Predigt Jahreslosung 2000     Jeremia 29/13-14    02.01.00

"Herzensgebete gehen immer in Erfüllung"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

der Essener Philosoph Norbert Bolz sagte in den letzten Tagen des letzten Jahrtausends: „Nie wussten wir so wenig von der Zukunft, wie heute!“ Die Zukunft, so der Philosoph sei ein einziges offenes Meer und Utopien als Kompass hätten ausgedient.

Das ist zugegebenermaßen nicht gerade ermutigend aber einleuchtend. In den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben wir ja in der Tat den Zusammenbruch der letzten großen Utopie miterlebt: Der von der klassenlosen und sozialistischen Gesellschaft. Gott sei Dank war dieser Zusammenbruch nicht mit Millionen Toten verbunden, wie 40 Jahre zuvor das Ende des 3. Reiches in Schutt und Asche.

Aber vielleicht verstehen wir zumindest, warum noch heute Menschen unter uns der einen oder der anderen Utopie nachtrauern, wider besseres Wissen und im Bewusstsein der durch diese Ideen angerichteten Verbrechen und der körperlichen, geistigen und seelischen Deformation unzähliger Menschen. Junge Glatzköpfe laufen in Springerstiefeln herum und hängen sich Hitlerbilder übers Bett und die Jugendweihe boomt, wie zu Erichs Zeiten, denn alle wissen oder ahnen es zumindest: Wenn der letzte Spuk all dieser Utopien verraucht sein wird, tritt an ihre Stelle - nichts! Die ewig Gestrigen wollen deshalb lieber von gestern sein, als vor einer ungewissen Zukunft stehen. Lieber im Gestern daheim, als in der Zukunft obdachlos. Und so wird es wohl auch im neuen Jahrhundert diese verlogenen Musikantenstadel, diese obskuren Schrebergärten Gott sei Dank längst vergangener Geschichte geben. Fundamentalisten aller Couleur werden sie notfalls mit Gewalt verteidigen.

Auch die Juden zu Zeiten des Jeremia hätten die Stätten ihrer Geschichte und erst recht ihre Heiligen Stätten, ihren Tempel zu Jerusalem gern bis zum Letzten verteidigt. Dabei gab es nur ein kleines Problem: Der Tempel stand immer noch in Jerusalem, aber die Juden befanden sich seit Jahren im fernen Babylonien, deportiert und entwurzelt, weit weg von Daheim. Kein anderes Volk der Erde ist wie das Gottesvolk im Laufe seiner langen Geschichte so oft weggefegt und verstreut worden, befand sich von einem Jahr zum anderen auf hoher See und ist dennoch nicht untergegangen. Es hat dazu nicht einmal die Schrebergärten eines religiösen Nationalismus gebraucht, wenn es sie leider auch gibt im heutigen Israel. Viele Juden sind damals aus Babylonien und 1949 aus aller Welt nicht in ihr Heiliges Land zurückgekehrt. Sie sind ein kosmopolitisches Volk geblieben, von dessen Leistungen viele Länder und Nationen profitiert haben.

Das Geheimnis seines Bestehens leuchtet in dem Wort des Jeremia auf. Es gibt Antwort auf die Frage, was zu hoffen ist, wenn die Vergangenheit im Nebel der Geschichte versinkt, die Verbindungen zu den alten Heiligtümern gekappt und die Zukunft ein einziger offener Ozean ist. Gott spricht: Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen. Egal wo, egal wann! Der Glaube darf unabhängig sein von heiligen Stätten und Traditionen, von Sprache und Nation. Auf der Reise durch die Welt und die Zeit wird sich Gott finden lassen, zu jeder Zeit und überall.

Wenn Werte wegbrechen, Traditionen untergehen, gewohnte Geländer zerbröseln, wenn es uns verschlägt in das unbekannte Land Zukunft, ist das kein Grund zur Panik. Ja vielleicht ist das die Chance auch für uns, die Wahrheit der Verheißung aus dem Buch des Propheten neu zu entdecken. Komme, was kommen soll, wir werden nicht ohne Gott und gottlos sein. Im Gegenteil!

