Liebe Leser,
mit der Gretchenfrage schickt uns die Jahreslosung in das neue Jahr. Im
Faust – der Tragödie erster Teil, fragt Margarete ihren geliebten
Heinrich: Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Und Heinrich drauf: „Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,/ Nenn
es dann wie du willst,/ Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!/ Ich habe
keinen Namen/ Dafür! Gefühl ist alles;/ Name ist Schall und Rauch,/
Umnebelnd Himmelsglut.
Drauf Margarete wenig überzeugt: „Das ist alles recht schön und gut;/
Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,/ Nur mit ein bisschen andern
Worten.“ (J.W. Goethe, Faust, Teil 1, zitiert nach A. Noack, GPM, Nr. 4,
2001, S.75f.)
Hoffentlich sagt er’s mit mindestens so schönen und gefühlvollen Worten.
Und nicht im modernen Jargon, der mit „Hallihallohallöle“ anfängt und
mit „Piep, piep, piep, wir ham uns alle lieb“ aufhört. Jüngst las ich
vom Ende des tiefen und dauerhaften Gefühls. Jugendliche würden
emotional an der Glotze erzogen und da wechseln die Gefühle minütlich.
Ein Vorteil für Menschen, die auf einem immer mobiler werdenden
Arbeitsmarkt leben müssten: „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss
ich fort.“
Ins Ungefähre leben, fühlen, reden, glauben? Tun wir’s alle nicht
längst? Seit dem 11. September haben sich die Kirchen um einen Dialog
mit den Moslems bemüht. Eine erste Bilanz dieses Dialogs fällt
ernüchternd aus. Nicht nur, dass man auf der islamischen Seite niemand
findet, der für den Islam reden kann und sich im Angesicht seiner
Auswüchse nicht selbst als Opfer, sondern verantwortlich fühlt – auch
auf der christlichen Seite scheint die Sehnsucht nach Harmonie vor den
Grundsätzen des eigenen Glaubens nicht Halt zu machen oder noch
schlimmer: Der christliche Glaube scheint sich seiner selbst alles
andere als sicher zu sein. Es gibt Umfragen, in denen die Hälfte meint,
Christen und Moslems glaubten an ein und denselben Gott. So feiert man
den gemeinsamen ersten Glaubensartikel, als wäre das Credo dort zu Ende;
oder als wäre der lange Rest mit seinem Bekenntnis zum Christusglauben
das Sahnehäubchen, dass man getrost beiseite pusten kann, wenn es die
Eintracht schmälert.
Sind wir hierzulande nicht allzu taub für die Schreie der verfolgten
Glaubensbrüder und -schwestern in Nigeria und im Sudan, in Ägypten und
in Indonesien? Auf den indonesischen Molukken sind bereits Tausende von
Christen religiösen Säuberungen zum Opfer gefallen und "weit mehr als
700 Kirchen" zerstört worden, wie EKD-Auslandsbischof Koppe berichtet,
der auch die Ursachen kennt: "Die gewalttätigen Konflikte haben
fundamentalistische muslimische Gruppen begonnen." Wo, bitte schön, sind
die Überreste des angeblich friedlichen Islam, wie es ihn im
mittelalterlichen Andalusien einmal gab, denn heute in der Wirklichkeit
dieser Erde noch zu finden? Wo ist ein islamischer Staat, der
demokratisch ist und mit den Christen auch nur annähernd so tolerant
umgeht, wie die Christen bei uns mit den Moslems?
Damit kein Missverständnis aufkommt: Zu einem Dialog der Religionen gibt
es keine Alternative. Aber es gibt keinen Dialog, wenn die
Gesprächspartner sich in ihrer Sache nicht zuständig und nicht sicher
fühlen. Es gibt keinen Dialog ohne klare Positionen. Die Gretchenfrage
darf um eines lieben und ebenso faulen Friedens nicht unter den Teppich
gekehrt werden: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Und darauf
wollen wir nicht blumig und ins Ungefähre reden, wie der Heinrich im
Faust oder wie das nach Margaretes Erfahrung auch so mancher Pfarrer
tut, nur mit anderen Worten. Darauf wollen wir mit der Losung für das
neue Jahr bekennen:
Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen.
