Liebe Leser,
was hat denn dieser Predigttext mit Weihnachten zu tun? Noch sind wir
mitten in der Weihnachtszeit. Doch in unserem Text ist Jesus kein Kind
in der Krippe mehr, sondern um die 30 Jahre alt. Die Antwort ist ganz
einfach: Weihnachten wirkt weiter. Dass Gott Mensch geworden ist, das
lässt Menschen nicht kalt, das macht etwas mit ihnen. Menschen machen
Erfahrungen mit Jesus. Und das ist dann oft der Anfang eines Weges, den
ein Mensch mit Jesus geht, wobei der Weg Jesu mit ihm schon längst
begonnen hat. Davon erzählt unser Predigttext. Schauen wir uns näher an,
was Johannes schreibt:
43 Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa gehen
und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach!
Jesus tritt in das Leben des Philippus. Er findet ihn. Er hat ihn also
zuvor gesucht, ihn, einen Menschen, den er bei sich haben will, mit dem
er etwas vor hat. Folge mir nach! So einfach klingt das, was Jesus zu
ihm sagt: Zieh mit mir mit, halte dich an mich. Ich habe eine Aufgabe
für dich. Und es wird zu deinem Besten sein.
Jesus beruft hier den Philippus als einen seiner zwölf Jünger. Er soll
sein ganzes Leben der Sache Gottes widmen. Nicht jeden von uns ruft Gott
zu einem solchen Dienst. Es sind wohl heute diejenigen, die hauptamtlich
für die Gemeinde arbeiten, die Gemeindereferentinnen und Diakone, die
Pfarrerinnen und Pfarrer. Heute vor zwei Wochen bin auch ich durch meine
Ordination zu diesem Dienst berufen worden. Nicht jeden ruft Gott in
einen solchen Dienst. Aber jeder kann sich die Frage stellen: Was ist
denn mein Weg, den Gott mit mir gehen will? Wozu will er mich
gebrauchen? Denn dass er jeden gebrauchen will, seinen Segen
auszuteilen, davon bin ich überzeugt.
Damals zur Krippe kamen die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland.
Sie blieben einige Tage, und machten sich dann wieder auf in ihr
normales Leben – freilich nicht ohne angerührt von der Geburt des
Gottessohnes fortan einen tiefen Trost im Herzen zu tragen. Die Hirten
und die Weisen aus dem Morgenland, sie leben den Glauben und das
Gottvertrauen in ihrem Alltag. Und so wird es bei den allermeisten sein:
dass Gott sie ruft, in Familie und Beruf den Glauben zu leben und aus
der Kraft Gottes die eigenen Herausforderungen zu bestehen. Vielleicht
ruft er uns, uns immer wieder zur Versöhnung treiben zu lassen oder für
einen ganz konkreten Menschen ein rettender Engel zu sein. Oder er hält
noch ganz andere spannende Wege für uns bereit.
Folge mir nach, hat Jesus zu Philippus gesagt. Die Hirten und Weisen
sind nicht alleine geblieben. Philippus ist aufgebrochen, er ist
mitgelaufen mit Jesus. Ich bin dankbar, dass es auch in unserer Gemeinde
viele Menschen gibt, die aufgebrochen sind auf den Weg, den Gott ihnen
zeigt. Menschen, die sich zu Gott halten und aus seiner Gegenwart leben,
die immer wieder lauschen und aufmerksam sind, welche Wege Gott mit
ihnen gehen will, und die stets neu aufbrechen mit ihrem Herz, ihrem
Verstand und der Tat.
Diese Aufbruchsbewegung setzt sich fort, denn es heißt in unserem
Predigtwort weiter: 45 Philippus findet Nathanael
und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und
die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.
Da trifft Philippus auf Nathanael, und erzählt ihm sofort, dass und
warum er sich zu Jesus hält. Für mich ist das keine sachliche Erklärung.
