Liebe Leser,
„Der Himmel gehört mittlerweile, auch dank Heine, nur noch den
Engeln und den Spatzen und der trivialen Aufklärung. »Wir wollen
hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten.« In den heutigen
Zeiten heißt das, in der Vulgärform: Jetzt will jeder ran. Jetzt
kann jeder ran. Jetzt ist es überhaupt das einzige wirklich große
Ding, dass jeder so viel Geld und Glück rafft wie er kann. Das ist
übrig geblieben von Heines Säkularisierung und seinem Kampf gegen
die Pfaffen und seiner Vision eines kommunistischen Paradieses - ein
kapitalistischer Sauhaufen.“ (Matthias Matussek, Wir Deutschen,
Fischer 2006, S. 193)
Matthias Matussek hat das 2006 in seinem Buch „Wir Deutschen“
geschrieben. Das war vor der großen Banken- und Finanzkrise. Heute
wird es wohl keinen geben, der sich über ein solches Zitat ernstlich
aufregt: Weder aufregt im Sinne des heftigen Widerspruchs, noch
aufregt im Sinne des heiligen Zorns. Wir alle haben uns längst mit
der eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit gegenüber solchen Sauhaufen
abgefunden. Der Armutsbericht der Bundesregierung zum Jahresende war
erwiesenermaßen geschönt. Der Armutsbericht des Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes mit alarmierenden Zahlen zum wachsenden
Unterschied zwischen Reich und Arm ging einen Tag lang durch die
Meldungen. Er fand bei weitem weniger Aufmerksamkeit als das
Maya-Geblödel auf allen Kanälen.
Alexander Kissler schrieb dieser Tage:
„Zweierlei zeigt die Maya-Manie: Die freie westliche Gesellschaft,
die ohne die Geburt Jesu damals im Stall zu Bethlehem so gar nicht
existierte, ist wenig gesonnen, sich ihrer eigenen Ursprünge zu
besinnen. Man tut zu den Akten, was einem letztlich das Leben
brachte. Noch in der schärfsten Ablehnung bleibt das Christentum mit
seinem Freiheitsfunken, seiner Entgötterung der Welt und seiner
Neuschöpfung des Menschen als Person, die identifikatorische Mitte
von Europa, Abendland, Westen.
Damit eng zusammen hängt ein Zweites: Aus der Unlust, des Ursprungs
zu gedenken, resultiert eine Unlust auf alles Zukünftige. Heißa,
scheint der Maya-Kalender uns zuzurufen, bald ist alles überstanden,
freut euch, seid froh und geht unter mit einem Spaß auf den Lippen.
Das vorgestellte Ende von Gattung und Universum erheitert uns. Die
tatsächliche Zukunft hingegen erscheint uns derart verhängt, dass
wir uns mit ihr lieber nicht so genau beschäftigen wollen. Dem
vermuteten Schrecken ohne Ende ziehen wir ein ebenso vermutetes Ende
mit Schrecken vor. Eine Generation aber, die in ihr Ende vernarrt
ist - auch die wütende Debatte um eine zunehmend entgrenzte
Sterbehilfe zeugt davon -, eine solche Generation kann die Zukunft
nicht meistern. Etwas mehr Weihnacht und etwas weniger Maya täte uns
gut.“ (http://www.focus.de/politik/deutschland/kisslers-konter/kisslers-konter-maya-manie-das-steckt-hinter-der-lust-am-untergang_aid_871192.html
) Zitat Ende.
Etwas mehr Weihnacht darf es am 2. Feiertag sein. Etwas mehr als das
herzige Jesulein im Strohbett. Der Prophet Jesaja weist uns darauf
hin, dass der Spross aus dem Stamm des Vaters Davids, der Zweig aus
der Wurzel Isais, nicht herzig und klein bleibt, sondern zum
Lebensbaum für die Welt wird, in dem alle Zukunft beschlossen liegt.
Ja, in der Krippe von Bethlehem liegt die neue Welt im Kindbett, die
es unwiderstehlich mit der alten Welt und ihren Sauhaufen aufnimmt,
die seit dem Moment, in dem das Christuskind die Augen aufschlägt,
keine Zukunft mehr haben.
Freilich, das Himmelreich Gottes nimmt es mit der alten Welt nicht
mit den gleichen Mitteln auf. Gott kämpft nicht mit Waffen und
physischer Gewalt. Seine Macht, an der sich Tod und Leben
entscheiden, übt er mit dem Stab seines Mundes und dem Odem seiner
Lippen. Dieses Wort unterscheidet. Sein oder Nichtsein. Alles steht
in Frage. Denn die neue Welt Gottes steht im Kontrast zur alten.
Drücken wir uns um diese Härte nicht herum. Um Gottes Willen.
Hören wir stattdessen die Kampfansage Gottes an die alte Welt mit
den Ohren der Armen und Elenden. Sehen wir sie mit den Augen der
Unzähligen, denen man das Lebensrecht auf dieser Welt verweigert und
nimmt. Für all die ist die Kampfansage Gottes an die alte Welt ein
kosmisches Wort des Erbarmens.
