Predigt    Johannes 4/19-26    10. Sonntag nach Trinitatis    12.08.07

"Wo wohnt Gott?"
(Von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

wohnt er im Tempel in Jerusalem oder im Heiligtum auf dem Berg der Samaritaner? Wohnt er in den jüdischen Synagogen oder in den christlichen Kirchen? Wo wohnt Gott?

Vor zwei Wochen las ich in der Zeitung die Schlagzeile: „Jüdische Gemeinde kauft Bielefelder Kirche“. Aus der evangelischen Paul-Gerhardt-Kirche in Bielefeld wird eine Synagoge, der Kaufvertrag ist unterzeichnet. Die evangelische Gemeinde konnte sich den Unterhalt ihrer Kirche nicht mehr leisten. Und so erfolgt der Umbau in ein jüdisches Gotteshaus. Damit wird nach Hannover bundesweit die zweite evangelische Kirche zu einer Synagoge.

Ein Mann, 41 Jahre, protestiert: „In unserer Paul-Gerhardt-Kirche wurde ich getauft, konfirmiert und habe dort auch geheiratet. Hier habe ich mich wohlgefühlt inmitten der Menschen unserer Gemeinde. Hier bin ich sooft Christus in Brot und Wein begegnet. An meiner Kirche hängen soviele Erinnerungen: An Weihnachten der schöne Christbaum neben dem Altar, und die Krippenspiele, in denen ich früher immer mitgemacht habe, meist als Hirte auf dem Feld. Hier wohnt für mich Gott. Doch nun wird diese Kirche zu einer Synagoge. Keine Christen treffen sich hier mehr, keine christlichen Gottesdienste sollen hier mehr gefeiert werden. Darf man das überhaupt, ein Gotteshaus einer anderen Religion geben? Wirkt das nicht so, als wären wir uns unseres Glaubens nicht mehr sicher? Statt des Kreuzes wird die Front dann ein Davidstern zieren. Die alte Dame in der Bankreihe vor mir sagte neulich: Nun wird aus unserer schönen Kirche ein gottloser Ort! Zieht Gott nun aus unserer Kirche aus?“. Diesen Mann treibt der Verlust seiner Kirche um. Zugleich ist für ihn damit auch die Frage verbunden: Wo wohnt Gott? In Synagogen oder Kirchen, oder in Synagogen und Kirchen?

Lassen wir diesen Mann aus Bielefeld auf eine Frau treffen, die auch diese Frage umtrieb: Wo wohnt Gott? Lassen wir ihn auf jene Samaritanerin treffen, die Jesus genau diese Frage gestellt hat.

„Wie kam das eigentlich, dass du Jesus diese Frage gestellt hast?“, will der Bielefelder von ihr wissen.

„Das war für mich damals eine merkwürdige Begegnung. Ich war Wasserschöpfen am Jakobsbrunnen, und da traf ich auf Jesus. Er wollte von mir Wasser haben – er, ein Jude! Kein „normaler“ Jude würde von uns Samaritanern Wasser nehmen! Überhaupt merkte ich bei unserem Gespräch schnell, dass er ein Prophet sein muss. Und da ergriff ich die Gelegenheit, um ihn etwas zu fragen, was mir schon lange auf den Nägeln brennt: Nämlich ob wir Samaritaner am rechten Ort zu Gott beten. Ich fragte ihn also: Unsere Väter haben auf dem Berg Garizim angebetet, und ihr Juden sagt, in Jerusalem sei die Städte, wo man anbeten soll? Wo bin ich Gott wirklich nahe?“.

Der Bielefelder will sofort wissen: „Was hat Jesus geantwortet?“.

„Zuerst hat er ganz provokant gesagt: Es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Diesen Satz habe ich allerdings erst verstanden, als er ihn näher erklärt hat: Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten. Es geht nicht darum, wo wir beten, sondern um den Glauben, der dahintersteht. Was mir am meisten hängengeblieben ist, war aber der Satz: Das Heil kommt von den Juden. Na klar, dachte ich zuerst, so muss er als Jude ja reden: Die Juden haben den rechten Glauben, wir Samaritaner den Falschen. Doch dann habe ich begonnen, diesen Satz mit Inhalten zu füllen: Das Heil kommt von den Juden. Gott hat sich ja dem jüdischen Volk offenbart. Ich denke an den Bund, den er mit Abraham, mit Noah und mit Mose geschlossen hat. Davon berichten die 5 Bücher Mose, die wir Samaritaner auch kennen. Gott hat sein Volk erwählt und in allen Katastrophen bewahrt. Und schließlich hat er ihnen die Propheten geschickt, die wir Samaritaner nicht kennen. Manchmal würde uns so ein kritisches Prophetenwort auch ganz gut tun. Bei den Juden ist der Glaube lebendig geblieben, bei uns Samaritanern ist er erstarrt. Da können wir von den Juden lernen.“.