Ich höre die Dynamik in der Stimme des Philippus, mit der er diesen Satz
sagt: „Wir haben den gefunden, von dem Mose und die Propheten
geschrieben haben.“ Da steckt die Überzeugung drin, dass sich in diesem
Jesus viele Sehnsüchte erfüllen: die Sehnsucht danach, geborgen zu sein,
welche Stürme auch immer mich umwehen, die Sehnsucht, aufgehoben zu
sein, Frieden für mein Herz zu finden. Wir haben bei ihm das gefunden,
wonach wir uns seit der Zeit der Propheten sehnen. Für mich blitzt in
diesem Bekenntnis des Philippus Weihnachten auf: Da hat den Philippus
durch Jesus die Gegenwart Gottes berührt, da wurde für ihn Friede
spürbar. Deshalb sind auch viele von uns heute hier im Gottesdienst,
weil sie wie Philippus von Gott berührt worden sind und immer wieder
berührt werden und mit ihm sagen können: Wir haben den gefunden, der
unsere Sehnsüchte stillt, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.
Philippus scheint nichts von der wundersamen Geburt des Gottessohnes
gewusst zu haben, auch Nathanael nicht. Und der Evangelist Johannes
erzählt im Gegensatz zu Lukas und Matthäus auch keine Geburtsgeschichte
von Jesus. Aber er hat hier die Erinnerung aufbewahrt: Jesus, das ist
der Sohn eines gewissen Joseph aus der Stadt Nazareth. Jesus, das ist
also kein engelsgleiches Geistwesen, sondern ein wirklicher Mensch wie
du und ich. Johannes interessiert nicht, ob er auf wundersame Weise von
einer Jungfrau geboren wurde oder wie jeder andere Mensch gezeugt worden
ist. Worauf es ihm ankommt: In diesem Menschen, Jesus aus Nazareth, da
begegnet uns Gott selbst. Da werden die Sehnsüchte gestillt, die die
Menschen seit der Zeit der Propheten in sich tragen. Jesus ist das
fleischgewordene Wort Gottes, durch seine Worte und Taten offenbart sich
Gott uns. Deshalb ist er Sohn Gottes, nicht auf Grund einer wundersamen
Geburt!
Mir fällt ein kleines Wörtlein auf: Philippus „findet“ Nathanael. Ich
glaube nicht, dass Philippus genau diesen Nathanael bewusst gesucht
hätte. Er fand ihn, so wie wir einen Cent auf den Bürgersteig finden. Er
traf einfach auf ihn, vielleicht weil Gott es so gefügt hat, und er
genau auf ihn treffen sollte. Denn ab und an macht das Gott ja, dass er
Menschen sich treffen lässt, die sich gegenseitig viel geben können.
Philippus trifft auf Nathanael, so wie er später in der
Apostelgeschichte auf den Kämmerer treffen wird, der durch ihn auch zu
Jesus und sein Leben zu einer ungeahnten Tiefe findet. Philippus trifft
also auf Nathanael, und kann nicht anders, als ihm das zu erzählen, was
er da mit Jesus gefunden hat, welch große Bedeutung Jesus für sein Leben
hat. Wieder sehe ich dankbar, dass auch unter uns viele Christen sind,
die ihren Glauben nicht im stillen Kämmerlein verstecken, sondern bei
denen der Glaube so selbstverständlich zum Leben dazu gehört, dass man
es ihnen an ihrem täglichen Verhalten anmerkt, weil sie vielleicht auch
in der Kantine das Tischgebet sprechen, oder geduldiger, freundlicher
und sanftmütiger als manch anderer Zeitgenosse auf ihre Mitmenschen
reagieren. Ich bin dankbar, dass es Menschen wie den Philippus gibt, die
gar nicht anders können, als auch ab und an zu erzählen, was sie mit
Gott erlebt haben.
Jeder aber, der schon einmal mit anderen über seinen eigenen Glauben
geredet hat, der weiß, welch unterschiedliche Reaktionen das hervorruft.
Schon die Bemerkung: „Ich geh am Sonntag in die Kirche“ kann
Kopfschütteln und Naserümpfen hervorrufen. Nicht anders erging es
Philippus mit Nathanael, denn so erzählt Johannes weiter:
46 Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann aus
Nazareth Gutes kommen!
