Predigt Jesaja 54/7-10 Lätare 02.03.08 "Von der Wiederkehr des Glanzes in
die Welt" |
Liebe Leser,
der Schriftsteller Peter Handke erzählt in seinem Roman „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ von den Träumen seiner Kindheit, „von denen ich überzeugt war, sie galten nicht mir höchstpersönlich, sondern ich schuldete sie der Welt“ (Peter Handke, Mein Jahr...1994, S.991). Wenn es das gibt, Träume, die wir der Welt schulden, dann enthält unser Predigttext einen solchen Traum. Traum deshalb, weil hier mehr an der Wirklichkeit entdeckt wird, als die Wirklichkeit aus sich selbst heraus zu sagen vermag. Der Glaube darf mehr sehen und entdecken. Und das, was er mehr sehen und entdecken darf, schuldet er der Welt in der Verkündigung. Predigt ist geschuldeter Traum. Und auch der eingefleischte Lutheraner darf die Runzeln auf der Stirn glätten, wenn der Reformator schreibt: „Denn der Glaube ist nichts anderes, denn ein rechtschaffener Traum, in welchem ein Mensch sieht, was sonst niemand sieht.“ (Luther, zitiert nach GPM 1/1996, Heft 2, S.155) Das trifft auf die Menschen damals im babylonischen Exil zu, an die sich die Worte des Jesaja richten, auch wenn sich dieses Exil dem Ende zuneigt und wage Aussicht auf Heimkehr besteht. Einen kleinen Augenblick habe ich dich verlassen, sagt Gott zu seinem Volk. Einen kleinen Augenblick, der 50 Jahre gedauert hat. Das ist schon eine kleine Ewigkeit. Im Unglück vergeht die Zeit nicht. Im Rückblick der Geschichte sind 50 Jahre nicht viel. Im Rückblick auf ein Leben sind ein paar Jahre nicht viel. Aber im Augenblick des Unglücks, des Zorns oder der Abwesenheit Gottes vergeht die Zeit nicht. Dieser Augenblick wird als Ewigkeit erfahren. Wie lange dauert ein Jahr der Trauer? Wie lange dauert ein Jahr der Einsamkeit? Wie lange sind 6 Wochen im Krankenhaus? Wie lange ist man 4 Wochen getrennt von dem Menschen, den man liebt? Wer über ein Jahr ohne Arbeit ist, wird als langzeitarbeitslos bezeichnet. Wie treffend! Ein solches Jahr kann zur Ewigkeit werden. Und nur der, der von solchen Erfahrungen keine Ahnung hat, kann eine solche Zeitspanne kurzreden. Es gibt Momente in solchen Zeiten, wo sich Abgründe auftun, die keine Vertröstung überbrücken kann. Unendlich kann dabei der Kraftaufwand werden, mit dem man die gewohnte Fassade seines alltäglichen Lebens aufrechterhält. „Gottes Zorn währt einen Augenblick“ (Psalm 30/6), aber einen, der abgründige Dimensionen hat. Deshalb seufzt der Beter des 143. Psalms: „Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, dass ich nicht denen gleich werde, die in die Grube fahren“ (Psalm 143/7). An deren Rand ist man schnell geraten. Wenn unser Predigttext vom kleinen Augenblick redet, spricht er die Sprache der Psalmen, die die Dimension solcher Augenblicke kennen. Im Gegensatz zu jener alltäglichen und billigen Seelsorge, die gern kleinredet, was einen anderen Menschen bedrückt. „Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Man stelle sich vor, dem gekreuzigten Christus einen solchen Trost ins Angesicht zu sagen. Was für ein Hohn! Und Hohn ist solcher Trost oft genug angesichts leidvoller Augenblicke, die wie eine Ewigkeit empfunden werden. Was sagt solcher Trost anderes, als das der, der ihn spricht, keine Ahnung hat. Es gibt Formen des gutgemeinten Trostes, die trostloser sind als jedes Schweigen. Wie tröstlich, dass die Bibel sehr wohl weiß, dass es leidvolle Zeiten im Leben gibt, vor denen jedes Hoffnungsgeschwätz verstummen muss. Und das zeigt, dass das Wort Gottes wohl auch dem verlorenen, dem verzweifelten, dem kranken und sterbenden Menschen seine Größe und seine Würde lässt. Das zeigt, dass die Liebe Gottes sehr wohl in der Lage ist, die abgründigen Dimensionen unserer Traurigkeit zu ermessen. Das Wort Gottes sieht genauer