Predigt     Jahreslosung 2002     Jesaja 12/2    01.01.2002

"Gegen die ungefähre Rede von Gott"
(Von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

mit der Gretchenfrage schickt uns die Jahreslosung in das neue Jahr. Im Faust – der Tragödie erster Teil, fragt Margarete ihren geliebten Heinrich: Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?

Und Heinrich drauf: „Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,/ Nenn es dann wie du willst,/ Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!/ Ich habe keinen Namen/ Dafür! Gefühl ist alles;/ Name ist Schall und Rauch,/ Umnebelnd Himmelsglut.
Drauf Margarete wenig überzeugt: „Das ist alles recht schön und gut;/ Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,/ Nur mit ein bisschen andern Worten.“ (J.W. Goethe, Faust, Teil 1, zitiert nach A. Noack, GPM, Nr. 4, 2001, S.75f.)

Hoffentlich sagt er’s mit mindestens so schönen und gefühlvollen Worten. Und nicht im modernen Jargon, der mit „Hallihallohallöle“ anfängt und mit „Piep, piep, piep, wir ham uns alle lieb“ aufhört. Jüngst las ich vom Ende des tiefen und dauerhaften Gefühls. Jugendliche würden emotional an der Glotze erzogen und da wechseln die Gefühle minütlich. Ein Vorteil für Menschen, die auf einem immer mobiler werdenden Arbeitsmarkt leben müssten: „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort.“

Ins Ungefähre leben, fühlen, reden, glauben? Tun wir’s alle nicht längst? Seit dem 11. September haben sich die Kirchen um einen Dialog mit den Moslems bemüht. Eine erste Bilanz dieses Dialogs fällt ernüchternd aus. Nicht nur, dass man auf der islamischen Seite niemand findet, der für den Islam reden kann und sich im Angesicht seiner Auswüchse nicht selbst als Opfer, sondern verantwortlich fühlt – auch auf der christlichen Seite scheint die Sehnsucht nach Harmonie vor den Grundsätzen des eigenen Glaubens nicht Halt zu machen oder noch schlimmer: Der christliche Glaube scheint sich seiner selbst alles andere als sicher zu sein. Es gibt Umfragen, in denen die Hälfte meint, Christen und Moslems glaubten an ein und denselben Gott. So feiert man den gemeinsamen ersten Glaubensartikel, als wäre das Credo dort zu Ende; oder als wäre der lange Rest mit seinem Bekenntnis zum Christusglauben das Sahnehäubchen, dass man getrost beiseite pusten kann, wenn es die Eintracht schmälert. 

Sind wir hierzulande nicht allzu taub für die Schreie der verfolgten Glaubensbrüder und -schwestern in Nigeria und im Sudan, in Ägypten und in Indonesien? Auf den indonesischen Molukken sind bereits Tausende von Christen religiösen Säuberungen zum Opfer gefallen und "weit mehr als 700 Kirchen" zerstört worden, wie EKD-Auslandsbischof Koppe berichtet, der auch die Ursachen kennt: "Die gewalttätigen Konflikte haben fundamentalistische muslimische Gruppen begonnen." Wo, bitte schön, sind die Überreste des angeblich friedlichen Islam, wie es ihn im mittelalterlichen Andalusien einmal gab, denn heute in der Wirklichkeit dieser Erde noch zu finden? Wo ist ein islamischer Staat, der demokratisch ist und mit den Christen auch nur annähernd so tolerant umgeht, wie die Christen bei uns mit den Moslems?

Damit kein Missverständnis aufkommt: Zu einem Dialog der Religionen gibt es keine Alternative. Aber es gibt keinen Dialog, wenn die Gesprächspartner sich in ihrer Sache nicht zuständig und nicht sicher fühlen. Es gibt keinen Dialog ohne klare Positionen. Die Gretchenfrage darf um eines lieben und ebenso faulen Friedens nicht unter den Teppich gekehrt werden: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Und darauf wollen wir nicht blumig und ins Ungefähre reden, wie der Heinrich im Faust oder wie das nach Margaretes Erfahrung auch so mancher Pfarrer tut, nur mit anderen Worten. Darauf wollen wir mit der Losung für das neue Jahr bekennen:
Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen.

