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		Liebe Leser,
		 was für eine Predigt! Kaum zu glauben. 2500 Jahre ist diese gewaltige 
		Predigt alt. Und sie geht immer noch unter die Haut. Sie lässt nicht zu, 
		dass mit dem Erntedankfest wieder ein Fest abgleitet in weltfremde 
		Religiosität, in die religiöse Innerlichkeit, ins private Gefühl. Der 
		Prophet lässt nicht zu, dass wir heute gedankenlos danken. Diese Predigt 
		will verhindern, dass wir uns einlullen lassen, um morgen mit frischer 
		Kraft so weiter zu denken und zu machen wie bisher. 
		 
		Aber vielleicht haben wir ja auch längst gespürt, wo unsere 
		Schwierigkeiten mit diesem Erntedankfest und mit dem Danken liegen. 
		Erntedankfest, das klingt nach Landleben und Natur. Aber wer von uns hat 
		zu all dem noch ein Verhältnis? Wer weiß noch von der Abhängigkeit des 
		Menschen von den Naturgewalten? Den Bildern von New Orleans entspricht 
		in uns kein wirkliches Gefühl. Wer empfindet noch Dankbarkeit dafür, 
		dass Böden, Wind und Wetter uns wieder einmal den Ertrag nicht 
		verweigert haben? Wer nicht gerade Landwirt ist, dem kann es doch im 
		Grunde wurscht sein, wenn einmal eine Ernte ausfällt. Deswegen bleiben 
		die Regale nicht leer. Für ein paar Cent mehr, kommt alles dann eben von 
		woanders her. Wir sind total überversorgt. Wie soll da in unseren Herzen 
		noch so etwas wie Dankbarkeit entstehen? So mancher Landwirt flucht, 
		wenn er sieht, was seine Erzeugnisse bei einem solchen Überangebot noch 
		wert sind. 
		 
		Und dennoch schmücken wir alle Jahre unseren Altar. Und legen drauf, 
		wobei wir gerade noch ein halbwegs gutes Gewissen haben. Garantiert 
		ungespritzt, war der Kommentar einer Frau, die einen Korb mit Äpfeln 
		brachte. Ja, Gott sei Dank steht nicht drauf, wie viel Natur, wie viel 
		Schöpfung bei so manchem, womit wir unseren Wohlstand verdienen, 
		verbraucht, belastet, vergiftet und zerstört wurde. Gott sei Dank steht 
		auf dem Päckchen Kaffee nicht drauf, wie viel der Nahrungsmittelkonzern, 
		der Kaffeeröster bei uns und der Supermarkt um die Ecke daran verdient 
		hat und wie wenig der arme Bauer in Südamerika. Wir müssten uns ja in 
		Grund und Boden schämen. Ist das nicht auch der Grund, warum so vieles 
		andere auf dem Kirchenaltar fehlt, was doch ein gutes Geschäft ist? 
		Warum eigentlich kein Plastik, keine Chemie? Weil uns nicht wohl dabei 
		ist, dass wir den Müll, der davon übrig bleibt, als Wertstoff in alle 
		Welt verschiffen? Warum eigentlich kein Auto? Weil wir wissen, dass die 
		Abgase, die wir oft genug aus Bequemlichkeit und Freude am Fahren in die 
		Luft blasen, das Klima auf unserer Erde so dramatisch verändern, dass 
		selbst der Chinese auf dem Land den Schaden hat? Und der fährt höchstens 
		Fahrrad. 
		 
		Wenn wir uns unseres Wohlstandes mehr oder weniger dankbar bewusst 
		werden, dann können wir all die Probleme, die damit verbunden sind, 
		nicht verdrängen. Wir, die wir zu dem Fünftel der Menschheit gehören, 
		das vier Fünftel aller Güter dieser Welt verbraucht. Wir dürfen es um 
		Gottes, um des Schöpfers dieser Welt willen nicht verdrängen. Und wenn 
		wir es ernst nehmen, dann muss - wie ein Ausleger schreibt, der 
		grundlegende „Dank früherer Zeiten abgelöst werden durch die 
		grundlegende Buße für die tägliche Vergeudung, Zerstörung, Ignoranz und 
		die mangelnde Geschwisterlichkeit auf allen Ebenen der Gesellschaft.“ 
		(Christoph Schneider, GPM, Heft 4, 1993, S. 386) 
		 
		Das ist es, was die Predigt des Jesaja uns heute aufgibt, wenn er hier 
		eigentlich vom Fasten, von Buße, von Umkehr spricht. Heute, wo wir vor 
		Gottes Angesicht versammelt sind, ist kein Platz für fromme Lügen und 
		frommen Selbstbetrug. Wir wissen sehr wohl, und Gott weiß sehr wohl, 
		dass das idyllische Bild, das das bisschen Obst und Gemüse um unseren 
		Altar abgibt, mehr verschweigt, als zeigt, was es mit unserem Wohlstand 
		auf sich hat.  
		 
		Und wenn wir uns das wieder einmal bewusst gemacht und zu Herzen 
		genommen haben, dann sind wir schon ein gutes Stück anmarschiert zu dem 
		Punkt, an dem Gott uns haben will. Ja, es ist wahr, dass der Kern der 
		Kirche ihr Glauben, ihr geistliches Leben, ihre innere Umkehr und 
		Hinwendung zu Gott ist. Aber es ist nicht wahr, dass das keine 
		Auswirkungen auf unser Reden und Handeln außerhalb dieser Kirchenmauern 
		hat. Es ist nicht wahr, dass das keine Auswirkungen auf unser Reden und 
		Tun als Landes- und Weltbürger, als politische Menschen hat.  
		 
