Liebe Leser,
haben Sie schon alle Geschenke beisammen? Den Christbaum gekauft?
Die Weihnachtspost geschrieben? Die Besuchstermine bei der lieben
Verwandtschaft geplant? Wenn Sie jetzt still in sich hineinseufzen,
dann geht es Ihnen wie mir. Die nächste Woche wird anstrengend.
Weihnachten lässt uns heuer keine Zeit zum Verschnaufen. Schon am
Montag nach dem 4. Advent ist es soweit.
Mitten hinein in unsere vorweihnachtliche Hektik tönt da anscheinend
noch ein Befehl: Tröstet, tröstet mein Volk! Aber wer genau hinhört,
der merkt: Das ist gerade nicht noch eine Aufforderung zum
selbstlosen Einsatz der eigenen Kräfte, hier wird Stärkung
verheißen, Kraft aus der Höhe. Tröstet, tröstet mein Volk, das ist
wie ein Funkspruch an alle Himmlischen. Der Prophet Jesaja hat
mitgehört, was zunächst gar nicht für menschliche Ohren bestimmt
ist, sondern im Himmel die Runde machen soll. Tröstet, tröstet mein
Volk, so lautet der Marschbefehl an alle himmlischen Kräfte Gottes.
Die himmlische Vorhut wird auf den Weg geschickt, um dem den Weg zu
bereiten, der zur Welt kommen will. Und der ist niemand anderes als
Gott selbst. Bei den Himmlischen meint man aus dem Text die
Diskussion herauszuhören, ob dieser Befehl wirklich Sinn macht. Gott
gehört in den Himmel und nicht auf die Welt. Aber am Ende des
Marschbefehl steht: Des HERRN Mund hat's geredet! Und da kann es
keinen Zweifel mehr geben. An die Arbeit!
Diese himmlischen Weisungen sind so erfreulich, dass der Prophet
Jesaja darüber nicht schweigen kann und nicht schweigen soll. Mit
einer so erfreulichen Nachricht hält man nicht hinterm Berg.
Predige, lautet die entsprechende Anweisung an den Propheten. Und
wir sehen daran, dass Predigt nicht besinnliche Rede, nicht
eindringliche Belehrung, nicht finstere Mahnung, nicht
Durchhalteparole ist, sondern vor allem Ansage des kommenden Gottes:
Siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig!
Und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und
alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Leicht fällt dem
Propheten diese Predigt nicht. Gott ist im Himmel und die Welt ist
an Weihnachten so finster, wie das ganze Jahr nicht. Da herrscht ein
Übergewicht der Finsternis, das bedrückend ist und bedrückt. Hinter
dem Propheten steht ein im Exil zermürbtes Gottesvolk, das jeder
Hoffungspredigt bitter ins Gesicht lacht. Im Fernsehen laufen in
diesen Tagen überall Sendungen, in denen uns die gesammelten Kriege,
Katastrophen und Skandale des vergangen Jahres in komprimierter und
damit besonders ermunternder Art präsentiert werden. Kompendien
menschlicher Bosheit, Dummheit und Hilflosigkeit. Als Gegengewicht
setzt das Fernsehen wie alle Jahre auf heile, volkstümliche
Fernsehwelten. Die richtige Welt ist als Ort der Hoffnung an
Weihnachten völlig abgeschrieben. Sie steht auf verlorenem Posten.
Bis Gott sich auf ihre Seite stellt. Bis der Himmel zur Erde
hinabsteigt. Bis über dem elenden Stall in Bethlehem sein Stern
aufgeht. Bis Gott im Jesuskind die Augen aufschlägt. Die Welt darf
an Weihnachten ruhig sein, was sie immer war. Sie darf an
Weihnachten ruhig ihr wahres Gesicht zeigen statt sich hinter
Glitzerzeug und Fernsehkulissen zu verstecken. Sie darf es, weil in
der Heiligen Nacht Gottes gütiges Gesicht in ihr finsteres schaut.
Siehe, da ist euer Gott. Da stehen wir, da steht unsere Welt, nicht
länger auf verlorenem Posten.
