Predigt Johannes 3/31-36 Weihnachten I 25.12.2006 "So
lass mich doch dein Kripplein sein ..." |
Liebe Leser, Sie liegt hinter uns, die Heilige Nacht. Heute Morgen bin ich noch ganz erfüllt von der Weihnachtsstimmung: Der Gottesdienst mit der altbekannten Weihnachtsgeschichte, der glitzernde Weihnachtsbaum, die Kerzen, die Geschenke, die Familie, der Schnee und die geschmückten Häuser - all das gehört für mich seit meinen Kindertagen zu Weihnachten und erzeugt jene ganz eigene festliche Stimmung, jenen Glanz, der in diesen Tagen liegt. Doch mir ist zugleich bewusst: Dieser Weihnachtsglimmer und die Hirtenromantik werden in einigen Tagen wieder vorüber sein. War’s das dann wieder? Tatsächlich: Wenn das alles ist, was Weihnachten zu Weihnachten macht, dann war’s das wieder bis nächstes Jahr getreu dem Motto: „Alle Jahre wieder“. Als Christen wissen wir aber, dass Weihnachten mehr ist als glitzernde Bäume und heimelige Stimmung. Doch oft dringt das nicht mehr bis in unseren Geist und unser Herz vor. Das mag wohl daran liegen, dass man über das Gewohnte nicht mehr nachdenkt! Weihnachten ist zur Gewohnheit geworden, so dass wir nur noch selten bis in die Tiefe des Weihnachtsfestes vorstoßen. Der Evangelist Johannes führt uns heute ein Stück auf den Weg hinein in diese Tiefe des Weihnachtsfestes. Er spricht in unserem Predigttext von Weihnachten - doch ganz anders, als wir das gewohnt sind. Spüren wir dem Phänomen der Weihnacht mit Johannes nach. Er schreibt im 3.Kapitel seines Evangeliums: Predigttext. Johannes erzählt nichts von Hirt und Engeln, nichts von Stall und Krippe. Er formuliert ganz nüchtern und sachlich, ja in einer Art theologisch-philosophischer Sprache. Er entkleidet das Fest seinem Glimmer. Doch gerade das ermöglicht uns neu hinzuhören, herauszufinden, worum es an Weihnachten wirklich geht. Es ist die Rede von dem, der „von oben her kommt“. Darauf allein kommt es Johannes an: Er bezeugt, dass Jesus aus der Welt Gottes stammt. Und mit Jesus meint er nicht den niedlichen Knaben mit „lockigem Haar“ in der Krippe, sondern den Wanderprediger, der gesellschaftliches Unrecht beim Namen nennt und Scheinreligiosität aufdeckt, für den sich der Glaube im täglichen Verhalten bewähren muss, der mit den von der Gesellschaft Verachteten an einem Tisch sitzt und Partei für die Schwachen ergreift, der Menschen zutraut, dass sie sich verändern, und der dem, der die Faust ballt, die offene Hand hinstreckt. Dieser Jesus kommt aus der Welt Gottes und „bezeugt, was er (dort) gesehen und gehört hat“, wie Johannes schreibt: In diesen seinen oft provokanten Worten und Taten spiegelt sich der Himmel wieder. Gerade die ausgegrenzten, kranken und leidenden Menschen haben damals in Jesu Gegenwart erlebt, wie sich ihnen der Himmel auftut. In Jesus wendet sich Gott den Menschen zu. Diese Botschaft des Johannes ist nichts anderes als das, was Lukas mit seiner romantischen Geschichte sagen will. Alles zielt auf die Person Jesu. In ihm ist den Menschen vor 2000 Jahren Gott begegnet. Doch: Was haben wir heute davon? Was ist davon geblieben? Warum feiern wir heute noch Weihnachten? Drei Dinge sind mir wichtig geworden: Zum Ersten wissen wir seit den Tagen Jesu, dass das Wesen Gottes die Liebe ist. Jesus hat als Mensch allein auf Gott hin gelebt, er stand mit ihm in einer innigen Liebesbeziehung (V35/ Joh 15,9), sein Wille war mit dem Willen Gottes identisch geworden. Und so spricht aus der Liebe, mit der Jesus den Menschen begegnet, die Menschenliebe des Vaters. Daher wissen wir seit Jesus, dass Gott vom Wesen her Liebe ist, dass er Leben ermöglicht und Freiheit schenkt, und dass er aus der Finsternis ins Licht führt, sogar aus der Finsternis der Schuld und des Todes. Was ist