Predigt     Johannes 1/43-51    2. Sonntag nach Weihnachten    04.01.09

"Komm und sieh!"
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

was hat denn dieser Predigttext mit Weihnachten zu tun? Noch sind wir mitten in der Weihnachtszeit. Doch in unserem Text ist Jesus kein Kind in der Krippe mehr, sondern um die 30 Jahre alt. Die Antwort ist ganz einfach: Weihnachten wirkt weiter. Dass Gott Mensch geworden ist, das lässt Menschen nicht kalt, das macht etwas mit ihnen. Menschen machen Erfahrungen mit Jesus. Und das ist dann oft der Anfang eines Weges, den ein Mensch mit Jesus geht, wobei der Weg Jesu mit ihm schon längst begonnen hat. Davon erzählt unser Predigttext. Schauen wir uns näher an, was Johannes schreibt:

43 Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa gehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach!

Jesus tritt in das Leben des Philippus. Er findet ihn. Er hat ihn also zuvor gesucht, ihn, einen Menschen, den er bei sich haben will, mit dem er etwas vor hat. Folge mir nach! So einfach klingt das, was Jesus zu ihm sagt: Zieh mit mir mit, halte dich an mich. Ich habe eine Aufgabe für dich. Und es wird zu deinem Besten sein.
Jesus beruft hier den Philippus als einen seiner zwölf Jünger. Er soll sein ganzes Leben der Sache Gottes widmen. Nicht jeden von uns ruft Gott zu einem solchen Dienst. Es sind wohl heute diejenigen, die hauptamtlich für die Gemeinde arbeiten, die Gemeindereferentinnen und Diakone, die Pfarrerinnen und Pfarrer. Heute vor zwei Wochen bin auch ich durch meine Ordination zu diesem Dienst berufen worden. Nicht jeden ruft Gott in einen solchen Dienst. Aber jeder kann sich die Frage stellen: Was ist denn mein Weg, den Gott mit mir gehen will? Wozu will er mich gebrauchen? Denn dass er jeden gebrauchen will, seinen Segen auszuteilen, davon bin ich überzeugt.

Damals zur Krippe kamen die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland. Sie blieben einige Tage, und machten sich dann wieder auf in ihr normales Leben – freilich nicht ohne angerührt von der Geburt des Gottessohnes fortan einen tiefen Trost im Herzen zu tragen. Die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland, sie leben den Glauben und das Gottvertrauen in ihrem Alltag. Und so wird es bei den allermeisten sein: dass Gott sie ruft, in Familie und Beruf den Glauben zu leben und aus der Kraft Gottes die eigenen Herausforderungen zu bestehen. Vielleicht ruft er uns, uns immer wieder zur Versöhnung treiben zu lassen oder für einen ganz konkreten Menschen ein rettender Engel zu sein. Oder er hält noch ganz andere spannende Wege für uns bereit.

Folge mir nach, hat Jesus zu Philippus gesagt. Die Hirten und Weisen sind nicht alleine geblieben. Philippus ist aufgebrochen, er ist mitgelaufen mit Jesus. Ich bin dankbar, dass es auch in unserer Gemeinde viele Menschen gibt, die aufgebrochen sind auf den Weg, den Gott ihnen zeigt. Menschen, die sich zu Gott halten und aus seiner Gegenwart leben, die immer wieder lauschen und aufmerksam sind, welche Wege Gott mit ihnen gehen will, und die stets neu aufbrechen mit ihrem Herz, ihrem Verstand und der Tat.

Diese Aufbruchsbewegung setzt sich fort, denn es heißt in unserem Predigtwort weiter: 45 Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.

Da trifft Philippus auf Nathanael, und erzählt ihm sofort, dass und warum er sich zu Jesus hält. Für mich ist das keine sachliche Erklärung. Ich höre die Dynamik in der Stimme des Philippus, mit der er diesen Satz sagt: „Wir haben den gefunden, von dem Mose und die Propheten geschrieben haben.“ Da steckt die Überzeugung drin, dass sich in diesem Jesus viele Sehnsüchte erfüllen: die Sehnsucht danach, geborgen zu sein, welche Stürme auch immer mich umwehen, die Sehnsucht, aufgehoben zu sein, Frieden für mein Herz zu finden. Wir haben bei ihm das gefunden, wonach wir uns seit der Zeit der Propheten sehnen. Für mich blitzt in diesem Bekenntnis des Philippus Weihnachten auf: Da hat den Philippus durch Jesus die Gegenwart Gottes berührt, da wurde für ihn Friede spürbar. Deshalb sind auch viele von uns heute hier im Gottesdienst, weil sie wie Philippus von Gott berührt worden sind und immer wieder berührt werden und mit ihm sagen können: Wir haben den gefunden, der unsere Sehnsüchte stillt, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.