Es ist ja wirklich unerträglich, was man mit der Evolutionstheorie
des Charles Darvin gemacht hat. Er würde sich im Grab umdrehen, wenn
er erfahren müsste, dass seine Theorie als Sozialdarvinismus längst
das Herz und den Verstand unzähliger Menschen in den
kapitalistischen Gesellschaften vernebelt: Der Reiche und Starke
setzt sich durch und nimmt dem Armen und Schwachen nicht nur seine
Arbeitskraft, sein Geld und sein Land, sondern bei Bedarf sogar
seine Organe. Das wäre richtig, weil das Leben auf dieser Welt schon
immer so funktioniert habe. Der Mensch sei natürlicherweise des
Menschen Wolf.
Was derart schlichte Denker freilich übersehen ist, dass der
Leitwolf im Rudel auch für das Leben der schwachen Rudelmitglieder
sorgt. Im Rudel muss keiner verhungern. Und kommt es zum Kampf zeigt
der Unterlegene die Kehle. Kein Sieger beißt dann mehr zu. Ein
Wolfsrudel nach den Spielregeln der Sozialdarvinisten wäre nicht
überlebensfähig. Nach dem Massaker von Newtown darf deshalb nicht
bloß nach neuen Gesetzen und nach Psychotherapie gerufen werden. Es
muss die Frage erlaubt sein, wie hoch, bzw. wie erschreckend niedrig
der Wasserstand des Erbarmens in unseren zivilisierten
Gesellschaften inzwischen ist.
Sicherlich können sich auch Humanisten und andere denkende Menschen
damit anfreunden, dass die Bibel die Gottesebenbildlichkeit des
Menschen gerade nicht in seinem aufrechten Gang und seinem Verstand
erblickt, sondern in seiner Fähigkeit - wie Gott selbst - liebevolle
Beziehungen nicht nur zu Seinesgleichen, sondern zu allen Kreaturen
zu pflegen. Ein erbarmungsloser Mensch ist daher ein seine
Menschlichkeit verfehlender Mensch: Der unmenschlich gewordene
Mensch.
Die Vision, die der Prophet Jesaja von der neuen Welt Gottes hat,
ist von Gottes Erbarmen durchzogen, das sich nicht nur in der
Menschenwelt, sondern auch in der Tierwelt und im Verhältnis des
Menschen zu allen Kreaturen und im Verhältnis aller Kreaturen zum
Menschen vollkommen durchsetzt. Eia, wärn wir da! Bis aber die neue
Welt Gottes, die im Stall von Bethlehem im Kindbett liegt, alle Welt
einholt, lasst uns beim Christuskind in der Krippe etwas über das
Erbarmen und damit über Menschlichkeit lernen. In der Schule des
Glaubens, die die Bibel Heiligung nennt, werden Gottlose nicht
göttlich, sondern Unmenschliche menschlich.
Lasst uns deshalb von dem lernen, der auf das Recht des Stärkeren
verzichtete und denjenigen den Größten und Ersten und Mächtigsten
nannte, der der Diener aller ist.(Markus 9,35) Harte Lektionen
warten auf uns! Nachfolge Christi unter dem brüllenden Gelächter aus
den Sauhaufen dieser Welt. Und vielleicht sogar mitleidiges Lächeln
aus den oberen Etagen der eigenen Kirche. Einer Kirche, die aus
Angst vor der Bedeutungslosigkeit heute auf jeden vorbeifahrenden
Zug aufspringt, wenn nur genug Leute drinsitzen. Einer Kirche, die
bei allen ankommen und auf keinen Fall Kontrastgesellschaft sein
will.
Aber was sollen die Nachfolger Jesu Christi anderes sein? Die neue
Welt Gottes, die Jesaja sieht, steht im Kontrast zur alten. „Welt in
der Kehre“, Welt in der Umkehr zu Gott, hat der Theologe Eberhard
Jüngel die christliche Gemeinde genannt. Ja schon wahr: Wer zu Gott
umkehrt, wird Barmherzigkeit und damit Menschlichkeit lernen und
wird sich so nicht nur Gott, sondern den Menschen und der Kreatur in
neuer Weise zuwenden. Die Kirche als Kontrastgesellschaft ist daher
alles andere als eine geschlossene Gesellschaft. Aber sie zeigt
einer unmenschlich, herzlos und unbarmherzig gewordenen Welt die
Alternative: Den Gott, der keine Freude am Tod und am Ende hat,
sondern am Leben.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem
Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.
2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und
des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der
Erkenntnis und der Furcht des HERRN.
3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird
nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen
nach dem, was seine Ohren hören,
4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes
Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe
seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner
Lippen den Gottlosen töten.
5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der
Gurt seiner Hüften.
6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den
Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und
Mastvieh miteinander treiben.
7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen
beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder.
8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein
entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.
9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen
heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein,
wie Wasser das Meer bedeckt.
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