Aus Nazareth, dieser einfachen Handwerkerstadt, soll Gutes kommen? Das
kann nicht sein! Kopfschütteln über Jesus und den ganzen Glauben. Das
verletzt Christinnen und Christen tief. Wie reagieren wir darauf?
Manchmal geben wir klein bei und beschwichtigen freilich mit einem
schlechten Gewissen: „Also sooft gehe ich ja dann auch nicht in die
Kirche.“. Uns ist wichtig, dass wir im Ansehen des anderen nicht sinken.
Oder aber wir verteidigen Gott und den Glauben mit guten Argumenten. Das
aber hat gar nicht nötig, er kann sich mit der Kraft seines Geistes
selbst durchsetzen. Was tut Philippus nach dieser Abfuhr von Nathanael?
Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es!
Philippus steht zu seiner Überzeugung, aber er prügelt sie in Nathanael
nicht mit dem Holzhammer hinein. Er lädt ihn ein, sich Jesus einfach
einmal näher anzuschauen. Philippus blieb an Nathanael dran, und hat
sich nicht von ihm abgewendet, obwohl er doch nichts von Jesus wissen
will.
Mir ist es leider anders ergangen. Da hat sich eine Bekannte nur über
Gott und den Glauben lustig gemacht. Anfangs habe ich natürlich
versucht, den Glauben zu verteidigen. Doch irgendwann habe ich mich in
mein Schneckenhaus zurückgezogen und sie in eine Schuhblade gesteckt mit
der Aufschrift „überzeugte und militante Atheistin“, und fortan habe ich
mit ihr das Thema Glauben gemieden. Nachdem nun ein ¾ Jahr vergangen
ist, da hat sie sich verändert: Sie zieht nicht mehr über den Glauben
her, und sie war sogar neulich bei meinem Ordinationsgottesdienst in der
Hospitalkirche dabei. Was ich aus meinem Verhalten lerne? Ich habe sie
zu früh als unbelehrbare Atheistin abgestempelt. Ich habe aus dem Blick
verloren, dass Gott mit jedem Menschen seinen Weg geht und seine
Geschichte hat, und dass Menschen sich verändern können. Ja, ich hatte
nicht im Blick, dass Gott sie vielleicht sogar durch mich berühren will,
mich auf sie treffen ließ wie den Philippus auf Nathanael. Philippus hat
richtig reagiert: Er hat auf freundliche Art zu Jesus eingeladen.
Auch wir müssen uns weder zurückziehen, noch groß mit Argumenten andere
vom Glauben zu überzeugen suchen: Leben wir doch authentisch unseren
Glauben in Tat und Wort, und halten wir ihn auch nicht unter dem
Scheffel. Vielleicht lässt sich gerade dadurch der andere dann doch
einmal darauf ein, und bewegt sich innerlich neugierig zu Jesus, kommt
und sieht. Nathanael tut es. Er schaut sich diesen Jesus einmal an.
47 (Und) Jesus sah Nathanael kommen und sagt von
ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist.
Jesus grüßt ihn freundlich mit einem wertschätzenden Gruß: Das ist die
Erfahrung, die Menschen in der Gegenwart Gottes machen: Gott redet sie
freundlich und wertschätzend an. Du bist wer für ihn, du bist keine
Sklave, der vor ihm im Staub liegen müsste. Er grüßt dich wie ein
gleichwertiges Gegenüber. Und er kennt deinen Namen. Das ist es, was
Nathanael verwundert – er hatte sich doch noch gar nicht vorgestellt!
48 Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich?
Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du
unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.
49 Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der
König von Israel!
Wie kommt das so plötzlich? Gerade noch Zweifler, bekennt sich Nathanael
nun auf einmal zu Jesus als dem Sohn Gottes! Der Evangelist Johannes
erzählt uns hier keine außergewöhnliche Bekehrung, sondern genau das,
was regelmäßig passiert, wenn Menschen auf Gott treffen: Menschen
erleben, dass Gott sie sieht!