„Gut, das gilt für euch Samaritaner. Aber wir als Christen haben doch mit dem Judentum nichts zu tun!“.

Die Samaritanerin schüttelt den Kopf: „Überlege doch mal: In welchem anderen Volk als in diesem sollte der Messias geboren werden? Israel ist Gottes Volk. Er musste hier geboren werden! Jesu Gott war der Gott Israels, und auch euer Gott ist dieser Gott Israels. Gott wohnt, wo er mit Menschen Geschichte schreibt. Und Geschichte schrieb er von Anfang an mit seinem Volk Israel. Durch Christus gehört ihr zu den Menschen dazu, mit denen Gott seine Geschichte schreibt. Auch die Christen knüpfen an die Linie der Offenbarung Gottes an, die mit Abraham begann. Deshalb hat der Evangelist Johannes wohl auch diesen Satz Jesu in sein Evangelium übernommen: Das Heil kommt von den Juden.“

„Nun, historisch gesehen gebe ich dir da recht. Das Christentum ist aus dem Judentum entstanden. Aber die Juden haben Jesus ja nicht als den Messias anerkannt. Daher dachte ich immer, Gott hat sein Volk Israel verworfen, und wir als Christen sind das neue erwählte Volk! Darum muss ein Gotteshaus auch ein Kreuz tragen, und keinen Davidsstern!“.

Schon wieder schüttelt die Samaritanerin den Kopf: „Hast du noch nicht den Römerbrief von Paulus gelesen? Dort schreibt er: „Ich will euch dieses Geheimnis nicht verhehlen: Ganz Israel wird gerettet werden, wie es die Propheten angekündigt haben. Denn Gottes Berufung kann ihn nicht gereuen.“. Paulus ist sich sicher, dass am Ende der Zeiten Gott auch Israel zu sich führen wird. Denn Gott steht zu seinem Wort und macht die Erwählung Israels nicht rückgängig. Ein Symbol dafür ist übrigens der Davidstern, von dem du sprachst: Der Stern besteht eigentlich aus zwei Dreiecken: Eines steht für Gott, das andere für das Volk Israel. Beide sind ineinander verwoben und untrennbar. Das symbolisiert, dass sich Gott nicht von seinem Volk trennt!“.

„Dann beten die Juden also zu dem gleichen Gott wie wir? Dann wohnt Gott also weiterhin in unserer Paul-Gerhardt-Kirche, auch wenn sie zur Synagoge wird?“.

„Ja. Diese Sicht auf die Dinge haben übrigens nicht nur Paulus und die Christen. Auch Juden sagen, dass wir zum gleichen Gott beten. Das National Jewish Scholar Project in den USA bekennt: Juden und Christen beten den gleichen Gott an. Durch das Christentum sind Abermillionen von Menschen in eine Beziehung zum Gott Israels getreten. – Ja, das stimmt, auch wenn Christen hinzufügen müssen: Das entscheidende Ereignis der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk ist für uns freilich das Kommen Jesu Christi, sein Tod und seine Auferstehung! Weiter heißt es: Juden und Christen stützen sich auf die Autorität ein und desselben Buches, das Alte Testament. In ihm suchen wir nach religiöser Orientierung, spiritueller Bereicherung und ziehen aus ihm ähnliche Lehren. – Ja, auch das stimmt. Christen verstehen auch das Neue Testament vom Alten Testament her. Freilich lesen wir das Alte Testament aber im Licht dessen, was in Christus geschehen ist.“.

„Ja, darauf will ich auch wertlegen. Schließlich ist doch Jesus Christus der Mittelpunkt unseres Glaubens. Und er sagt: Niemand kommt zum Vater denn durch mich!“.

