Predigt    Jesaja 25/8-9   Ostermontag   09.04.2007

"Was da fällt, soll erstehen"
(Von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

ein Pfarrer erzählt: „Ich sehe sie noch vor mir, wie sie auf dem kleinen Waldfriedhof aus der Leichenhalle trat, die blonden Haare über dem schwarzen Kleid. Sie war Studentin, 20 Jahre alt. Auf den Händen trug sie ihre Mutter vor sich her – in einer Urne. Ich dachte daran, dass zwei Jahrzehnte vorher die Mutter die Tochter getragen hat, erst im Leib, dann auf den Armen. Was gibt es Erschütternderes als eine Tochter, die eine Mutter in einer Blechbüchse vor sich her trägt?“.

Da fließen die Tränen, von denen Jesaja spricht. Tränen der Trauer und des Todes. Was bleibt vom Menschen? Nur das Häufchen Asche, das die Tochter auf ihren Armen trägt. Alles entgleitet uns, wir können letztlich nichts festhalten. Der Tod macht alles kaputt! Er zerstört Beziehungen. Er zerstört Sinn. Er zerstört die Ruhe und den Frieden unserer Seele.

Der Tod ist die Urangst des Menschen: Ob die Angst vor einem Gericht, bei dem die Gottheit alle unsere Taten aufwiegen wird, oder die Angst vor dem Nichts, die Angst, zwar gelebt zu haben, aber keine Spuren in der Welt hinterlassen zu haben, für immer vergessen zu werden. Und der Tod ist der Urschmerz des Menschen: Der Schmerz, den anderen hergeben zu müssen, alleine weiterleben zu müssen mit einem Loch, das im Herzen bleibt. Und so ist die Urfrage der Menschheit: Was hilft gegen den Tod? Und so ist es die Urhoffnung der Menschen: Gott möge helfen, Gott möge uns im Tod festhalten, Gott möge uns zu sich tragen! Gott möge uns unsere Tränen trocknen!

Was hilft gegen den Tod? Die Antwort Jesajas auf diese Urfrage: Gott allein! Jesaja schildert uns eine Vision, in der diese Urhoffnung der Menschen als eine Gewissheit ausgesprochen wird: Er sieht vor sich ein Freudenmahl (V6): Die kräftigsten Speisen, die besten Weine werden den Gästen vorgesetzt. Und es ist ein Friedens- und Freiheitsmahl, denn unter alles, was den Menschen bedrückt, wird ein Strich gemacht: Gott der Herr wird die Tränen von ihren Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volkes. Er wird den Tod verschlingen auf ewig.

Zu schön um wahr zu sein!? Wie kann Jesaja ein solches Hoffnungsbild malen? Woher nimmt er den Grund seiner Hoffnung, die Gewissheit, dass die Tränen getrocknet werden und der Tod verschlungen wird? Spricht nicht das Leben eine andere Sprache, die Tochter, die ein Häufchen Asche auf ihren Armen trägt?

Jesaja vertraut auf die Treue und Liebe Gottes. Weil Gott sich selbst und seiner Schöpfung treu ist, weil er das Leben, das er geschaffen hat, nicht dem Tod überlassen will, darum tritt er für das Leben ein. Die Prophezeiung von der Vernichtung des Todes ist die höchste und letzte Konsequenz eines Glaubens, der Gott nicht nur als den Schöpfer bekennt, sondern als Erhalter und Bewahrer des Lebens, als einen Gott, der mit den Menschen einen Bund geschlossen hat, damals am Sinai, und nicht von ihnen weichen will. Das hat Jesajas Volk in seiner wechselvollen Geschichte immer wieder erfahren: Schon so oft stand das Volk am Nullpunkt. Israel hat immer wieder neu auf Gottes Hilfe gehofft, und hat Hilfe erfahren. Gott hat sie aus der Knechtschaft Ägyptens geführt. Gott hat sie am Schilfmeer errettet. Er hat das Volk trotz seines Ungehorsams in der Wüste nicht umkommen lassen. Er hat ihnen neues Leben im Gelobten Land geschenkt. Jesaja bekennt sich zu einem Gott, der an dem Menschen festhält, auch wenn wir es manchmal in unseren Bedrängnissen nicht merken. Er bekennt sich zu einem Gott, der am Menschen festhält, auch wenn wir seinen Bund verlassen und ihm untreu werden. Sicher, Jesaja spricht auch vom Zorn Gottes angesichts unseres Ungehorsams. Doch ist das nicht ein „Heiliger Zorn“, ein Ausdruck seiner Liebe zu uns? Gott hält an uns fest, will uns bewahren und auf gute Wege führen. Deshalb ist sich Jesaja sicher: Diese Liebe Gottes, die sein Volk schon so oft erfahren hat, wird uns auch in der größten Not bewahren: Sie ist stark wie der Tod (Hohelied 8,6).

