Christus ist der, der uns nach Hause bringt. Wir vertrauen uns ihm
an. Das ist der Unterschied.
Wer diesen Unterschied verfehlt, muss selbst zum Leuchter, oder sagen
wir’s offen, zum Armleuchter werden, der anderen heimleuchtet. Und das
ist natürlich auch ein Beitrag zur immerwährenden Diskussion um die
multikulturelle Gesellschaft und die deutsche Leitkultur. Sie kann von
Politikern und von den Landsleuten, die längst nichts mehr mit dem
christlichen Glauben am Hut haben, nur reaktionär geführt werden.
Hoffentlich im guten Sinn des Wortes. Aber dass da dann „gute“
Reaktionäre gegen „schlechte“ Reaktionäre streiten, entbehrt nicht einer
gewissen Komik. Und manchen Altlinken sieht man es geradezu körperlich
an, wie unangenehm es ihnen ist, sich in einer solchen Rolle wieder zu
finden. Man hatte sich das Ganze so schön und so schön anders
vorgestellt. Hoffentlich haben wir Christen mehr zu sagen und zu tun,
als uns auf die Seite der guten Reaktionäre zu stellen.
Wir haben vielmehr offen zu bekennen, dass unser Glaube mehr ist, als
unsere Privatsache, und dass uns viel mehr bewegt, als dass wir selbst
in den Himmel kommen. Wir glauben an einen Gott, der schon immer im
Himmel war, und dem das trotzdem zuwenig war. Da hat er sich aufgemacht
zur Welt, um zu suchen und zu finden, was verloren war, sein Volk Israel
zuerst und dann die ganze finstre Welt. Und deshalb lässt sich unsere
Hoffnung nicht begraben und nicht begrenzen auf unser eigenes kleines
Leben. Sie gehört aller Welt und allen Menschen.
Deshalb werden wir aber zugleich streiten gegen jede Form der
Diskussion, die unseren Glauben weltanschaulich subsumieren will unter
den christlichen Werten des Abendlandes. Wer, wenn nicht wir, kann
besser wissen, wie sehr die Grund- und Menschenrechte im Regen stehen
ohne den Herrn, der unsere Gerechtigkeit ist? Wir verwehren uns die
Flucht ins volkstümliche Idyll. Es ist schon gar nicht unsere Aufgabe,
es zu verteidigen.
Christen schauen nicht zurück, sondern auf den Christus, der ihnen
vorangeht. Gerade deshalb werden wir streiten gegen einen Glauben, der
den Willen Gottes mit dem eigenen Hang zu vermeintlich guten alten
Zeiten verwechselt und die eigenen politischen Ziele religiös
legitimieren will. Wir werden streiten gegen alle, die sich an Gottes
Stelle setzen wollen und Hass und Gewalt gegen Andersgläubige als
heilsames Werk predigen. Wir treten ein für die Freiheit des Glaubens
und auch deshalb für die Trennung von Kirche und Staat. Politiker haben
in der Politik nicht fromm, sondern vor allem vernünftig zu sein. Das
ist ja auch schon viel verlangt. Und wir werden diese Standpunkte
anderen nicht vorhalten, ohne uns unserer eigenen Kirchengeschichte zu
erinnern und der grandiosen Niederlagen, die wir in all diesen Punkten
erlitten haben.
Aber auch das ist kein Grund unsere Hoffnung zu begraben und zu
begrenzen auf unser eigenes kleines Leben. Sie gehört aller Welt und
allen Menschen. Unser Herr kommt – uns zum Heil und zum Heil der ganzen
Welt.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR,
dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein
König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben
wird.
6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und
dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: "Der HERR ist
unsere Gerechtigkeit".
7 Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht
mehr sagen wird: "So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus
Ägyptenland geführt hat!",
8 sondern: "So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel
heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus
allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte." Und sie sollen in ihrem
Lande wohnen.
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