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			 Liebe Leser, 
  Tränen sind was Wunderbares, hat sie einmal 
			gesagt. Sie hieß Maria von Magdala. Schon als Kind war sie immer 
			bereit ihr Gesicht davonschwimmen zu lassen in einem Strom von 
			Tränen, unterzugehen in einem Meer von Tränen. Dann war sie ganz bei 
			sich, wie ein Land, das hinter einem Regenschleier verschwand. Sie 
			war eine richtige Heulsuse und es war wirklich nicht schwer, diese 
			Wasserfälle in Gang zu bringen. Maria konnte hinterher nicht einmal 
			richtig böse sein. Sie mochte ihre Tränen. Sie hatte manchmal 
			richtig Lust auf Tränen. Denn wenn sie weinte, fühlte sie sich, 
			liebte sie sich. Und auch die Welt um sie her war weichgezeichnet, 
			ehe sie ihr Augeninneres erreichte. Wenn sie nachts bei der Kerze 
			saß, wieder einmal aufgelöst in sanfter und manchmal auch bitterer 
			Melancholie, brach sich die Lichtquelle durch ihre Tränen in tausend 
			Glitzerpunkte, als schaute sie in eine Schale voller Diamanten und 
			Edelsteine.  
			 
			... und Gott wird abwischen alle Tränen. 
			 
			Besonders Männer behandelten Maria mit spöttischer Nachsicht. Ein 
			Indianer kennt keinen Schmerz. Das hatten sie schon als kleine Jungs 
			gelernt. Die Indianer flüchten deshalb gerne in Kneipen, wenn 
			zuhause wieder mal das heulende Elend herrscht. Der Indianerspruch 
			hätte deshalb von Petrus sein können, der den Fels im Namen trug, 
			und den nichts so leicht aus der Fassung brachte. Männer weinen 
			nicht. Vielleicht eher ein Verhängnis als Grund zu männlichem Stolz. 
			Petrus war insgeheim manchmal richtig neidisch auf Maria, die ihre 
			bösen Träume wegschwemmen konnte. In ihm wurde die Kette der 
			Demütigungen seines Lebens zu Stein. Petrus, nach außen ein Fels und 
			auch innen manchmal Granit. Was wird Gott aus Männergesichtern 
			abzuwischen haben? Eher schon die Blutspur, die sie im Laufe der 
			Weltgeschichte hinterlassen haben. Eher die Tränen, die andere wegen 
			ihnen geweint haben. Wer den eigenen Schmerz verleugnet, wie kann 
			der den Schmerz anderer wahrnehmen?  
			 
			... und Gott wird abwischen alle Tränen. 
			 
			Aber an jeden Fels wird einmal geschlagen, wie Mose an den Fels 
			schlug am Horeb und das Wasser herausbrach (2. Mose 17/6). So schlug 
			der Christus an den Fels, der Petrus hieß. Brannte ihm die Schande 
			seines Verrats mit glühenden Eisen in die Seele, als der Hahn zum 
			dritten Mal krähte im Hof des Hohenpriesters Kaiphas, im Angesicht 
			seines misshandelten Meisters. Und Petrus ging hinaus und weinte 
			bitterlich. Zum Steinerweichen! (Matthäus 26/75) Zweifellos ist das 
			eine Wundergeschichte.  
			 
			... und Gott wird abwischen alle Tränen.  
			 
			Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie (Lk 
			19/41). Auch der Christus hat geweint. Er sah die Stadt Jerusalem 
			und brach über ihr in Tränen aus. Was gäbe es bis heute zu sagen 
			über diese geschundene Stadt, in der sich die Menschen schinden und 
			umbringen. Jesus ist Besseres eingefallen, als diese trostlose und 
			staubtrockene Kritik der Besserwisser. Die Welt ist schlecht, weiß 
			der kaltherzige Achselzucker. Der Christus hat geweint. Tränen sind 
			die Kritik der Liebe.  
			 
			... und Gott wird abwischen alle Tränen.  
			 
