Predigt     Johannes 2/1-11      2. Sonntag nach Epiphanias    18.01.09

"Die Fülle des Lebens"
(von Dekan i.R. Rudolf Weiß)

Liebe Leser,

wie wird der Himmlische erstmals auftreten auf dieser Erde? Womit wird er seine göttliche Macht und Herrlichkeit demonstrieren? Johannes macht die Leser seines Evangeliums gespannt und neugierig. Johannes der Täufer, der am Jordan mit Wasser taufte, hat einen Größeren angekündigt; gemessen an dem Kommenden, so sieht sich Johannes selber, „bin ich nicht wert, dass ich seine Schuhriemen löse.“ (Joh. 1,37) Johannes steigert die Erwartungen, als er Jesus kommen sieht und bezeugt. „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Joh. 1,29) Als Jesus auftritt und seine ersten Jünger beruft, kündigt er Großes an: "Wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn." (Joh. 1,51)

Wie wird der so groß angekündigte Jesus sein Werk beginnen? Bei Matthäus und Markus beginnt der Weg Jesu in die Öffentlichkeit mit der Taufe durch Johannes um alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Bei Lukas tritt Jesus als der Zwölfjährige im Tempel zu Jerusalem auf und verblüfft die Schriftgelehrten durch sein Wissen und seine Kenntnis der Schrift, ein religiöser Wunderknabe, von dem noch viel zu erwarten sein wird.

Johannes, der Evangelist, beginnt als einziger mit einer Begebenheit, die sich in dem kleinen Ort Kana in der galiläischen Provinz abspielt. Nur Johannes berichtet von der Hochzeit in Kana, zu der auch Jesus, seine Mutter und die ersten Jünger eingeladen waren; Joseph wird nicht erwähnt. Für den ersten Auftritt bildet ein peinlicher Mangel den Anlass. Die Hochzeiten dauerten damals mehrere Tage bis zu einer ganzen Woche bis die Verwandten, Freunde und Nachbarn mit dem Brautpaar den Beginn der Ehe gefeiert hatten. Bräutigam und Braut, die jeweiligen Eltern und der eigens genannte Speisemeister, der das Fest organisierte, die Speisen und Getränke vorkostete, hätten für ausreichende Vorräte sorgen können.

Jesu Mutter spürt wie der für ein Hochzeitsfest unentbehrliche Wein knapp wird und auszugehen droht. Sie ergreift die Initiative und spricht ihren Sohn an auf den Mangel, gewiss mit der unausgesprochenen Absicht, etwas zu tun, um die Hochzeitsgesellschaft vor der sich anbahnenden Verlegenheit zu bewahren.

Jesu Antwort erscheint schroff und mürrisch. Er spricht Maria nicht mit Mutter an. In der älteren Lutherübersetzung stand die überaus distanzierend wirkende Anrede: “Weib“ Aber auch die jetzige neuere Übersetzung mit „Frau“ klingt keineswegs familiär oder ehrerbietig, ganz zu schweigen von einer Verehrung für Maria. „Frau, was geht`s dich an, was ich tue?“ Er will sich nicht dreinreden lassen und nicht zu etwas gedrängt werden, was er nicht als den göttlichen Lebensplan begreift. Diese hart klingende Antwort Jesu erinnert an die sehr scharfe Zurechtweisung des Jüngers Petrus, der seinen Meister davon abbringen wollte, den Leidensweg zu gehen.

Trotz des klaren Verweises, dass seine Stunde noch nicht gekommen ist, wird Jesus doch aktiv. Maria weist die Diener an in einer Art stillschweigendem Einverständnis mit ihrem Sohn: “Was er euch sagt, das tut.“ Damit fordert sie zugleich mit den Dienern auch die Leser und Leserinnen, Hörer und Hörerinnen auf, Jesus zu hören und seinem Wort zu folgen.

