Liebe Leser, „Es war ein reicher Mann und eine reiche Frau. Da
widerfuhr der Frau ein Unfall, dass sie ein Auge verlor; darüber war
sie sehr betrübt. Da kam der Mann zu ihr und sprach: ,Frau, weshalb
seid ihr so betrübt? Ihr sollt nicht darüber betrübt sein, dass Ihr
Euer Auge verloren habt.‘ Da sprach sie: ,Herr, nicht das betrübt
mich, dass ich mein Auge verloren habe; darum vielmehr betrübe ich
mich, dass mich dünkt, Ihr werdet mich um so weniger lieb haben.‘ Da
sprach er: ,Frau, ich habe Euch lieb.‘ Nicht lange danach stach er
sich selbst ein Auge aus und kam zu der Frau und sprach: ,Frau,
damit Ihr nun glaubt, dass ich Euch liebe habe, habe ich mich Euch
gleich gemacht; ich habe nun auch nur mehr ein Auge.‘ So wie der
Frau geht es auch dem Menschen: Der konnte kaum glauben, dass Gott
ihn so lieb habe, bis dass Gott sich selbst schließlich ,ein Auge
ausstach‘ und menschliche Natur annahm. Das bedeutet: ,Fleisch
geworden‘.“ (Quint, S.256f.)
So erklärt Meister Eckhart in seiner Predigt 23 seinen baffen
Zuhörern, was es mit der Fleischwerdung des ewigen Wortes auf sich
hat. Denn „das allergrößte Heil, das Gott dem Menschen je zuteil
werden ließ, das war, dass er Mensch ward.“ Kein Wunder, dass die
Weihnachtsgeschichte des Johannesevangeliums die Lieblingsstelle des
Meisters ist, und seine Theologie eigentlich von gar nichts anderem
handelt. Kein Wunder auch, dass diese Theologie in hohem Maß
Philosophie ist und unser Denken gehörig anstrengt. Denn hier wird
ja nicht nur von der Geburt eines Kindes im Stall von Bethlehem
erzählt, sondern neben der Geschichte der Welt auch noch das ganze
Wesen Gottes ausgebreitet.
Dennoch ist sich der Meister nicht zu schade, seinen Zuhörern diese
hochtheologischen und hochphilosophischen Sachverhalte in Form von
Liebesgeschichten zu erzählen. Schon wahr: das Wort Liebe kommt in
unserem Predigttext nicht vor. Aber nur auf den ersten Blick.
Eckhart schreibt: „Was Gott gibt, das ist sein Sein, und sein Sein
ist seine Gutheit und seine Gutheit ist seine Liebe.“
Gerade weil Meister Eckhart das allergrößte Geschenk in der
Menschwerdung Gottes sieht, in der sein ganzes Sein und damit alle
seine Liebe steckt, möchte er die Geburt des Christus nicht auf
Maria beschränkt wissen. Eckhart ist nicht nur ein
Theologieprofessor, sondern auch ein Lebemeister, der weiß, wie Gott
und unser Leben zusammenkommen können. Und er weiß auch, woran das
liegt, dass wir das wahre Licht nicht aufnehmen. Nicht an Gott liegt
es, sondern an uns selbst. Es liegt daran, dass wir alles Mögliche
für das Licht unseres Lebens halten: Menschen, Geld, Dinge. Es liegt
daran, dass wir alles Mögliche für unseren Halt und unseren Gott
halten, was aber leider eben nur alles Mögliche und nicht Gott ist.
Darum bemerkt Eckhart mit Ausrufezeichen: „Hätte Maria Gott nicht
zuerst geistig geboren, er wäre nie leiblich von ihr geboren worden.
Eine Frau sprach zu unserm Herrn Jesus Christus: ‚Selig ist der
Leib, der dich trug‘. Da sprach unser Herr: ‚Nicht nur der Leib ist
selig, der mich getragen hat; selig sind, die das Wort Gottes hören
und bewahren‘ (Lukas 11/27f). Es ist Gott wertvoller, dass er
geistig geboren werde von einer jeglichen Jungfrau - will sagen -
von einer jeglichen guten Seele, als dass er von Maria leiblich
geboren wurde.“ (Quint, S.256)
Ein unerhörter Satz, bei dessen Klang man zu Eckharts Zeiten schon
mit dem Holzsammeln für den Scheiterhaufen begann. Und doch hat
Eckhart einfach recht. Genau zitiert er den Christus, als die
Volksseele ihm zuruft: „Selig ist der Leib, der dich getragen hat,
und die Brüste, an denen du gesogen hast.“ (Lukas 11,27) Ach, nicht
nur zur Weihnachtszeit bleiben wir an den vordergründigen Dingen
kleben und an ihrer Süßigkeit. Wie lieblich lächelt uns Maria aus
unzähligen Bildern und Figuren an. Wie schnell sind wir verschwunden
im Idyll mit seinen Annehmlichkeiten. Lassen wir uns um Gottes
Willen den Satz des Christus nicht entgehen: „Selig sind, die das
Wort Gottes hören und bewahren.“ Hören wir, wie Maria an der Krippe,
die alles, was sie hört, in ihrem Herzen bewegt. Da liegt das eine
Wort Gottes in der Krippe und da ist es doch immer noch in ihr.