Die Jahreslosung verbietet uns deshalb Rückzugsgefechte. Sie sind vergebliche Mühe. Mit unseren Traditionen geht der Glaube nicht unter. Was soll die panische Sorge um unsere Identität? Keinem bleibt seine Gestalt, auch nicht der Kirche. Gott bleibt und er wird sich finden lassen!

Besonders von beherzten Menschen. Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, dann will ich mich von euch finden lassen. Kirche ist Gemeinschaft der Glaubenden. Und Glaube ist in erster Linie und vor allem eine Angelegenheit des Herzens. Und dann kommt lange nichts. Auch das gibt die Jahreslosung neu zu bedenken.

Und auch das weckt hoffnungsvolle Gedanken. Denn wenn wir schon verschiedene Überzeugungen haben, verschiedene Lebensentwürfe, verschiedene Moralvorstellungen, verschiedene Geschichte, verschiedene Lebenserfahrung, dann können unsere Herzen dennoch Gemeinschaft unter uns stiften. Wenn Herzen zusammenfinden werden Abgründe überbrückt, werden alle Unterschiede zweitrangig. Davon erzählen selbst noch drittklassige Liebesgeschichten.

Keine Einheit der Gemeinde, der Kirche, der weltweiten Christenheit ohne beherzte Menschen. Kein sozialer Friede, kein Friede in der Gesellschaft und der Gemeinschaft der Völker ohne beherzte Menschen. Wir brauchen für die Zukunft keine Aussitzer, keine Bedenkenträger, keine Besitzstandswahrer, keine Interessenvertreter, sondern beherzte Menschen. Ihnen gehört die Zukunft, nicht weil sie besonders stark und mutig wären, sondern weil Gott ihre Gebete erhört.

Denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, will ich mich von euch finden lassen. Herzensgebete gehen immer in Erfüllung. Immer! Schwierig ist, das Gebet des Herzens zu finden. Denn meistens betet statt dem Herz unser Ego, unser Verstand, unsere Angst, unser Neid, unsere Hoffnungslosigkeit. Leider finden und spüren wir unser Herz oft erst dann, wenn es krank wird und schmerzt. Ach, das Herz, Anteil am Leben, am Urgrund alles Lebendigen! Aus Sternenstaub ist es gemacht, voll mit der Geschichte von Milliarden von Jahren. Noch hallt in ihm das erste Wort Gottes: Es werde Licht! Gottes Atem hat es zum Schlagen gebracht und es ist unruhig unterwegs um wieder in ihm Ruhe zu finden (Augustinus). Ach das Herz ist uns so nah und doch meistens unendlich fern, wie Gott selbst!

Und deshalb dürfen und müssen wir der frohen Botschaft des Propheten Jeremia noch eine frohe Botschaft hinzufügen: Das Evangelium von Jesus Christus.

Verheißt uns Jeremia, dass beherzte Menschen Gott finden, immer und überall, dann verheißt uns das Evangelium, dass der beherzte Gott uns Menschen sucht und findet, immer und überall. Nicht nur unser Herz ist zu ihm unterwegs, sondern auch das Herz Gottes ist zu uns unterwegs. An Weihnachten kommt es im Stall von Bethlehem zur Welt um zu suchen und zu finden, was verloren ist. Denn leider findet unser Herz nicht von alleine nach Hause. Gott kommt zur Welt um es nach Hause zu bringen, auch durch finstere Täler hindurch, durch Schicksal und Schuld und Tod.

Die Freude darüber – und nichts anderes ist der Glaube – bringt auch versteinerte Herzen wieder zum Schlagen. Der Christus, hat Paulus begriffen, ist wie der zweite Schöpfungsatem Gottes, der auch die verlorenen und abgestorbenen Herzen zu neuem Leben erweckt. Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur (2.Kor. 5/17). Und wir sehen darin, dass das Erlösungshandeln Gottes weniger unseren Verstand, unsere Moral, unsere Leistung im Blick hat, sondern vor allem unser Herz, in dem alles endet und beginnt.

Denn als beherzte Menschen kann uns keine Zukunft schrecken. Denn das Herz ist der Kompass, der seinen Weg findet.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

13 Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.
 

 


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