Philippus scheint nichts von der wundersamen Geburt des Gottessohnes gewusst zu haben, auch Nathanael nicht. Und der Evangelist Johannes erzählt im Gegensatz zu Lukas und Matthäus auch keine Geburtsgeschichte von Jesus. Aber er hat hier die Erinnerung aufbewahrt: Jesus, das ist der Sohn eines gewissen Joseph aus der Stadt Nazareth. Jesus, das ist also kein engelsgleiches Geistwesen, sondern ein wirklicher Mensch wie du und ich. Johannes interessiert nicht, ob er auf wundersame Weise von einer Jungfrau geboren wurde oder wie jeder andere Mensch gezeugt worden ist. Worauf es ihm ankommt: In diesem Menschen, Jesus aus Nazareth, da begegnet uns Gott selbst. Da werden die Sehnsüchte gestillt, die die Menschen seit der Zeit der Propheten in sich tragen. Jesus ist das fleischgewordene Wort Gottes, durch seine Worte und Taten offenbart sich Gott uns. Deshalb ist er Sohn Gottes, nicht auf Grund einer wundersamen Geburt!

Mir fällt ein kleines Wörtlein auf: Philippus „findet“ Nathanael. Ich glaube nicht, dass Philippus genau diesen Nathanael bewusst gesucht hätte. Er fand ihn, so wie wir einen Cent auf den Bürgersteig finden. Er traf einfach auf ihn, vielleicht weil Gott es so gefügt hat, und er genau auf ihn treffen sollte. Denn ab und an macht das Gott ja, dass er Menschen sich treffen lässt, die sich gegenseitig viel geben können. Philippus trifft auf Nathanael, so wie er später in der Apostelgeschichte auf den Kämmerer treffen wird, der durch ihn auch zu Jesus und sein Leben zu einer ungeahnten Tiefe findet. Philippus trifft also auf Nathanael, und kann nicht anders, als ihm das zu erzählen, was er da mit Jesus gefunden hat, welch große Bedeutung Jesus für sein Leben hat. Wieder sehe ich dankbar, dass auch unter uns viele Christen sind, die ihren Glauben nicht im stillen Kämmerlein verstecken, sondern bei denen der Glaube so selbstverständlich zum Leben dazu gehört, dass man es ihnen an ihrem täglichen Verhalten anmerkt, weil sie vielleicht auch in der Kantine das Tischgebet sprechen, oder geduldiger, freundlicher und sanftmütiger als manch anderer Zeitgenosse auf ihre Mitmenschen reagieren. Ich bin dankbar, dass es Menschen wie den Philippus gibt, die gar nicht anders können, als auch ab und an zu erzählen, was sie mit Gott erlebt haben.

Jeder aber, der schon einmal mit anderen über seinen eigenen Glauben geredet hat, der weiß, welch unterschiedliche Reaktionen das hervorruft. Schon die Bemerkung: „Ich geh am Sonntag in die Kirche“ kann Kopfschütteln und Naserümpfen hervorrufen. Nicht anders erging es Philippus mit Nathanael, denn so erzählt Johannes weiter:

46 Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann aus Nazareth Gutes kommen!

Aus Nazareth, dieser einfachen Handwerkerstadt, soll Gutes kommen? Das kann nicht sein! Kopfschütteln über Jesus und den ganzen Glauben. Das verletzt Christinnen und Christen tief. Wie reagieren wir darauf? Manchmal geben wir klein bei und beschwichtigen freilich mit einem schlechten Gewissen: „Also sooft gehe ich ja dann auch nicht in die Kirche.“. Uns ist wichtig, dass wir im Ansehen des anderen nicht sinken. Oder aber wir verteidigen Gott und den Glauben mit guten Argumenten. Das aber hat gar nicht nötig, er kann sich mit der Kraft seines Geistes selbst durchsetzen. Was tut Philippus nach dieser Abfuhr von Nathanael?

Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es!

Philippus steht zu seiner Überzeugung, aber er prügelt sie in Nathanael nicht mit dem Holzhammer hinein. Er lädt ihn ein, sich Jesus einfach einmal näher anzuschauen. Philippus blieb an Nathanael dran, und hat sich nicht von ihm abgewendet, obwohl er doch nichts von Jesus wissen will.

Mir ist es leider anders ergangen. Da hat sich eine Bekannte nur über Gott und den Glauben lustig gemacht. Anfangs habe ich natürlich versucht, den Glauben zu verteidigen. Doch irgendwann habe ich mich in mein Schneckenhaus zurückgezogen und sie in eine Schuhblade gesteckt mit der Aufschrift „überzeugte und militante Atheistin“, und fortan habe ich mit ihr das Thema Glauben gemieden. Nachdem nun ein ¾ Jahr vergangen ist, da hat sie sich verändert: Sie zieht nicht mehr über den Glauben her, und sie war sogar neulich bei meinem Ordinationsgottesdienst in der Hospitalkirche dabei. Was ich aus meinem Verhalten lerne? Ich habe sie zu früh als unbelehrbare Atheistin abgestempelt. Ich habe aus dem Blick verloren, dass Gott mit jedem Menschen seinen Weg geht und seine Geschichte hat, und dass Menschen sich verändern können. Ja, ich hatte nicht im Blick, dass Gott sie vielleicht sogar durch mich berühren will, mich auf sie treffen ließ wie den Philippus auf Nathanael. Philippus hat richtig reagiert: Er hat auf freundliche Art zu Jesus eingeladen.

