Liebe Leser,
„Drei Knaben schreien und traktieren mit Bauchtritten einander,
schießen sich mit Zündplättchenpistolen in die Schläfen. In der
offenen Brutalität dieser Nachkommenschaft steht unser aller
Gewaltverzicht auf dem Spiel. Das tut sie nicht im Kämpfen an sich,
sondern nur in den regellosen, enthemmten Formen der Angriffslust.
Man hat bei uns jede Moral des Kampfes vernachlässigt, so vor allem
auch die, die Würde des Gegners zu achten. Die Quelle des Übels ist
Formlosigkeit. Aus formloser Friedfertigkeit ging formlose Gewalt
hervor. Man soll den Kindern eben nicht sagen: ihr dürft nicht
kämpfen, kämpfen ist unmenschlich. Sondern im Gegenteil, man muss
sie so früh wie möglich auf die Gesetzmäßigkeit des Kampfes
verpflichten.“ (Botho Strauss, Die Fehler des Kopisten, Hanser,
1997, S.90)
Womit wir mit den Worten des Schriftstellers Botho Strauss einen
Kontrapunkt zum geläufigen Verständnis unseres heutigen
Predigttextes gesetzt hätten. „Schwerter zu Pflugscharen“, das
riecht nach Jutetasche, Jesuslatschen und lila Tüchern. „Schwerter
zu Pflugscharen“, das klingt nach moralischer Aufrüstung gegen
militärische Aufrüstung, nach Betroffenheit, Entrüstung und
Gutmenschentum. Gesichter der Friedensbewegung fallen einem wieder
einmal ein: Gerd Bastian und Petra Kelly oder das unverwüstliche und
wehrhafte Gewissen der Grünen namens Claudia Roth.
Still ist es geworden um die Friedensmärsche. Längst haben die
Geschichtsschreiber notiert, dass der Natodoppelbeschluss von 1979
den Zusammenbruch des kommunistischen Machtblocks befördert hat. Aus
„nie wieder Krieg“ wurde im Munde Joschka Fischers „nie wieder
Auschwitz“. Deutsche Soldaten stehen im Kosovo und in Afghanistan,
um die elend dünne Decke der Zivilisation notdürftig
zusammenzuhalten, notfalls mit Gewalt. In Somalia, wo Menschen
verhungern, während der Bürgerkrieg weitergeht, wären sie dringend
nötig. „Krieg gegen den Terror“?, das hat schon einen Dietrich
Bonhoeffer beschäftigt. Kann man die pazifistischen Hände in
Unschuld waschen, während ein Naziregime mit industrieller Präzision
Juden zu Millionen ermordet? Pfarrer Bonhoeffer hat dies verneint
und dafür mit dem Leben bezahlt?
Vergessen wir nicht den Krieg, der sich hinter dem Begriff
„Globalisierung“ versteckt. Ein Krieg, der nicht mit Waffen, sondern
mit Geld geführt wird und bei dem Existenzen und Arbeitsplätze auf
der Strecke bleiben. Niemand kann verhindern, dass die Welt
zusammenrückt und Konkurrenz am anderen Ende der Welt heute wie vor
der Haustüre ist. Aber die Einsicht wächst, dass Globalisierung
vernichtend wirkt, wenn ihr die Zivilisation, die Regeln des Kampfes
fehlen. Genau das ist bis heute der Fall.
„Schwerter zu Pflugscharen“ eine dieser Utopien, die für unsere Welt
nicht geschaffen sind? Ist das nicht wenigstens ein biblisches
Prinzip, das die Kirche trotzig zu predigen hat, auch wenn sie sich
dann in den Augen vieler als weltfremd darstellt? War nicht Jesus
der Pazifist schlechthin?
Lesen wir die Worte des Jesaja aufmerksam. Sie erzählen vom
endzeitlichen Handeln Gottes, mit dem er seine Herrschaft auf Erden
durchsetzt. Ein Ereignis von zunächst geologischer Gewalt. Der
Gottesberg Zion ist ja auch zu Jesajas Zeiten ehr ein mickriges
Hügelchen und wird schon vom angrenzenden Ölberg überragt. Den
Himalaja kannte der Prophet nicht, aber den Berg des Götzen Baal im
Norden Ugarits, der bei schlechtem Wetter in den Wolken verschwand.
Einmal – sieht Jesaja - wird der Zion das Dach der Welt sein, auf
dem Gottes Thron steht, an dem die Völker nicht vorbeikommen. Und er
wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker.
Wie die Jungs, denen man die Zündplättchenpistolen und Zwillen aus
der Tasche zieht und sie anweist, mit ihren Händen etwas Nützliches
zu tun. Gott rüstet seine Menschen ab und rüstet sie auf mit
Sicheln, Rebmessern und Pflugscharen. Gott reißt das Macht- und
Gewaltmonopol an sich und erklärt sich zur alleinigen Supermacht.
Gott setzt die Regeln fest. Dabei lässt er den Menschen keine Wahl
und die zu seinem Berg kommen, sehen ein, dass sie keine Wahl haben.
Gottes Handeln ist von bezwingender Größe und Autorität.