Die Diener befolgen Jesu Anweisungen und füllen sechs steinerne Krüge mit Wasser. Diese Krüge mit einem Fassungsvermögen von jeweils ungefähr einhundert Litern, zusammen als etwa sechshundert Litern, dienten zur zeremoniellen Reinigung nach den jüdischen Gesetzen. Der Speisemeister soll kosten, was es mit dem Wasser auf sich hat. Der zeigt sich überaus beeindruckt von dem erlesenen Wein. Ohne sich groß zu verwundern, macht er dem Bräutigam einen scherzhaft klingenden Vorwurf: So einen Qualitätswein serviert man nicht erst dann, wenn die Gäste schon betrunken sind und die Qualität nicht mehr zu schätzen wissen, sondern zuerst.

So erscheint der Speisemeister als Vertreter einer praktischen Lebensart, die auch wunderbare Vorgänge in den üblichen und vertrauten Kategorien wahrnimmt und sozusagen nicht über den Tellerrand hinausblickt. Er müsste ja sein Denken und seine Mentalität ändern um das Wunderbare zuzugestehen und zu begreifen.

Bezeichnen wir ihn als einen Realisten mit praktischem Sinn, der ein Gespür hat, was sich als vorteilhaft erweist. Freilich auch als einer, dem Wesentliches verschlossen bleibt. So erscheint der Speisemeister als einer von den vielen, die Jesus hören und sehen, aber nicht begreifen und verstehen, welche göttliche Würde in Jesu Wesen erscheint. Anstatt den eignen Horizont weiten zu lassen, beschränken sie die Würde und Hoheit Jesu auf ihren eigenen begrenzten irdischen Horizont. Nur mit einem kurzen Hinweis will ich daran erinnern, dass dieses Wunder Jesu mit einer solchen Menge Wein die Gegner von Alkohol immer wieder irritiert hat und fragen ließ, ob es ein sinnvolles und heilsames Wunder gewesen sei.

Wenden wir uns lieber noch den Jüngern zu. Sie kommen zum Glauben. Sie fangen an zu verstehen, was hier beginnt. Das Leben offenbart sich in seiner Fülle. Wasser wird in Wein verwandelt. An die Stelle von Mangel und Not tritt Fülle. So könnte auch Hunger und Durst gestillt, Trauer in Freude verwandelt werden.

Das wird Johannes im ganzen Evangelium sozusagen durchbuchstabieren, wie Jesus seine göttliche Würde und Herrlichkeit offenbart als das Brot des Lebens, als der rechte Weinstock, als Licht der Welt, als der Weg, die Wahrheit und das Leben. So bezeichnet Johannes die Verwandlung von Wasser in Wein auch nicht als Wunder sondern als ein Zeichen. Ein Zeichen, das hinweist auf die göttliche Lebensfülle, die in Jesus erscheint.

Dazu ist Jesus auf dieser Erde erschienen um zu verwandeln. Er vermag auch heute unser Zeugnis von Gott und seinem Reich zu verwandeln in eine frohmachende und befreiende Botschaft, die wir von ganzem Herzen glauben. Und unsere Bitten, unseren Dank und unser Lob, das wir unter Berufung auf Jesu Namen vor Gott bringen, vermag er zu verwandeln in Gebetsworte, die bei Gort ankommen und gehört werden. Als Schlüssel zum Reich Gottes hat er seinen Jüngern und damit auch uns das Vater unser anvertraut als ein Gebet, das Himmel und Erde umspannt und uns anleitet, in der rechten Weise mit Gott zu reden.

So erscheint also Jesus gleich in der ersten Geschichte vom öffentlichen Auftreten Jesu in dem kleinen Ort Kana in Galiläa als der von Gott Gekommene, der die Trennung der schuldbeladenen Menschen auf dieser Erde vom Vater im Himmel überwindet und die Menschen, die an ihn glauben mit Gott verbindet. In Jesus erscheint von Anfang seines Wirkens an die Fülle des Lebens.

Dekan i.R. Rudolf Weiß

Text:

1 Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da.
2 Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen.
3 Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr.
4 Jesus spricht zu ihr: Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.
5 Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut.
6 Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße.
7 Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan.
8 Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm.
9 Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam
10 und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten.
11 Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.


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