Liebe Leser,
ich weiß nicht, wie lange ich vor dem leeren Bildschirm meines
Computers saß, ehe ich die ersten Worte dieser Predigt niederschreiben
konnte. Betroffen und nachdenklich haben mich diese Worte gemacht und
ich denke Ihnen geht das nicht anders. Am Schluss bleibt nichts übrig.
Ein kahler Mast auf dem Berg, eine einsame Bannerstange auf dem Hügel.
Schöne Aussichten!
Kann ein solcher Text am letzten Abend eines Jahres gepredigt werden? Wo
wir sowieso schon nachdenklich sind, selbst in der Rückschau auf Glück
und Erfolg. Kann das auch im neuen Jahr noch gehalten und verteidigt
werden? Noch geht es uns gut, noch leben wir in friedlichen, geordneten
und demokratischen Verhältnissen, noch haben wir Menschen, die zu uns
gehören. „Noch“ ist das Wort des vergehenden Jahres und seiner endgültig
verrinnenden Stunden.
Komm jetzt, schreib das auf eine Tafel. Auch Jesaja muss zum Schreiben
geschubst werden. Denn was soll er da schreiben an sein Volk Israel?
Noch geht es dem gut. Aber Assyrien rüstet zum Angriff. Gegen die
Bedrohung und Angst werden Streitwagen gebaut, wird ein Bündnis mit
Ägypten geschlossen und hektische Betriebsamkeit entwickelt. Ist doch
klug, ist doch in Ordnung! Komm jetzt, schreib das auf eine Tafel.
Jesaja muss von Gott zum Schreiben geschubst werden.
Denn was er da schreiben soll, ist nichts zur Beruhigung, nichts für
empfindliche Gemüter, die am letzten Abend des Jahres all ihren
Optimismus zusammennehmen, um gegen ihre Befürchtungen zu bestehen. Die
ängstlich nach dem suchen, was sie im Innersten zusammenhält. Nein,
Jesaja klingelt heut‘ Abend leider nicht sanft mit der Gabel am
Weinglas, um die Aufmerksamkeit zu erbitten für eine kleine erbauliche
Rede zum Silvesterdiner. Jesaja lässt das Glas fallen.
Und sagt ins Erschrecken hinein: Eine Mauer seid ihr, seht dort den
Riss. Rumms, kommt sie euch urplötzlich entgegen. Wie ein fallender
Töpferkrug zerspringt. So gründlich, dass von den Scherben keiner mehr
zu gebrauchen ist. Denn so hat mein Herr gesprochen, ER, der heilige
Israels, in Umkehr und Ruhe werdet ihr befreit, in Stille, in
Gelassenheit geschieht euer Heldentum. Ihr aber wollt nicht! Ihr sagt
Nein, wir machen das anders.
„Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern lebt in der Gemeinschaft
der einen (...) Kirche aus dem Worte Gottes, das in Jesus Christus
Mensch geworden ist und in der Heiligen Schrift (...) bezeugt wird.
(...) Die Kirche in Bayern steht mit der ganzen Christenheit unter dem
Auftrag, Gottes Heil in Jesus Christus in der Welt zu bezeugen.“
So steht es im Grundartikel unserer Kirchenverfassung. Haben wir davon
im vergangenen Jahr etwas vernommen in Presse, Rundfunk und Fernsehen?
Hat uns etwas erreicht von dem, was die Kirche im Innersten
zusammenhält? Oder haben wir lediglich etwas vernommen von den
finanziellen und strukturellen und demographischen Schwierigkeiten
unserer Kirche und was dagegen zu tun ist. Dass die Kirche ja Brot für
die Welt hat und die Diakonie und sich für den Frieden, die Schwachen
und Gottes Schöpfung einsetzt.
Wir alle finden das gut. Von außen, von der Gesellschaft werden wir als
Arbeitgeber, als Organisation und hoffentlich weiter als Anwalt der
Schwachen und der Schöpfung wahrgenommen. Aber das darf nicht zum
letzten Horizont unserer Selbstwahrnehmung und unseres
Selbstverständnisses werden! Auf den steinernen Tafeln des Mose stand
nicht die letzte Kirchensteuerschätzung auf der einen Seite und der
Sparhaushalt auf der anderen. Und das Evangelium ist nicht das beste
Produkt der Welt, das endlich fähige Manager und besser trainierte
Außendienstmitarbeiter braucht. Wir haben uns tausend neue Dinge
ausgedacht und sie hektisch umgesetzt und blieben innwendig so leer wie
wir waren.
Wenn wir auf diesem Weg weitergehen, dann werden wir als abgehalfterte
Dienstleister enden. Und es kann und wird der Tag kommen, an dem keiner
mehr etwas von einer solchen Kirche will und wissen will. Wie ein
fallender Töpferkrug zerspringt, so gründlich, dass von den Scherben
keiner mehr zu gebrauchen ist. Das könnte auch unsere Perspektive sein.
Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und
lege einen neuen Geist in euch (Hesekiel 36,26). Das ist die Losung des
kommenden Jahres. Sie macht uns wie Jesaja darauf aufmerksam,
dass die wahre Reformation nicht in der Modernisierung und
Umstrukturierung der Kirche besteht, sondern in der inneren und
geistlichen Erneuerung der Menschen, die zu ihr gehören. Reformation
beginnt nicht im Machen und Tun, sondern im Herzen. Reformation meint
Erneuerung des Glaubens. Denn in Umkehr und Ruhe, in Stille und
Gelassenheit werdet ihr befreit. Im Vertrauen auf Gott geschieht euer
Heldentum.