von den Tagen Jesu geblieben? Zum Zweiten: Jesus hat diese Liebe des Himmels in die Herzen der Menschen gelegt: Liebet einander, wie ich euch geliebt habe (Joh 13,34). Diese Menschenliebe, die sich z.B. in einer solidarischen Gemeinschaft von Reichen und Armen, Starken und Schwachen zeigt, sie war ein Kennzeichen der ersten Christen. Deshalb bekamen die Gemeinden Zulauf. Und bis heute wird das immer wieder Realität: Spendenaktionen wie Brot für die Welt werden reichlich unterstützt und sind ein Zeichen der Solidarität mit den Schwachen. Auf der anderen Seite sehen wir aber, dass immer noch viele Menschen hungern und keinen Zugang zu Wasser, Medizin und Bildung haben. Wir sehen sind die zahlreichen Kriege, inklusive der modernen Kreuzzüge, die die Demokratie mit dem Schwert bringen wollen – ein Widerspruch in sich! Wir sehen die Ackermänner unserer Zeit, die nicht genug bekommen können und sich das Geld gegenseitig zuschanzen. Dort ist nichts zu spüren vom Himmel auf der Erde. Woran das liegen mag? - Kann es sein, dass es an uns Menschen liegt, weil wir uns nicht hineinziehen lassen in diese Liebesbewegung, die von Gott und Jesus ausgeht? Kann es sein, dass es daran liegt, dass zu viele von uns nur auf sich schauen, darauf, dass ich selber möglichst weit komme, dass ich alles zuerst habe. Dadurch bleiben andere auf der Strecke, und manchmal bleiben wir selber dabei auf der Strecke, weil unsere Seele Schaden nimmt. Es fällt vielen schwer, zu lieben, fürsorglich und zuvorkommend zu sein, auch einmal zu verzichten, zu verzeihen und um Verzeihung zu bitten. Jesus bleibt vor der Tür des Herzens stehen und wird nicht eingelassen. Unser Predigttext spricht diese bittere Erkenntnis aus: „Sein Zeugnis nimmt niemand an.“. Paul Gerhardt hat gedichtet: „So lass mich doch dein Kripplein sein; komm, komm und lege bei mir ein, dich und all deine Freuden“ (EG 37). Er öffnet sich für Gott, er bittet darum, dass Christus mit seinen Freuden, die er bringt, in ihn einzieht und ihn bestimmt. Ob das auch unser Gebet werden könnte? Denn wenn uns die Liebe Gottes bestimmt, dann verändern wir uns, und es wird ein Stück heller in der Welt. Ein schönes Beispiel dafür ist die Geschichte vom „Kleinen Lord“, die sicherlich die meisten von ihnen kennen. Am Freitag wurde der Film um 20.15 in der ARD gezeigt – wie jedes Jahr in der Weihnachtszeit. Der Earl of Durincourt, gespielt von Alec Guinness, holt seinen einzigen Erben, den kleinen Cedric, zu sich aufs Schloss. Bisher hat er mit ihm und seiner Mutter keinen Kontakt gepflegt, weil er es nie verwunden hat, dass sein Sohn eine Amerikanerin geheiratet hat. Cedric hält seinen Großvater für einen gütigen Menschen, da der ihm jeden Wunsch erfüllt. Er merkt jedoch kaum die Kälte, die von dem Earl ausgeht, und dass er überall im Dorf gefürchtet wird. Durch seine Liebe und Unbekümmertheit erreicht es der kleine Cedric, das Herz des verbitterten und hartherzigen Großvaters zu erweichen, so dass es schließlich an einem wunderschönen Weihnachtsfest im Schloss zur Versöhnung zwischen dem Earl und seiner Schwiegertochter kommt – und er zu Güte und Großzügigkeit findet. In dieser Geschichte verändert die Liebe und Zuneigung eines Kindes einen Menschen. Die Liebe hat die Macht, die Herzen der Verbitterten und Hartherzigen zu erweichen. So wird auch der, der sich dem Kind in der Krippe, dem Jesus Christus aussetzt, verändert werden. Wo sich jemand von seiner Menschenliebe und Güte anstecken lässt, da begegnet uns Gott, und da ist wirkliche Weihnacht! Und da sind wir beim Dritten, was von Weihnachten bleibt: Jesus selbst ist nicht Vergangenheit. Auch heute begegnet Jesus als der Auferstandene uns Menschen. So lass mich doch dein Kripplein sein, und