Predigt Jesaja 35/3-10 2. Advent 10.12.2006 "Gott
denken - Gott schauen" |
Liebe Leser, eigentlich ist mir ehr nach Heulen zumute. So wird wohl mancher von uns auf dem Weg zum Weihnachtsfest schon einmal gedacht haben oder denken. Und die Anstrengung, die Angestrengtheit fühlen, die uns befallen kann bei dem Versuch, wieder einmal ein Fest der Freude und der Liebe auszurichten. Weihnachten, das heißt für uns ja auch, innere und äußere Harmonie, vertrautes Beisammensein und nicht zu vergessen: Frieden auf Erden. Und so wird uns auf dem Weg zum Weihnachtsfest oft gerade besonders schmerzlich bewusst, was uns fehlt. Nichts ist’s allzu oft mit der inneren und äußeren Harmonie! Besonders schmerzlich empfinden wir das Fehlen von Menschen, von denen wir getrennt sind oder die wir für immer verloren haben. Besonders bewusst wird uns der Unfriede im eigenen Herzen und in der eigenen Familie. Und die Hilfe- und Todesschreie der Menschen im Irak, in Afghanistan und im Sudan mischen sich wie eisige Missklänge in das Adventssingen des Windsbacher Knabenchores. So können wir uns vielleicht sehr schnell in den Stichworten unseres Predigttextes wiederfinden: müde Hände, wankende Knie, verzagte Herzen. Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht. Seht, da ist euer Gott. Eine Aufforderung zum Wegschauen und Verdrängen? In der Tat, wer nach Gott Ausschau hält, wendet sich von dem, mit dem er gerade beschäftigt ist, ab. Und bevor wir solches Tun mit dem Wort Verdrängen etikettieren, sollten wir uns eine andere Frage stellen: Können wir das denn überhaupt noch: Uns einmal von unserer Anstrengung abwenden; in der stillen Zeit des Advent selbst innerlich und äußerlich still werden? Oder können wir’s nur mit Gewalt? Indem wir ganz genervt und angestrengt alles Belastende und Unangenehme hinunterstopfen und verdrängen? Da ist dann in der Stille ein Hüsteln und Scharren und auf die Uhr schauen. Und jeder ist froh, wenn wieder was passiert. So anstrengend sind stille Zeiten nicht nur im Advent auch in der Kirche. Wer nach Gott Ausschau hält, wendet sich von dem, mit dem er beschäftigt ist, ab. Ein Lehrer der Meditation sagt: Wer still werden will, soll die Gedanken, die kommen, alles Angenehme und vor allem alles Unangenehme nicht bekämpfen und verdrängen. Er soll all das kommen lassen und zulassen. Denn nur was wir zulassen und kommen lassen, geht auch wieder. Es kommt, und es geht. Und dann dürfen wir es auch lassen und loslassen. Und genau in diese Richtung geht auch die ermutigende Botschaft unseres Predigttextes: All das, was unser Herz verzagt macht, ist bemessen und vergänglich. Schmerz und Seufzen werden entfliehn. Darum seid getrost und fürchtet euch nicht. Seht da ist euer Gott. Er kommt. Er kommt mit Zukunft für uns und unsere Welt im Gepäck. Zukunft, die sich all unserer Sorge, Arbeit und Anstrengung entzieht. Zukunft die Gott allein für uns macht. Gott allein heißt, dass wir beim Stichwort Rache nicht über militärische Vergeltungsschläge nachdenken. Bei den geheilten Blinden und Lahmen nicht über Probleme der modernen Medizin, beim Wasser in der Wüste nicht über die Klimakatastrophe und bei der Bahn und dem heiligen Weg nicht über den Straßenverkehr. Gott allein heißt, dass wir an überhaupt nichts denken, was wir tun und lassen. Gott allein heißt, dass wir in der Adventszeit Ausschau halten nach dem, was Gott für uns tut. Gott allein heißt: dass wir endlich mal nichts sollen und müssen, sondern betrachten, schauen und uns freuen dürfen, wie Gott für uns sorgt und wie heilvoll er unsere Zukunft bereithält und gestaltet. Anstatt immer nur über uns selbst bekümmert zu sein und um unsere Zukunft zu bangen. „Handeln, statt