Liebe Leser,
der Theologe Fulbert Steffensky hielt auf der Synode der EKD im Mai
2003 ein Grundsatzreferat zum Thema: „Der Seele Raum geben - Kirchen
als Orte der Besinnung und Ermutigung“. Ich zitiere: „Die heiligen
Räume haben heute ihr Problem mit uns. Wir lieben die Fremde nicht!
In narzisstischen Lagen versuchen Menschen, alles sich selber gleich
zu machen und sich alles anzueignen. Sie wollen sich dauernd selber
vorkommen, sie wollen die Wärme und die Unmittelbarkeit einer sich
selbst feiernden Gruppe. Und so soll es auch im Gottesdienst und in
der Kirche gemütlich sein wie zuhause im Wohnzimmer.
Je individueller und je formloser die einzelnen und die Gruppen
vorkommen, um so authentischer scheint der Gottesdienst zu sein. Die
Selbstfeier der Gemeinde wird zur Gottesdienstabsicht. Dieser
Selbstfeier werden die Texte, die Formen und manchmal auch die Räume
unterworfen. Die Gemeinde will unmittelbar zu sich selber sein, und
so verliert der Gottesdienst seine Fremdheit, seine Andersheit. Das
Verhalten der Menschen wird ununterscheidbar vom Verhalten zuhause,
im Wirtshaus oder auf einer Party. Die Sakralität der Handlung und
des Raumes wird nicht aufgehoben … durch das prophetische Wissen um
die Heiligkeit aller Orte, sie wird zerstört durch die Banalität
narzisstischer Allgegenwart. Die alten Räume stellen sich in ihrer
Fremdheit zum Glück solchen Versuchen noch in den Weg, damit wird
die Komik solcher Selbstinszenierungen wenigstens durchschaubar.“
Ob es nur komisch ist, wenn bei Trauungen die Kirche in ein privates
Filmstudio verwandelt wird und man gerne Luftballons oder
Seifenblasen steigen lassen möchte? Ob es nur komisch ist, wenn
Konfirmanden bei der Vorstellung im Gottesdienst am Altar lümmeln
oder leicht bekleidete Touristen mit dem Eis in der Hand durch alle
Winkel einer Kirche latschen? Denn, so stand in einem Leserbrief,
wir wollen doch auch in der Kirche fröhlich sein. Ob Kirchenmitglied
oder nicht, man meint ein Anrecht zu haben, alles, was man sonst
lustig findet, auch in der Kirche tun zu dürfen und ist hellauf
empört, wenn die Kirche schon wieder „Schwierigkeiten“ macht. Aber
bestimmt findet man dann eine Kirche und einen Geistlichen, der das
alles mitmacht. Kirche im Discounterwettbewerb. Allmächtig scheint
die Macht des Profanen und Banalen zu sein, allmächtig wie die
Gesetze des Marktes. Und wie viele haben sich auch in der Kirche
dieser Macht längst ergeben und lassen den lieben Gott einen guten
Mann sein.
Und genau das ist Gott nicht! Unser heutiger Predigttext lenkt
unsere erschreckten Blicke auf die Heiligkeit Gottes. Was wir im
Jesajabuch sehen und hören lässt alles seichte Geschwätz über den
lieben Gott, der alle Menschen annimmt, wie sie sind, als dumpfe
Dummheit dastehen. Jesaja lässt uns den gewaltigen und
lebensbedrohenden Atem dessen spüren, der Himmel und Erde gemacht
hat; der Galaxien anzündet und ausbläst. Wer vor ihm steht, ragt
eine Winzigkeit aus dem Nichts und weiß nicht, ob er leben darf oder
vergehen muss.
So wie er ist, weiß Jesaja, steht Letzteres fest. Weh mir, ich
vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von
unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen
mit meinen Augen. Der heilige Gott und der vom Makel gezeichnete
Mensch können nicht nebeneinander sein. Wer in die Gegenwart Gottes
kommt setzt sein Leben aufs Spiel.
In dieser Situation gibt es nur eine Hoffnung. Dass Gott selbst
etwas tut, um Jesaja bestehen zu lassen. Glühende Kohlen ganz nah an
den Lippen. Das muss weh tun. Aber das ist besser als Asche aufs
Haupt und was der Gesten der Betroffenheit mehr sind. Gott selbst
reinigt Jesaja mit Feuer. In Zukunft wehen ihm die Worte wie Flammen
vom Mund. Andere werden sagen: er verbrennt sich das Maul.
