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		Liebe Leser,
		 diese Jesusworte stammen aus einem Nachtgespräch. Sehr spät muss es 
		gewesen sein, als es bei Jesus noch einmal klopft. Nikodemus steht in 
		der Tür. „Wir müssen reden“, sagt er, „mir geht so vieles im Kopf rum.“ 
		„Komm erst mal rein,“ sagt Jesus und fasst ihn beim Arm. 
		 
		Draußen ist es so still und finster, wie wir uns das gar nicht 
		vorstellen können. Kein vorbeifahrendes Auto, keine Straßenlaterne vor 
		der Haustüre und drinnen kein elektrisches Licht. Eine kleine Öllampe 
		funzelt auf dem Tisch an dem Jesus und Nikodemus sitzen. Vielleicht 
		steht auch eine Flasche Wein da und zwei Becher. So sitzen sie und 
		reden. 
		 
		So mitten in der Nacht redet man nicht über das Wetter oder über den alltäglichen 
		Kleinkram. So mitten in der Nacht geht man den Dingen auf den Grund. So 
		mitten in der Nacht lassen sich Liebe und Leid, Lust und Schmerz nicht 
		mehr vertagen. So mitten in der Nacht redet man deshalb vom Sein oder 
		Nichtsein, vom Leben und Tod, von Liebe und Leid. Die Öllampe auf dem 
		Tisch flackert und malt die Schatten der Männer an die Wand. Als stünden 
		hinter ihnen zwei bedrohliche schwarze Gespenster. 
		 
		Ist es mit der Weihnacht nicht ähnlich? Heimelig wird sie ja nicht von 
		selbst. Ist das nicht ehr unheimlich, wenn am Heiligen Abend so ab fünf 
		oder sechs die Autos immer weniger werden? Der Menschenstrom, der sich 
		noch am Vormittag durch die Straßen schob, ist versiegt. Die meisten 
		Kneipen sind dicht. Die Stadt hält den Atem an. Und wie viele hören in 
		dieser Nacht ihren eigenen Atem, ihren eigenen schweren einsamen Atem; 
		und die Kerze, die sie angezündet haben, malt ihren einsamen Schatten an 
		die Wand. Ein bedrohliches schwarzes Gespenst. 
		 
		Gewaltig ist die Weihnacht und gewalttätig. Heut Nacht kann sich keiner 
		vertagen. Und deshalb finden an Weihnachten Klärungen statt. Wer feiert 
		mit wem? Heut Nacht müssen es Menschen des eigenen Herzens sein, oder 
		sonst lieber keine, außer „Jim Beam“ und „Jack Daniels“ vielleicht. Die 
		restliche Verwandtschaft wird morgen besucht oder übermorgen angerufen. 
		Wo es kriselt, wird sich heut Nacht endgültig zerkracht. Wer sich 
		findet, findet sich innig und klammert ein Treibholz, um nicht zu 
		versinken - in dieser Nacht. 
		 
		So ist das Leben. So ist die Welt. „Kosmos“ sagt Jesus zu ihr. 
		Dunkelland, Finsterwelt. Heut Nacht kann sie sich nicht mehr vertagen. 
		Geht’s uns etwa nicht wie dem Tannenbaum im Anderschen Märchen? Kaum 
		gewachsen, abgehauen. Eine rauschende Nacht schön und geschmückt. Dann 
		verdorrt und vergessen. Kleingehackt und mit einem Seufzer verbrannt. 
		Müssen Weihnachtsgeschichten immer so traurig sein? fragte mich eine 
		Schülerin. Ist Euch das schon mal aufgefallen? Wehmütig zumindest sind 
		sie alle. Ach, die Weihnachtskinderträume bringt uns keiner zurück und 
		auch nicht die Menschen, mit denen wir sie teilten. Warum tut die Liebe 
		zum Leben in der Weihnacht so weh? So ist das Leben, so ist die Welt! 
		„Kosmos“ sagt Jesus zu ihr. Dunkelland, Finsterwelt.  
		 
		Die Öllampe auf dem Tisch flackert und malt die Schatten der Männer an 
		die Wand. Als stünden hinter ihnen zwei bedrohliche schwarze Gespenster. 
		 
		Also, sagt Jesus zu Nikodemus. Also, wie, pass auf. Also, wie, jetzt 
		kommt etwas Unerhörtes. Also hat Gott die Finsterwelt geliebt, dass er 
		seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht 
		verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Langsam sagt Jesus diese 
		Worte, denn jedes Wort hat sein eigenes unerhörtes Gewicht. Langsam sagt 
		Jesus diesen Satz, denn in ihm steckt die größte Liebesgeschichte aller 
		Zeiten. Langsam, langsam, damit Nikodemus begreifen kann, dass er auch 
		in dieser Liebesgeschichte vorkommt und mit ihm auch wir.  
		 