Gewaltig tönt diese Botschaft durch den Himmel. Wie mit Posaunen
werden die Himmlischen an die Arbeit geschickt. Doch was im Himmel
so laut anfängt, kommt auf Erden ganz leise an. Gottes gewaltiges
Kommen, sein herrschender Arm sind nicht das, was man auf unserer
Welt darunter versteht. Sein herrschender Arm sammelt die Lämmer
ein, die hilflosen und wehrlosen. Sein Gewand ist nicht der Mantel
des Feldherrn, sondern der Umhang des Hirten, unter dem es schön
warm ist. Gottes Advent ist nicht laut und pompös. In der Heiligen
Nacht rauscht sein Hirtenmantel über die Welt. In der Heiligen Nacht
beginnt er einzusammeln, was verloren und finster ist. Und was er
findet, das schlägt er in seinen Mantel, das drückt er ans Herz und
nimmt es mit in sein himmlisches Reich. Getrösteter kann man nicht
sein. In diesem Bild hat das ganze Evangelium Platz.
Mutterschafe dürfen nebenherlaufen. Leithammel kommen nicht vor.
Auch in der Weihnachtsgeschichte kommt diese Sorte Schaf nicht vor.
Auf unserer Welt möchte jeder irgendwann gern einer sein.
Gott kann die Platzhirsche und Leithammel in seiner Herde zu nichts
gebrauchen. Sie sind im Reich Gottes Auslaufmodelle. In seiner
Kirche sollten sie es deshalb auch sein. Hier werden Muttertiere
gebraucht. Menschen, die Vertrauen geben und gewähren. Menschen auf
deren Wort und Tat Verlass ist. Menschen, bei denen alles vom Lob
bis zur bitteren Klage gut aufgehoben ist. Menschen, vor denen man
keine falsche Scheu haben muss. Menschen, die einen liebvolle und
aufmerksamen Blick haben für alles, was um sie gedacht und getan,
gefeiert und durchlitten wird. Menschen, denen man nicht aus Angst,
sondern gerne und freiwillig folgt. Menschen, die nicht
voranpreschen, sondern dafür sorgen, dass keiner auf der Strecke
bleibt. Gott braucht in seiner Gemeinde nicht die Autorität der
Macht, sondern die Kompetenz der Liebe. Denn bei ihm ist die Liebe
streitbar und die Wahrheit friedfertig.
Ja, streitbar ist die Liebe Gottes, weil sie es an Weihnachten mit
der Finsternis unserer Welt aufnimmt um sie zu überwinden. Gott
kommt zur Welt. Diese Wahrheit kommt nicht mit Getöse daher, sondern
wie das Rauschen eines Hirtenmantels, in dem Gottes Schritte
behutsam durch die Welt gehen, um zu suchen und zu finden was
verloren ist.
Und vielleicht ist damit aller Rat schon gegeben für ein gelingendes
Weihnachtsfest. Nicht unsere Anstrengung wird es schaffen, sondern
die Schwerstarbeit der Himmlischen, die Gott schon vorausgeschickt
hat, um alle Vorbereitungen zu treffen. Die können selbst Berge
versetzen. Die machen den Weg frei. Hier steht keiner auf verlorenem
Posten.
Und wenn in der Heiligen Nacht der Hirtenmantel Gottes über die Welt
rauscht, dann findet er uns hoffentlich nicht geflüchtet in heile
volkstümliche Fernsehwelten. Hoffentlich sind wir zuhaus.
Nur wer dableibt in der wirklichen finsteren Nacht, kann vom Licht
der Weihnacht gefunden werden.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer
Gott.
2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre
Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie
hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre
Sünden.
3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg,
macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!
4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen
erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig
ist, soll eben werden;
5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles
Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's
geredet.
6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich
predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine
Blume auf dem Felde.
7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst
darein. Ja, Gras ist das Volk!
8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres
Gottes bleibt ewiglich.
9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du
Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte
dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott;
10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird
herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich
erwarb, geht vor ihm her.
11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in
seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die
Mutterschafe führen.
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