behandelt werden“, so lautete das Motto bei der Dekanatssynode angesichts des Bevölkerungsrückgangs in unserer Region. „Wir müssen reagieren, bevor etwas passiert“, so sagte es der ehemalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor dem Irakkrieg. Und wer über diesen Satz genau nachdenkt, der spürt den Irrsinn, der unsere Welt und oft auch unsere Kirche im Großen und Kleinen durchdringt. Nein, so entfliehen Schmerz und Seufzen bestimmt nicht. In der Adventszeit, wenn wir still werden, darf all das, was uns Sorgen macht, auch kommen und auch wieder gehen. Und dann darf sich der Raum der Stille in uns füllen mit den Bildern der Verheißung Gottes. Heil werden, schon das Wasser riechen, das in der Wüste hervorbricht; schon die Bahn und den heiligen Weg sehen, auf dem unser kleines Leben sicher nach Hause gelangt durch alle Irrungen und Wirrungen hindurch. Im Raum der Stille darf das Ziel geschaut werden, darf sich der Kopf und das Herz schon ein wenig hineinstrecken in die Wolke der ewigen Freude, die der Prophet dort über unseren Köpfen sieht. Freude und Wonne wird sie ergreifen. Denn der Raum des Glaubens ist ein Raum des Ergriffenwerdens und Ergriffenseins. Und deshalb darf nicht nur am Heiligen Abend in der Kirche geweint werden. Denn das Weinen ist wie das Lachen Ausdruck des Ergriffenseins. Wer sich darüber lustig macht, verächtlich herabschaut oder dagegen theologisch zu argumentieren versucht, soll darin erinnert werden, dass das, was uns ergreift, immer größer ist, als das, was wir mit dem Verstand begreifen. Oder sagen wir’s mit dem scharfen Denker Meister Eckhart: Das „wahrhafte Haben Gottes liegt am Gemüt und an einem innigen, geistigen Sich-Hinwenden und Streben zu Gott, nicht an einem beständigen Darandenken …. Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über alle Gedanken des Menschen und aller Kreatur.“ (Quint, S. 60, Z. 16ff.) So durchschaut das Denken sich selbst und all die, die mit dem gedachten Gott hausieren und argumentieren gehen und wer sie hört, hört nicht Gott. Er schaut in die Blässe menschlicher Begründungszusammenhänge und Motive, bis ihm hoffentlich übel wird angesichts der mit biblischer Dekoration nur mühsam verdeckten allzu menschlichen Absichten und Ansichten. Kirche ist deshalb nicht der Raum der Gleichdenker und der heiligen Besserwisser. Kirche ist die Gemeinschaft derer, die bereit werden, sich Gott von ganzem Gemüt zuzuwenden und sich von ihm ergreifen zu lassen. Gibt sich doch Gott selbst nicht zufrieden mit einem gedachten Menschen. Er ruft ihn ins Leben. Und gibt sich damit noch immer nicht zufrieden. Ganz Gott wird er ganz Mensch und streckt seine bloße und verletzliche Gestalt seiner irdischen Mutter entgegen. Lässt sich als Gott ganz vom Menschsein ergreifen. In einer wahrhaft elenden Behausung weltlicher Existenz schlägt Gott die Augen auf. Diesen Augen und diesem Herzen wird kein menschlicher Abgrund verborgen bleiben. Damit umgekehrt auch in unseren Herzen und Sinnen Raum wird für Gott selbst und die Bilder vom Heilwerden, vom Wasser, das in der Wüste hervorbricht, vom heiligen Weg, den Gott weiß, der uns heim bringt; von der Freude, die um unsere Köpfe tanzt. Damit so die Stimme unseres verzagten Herzens und die Stimme der Verheißungen Gottes, ja, damit wir und Gott selbst, wirklich zusammenkommen. Damit wir an Weihnachten vielleicht mit ganz traurigem Herzen aber eben auch ganz an seiner Krippe stehen. Weil wir am Kind in der Krippe sehen: Was Gott verheißt, wird wesentlich, hat wirklich Hand und Fuß!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) |
Text:
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die
wankenden Knie! |