Luther: „Wo gibt es heute einen Geistlichen, der nicht der Meinung
wäre, es sei eine größere Sünde, wenn er der Fleischessünde verfiele
... als wenn er das Wort der Wahrheit überginge oder nicht richtig
auslegte! Denn diese Leute, mögen sie sonst gute und fromme Männer
sein, irren sich. Sie meinen, es sei allein das Wort der Wahrheit,
worin sie nicht sündigen könnten, während es doch geradezu das
Einzige ist, worin der Priester als Priester sündigt.“ (zitiert nach
Michael Dorsch, GPM, Heft 3, 2005, 59. Jg., S. 306)
Jesaja wird in diesem Punkt nicht fehlen, auch wenn die Botschaft,
die er auszurichten hat, von beklemmender Hoffnungslosigkeit ist:
Verfette das Herz dieses Volks, verstumpfe ihre Ohren und verklebe
ihre Augen, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit
ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren
und genesen. So kann man Ausweglosigkeit beschreiben. So kann man
ein Volk beschreiben, dem nicht zu helfen ist. Kann man das
akzeptieren? Was für eine Frage, wenn Gott es so will.
Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst
werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld
ganz wüst daliegt. Vom Schmerz des Jesaja erfahren wir nichts. Aber
wir stellen uns vor, dass ihm Gesichter einfallen, Menschen, die er
liebt. Wir stellen uns vor, wie unmöglich es für Jesaja ist, zu
glauben, dass die, die er liebt, keine Zukunft haben. Eines schönen
Tages sind sie ein zerrissenes Fähnchen im Wind. Ach, wie können wir
meinen, wir säßen fett drin, im Land, in der Welt, ja sogar in der
Kirche?
Er hat mir Bilder gezeigt. Seine beiden Töchter, früh gestorben,
beide an Krebs. Verwandtschaft habe er auch keine mehr. Die
Geschwister schon tot. Selbst die Nichten und Neffen. Und jetzt
seine Frau. Sie hätten sich gegenseitig immer getröstet gegen diesen
Ansturm von Tod und Verderben. Jetzt bin ich allein. Zerrissenes
Fähnchen im Wind. Warum nur, Herr Pfarrer!
Luther: „…der in seiner Majestät verborgene Gott beklagt weder den
Tod, noch hebt er ihn auf, sondern wirkt Leben, Tod und alles in
allem. Denn da hat er sich nicht durch sein Wort in Grenzen
eingeschlossen, sondern hat die Freiheit seiner selbst über alles
behalten ... Nun aber müssen wir das Wort anschauen und jenen
unerforschlichen Willen stehen lassen ...“(Michael Dorsch, a.a.O,
S.308)
Über das verborgene Werk Gottes kann man nicht reden. Und auch der
Herr Pfarrer kann darüber nur schweigen. Und doch – wie trostlos
wäre es erst, wir hätten es in all diesen Dingen nicht mehr mit Gott
zu tun? Dann wären wir wirklich aus der Hand Gottes gefallen. Dann
wäre Leiden und Tod wirklich nichts anderes als die Folge eines
tauben und blinden Zufalls. Dann wären wir wirklich gottverlassen.
Ich aber sprach: Herr, wie lange? Denn der HERR verstößt nicht ewig;
sondern hat er betrübt so erbarmt sich wieder nach seiner großen
Güte. Denn nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschenkinder.
(Klagelieder 3/31ff) Gott sei Dank weiß Jesaja: Dies kann nicht
Gottes letztes Wort sein. Gott sei Dank gibt es nicht nur das
verborgene Handeln Gottes, sondern den öffentlichen Willen seines
Worts, in dem Gott sich ins Herz schauen lässt. Aber selbst dies ist
wohl kaum ohne Ehrfurcht, ohne fürchten und lieben zu haben: Warum
um alles in der Welt hält dieser Gott dich und mich überhaupt eines
öffentlichen Wortes für wert? Was für ein Wunder, dass dieser Gott
uns sein Christusgesicht zeigt. Was für ein Wunder, dass dieser
Christus uns Bahn bricht ins Herz Gottes hinein.
Verfettete Herzen haben dafür keinen Sinn. Ach, wie können wir
meinen, wir säßen fett drin, im Land, in der Welt, ja sogar in der
Kirche? Wie können wir meinen, wir könnten mit Gott rechten oder ihn
einen guten Mann sein lassen, weil wir doch auch in der Kirche
fröhlich sein wollen?
So Gott will, muss es heißen. Im Guten wie im Bösen. So Gott will.
Unnahbar und heilig. Liebevoll und tröstlich: In der begründeten
Hoffnung, dass Gott am Ende alles gut machen will.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 In dem Jahr, als der
König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und
erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel.
2 Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien
deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit
zweien flogen sie.
3 Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist
der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!
4 Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus
ward voll Rauch.
5 Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen
und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den
König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.
6 Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in
der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm,
7 und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine
Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine
Sünde gesühnt sei.
8 Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich
senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich,
sende mich!
9 Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und
verstehet's nicht; sehet und merket's nicht!
10 Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und
ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören
mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht
bekehren und genesen.
11 Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst
werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld
ganz wüst daliegt.
12 Denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, sodass das Land sehr
verlassen sein wird.
13 Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals
verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim
Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf
sein.
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