„Wenn sich der Mensch demütigt, kann Gott in seiner ihm eigenen Güte
sich nicht enthalten, sich in den demütigen Menschen zu senken und
zu gießen, und dem allergeringsten teilt er sich am allermeisten mit
und gibt sich ihm völlig.“ (Quint, S.259) So beschreibt Eckhart die
Menschwerdung Gottes, die in der Krippe stattfindet und zugleich in
allen, die sein Wort hören und bewahren. So werden wir Menschen, die
von Gott geboren sind.
Was also ist zu tun, damit es auch bei und in uns Weihnachten wird?
Wie demütigt sich der Mensch, damit Gott tun kann, was er immer
schon vorhat? Er braucht ein leeres Herz und ein offenes Ohr. Und
den schlichten Satz, den Maria sagt, als der Engel bei ihr eintritt:
Mir geschehe, wie du gesagt hast. (Lukas 1,38) Der muss es schon
sein. Denn der Christus fällt nicht mit der Tür ins Haus. Er will
eingelassen werden.
Aber Vorsicht: Der Christus hat eine Mission. Seine Mission ist es,
dich und mich heimzubringen in des ewigen Vaters innerstes Herz.
Mitten hinein in den „glühenden Backofen voller Liebe“, wie Luther
Gott einmal genannt hat. Auch davon erzählt Meister Eckhart am Ende
seiner Predigt 23 wieder mit einer Liebesgeschichte: „Als Gott die
menschliche Seele schuf, schuf er sie nach seiner höchsten
Vollkommenheit, auf dass sie eine Braut des eingeborenen Sohnes sein
sollte. Da der Sohn dies wohl erkannte, so wollte er ausgehen aus
seiner heimlichen Schatzkammer der ewigen Vaterschaft, in der er
ewiglich unausgesprochen innbleibend geschlafen hat. … weil er seine
Freundin erhöhen wollte, die ihm der Vater von Ewigkeit her vermählt
hatte, auf dass er sie zurückbrächte in das Allerhöchste, aus dem
sie gekommen ist. … Darum also ging er aus und kam gesprungen wie
ein Rehböcklein und erlitt seine Pein aus Liebe; und nicht ging er
so aus, ohne wieder eingehen zu wollen mit seiner Braut in seine
Kammer. Diese Kammer ist das stille Dunkel der verborgenen
Vaterschaft. Dort, wo er ausging aus dem Allerhöchsten, dort wollte
er wieder eingehen mit seiner Braut im Allerlautersten und wollte
ihr offenbaren die verborgene Heimlichkeit seiner verborgenen
Gottheit, wo er mit sich selbst und allen Kreaturen ruht.“ (Quint,
S.260)
Schaut hin, was Eckhart für ein Lebemeister ist: Er erzählt die
Geburt des Christus auf dieser Welt als Liebesgeschichte Gottes mit
uns, an deren Ende Glück und Frieden und Heimkehr stehen. Es ist
nicht abwegig, dass Eckhart geheult hat, als er das geschrieben hat.
Denn er macht aus seinen Gefühlen kein Geheimnis, wenn er seinen
Hörern gesteht: „Alles Leid und alle Freude kommen aus der Liebe.
Unterwegs, als ich hierher gehen sollte, fiel mir ein, ich möchte
lieber nicht hierher gehen, weil ich doch wohl tränenbenetzt werden
würde aus Liebe.“ (Quint, S.259) Wer sich an Weihnachten - oder in
der Liebe überhaupt - nur die Rosinen herauspicken will, muss sich
dann wohl auch mit Plätzchen und Stollen zufrieden geben. Alle Liebe
heißt: alles Leid und alle Freude. Das gilt für uns und es gilt für
Gott selbst, der zur Welt kommt im Christuskind, an dessen Leben wir
sehen werden, was alles Leid und alle Freude meint.
Es ist also kein Wunder, dass in der Weihnachtsgeschichte die Menge
der himmlischen Heerscharen aufmarschiert. Denn dort in der Krippe
liegt das größte Heil, das Gott dem Menschen je zuteilwerden ließ.
In der Krippe liegt das Christuskind und blickt uns an mit den Augen
der Liebe. Und um die Krippe dieses Kindes stehen wir als
Gotteskinder. Und sind schon jetzt in Christus durch Freud und Leid,
durch Leben und Tod nach Hause unterwegs.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei
Gott, und Gott war das Wort.
2 Dasselbe war im Anfang bei Gott.
3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist
nichts gemacht, was gemacht ist.
4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's
nicht ergriffen.
9 Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in
diese Welt kommen.
10 Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die
Welt erkannte ihn nicht.
11 Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
12 Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder
zu werden, denen, die an seinen Namen glauben,
13 die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus
dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen
seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes
vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
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