Auch Jesus vertraute auf die Treue, die Liebe und den lebensschaffenden Atem Gottes. Dafür hat er gelebt: Er trat für den einmaligen Wert des Lebens ein, wollte von aller Versklavung befreien, trösten, aufrichten und Mut machen. Damit ist er jedoch angeeckt. Doch er ist diesen Weg aus Liebe zum Leben bis zum bitteren Ende gegangen. Für die Liebe zu den Menschen ist er gestorben. Jesus ist Tod. Ist nun alles gescheitert? Ist die Liebe Gottes doch nicht so stark wie der Tod?

Eines der ältesten Textstücke des Neuen Testaments bekennt, „dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten heute noch leben.“ (1.Kor 15, 3ff). Jesus ist Etlichen erschienen, die zur Zeit des Paulus noch lebten und daraufhin befragbar waren. Wie konnten diese Erscheinungen anders gedeutet werden als so, dass der Gott des Lebens sich hinter Jesus und seine Botschaft des Lebens gestellt hat? Wie konnten diese Erscheinungen des Auferstandenen anders gedeutet werden als so, dass Gott selbst in den Tod eingedrungen ist, mit dem Tod gerungen und ihn überwunden hat: Der Tod ist tot, entmachtet, er ist verschlungen auf ewig. Gott ist im Tod, welch großartiges Bekenntnis des Glaubens!: Man lebt und stirbt in Gott hinein, so unbegreiflich das ist. Gott ist im Tod, weil seine Liebe zu uns so stark ist wie der Tod, weil er seiner Schöpfung und seiner Lebensverheißung treu bleibt!

Vor diesem österlichen Hintergrund können die Sätze des Jesaja zur tröstlichen Ansage und Zusage von Hoffnung und Leben wider den Augenschein Tod bergender Särge und Urnen werden. Gott hat den Tod für immer vernichtet. Der Tod des Todes macht frei, dass ich das natürliche Sterben als Teil meines Lebens annehme, dass ich „im Frieden“ sterbe und den Verstorbenen getrost hergebe. Die Worte Jesajas, die das Ostergeschehen in Kraft gesetzt hat, können der Tochter, die in ihrer Trauer vielleicht bereits im Leben dem Tod zu verfallen droht, einen neuen Lebensraum eröffnen: Im österlichen Vertrauen auf den Gott, der das Leben in seiner Hand hält und zu sich führt, kann die Tochter selbst angesichts des Häufleins Asche getrost und in Frieden die Urne ihrer Mutter ins Grab legen. Denn wir haben Anteil an Gottes ewiger Herrlichkeit: Einmal nach unserem Sterben werden wir das Osterlicht aus nächster Nähe sehen. Doch schon heute trifft uns wie aus der Ferne kommend der helle Schein von Ostern, und er will unser Leben froh und getrost machen und verändern. Die Verheißung Jesajas setzt hier und heute Kräfte frei zu einer gelingenden Bewältigung des Lebens.

Jürgen Moltmann hat es richtig erkannt: „Ostern kann nicht nur heißen: es gibt ein Leben nach dem Tode. Das klingt wie eine Vertröstung. Ostern muss heißen: das Leben hier wandelt sich …“. Wer an die Auferstehung und an den Auferstandenen glaubt, macht Erfahrungen von Auferstehung in seinem Leben, und zwar deshalb, weil er „das eigene Leben zum Leben des Auferstandenen in Beziehung gesetzt sieht.“ (G. Ebeling). Das sind praktische Konsequenzen aus Ostern. Auferstehungserfahrungen in unserem Leben, was heißt das konkret? Es kann heißen: „täglich auf(zu)erstehen aus dem Grab unserer Missgestimmtheiten, aus dem Grab unserer Resignation, aus dem Grab unserer Mutlosigkeit, aus dem Grab unserer Herzenshärte, aus den tausend scheinbar als sinnlos erfahrenen Situationen, aus unserer Müdigkeit und Trägheit.“ (Theodor Hauser). Der Sieg Gottes über die Herrschaft des Todes muss sich fortsetzen bis hinein in unser Leben, er muss und kann täglich spürbar werden! Ostern setzt Kräfte zu gelingender Lebensbewältigung frei.

Wer um Ostern weiß und Auferstehungserfahrungen erlebt, der bleibt nicht ruhig auf seinem Platz sitzen, der springt vor Freude auf, weist auf Gott hin und bekennt staunend und jubelnd mit Jesaja: „Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe! Das ist der Herr, auf den wir hofften, lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil!“.

Allerdings werden die Stunden kommen, in denen wir wie die Tochter ein Häuflein Asche auf unseren Händen tragen. Die Realität des Todes wird über uns hereinbrechen. Doch dann dürfen wir unseren Blick von Jesaja auf die Realität der Treue Gottes lenken lassen, auf sein Freudenmahl, auf Ostern. Lothar Zenetti blickt der Todeswirklichkeit in einem seiner Gedichte realistisch in die Augen, vertraut aber zugleich dem Gott des Lebens.

Wir sind mitten im Leben zum Sterben bestimmt
was da steht, das wird fallen
der Herr gibt und nimmt
Wir gehören für immer dem Herrn, der uns liebt
was soll auch geschehen
er nimmt und er gibt
Wir sind mitten im Sterben zum Leben bestimmt
was da fällt, soll erstehen
er gibt, wenn er nimmt

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text: 

8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat's gesagt.
9 Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.«
 


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