		Denn zur Finsterwelt gehören wir und Jesus sagt schließlich alle, nicht: 
		alle, außer Herrn und Frau Sowieso. Alle! Wirklich alle! Also heute 
		Nacht geht es um Dich und um Gott und um die größte Liebesgeschichte 
		aller Zeiten und darum, dass Du in dieser Liebesgeschichte vorkommst und 
		mit Dir die ganze Finsterwelt und all Deine dunklen Weihnächte.  
		 
		Denn mitten in der Weihnacht brennt aus den Tiefen der Ewigkeit eine 
		Liebe herauf zu uns, die sich durch nichts aufhalten lässt. In der 
		Weihnacht kommt Gott auf unsere Finsterwelt mit einer Liebe, die zum 
		Äußersten entschlossen ist. Bereit seinen eingeborenen Sohn zu geben, 
		sein Bestes, sein Äußerstes, ein Stück von ihm und seiner Herrlichkeit. 
		„Eh‘ ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie 
		du mein wollest werden.“ (EG 37,2) 
		 
		Das ist die Botschaft der Weihnacht: Aus Liebe bist Du geboren. Aus 
		Liebe kommt Gott zur Finsterwelt, um Dich zu retten und nach Hause zu 
		bringen aus dem Dunkelland in sein herrliches Licht, aus der Welt des 
		Todes in sein ewiges Leben. Damit seine Liebe Dich erreicht ist ihm 
		nichts zu schade und zu teuer.  
		 
		Martin Luther zur Stelle: „Dieses Geschenk Gottes ist zu groß, als dass 
		es nicht den Tod verschlänge. Wie wenn du ein Tröpflein Wasser in ein 
		Herdfeuer hineintropfen lässt, so ist die Sünde (und Dunkelheit) aller 
		Welt gegenüber dieser Gabe.“ 
		 
		Aus der Weihnacht muss die Christnacht werden. Muss das Christuslicht 
		aufleuchten, wo die Weihnacht am finstersten ist. Wer sich heute dort 
		befindet, um den muss es um so heller werden. Für wie groß wir immer die 
		Finsternis unserer Welt halten: Sie ist ein Tröpflein Wasser, das in ein 
		Herdfeuer hineintropft. In das Herdfeuer der Liebe Gottes. 
		 
		Wie kann die Liebe einen Menschen verändern, der sie findet oder 
		wiederfindet! Und drum haben wir heute Nacht nicht mehr zu tun, als uns 
		dem Christuslicht zuzuwenden. Also hat Gott Dich geliebt. Der hat die 
		Kraft auch Dein kaltes Herz aufzuschmelzen. 
		 
		Wenn wir uns dem Christuslicht zuwenden, müssen wir uns allerdings von 
		unseren eigenen bedrohlichen Schatten abwenden. Über den eigenen 
		Schatten kann bekanntlich ja sowieso keiner springen. Wir sollten 
		aufhören, es zumindest „alle Jahre wieder“ zu versuchen.  
		 
		Wir dürfen nicht nur heut‘ Nacht unsere Schatten getrost dem Christus 
		überlassen, der später einmal zu seinen Jüngern sagen wird: Das habe ich 
		mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Finsterwelt habt 
		ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Finsterwelt überwunden. (Joh 
		16,33) Auch unsere Schatten müssen vergehen, wie der Tropfen Wasser im 
		Herdfeuer. Im Herdfeuer der Liebe Gottes. 
		 
		Die Öllampe auf dem Tisch flackert und malt die Schatten von Jesus und 
		Nikodemus an die Wand. Als stünden hinter ihnen zwei bedrohliche 
		schwarze Gespenster. Nikodemus sieht sie nicht. Sein Blick verliert sich 
		im Schein der Lampe und seine Ohren in den Worten, die Jesus spricht. 
		Gut, wenn einer so spricht in der Nacht. 
		 
		Als er geht, weiß er nicht mehr, was Jesus im Einzelnen gesagt hat. Ja 
		es kommt ihm vor, als habe Jesus mit allem immer nur eines gesagt: 
		Fürchte dich nicht. 
		 
		Fürchtet euch nicht!  
		 
		Sagt es zu Eurer Nachbarin und zu Eurem Nachbarn, wenn wir jetzt die 
		Kerzen anzünden und ihr das Christuslicht weitergebt: Fürchte dich 
		nicht! 
		 
		Aus dem Gebet: 
		 
		Wir denken heute in der Heiligen Nacht vor dir an die Opfer des 
		schrecklichen Terroranschlags von Berlin und an ihre Angehörigen. 
		Terror, Krieg und Trauer überschatten dieses Fest und unsere Tage. Lass 
		dein Weihnachtslicht umso heller strahlen und vertreibe die Finsternis 
		von Hass und Angst ...  
		 
      
		
      	Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de)  | 
      Text: 
      
		 16 Also hat Gott die Welt geliebt, dass er 
		seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht 
		verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 
		17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt 
		richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. 
		18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, 
		der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des 
		eingeborenen Sohnes Gottes. 
		19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, 
		und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre 
		Werke waren böse. 
		20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, 
		damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 
		21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar 
		wird, dass seine Werke in Gott getan sind. 
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