Etwas Handfestes, etwas Bestimmtes hat dieses Wort für das Jahr 2002. Es ist Besinnung und Selbstbesinnung zugleich. Hier ist der Rettungsring, ihn zu ergreifen, statt im Trüben nach ihm zu fischen. Hier ist die Hand, in der wir uns geborgen wiederfinden. Das ist nicht die Hand irgendeines Gottes. Dieses Wort „Gott“ ist kein Joker im interreligiösen, ideologischen oder gar politischen Kartenspiel. Der Gott, den wir mit diesem Wort meinen, offenbart, definiert sich selbst in seinem Wort und in seiner Menschwerdung in Jesus dem Christus. 

Dieser Gott steht nicht auf der Seite von Mächten, Nationen und politischen Parteien, sondern auf der Seite des Lebens, der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Dieser Gott ist Rettung, Heil, was im hebräischen Wortsinn einen weiten Raum bezeichnet, Lebensraum zum friedlichen und vielfältigen Miteinander. Deshalb übersetzt Martin Buber den Vers der Jahreslosung treffend: „Der Gott meiner Freiheit, ich verlasse mich, ich verzage nicht.“

Buber vermeidet in seiner Übersetzung den falschen Akzent, den die Einheitsübersetzung anschlägt: Ich will ihm vertrauen und niemals verzagen. Ach, das klingt in der Tat nach all den guten Vorsätzen, die zu Silvester gefasst werden und mit denen bekanntlich der Weg zur Hölle gepflastert ist. Als könnte man Vertrauen durch irgendetwas erzwingen. Als wäre das Verzagen eine Willensschwäche. Vertrauen kann nur geweckt und geschenkt werden. Und dem Verzagten muss ein Licht der Hoffnung aufgehen. 

Und darum lässt die Jahreslosung am Anfang den Gott meiner Rettung, den Gott meiner Freiheit um so heller aufleuchten, damit sich an ihm das Vertrauen entzündet und dieses alles erstickende Gefühl der Vergeblichkeit seinen bösen Geist aufgibt, bevor es uns in den Griff bekommt; bevor wir endgültig eingemauert sind in unsere Probleme. 

Vielleicht ist genau das das Gefühl, das so manchen unter uns auf dem Weg ins neue Jahr begleitet. Und vergessen wir nicht: Diesen Vers hat Jesaja niedergeschrieben vor einer finsteren Zeit für das Volk Israel. In ihm steckt trotz allem ein Stern, eine ungeheure Kraft für den Weg durch die Nacht: Der Gott meiner Rettung. Der Gott meiner Freiheit. Der wird nicht zulassen, dass die Mauern sich um mich schließen und das Gefühl der Vergeblichkeit von mir Besitz ergreift. Und deshalb kommt es in dieser Nacht und in allen Nächten unseres Lebens vor allem darauf an, dass wir diesen Gott nicht verfehlen. Dass er uns nicht ins Ungefähre entschwindet und mit ihm unsere Hoffnung und mit der Hoffnung unsere tröstliche Rede von ihm und mit ihr unser christlicher Glaube. 

Die Jahreslosung ruft uns Christen auf dem Weg in ein neues Jahr zur Besinnung und Selbstbesinnung. Zur Besinnung auf unseren Gott. Sein Name ist nicht Schall und Rauch. Er hat sich einen Namen gegeben, in Christus der Welt sein Gesicht gezeigt und uns sein Evangelium geschenkt. Er ist nicht zu verwechseln. Wer sich auf ihn besinnt, darf sich in seiner Hand geborgen wiederfinden: Selbstbewusst! Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen.


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