und realistischer in unsere Menschlichkeit hinein, als es uns manchmal lieb ist. Und deshalb gibt sich das Wort Gottes nicht mit Vertröstungen ab. Deshalb wird in der Bibel der Augenblick der Gottverlassenheit nicht kurz- und kleingeredet. Er behält seine abgründige Dimension. Aber Gott bietet gegen diesen Augenblick seine Gegenwart und seine Verheißung auf, die den Abgrund nicht überspielt, sondern überstrahlt. Hier funzelt dem Traurigen und Verzweifelten nicht ein Lichtlein am Weg. Gott lässt die Sonne aufgehen: Einen kleinen Augenblick habe ich dich verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen. Alles weicht und fällt irgendwann dahin, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. Im Abgrund tritt der Gott der Liebe und der Zukunft an die Seite derer, die keine Zukunft mehr sehen und keine Zukunft mehr haben. In den Bergwerken der Schmerzen bricht Gott Licht aus der Nacht. Unter dem Kreuz Jesu gehen einem römischen Hauptmann die Augen auf und er sagt, was er sieht: Dieser ist Gottes Sohn gewesen. Ein römischer Hauptmann sieht einen hingerichteten, zerschlagenen Menschen und noch mehr. Er nimmt Gottes Gegenwart bei diesem Menschen wahr. Wie im Traum. Hinter der Ewigkeit dieser Todesstunde erscheint die Ewigkeit des lebendigen Gottes. Auf dem Gesicht des sterbenden Christus geschieht auf einmal die Wiederkehr des Glanzes in die Welt. „Tausend Winter durchmaß ich mit meinen Schritten aber aus jedem wuchs nur gewaltiger jener einzige Frühling empor - Tausend Toden sah ich ins Angesicht aber aus jedem blickte unsterblich dein (braunes) Auge mich an. Zwischen Fels und Firn mit den Geistern der Luft stimmte ich an den hellen brausenden Ton der Befreiung In die eisigen Himmel jauchzender schrieb ich deinen diamantenen Namen. Hinter dem Gipfel der weißesten Trauer immer stand rosig der Hauch deines Mundes.“ (Paula Ludwig, Dem dunklen Gott, Langewische-Brandt, 2. Aufl. 1981, S. 89) Wie genau passt dieses Gedicht, das die Dichterin Paula Ludwig ihrem dunklen Gott schreibt, zu den Versen des Jesaja. Wie treffend wird hier die Botschaft des heutigen Sonntags erträumt. Erträumt? Da hätte die Dichterin Einspruch erhoben. Das ist nicht erträumt, sondern erspürt und erlauscht und erblickt. Auch der Dichter darf mehr sehen und entdecken, als die Wirklichkeit auf den ersten Blick preisgibt. Mehrdeutig im guten Sinn ist das, was wir Realität nennen. Sie braucht ihre Deuter, Dichter und Denker. Damit ihr Mehrwert nicht verloren geht. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Glauben. Er braucht das Denken, Deuten und Dichten des Wortes Gottes. Damit er an dem Mehrwert der Wirklichkeit nicht vorbeigeht. Damit wir an dem Glanz Gottes nicht vorbeileben. Damit wir in den abgründigen Ewigkeiten unseres Lebens und unserer Welt nicht stecken und stehen bleiben. Ja, sie sind tief und finster dazu. Aber die Gegenwart Gottes reicht tiefer. Der Glanz seiner Herrlichkeit nimmt es mit jeder Finsternis auf. Seine Gegenwart durchbricht jede Gottverlassenheit. Hinter dem Gipfel der weißesten Trauer steht immer rosig der Hauch seines Mundes. Davon muss alle Welt etwas haben, seit Karfreitag und Ostern. Vom Herrn, dem Erbarmer. Und das ist mehr als ein der mutlosen Welt geschuldeter Traum. „Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein neuen Schein.“ (EG 23/4) Der wiedergekehrte Glanz Gottes in der Welt ist zu sehen und wahrzunehmen. Thomas von Aquin hat einmal gesagt: Wir sollen unser Leben mit all seinen Höhen und Tiefen annehmen und lieben, denn „unser Schicksal ist der Gang Gottes durch unsere Seele“. Der Gang Gottes durch unsere Seele. Da schaut euer Leben noch einmal mit anderen Augen an.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick
verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. |