Jesus von Nazareth sieht das nicht anders. Der Theologe Klaus Berger
schreibt in seinem Jesusbuch: „Es ist gar nicht ausgemacht …, dass
Jesus ein prinzipieller Pazifist war. … Findet sich in der
Jesusüberlieferung auch nur ein Hauch der Idee von „Gewaltlosigkeit
um ihrer selbst willen“? Was sollen dann all die Aussagen über
Gottes Reich, wenn es im Kern nur um das Prinzip einer
pazifistischen Autorität geht? Wäre Religion samt der Rede von Gott
dann nicht nur überflüssiger Überbau?“ (Klaus Berger, Jesus,
Pattloch, 2004, S. 377f.) Und wir fügen hinzu: Genau damit machen
all die ernst, die die biblische Botschaft für eine Ansammlung von
christlichen Prinzipien und Werten halten und meinen, an die könnten
sie sich auch ohne den Überbau des Glaubens halten. Und damit
verfehlen sie das Evangelium in seinem innersten Kern.
Die Botschaft Jesu ist nicht an Prinzipien und Werten mit göttlichem
Überbau interessiert, sondern allein an der Wahrheit. Prinzipien und
Werte kann man sich aussuchen. Es ist ja ein Elend der Postmoderne,
dass sie wie ein Ramschladen solcher Werte daherkommt. Jeder holt
sich was er will und kann und was ihm in den Kram passt. Die
Wahrheit kann man nicht erfinden. Die Wahrheit kann man sich nicht
aussuchen. Wahrheit – und wir betonen: nur sie selbst, nicht ihre
Vertreter – erhebt notwendig den Anspruch auf Unfehlbarkeit. Eine
fehlbare Wahrheit wäre ein Widerspruch in sich selbst. Gott ist die
Wahrheit. Und es ist die Pointe des Evangeliums, dass uns Gott als
die Wahrheit in Jesus Christus begegnen will: „Ich bin der Weg und
die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch
mich.“ (Joh 14,6)
Natürlich erhebt diese Wahrheit Anspruch auf Autorität. „Autorität
ist die Funktion des notwendigen Anspruchs der Wahrheit auf
Infallibilität (Unfehlbarkeit)“. „Autorität wird also stets durch
Wahrheit konstituiert, niemals aber Wahrheit durch Autorität.“
(Eberhard Jüngel, Unterwegs zur Sache, 3. Auflage 2000, Mohr
Siebeck, S.182)
Auch Jesus lässt keinen Zweifel, dass sich das Reich Gottes und mit
ihm die Wahrheit letztlich durchsetzen wird. Freilich nicht
autoritär, wie es bei Jesaja den Anschein hat, sondern mit sanfter
Gewalt: „die Bitte ist die Autoritätsform des Evangeliums“ (Jüngel,
aaO. S.187). Auch darin liegt ein wichtiger Teil der Frohen
Botschaft: dass der Christus um unser Einverständnis in Freiheit
wirbt und seiner Bitte um Versöhnung mit Gott mehr zutraut als der
Gewalt des Allmächtigen. (vgl. 2.Kor. 5/20) Das ist keine Schwäche,
sondern eine Gnade Gottes. Seine Geduld schenkt uns Freiheit und
Zeit. Wie viel Krieg und Leid entsteht aus unserer Ungeduld und
unserer Vorliebe für kurze Prozesse. Gerade am bittenden Christus
kann man den Friedensstifter lernen.
Für die Jungs mit den Zündplättchenpistolen tut’s die geduldige und
beharrliche Lehre von den Regeln. Jesus übrigens war ein Fan von
solchen Regeln, sofern sie dem Leben und den Menschen dienen und
nicht umgekehrt. Formlose Friedfertigkeit, die in Wahrheit Feigheit
und Gleichgültigkeit ist, ist seine Sache nicht. Martin Luther: Wenn
sich die Heiden in ihrer verderbten Natur eine Vorstellung von Gott
machen und sich selbst ein Gesetz sein könnten, wieviel mehr kann
Paulus oder ein vollkommener Christ, voll des heiligen Geistes, eine
Art Dekalog aufstellen und über alles richtig urteilen. [Martin
Luther: Die Thesen Luthers für fünf Promotionsdisputationen
(1535-1537). Martin Luther: Gesammelte Werke, S. 2873 (vgl. Luther-W
Bd. 4, S. 285)]
Also gilt: der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten und wer
sich nicht an die Regeln hält, bekommt erst die gelbe und dann die
rote Karte und fliegt vom Platz. Und wenn sie groß sind, werden
diese Jungs es hoffentlich besser hinbekommen als ihre Väter: Dass
auch im Großen Regeln gelten, die dem Leben dienen. Globalisiertes
Recht zugunsten des Lebens. Auch da wären sicher Schwerter übrig für
Pflugscharen und Rebmesser. Und alle Engel im Himmel würden sich
freuen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Dies ist's, was Jesaja, der Sohn des Amoz,
geschaut hat über Juda und Jerusalem:
2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest
stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle
Heiden werden herzulaufen,
3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf
den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns
lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion
wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
4 Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele
Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße
zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das
Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu
führen.
5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des
HERRN!
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