		Denn das sagt die Predigt des Propheten unmissverständlich: Unsere 
		Hinwendung zu Gott ist aufs allerengste verbunden mit unserer Zuwendung 
		zum anderen Menschen und zu allen Geschöpfen. Deshalb gibt es kein 
		wahres Fasten, keine wirkliche Umkehr zu Gott, ohne Hinkehr zum 
		Menschen. Keine Einsicht in die Höhen und Tiefen unseres 
		Gottesverhältnisses ohne Einsicht in die Höhen und Tiefen unserer sehr 
		weltlichen Verhältnisse. Wer Gott seine Schuld bekennt, darf seine 
		Schuld gegen den Mitmensch und gegen die Schöpfung nicht unter den 
		Teppich kehren. Wer von Gott Liebe und Erbarmen erfährt, darf dem nahen 
		und fernen Nächsten und der nahen und fernen Kreatur seine Liebe und 
		sein Erbarmen nicht versagen. Wie könnte er auch? Der Christus, der im 
		Abendmahl für uns nicht nur Brot, sondern sein ganzes Leben teilt, will 
		keine Jünger, die ihr Brot, ihren Wohlstand, ihren Arbeitsplatz, ihre 
		Interessen, ihr Leben für unteilbar halten.  
		 
		Darum brich mit dem Hungernden dein Brot und die im Elend sind führe ins 
		Haus. Und wenn du jemand siehst der nichts zum Anziehen hat, so kleide 
		ihn und entziehe dich nicht deinem Fleisch und Blut. Wer vom Tisch des 
		Herrn aufsteht, der weiß deshalb sehr wohl wo und für wen er draußen in 
		der Welt zu stehen kommt. Der weiß sehr wohl, in welche Richtung er zu 
		reden hat in der Diskussion um Sozialabbau auf allen Ebenen. Der weiß 
		sehr wohl, was er denen zu sagen hat, die wieder den nationalen und 
		sozialen Egoismus predigen und den Hass auf alles Fremde. Der weiß sehr 
		wohl, was er davon zu halten hat, wenn die Umkehr zu mehr Frieden mit 
		der Natur auf unbestimmte Zeit verschoben wird, weil sonst Arbeitsplätze 
		in Gefahr kommen können.  
		 
		Wer vom Tisch des Herrn aufsteht, weis sehr wohl, wo er draußen in der 
		Welt zu stehen kommt. Lassen wir es nicht beim Wissen. Lassen wir es 
		nicht beim schlechten Gewissen, bei unseren im Überfluss so leer 
		gewordenen Herzen. Brich mit dem Hungrigen dein Brot. Tun wir’s doch 
		!Tun wir’s, weil’s nicht nur dem anderen, sondern bestimmt auch uns gut 
		tut. Nicht unserem Bankkonto und vielleicht auch nicht unserem 
		Wohlstand. Aber vielleicht ist dieses nagende Unwohlsein, diese innere 
		Leere, die Hohlheit unseres Dasein bis hin zur Klage über Gottes 
		Verborgenheit in unserer bösen Welt nicht die Ursache, sondern die Folge 
		unseres oft fromm verbrämten Stillhaltens und unseres betroffenen 
		Nichtstuns.  
		 
		Ist nicht vielmehr wahr, was uns Jesaja predigt, dass nämlich gerade in 
		der Hingabe an andere unser Selbst gestärkt wird, Gottes Zuwendung zum 
		Tragen kommt, seine Nähe erfahrbar wird? „Dann wird dein Licht 
		hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Heilung wird schnell 
		voranschreiten und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die 
		Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen 
		und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist wird er sagen : Siehe 
		hier bin ich.“ 
		 
		Verlockende Aussichten!. Verlockende Aussichten für ein sinnvolles 
		Leben. Dahin will Gott uns locken. Weg von einem Sonntagsglauben im 
		Idyll unsrer Kirche. Weg von der ängstlichen und selbstbezogenen Sorge 
		um unser Seelenheil und der ebenso selbstbezogenen Sorge um unseren 
		Wohlstand. Weg vom Verdrängen, Stillhalten und Aussitzen. Und wenn wir 
		die Probleme unserer Welt nicht lösen: So viele Menschen warten auf 
		unsere Zuwendung und Hilfe. Soviel geschundene Kreatur braucht unser 
		Erbarmen. An ihnen führt der Weg vorbei, der Weg zu uns selbst, zu einem 
		erfüllten Leben, der Weg zu Gott. Es gibt keinen andern! 
		 
      
		
      	Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de)  | 
      Text: 
      
		 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im 
		Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so 
		kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 
		8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine 
		Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor 
		dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug 
		beschließen. 
		9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, 
		wird er sagen: Siehe, hier bin ich. 
		Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst 
		und nicht übel redest, 
		10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden 
		sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein 
		Dunkel wird sein wie der Mittag. 
		11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre 
		und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten 
		und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. 
		12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst 
		gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet 
		ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege 
		ausbessert, dass man da wohnen könne«.  |