Verwegen ist das in der Tat, wenn wir angesichts aller Bedrohungen des
Gottesvolkes damals und unserer Welt heute, statt zu hektischer
Betriebsamkeit, zum gelassenen Vertrauen gerufen werden. Statt zum
Aufschrei zur Kontemplation. Statt zum Appell an unseren Einsatz und
unsere Leistungskraft zur tiefen Erwartung an Gott!
Marie Veit, erzählt in ihrem Aufsatz „Umkehr zum Leben- Was heißt heute
Gott vertrauen“ von einer besonders aktiven kirchlichen Gruppe:
Eines Tages trat eine so schwere Krise auf, dass es schon so aussah, als
ob wir aufhören müssten. Arbeitsüberlastung, gruppendynamische Prozesse
(...) es schienen auf einmal nicht mehr genug Menschen dazusein, die
dieses alles auf sich nehmen wollten. In dieser Lage sind wir gerettet
worden durch ein paar Leute, die bis dahin ganz im Schatten der Gruppe
gestanden hatten, nichts beizutragen schienen, aber immer zum
Arbeitskreis gekommen waren, einfach weil sie sich da wohl fühlten, weil
die Atmosphäre von Freiheit, Streit und Menschlichkeit ihnen Heimat gab.
Sie traten jetzt, als die „Stars“` schon alles hinwerfen wollten, hervor
und erhielten die Arbeit. Sie boten ihre Mithilfe an, sie wollten
unbedingt, dass es weiterginge und der Wärmestrom ihres Vertrauens,
ihrer Erwartung, ihrer Liebe zu unserer Gemeinde war so groß, dass er
andere ansteckte: die Krise wurde überwunden.
Ich habe damals etwas verstanden von der Kraft der Schwachen. Sie liegt
nicht in dem, was sie leisten, sie liegt in dem, was sie erwarten,
erhoffen, unbedingt haben wollen. Sie liegt in dem Ruf, den sie
darstellen. Der Glaube der Schwachen ist kostbar, er heilt, er befreit,
er hat schöpferische Kraft. (...) Die Erfahrung der ‚Kraft der
Schwachen‘ hat mich darin bestärkt, neu nach Gott zu fragen. Liegt die
schöpferische Kraft Gottes dem Menschen gegenüber vielleicht gar nicht
in dem, was er über uns verfügt, sondern in dem, was er vertrauensvoll
von uns erbittet? Beharrlich, dringlich, wie ein Liebender?“ (Marie
Veit, Umkehr zum Leben - Was heißt heute „Gott vertrauen“?, in dies.:
Theologie muss von unten kommen, Wuppertal 1991, S.77ff.)
Nicht immer muss Porzellan zerschmissen werden, um zur Umkehr zu
bewegen. Nicht immer muss ein Krug zerschmettert werden, um den
Geliebten aufzuhalten vor dem Ritt in den Abgrund. Aber genau das ist
Gottes Dienst für uns heute am letzten Abend des Jahres. Er bittet uns
dringend, all unsere Gedanken und Pläne, die uns die Zukunftsangst
diktiert, fallen zu lassen und an ihre Stelle Glauben zu setzen,
Vertrauen in das, was Gott für uns tut. Der schenke uns ein neues Herz
und lege einen neuen Geist in uns. Und Erwartung und Vorfreude auf das,
was Gott uns im neuen Jahr zufallen lässt.
Sein Wille geschehe! Zum Glück!
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Komm jetzt,
schreib das auf eine Tafel,
die mit ihnen bleibt,
auf einem Brief zeichne es ein,
dass es werde für einen späten Tag,
auf die Zeiten hin zum Zeugen!
Denn ein Volk der Widerspenstigkeit ist‘s,
verlogene Söhne,
Söhne, die SEINE Weisung nicht gewillt sind zu hören,
die zu den Sehern sprechen :
Ihr sollt nicht sehen!
zu den Schauern :
Regelrechtes sollt ihr uns nicht erschauen,
redet uns Glattes,
erschaut Vorspiegelung,
wendet euch von dem „Weg“,
biegt ab von dem „Pfad“,
schafft uns vom Antlitz fort
den „Heiligen Jifsraels“!
Darum hat der Heilige Jifsraels so gesprochen :
Weil ihr diese Rede verachtet habt,
euch auf Pressung und Ränke verlasst,
darauf euch stützt,
darum soll diese Schuld euch werden
gleich einem falldrohenden Riss,
klaffend an ragender Mauer,
deren Niederbruch plötzlich, urplötzlich kommt.
Zerbrechen wird es, wie ein Töpferkrug bricht,
ein Zersplittern, nicht schont man sein,
in seinen Splittern wird nicht eine Scherbe gefunden,
Feuer von der Esse zu scharren,
von dem Tümpel Wasser zu schöpfen.
Denn so hat mein Herr gesprochen,
ER, der Heilige Jifsraels :
In Umkehr und Ruhe
werdet ihr befreit,
in Stille, in Gelassenheit
geschieht euer Heldentum.
Ihr aber seid‘s nicht gewillt,
ihr sprecht :
Nein,
auf Rossen wollen wir rennen!
- drum sollt ihr rennen: davon! –
auf Schnellen wollen wir reiten!
- drum sollen eure Verfolger euch überschnellen!
Ein Tausend vor dem Drohgeschrei eines,
vor dem Geschrei von fünfen werdet ihr insgesamt rennen,
bis dass euer noch übrigblieb
wie ein Mast auf dem Haupte des Bergs,
wie eine Bannerstange auf dem Hügel.
(Nach Martin Buber, Bücher der Kündung, S.
94-96)
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