Etwas Handfestes, etwas Bestimmtes hat dieses Wort für das Jahr 2002. Es
ist Besinnung und Selbstbesinnung zugleich. Hier ist der Rettungsring,
ihn zu ergreifen, statt im Trüben nach ihm zu fischen. Hier ist die
Hand, in der wir uns geborgen wiederfinden. Das ist nicht die Hand
irgendeines Gottes. Dieses Wort „Gott“ ist kein Joker im
interreligiösen, ideologischen oder gar politischen Kartenspiel. Der
Gott, den wir mit diesem Wort meinen, offenbart, definiert sich selbst
in seinem Wort und in seiner Menschwerdung in Jesus dem Christus.
Dieser Gott steht nicht auf der Seite von Mächten, Nationen und
politischen Parteien, sondern auf der Seite des Lebens, der Freiheit,
der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Dieser Gott ist Rettung, Heil, was
im hebräischen Wortsinn einen weiten Raum bezeichnet, Lebensraum zum
friedlichen und vielfältigen Miteinander. Deshalb übersetzt Martin Buber
den Vers der Jahreslosung treffend: „Der Gott meiner Freiheit, ich
verlasse mich, ich verzage nicht.“
Buber vermeidet in seiner Übersetzung den falschen Akzent, den die
Einheitsübersetzung anschlägt: Ich will ihm vertrauen und niemals
verzagen. Ach, das klingt in der Tat nach all den guten Vorsätzen, die
zu Silvester gefasst werden und mit denen bekanntlich der Weg zur Hölle
gepflastert ist. Als könnte man Vertrauen durch irgendetwas erzwingen.
Als wäre das Verzagen eine Willensschwäche. Vertrauen kann nur geweckt
und geschenkt werden. Und dem Verzagten muss ein Licht der Hoffnung
aufgehen.
Und darum lässt die Jahreslosung am Anfang den Gott meiner Rettung, den
Gott meiner Freiheit um so heller aufleuchten, damit sich an ihm das
Vertrauen entzündet und dieses alles erstickende Gefühl der
Vergeblichkeit seinen bösen Geist aufgibt, bevor es uns in den Griff
bekommt; bevor wir endgültig eingemauert sind in unsere Probleme.
Vielleicht ist genau das das Gefühl, das so manchen unter uns auf dem
Weg ins neue Jahr begleitet. Und vergessen wir nicht: Diesen Vers hat
Jesaja niedergeschrieben vor einer finsteren Zeit für das Volk Israel.
In ihm steckt trotz allem ein Stern, eine ungeheure Kraft für den Weg
durch die Nacht: Der Gott meiner Rettung. Der Gott meiner Freiheit. Der
wird nicht zulassen, dass die Mauern sich um mich schließen und das
Gefühl der Vergeblichkeit von mir Besitz ergreift. Und deshalb kommt es
in dieser Nacht und in allen Nächten unseres Lebens vor allem darauf an,
dass wir diesen Gott nicht verfehlen. Dass er uns nicht ins Ungefähre
entschwindet und mit ihm unsere Hoffnung und mit der Hoffnung unsere
tröstliche Rede von ihm und mit ihr unser christlicher Glaube.
Die Jahreslosung ruft uns Christen auf dem Weg in ein neues Jahr zur
Besinnung und Selbstbesinnung. Zur Besinnung auf unseren Gott. Sein Name
ist nicht Schall und Rauch. Er hat sich einen Namen gegeben, in Christus
der Welt sein Gesicht gezeigt und uns sein Evangelium geschenkt. Er ist
nicht zu verwechseln. Wer sich auf ihn besinnt, darf sich in seiner Hand
geborgen wiederfinden: Selbstbewusst! Ja, Gott ist meine Rettung; ihm
will ich vertrauen und niemals verzagen.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
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Text:
Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich
vertrauen und niemals verzagen. |