„Ich glaube, dass Paulus das natürlich auch so sieht. Ich denke, er rechnet damit, dass das Judentum am Ende der Zeiten Jesus als den Messias erkennen wird. Sie konnten ihn nicht gleich erkennen, weil ihnen „Verstockung“ wiederfahren ist, sagt er. Ich habe einmal ein Bild gemalt, in dem ich versucht habe, das komplizierte Verhältnis von Christentum und Judentum darzustellen. Du kennst doch auch Bäume, deren Stamm sich irgendwann teilt und zwei Stämme parallel weiterwachsen? So ist aus dem Stamm des Judentums das Christentum herausgewachsen, und wächst fortan neben dem Judentum weiter in die Höhe. Und dann habe ich auf meinem Bild ganz oben die Stämme wieder zusammenwachsen lassen. An diesem Punkt, denke ich, wird Israel erkennen: Er ist der Messias! Die Äste der beiden Stämme übrigens sind ineinander verstrickt und verwachsen: Christentum und Judentum sind bereits jetzt kein Nebeneinander, sondern ein In- und Miteinander: der gleiche Gott, das gemeinsame Alte Testament, und auch viele gleiche Werte und Grundeinstellungen verbinden uns. Wir sind also nicht so sehr die Tochterreligion des Judentums, vielmehr sind wir Geschwisterreligionen. Das lese ich alles aus dem Brief unseres Apostels Paulus heraus.“

„Du redest immerzu von „uns“, wenn du von den Christen sprichst. Bist du wohl auch Christin geworden?“.

„Ja natürlich. Ich habe zu Jesus, den ich für einen Propheten hielt, ja gesagt: Einst, wenn der Messias kommt, werden wir die Antworten auf diese ganzen Fragen hören. Und da hat er gesagt: Ich bins, der mit dir redet. Und du magst mich für verrückt halten, aber ich habe es ihm geglaubt: Er ist der Messias! Denn so wie er als Jude sich mit mir unterhalten hat, das würde kein anderer tun. Und was er vom Gebet in Geist und Wahrheit gesagt hat, das klang wie eine Offenbarung Gottes. Aber erst später, nach seinem Tod und seiner Auferstehung habe ich begriffen, was Jesus für mich wirklich bedeutet: Ich habe in meinem Leben viele schwere Stunden durchgemacht, fünf Männer habe ich verloren – durch Scheidung oder Tod. Viele im Dorf haben gesagt: Die treibt sie alle in den Wahnsinn und in den Tod. Stimmt, meine Männer hattens nicht immer einfach mit mir. Jesu Kreuz aber tröstet mich: All die bitteren Worte, die ich zu meinen Männern je gesagt habe, und für die ich mich nicht entschuldigt habe, konnte ich jetzt auf sein Kreuz werfen, und er hat sie mit in den Tod genommen. Durch seine Auferstehung kommt mir eine Kraft zu, die mir Mut für meine jetzige neue Beziehung macht, in der vieles anders werden soll.“

„Liebe Samaritanerin! Mir ist während unseres Gesprächs vieles deutlich geworden. Aufs Judentum hat sich mein Blickwinkel verändert. Ich glaube, wenn ich einen Davidstern sehe, dann kann ich mich freuen: Ich weiß nun, dass er die enge Gemeinschaft von Gott und Menschen symbolisiert. Aber dennoch muss ich wie du es auch tust gegen alle Gleichmacherei auch die Unterschiede der beiden Religionen betonen. Ohne Christus wäre mir der Glaube zu wenig: Gott ist mehr als nur der Vater, Gott ist zugleich Sohn und Heilger Geist. Durch Jesus weiß ich von der großen Liebe Gottes, die Grenzen überschreitet, die Ausgegrenzte integriert, die durch Jesu Tod meine Schuld überwindet und mir in meinem Dunkel zur Seite steht, und durch seine Auferstehung als Erstling derer, die entschlafen sind, auch mir die Hoffnung auf ewiges Leben gibt. Ich bin überzeugter Christ. Und ich wünsche mir, dass auch alle meine Geschwister im Judentum diesen Trost und die Kraft spüren können, die von Jesus Christus ausgehen. Aber das wünsche ich auch all den anderen Menschen, die sich Christen nennen, aber nicht wirklich mit dem Herzen bei Gott sind. Denn nach Kraft in dunklen Stunden, nach Vergebung und Annahme sehnt sich doch jeder Mensch. Viele fragen: Wo finde ich das? Bei wem? Ach mögen sie doch erkennen, dass jedes Kirchturmkreuz zu ihnen spricht: Ich bin's, der mit dir redet.“

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

19 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.
20 Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
21 Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
22 Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.
23 Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben.
24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
25 Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.
26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.
 

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