Auch wir müssen uns weder zurückziehen, noch groß mit Argumenten andere vom Glauben zu überzeugen suchen: Leben wir doch authentisch unseren Glauben in Tat und Wort, und halten wir ihn auch nicht unter dem Scheffel. Vielleicht lässt sich gerade dadurch der andere dann doch einmal darauf ein, und bewegt sich innerlich neugierig zu Jesus, kommt und sieht. Nathanael tut es. Er schaut sich diesen Jesus einmal an.

47 (Und) Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist.

Jesus grüßt ihn freundlich mit einem wertschätzenden Gruß: Das ist die Erfahrung, die Menschen in der Gegenwart Gottes machen: Gott redet sie freundlich und wertschätzend an. Du bist wer für ihn, du bist keine Sklave, der vor ihm im Staub liegen müsste. Er grüßt dich wie ein gleichwertiges Gegenüber. Und er kennt deinen Namen. Das ist es, was Nathanael verwundert – er hatte sich doch noch gar nicht vorgestellt!

48 Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.
49 Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!


Wie kommt das so plötzlich? Gerade noch Zweifler, bekennt sich Nathanael nun auf einmal zu Jesus als dem Sohn Gottes! Der Evangelist Johannes erzählt uns hier keine außergewöhnliche Bekehrung, sondern genau das, was regelmäßig passiert, wenn Menschen auf Gott treffen: Menschen erleben, dass Gott sie sieht!

Was heißt das, einen Menschen sehen? Ich sitze mit Freunden in der Kneipe. Einer von uns sitzt mit traurigem Blick in der Runde. Der Wortführer merkt das gar nicht und bringt einen feucht-fröhlichen Spruch nach dem anderen. Einer aber hat es sehr wohl bemerkt. Und er wirft dem Traurigen einen verstehenden und mitfühlenden Blick zu. Er hat gesehen, was in ihm vorgeht. Und der Freund fühlt sie sich durch die Blicke, die sie wechseln, verstanden und ein Stück geborgener. Ein Blick, der den anderen sieht in seiner Freude und seinem Leid, in seinen Hoffnungen und Ängsten. Ein solcher Blick tut gut. Er wirkt wie Balsam auf die Müden, wie Sonnenschein auf die Mutlosen. Er ist Trost für die Traurigen.

Nathanael erlebt, dass Jesus ihn sieht. Er ahnt, dass ihn aus diesen Augen Jesu die bergenden Augen Gottes anschauen. Das fasst er in Worte und gibt Jesus die Ehrentitel, die er aus seiner jüdischen Tradition kennt: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!“

Wir haben oft allzu schnell Antworten parat, wer Jesus ist: der Gottessohn, der Retter, der Heiland. Doch sind das alles nicht nur Vokabeln, die ganz schnell nichtssagend werden oder es für viele längst schon sind? Philippus hat seine Antwort selbst gefunden: Jesus ist der, den unsere Propheten angekündigt haben, der, der unsere Sehnsüchte stillt. Und auch Nathanael findet selber eine Antwort: Er gibt ihm die Ehrentitel, die er kennt: Jesus ist der Sohn Gottes.

Vielleicht sollten auch wir uns einmal in einem ruhigen Augenblick überlegen, wer Jesus denn für mich persönlich ist. Denn mit Titeln um sich werfen kann jeder: Gottessohn, Retter. Kannst du beschreiben, was Jesus, was Gott für dein Leben bedeutet?

50 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres als das sehen.
51 … Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn.


Was Jesus wohl damit meint? Nathanael und Philippus, sie haben das tatsächlich erlebt, dass der Himmel offensteht und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen – z.B. als sie die Freude des geheilten Blinden miterlebt haben, oder die des aus dem Grab gerufenen Lazarus oder die eigene Freude an der Auferstehung ihres Herrn.

Wir waren fröhlich beim Tanzen. Eine Freundin bemerkt, was wir anderen übersehen: Da steht am Rand eine junge Frau, die alleine da ist, die den ganzen Abend noch kein einziges mal getanzt hat. Und mich beeindruckt, was sie tut: Sie geht hin, und holt sie an unseren Tisch. Und diese junge Frau blüht auf in unserer Runde, und ich und andere tanzen mit ihr. Sie wurde gesehen, und dann hat sie noch Größeres erlebt, Gemeinschaft, Freude, Tanz, Ausgelassenheit: Vielleicht sah sie da den Himmel offen stehen.

Es gibt diese Momente im Glauben, in denen wir erleben, dass der Himmel offen steht. Sie sind nicht unbedingt häufig, aber von ihnen zehrt man ein Leben lang. Du wirst noch Größeres sehen. Warten wir doch ab, wo Gott in unser Leben treten wird und wir den Himmel offen sehen! Ich bin darauf gespannt.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

43 Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa gehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach!
44 Philippus aber war aus Betsaida, der Stadt des Andreas und Petrus.
45 Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.
46 Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es!
47 Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist.
48 Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.
49 Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!
50 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres als das sehen.
51 Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn.


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