lege dich bei mir ein: Das Gebet ruft Jesus herbei, dass er sich auch in meinem Leben bemerkbar macht. Das kann man nicht mit der Vernunft erfassen. Vielmehr ist es unser Herz, das Gott im Leben wahrnimmt und entdecken kann. Erfahrungen mit Gott sind nicht objektiv beweisbar und für jeden einsichtig. Gotteserfahrungen sind immer etwas Subjektives, sind persönliches Erleben, das für einen selbst zur Gewissheit wird: Ich spüre, dass dieses und jenes nicht Zufall gewesen sein kann. Ich erlebe, wie ich getröstet und gestärkt werde, wie ich durchs dunkle Tal hin zu neuen lichten Höhen geleitet werde, wie sich mir das Herz verändert ähnlich dem Earl of Durincourt, wie ich im Leben meines Weges wunderbar geführt werde. Wer sein Herz Gott zur Krippe werden lässt, der kann diese Erfahrungen machen, und von dem gilt mit Johannes: „Er hat das ewige Leben“. Ewiges Leben, das ist keine himmlische Belohnung im Jenseits, die all die bekommen, die brav waren. Ewiges Leben, das meint ein Leben, in dem Gott anwesend ist. Es beginnt deshalb schon jetzt, hier und heute. In diesem Leben ist der Himmel erfahrbar. Es ist ein Leben, in dem mich die Ewigkeit umfängt, in dem ich mich getröstet weiß, was auch kommen mag, weil mich Glaube, Hoffnung und Liebe tragen. Es ist ein Leben, das auch den Tod überdauert. Johannes sagt aber auch: „Wer dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“. Wer sich nicht auf diese Liebe einlässt, der bleibt gefangen in sich selbst, dessen Herz verhärtet, dessen Sehnsucht nach erfülltem Leben wird nie ganz gestillt werden. Da bleibt alles beim Alten. Da bleibt ein Mensch von Gott getrennt. Darf Gott da nicht zornig werden, wenn ein Mensch nichts von seiner Liebe wissen will? - Und doch glaube ich, dass der Zorn Gottes ein liebender Zorn ist, dass Gott nie aufhören wird, für seine Sache zu werben. Johannes öffnet mir heute die Augen für das, was Weihnachten heißt, und zeigt, dass Weihnachten, wenn man es recht versteht, für einen Christen das ganze Jahr über ist, auch ohne Krippe und Weihnachtsbaum: Gott wendet sich mir liebevoll zu und begleitet mich in allen Höhen und Tiefen meines Leben, und er legt mir die Liebe in mein Herz. Das ist eine wahre Freudenbotschaft! Lassen sie mich zum Schluss davon erzählen, wie ich in der Vorweihnachtszeit erlebt habe, wie es für zwei Menschen aus Hof Weihnachten geworden ist: Ich treffe am Abend auf der dunklen Straße eine Frau, und sie erzählt mir, wie sie gerade einen jungen Mann besucht hat, der keine Eltern mehr hat. Sie ist auf ihn aufmerksam geworden, weil er einen Zettel hinter dem Fenster hängen hatte. Dort stand zu lesen, dass er Kerzenständer, Holzsterne und andere Dinge zu verkaufen hätte, die er in der Werkstatt für Lernbehinderte selbst hergestellt hat. Und da hat sie geklingelt, weil sie dachte: „Ich will ihm etwas Gutes tun!“. Sie hat sich mit ihm unterhalten, und bei ihm eingekauft. Und er hat sich wahnsinnig gefreut, auch über die menschliche Zuwendung. Da wurde es für beide Weihnachten. Die Frau sagte zu mir: „Darauf kommt’s doch Weihnachten an, nicht auf die Sterne und die Kerzen. Das sind doch alles nur Äußerlichkeiten. Wenn ich dagegen so etwas erlebe, dann spüre ich etwas vom wirklichen Weihnachten.“. Und die Frau hat den jungen Mann eingeladen, bei ihr vorbeizuschauen, wenn er einmal Lust hat. Und er kam noch am selben Abend, und hat sich so gefreut, und er darf gerne einmal wieder auf eine Tasse Tee und ein Plätzchen vorbeikommen. Für beide wurde es Weihnachten, und ich bin mir sicher: Jesus war auch dabei! |
Text:
Johannes der Täufer spricht: 31 Der von oben her kommt, ist über allen.
Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde.
Der vom Himmel kommt, der ist über allen |