			Da wäre Maria von Magdala wie immer mit Jesus einer Meinung gewesen. 
			Manchmal erzählt die Kinderbibel besser als die 
			Erwachsenenevangelien (Joh 20/11ff): „Ach, sie wusste sich vor 
			Kummer keinen Rat. Sie stand am Grabe und weinte. Sie bückte sich 
			und sah durch die dunkle Öffnung nach innen. Da sah sie zwei Männer 
			sitzen in weißen Kleidern. Die saßen an der Stelle, wo der Leichnam 
			Jesu gelegen hatte. Es waren zwei Engel, doch das wusste Maria 
			nicht. Die Engel fragten: Frau, warum weinst du denn so? Maria 
			schluchzte: Weil sie meinen Herrn weggenommen haben und ich nicht 
			weiß, wo sie ihn hingelegt haben. Da drehte sie sich um und sah noch 
			jemand in weißen Kleidern stehen. Es war Jesus, aber das merkte 
			Maria nicht. Sie konnte ihn durch ihre Tränen hindurch nicht 
			erkennen. Jesus fragte: Warum weinst du? Wen suchst du? Und Maria 
			merkte noch immer nicht, dass Jesus zu ihr sprach. Sie dachte, es 
			sei der Gärtner. Deshalb schluchzte sie: Ach, Herr, hast du ihn 
			fortgetragen? Sag mir doch, wo du ihn hingebracht hast. Da sprach 
			Jesus nur ein Wort: Maria!“ (Anne de Vries, Die Bibel unserer 
			Kinder, 1989, S.226) 
			 
			... und Gott wird abwischen alle Tränen.  
			 
			Das Wort, mit dem der Auferstandene uns beim Namen ruft, dringt 
			durch jeden Tränenschleier. Das Wort Gottes nimmt der Welt ihre 
			falsche Schönheit und ihre falsche Bedrohlichkeit. Bringt Aufklärung 
			im Lichte des Evangeliums. Schafft den klaren Himmel, in dem der 
			Liebe Gottes der Anfang gehört und das Ende: Fürchte dich nicht, 
			denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, 
			du bist mein (Jesaja 43/1). Da sprach Jesus nur ein Wort: Maria! 
			 
			... und Gott wird abwischen alle Tränen.  
			 
			Nein, hat Maria den Jüngern später erzählt, sie habe nicht aufgehört 
			zu weinen. Freilich sei durch dieses Erlebnis die Palette ihrer 
			Tränen erheblich erweitert worden, da sie vor lauter Lachen geweint 
			habe. Ja, sie sei vor ihrem Meister förmlich hingesunken in ein Meer 
			von Freudentränen, die sie gar nicht mehr versiegen lassen wollte. 
			Und noch jetzt, wenn sie das erzähle und wieder daran denke, könne 
			es gut sein, dass ... Bitte nicht, fiel ihr Petrus ins Wort und sah 
			ihr fest in die Augen, die schon wieder davonzuschwimmen drohten. 
			Ansonsten enthielt er sich jeder weiteren Bemerkung. Denn immer, 
			wenn er Maria sah, fielen ihm seine eigenen Tränen ein, für die er 
			sich nicht länger schämte, seit Jesus ihm den Verrat verziehen 
			hatte.  
			 
			... und Gott wird abwischen alle Tränen.  
			 
			Ich sehe einen Vater vor mir, der seinem verheulten Dreijährigen 
			sein riesiges Taschentuch vors Gesicht hält und sagt: Schnäuzen!, 
			bevor er’s wieder in der Tasche verschwinden lässt. Ich stelle mir 
			den himmlischen Vater vor, der sein Taschentuch in den Himmel wirft 
			und alle darin gesammelten Tränen wirbeln hinein in gleißendes 
			Licht. Milchstraßen aus funkelnden Diamanten und Edelsteinen. Gottes 
			Osterlachen … 
			
			Pfarrer Johannes Taig    
			(Hospitalkirche 
			Hof) (weitere Predigten von 
			Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
			
			www.kanzelgruss.de) 
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			 Text: 
			8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. 
			Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen 
			und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der 
			HERR hat's gesagt. 
			9 Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den 
			wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir 
			hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.« 
  
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