Was heißt das, einen Menschen sehen? Ich sitze mit Freunden in der
Kneipe. Einer von uns sitzt mit traurigem Blick in der Runde. Der
Wortführer merkt das gar nicht und bringt einen feucht-fröhlichen Spruch
nach dem anderen. Einer aber hat es sehr wohl bemerkt. Und er wirft dem
Traurigen einen verstehenden und mitfühlenden Blick zu. Er hat gesehen,
was in ihm vorgeht. Und der Freund fühlt sie sich durch die Blicke, die
sie wechseln, verstanden und ein Stück geborgener. Ein Blick, der den
anderen sieht in seiner Freude und seinem Leid, in seinen Hoffnungen und
Ängsten. Ein solcher Blick tut gut. Er wirkt wie Balsam auf die Müden,
wie Sonnenschein auf die Mutlosen. Er ist Trost für die Traurigen.
Nathanael erlebt, dass Jesus ihn sieht. Er ahnt, dass ihn aus diesen
Augen Jesu die bergenden Augen Gottes anschauen. Das fasst er in Worte
und gibt Jesus die Ehrentitel, die er aus seiner jüdischen Tradition
kennt: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!“
Wir haben oft allzu schnell Antworten parat, wer Jesus ist: der
Gottessohn, der Retter, der Heiland. Doch sind das alles nicht nur
Vokabeln, die ganz schnell nichtssagend werden oder es für viele längst
schon sind? Philippus hat seine Antwort selbst gefunden: Jesus ist der,
den unsere Propheten angekündigt haben, der, der unsere Sehnsüchte
stillt. Und auch Nathanael findet selber eine Antwort: Er gibt ihm die
Ehrentitel, die er kennt: Jesus ist der Sohn Gottes.
Vielleicht sollten auch wir uns einmal in einem ruhigen Augenblick
überlegen, wer Jesus denn für mich persönlich ist. Denn mit Titeln um
sich werfen kann jeder: Gottessohn, Retter. Kannst du beschreiben, was
Jesus, was Gott für dein Leben bedeutet?
50 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst,
weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem
Feigenbaum. Du wirst noch Größeres als das sehen.
51 … Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen
sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem
Menschensohn.
Was Jesus wohl damit meint? Nathanael und Philippus, sie haben das
tatsächlich erlebt, dass der Himmel offensteht und die Engel Gottes
hinauf- und herabsteigen – z.B. als sie die Freude des geheilten Blinden
miterlebt haben, oder die des aus dem Grab gerufenen Lazarus oder die
eigene Freude an der Auferstehung ihres Herrn.
Wir waren fröhlich beim Tanzen. Eine Freundin bemerkt, was wir anderen
übersehen: Da steht am Rand eine junge Frau, die alleine da ist, die den
ganzen Abend noch kein einziges mal getanzt hat. Und mich beeindruckt,
was sie tut: Sie geht hin, und holt sie an unseren Tisch. Und diese
junge Frau blüht auf in unserer Runde, und ich und andere tanzen mit
ihr. Sie wurde gesehen, und dann hat sie noch Größeres erlebt,
Gemeinschaft, Freude, Tanz, Ausgelassenheit: Vielleicht sah sie da den
Himmel offen stehen.
Es gibt diese Momente im Glauben, in denen wir erleben, dass der Himmel
offen steht. Sie sind nicht unbedingt häufig, aber von ihnen zehrt man
ein Leben lang. Du wirst noch Größeres sehen. Warten wir doch ab, wo
Gott in unser Leben treten wird und wir den Himmel offen sehen! Ich bin
darauf gespannt.
Vikar Jörg Mahler (Hospitalkirche
Hof) |
Text:
43 Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa
gehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach!
44 Philippus aber war aus Betsaida, der Stadt des Andreas und
Petrus.
45 Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den
gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben
haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.
46 Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann aus Nazareth Gutes kommen!
Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es!
47 Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter
Israelit, in dem kein Falsch ist.
48 Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete
und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem
Feigenbaum warst, sah ich dich.
49 Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der
König von Israel!
50 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir
gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du
wirst noch Größeres als das sehen.
51 Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr
werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und
herabfahren über dem Menschensohn. |