Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe
Gemeinde,
mit einem kleinen Märchen möchte ich beginnen. Es stammt aus Kuba
und heißt: Von der besten und der schlechtesten Sache der Welt.
Eines Tages entschloss sich der große Herrscher der Welt, Obatalah,
die Herrschaft über die Welt in die Hände eines anderen zu legen.
Der erste, an den er dachte, war sein treuer Gehilfe Orula. Doch
Orula war noch jung, und Obatalah befürchtete, dass er nicht
genügend Erfahrung für eine so schwere Aufgabe haben würde. Und er
sagte sich, dass er seine Klugheit auf die Probe stellen werde. Er
ließ ihn holen und befahl, dass er ihm die beste Speise bereite, die
er bereiten könne.
Orula gehorchte und begab sich auf den Markt. Eine Weile schaute er
sich um, was zu kaufen wäre, und schließlich erwarb er eine
Rindszunge. Zu Hause kochte er die Zunge schön, würzte sie und
brachte sie dann dem großen Herrscher. Obatalah kostete die Zunge
und war zufrieden. Noch nie hatte er so etwas Gutes gegessen. Als er
zu Ende gegessen hatte, lobte er Orula und sagte zu ihm: „Sag mir,
Orula, warum du gerade eine Zunge gewählt hast, als du auf dem Markt
einkaufen warst."
„Großer Herrscher", antwortete Orula, „eine Zunge ist eine sehr
wichtige Sache. Mit der Zunge kannst du eine gute Arbeit loben und
jenem danken, der eine gute Tat vollbracht hat. Mit der Zunge kannst
du gute Nachrichten verkünden und die Menschen auf den rechten Weg
führen. Und mit der Zunge kannst du sogar den Menschen erhöhen und
ihn zum Herrscher machen", fügte Orula lächelnd hinzu. „Alles, was
du sagst, stimmt", sagte Obatalah und dachte sich: Orula ist ja doch
ein sehr weiser Mann.
Doch der große Herrscher entschloss sich, Orula noch einmal auf die
Probe zu stellen, und er sprach zu ihm: „Du hast mir die beste
Speise der Welt bereitet, jetzt wünsche ich, dass du mir die
schlechteste Speise bereitest, die du dir ausdenken kannst."
Orula ging abermals auf den Markt. Ein Weilchen blickte er sich um,
was zu kaufen wäre, und dann erwarb er wieder eine Rindszunge. Er
brachte sie nach Hause, kochte sie, würzte sie und trug sie zu
Obatalah. Als der große Herrscher auf der Schüssel abermals eine
Zunge sah, wunderte er sich und sprach: „Zuerst hast du mir eine
Zunge als beste Sache der Welt gebracht, jetzt bringst du sie mir
als schlechteste Sache der Welt. Wie willst du mir das erklären?"
„Großer Herrscher", antwortete Orula, „die Zunge ist eine sehr
wichtige Sache. Mit der Zunge kannst du den Menschen zur Arbeit
antreiben und seinen guten Ruf vernichten. Mit der Zunge kannst du
die Menschen ins Verderben stoßen und sie um ihren Lebensunterhalt
bringen. Mit der Zunge kannst du deine Heimat verraten und dein Volk
in Knechtschaft stürzen."
Als das Obatalah hörte, sagte er zu Orula: „Alles, was du sagst, ist
wahr. Obwohl du jung bist, bist du ein sehr weiser Mann." Und er
legte die Herrschaft über die Welt in seine Hände. (Vorlesebuch
Religion, Band 1, S. 246 f.)
Wirklich ein weiser Mann, dieser Orula. Das Märchen macht deutlich,
was jeder von uns jeden Tag erfährt: Worte sind alles andere als
Schall und Rauch. Sie haben eine große Macht über unser Leben. Diese
Macht ist zwiespältig. Mit Worten kann man uns das Leben vermiesen,
ja zur Hölle machen. Wer immer nur gesagt bekommt: Du bist dumm; du
gehst mir auf die Nerven, du bist nichts wert; der wird das
irgendwann zum Davonlaufen finden. Kein Mensch hält das auf Dauer
aus.
Und deshalb sind wir unser ganzes Leben immer wieder auf der Suche
nach Freundinnen und Freunden, die mit oder ohne Worte sagen: Ich
mag dich, du bist mir wichtig, du wirst gebraucht. Deshalb sucht
sich jeder Mensch einen Menschen, der zu ihm sagt: Ich hab dich
lieb. Ohne solche Worte können wir nicht leben, als Kind nicht, als
Jugendlicher nicht und als Erwachsener auch nicht. Ich hab dich
lieb. Das sind Worte, von denen wir im wahrsten Sinne des Wortes
leben, denn sie setzen Mut, Hoffnung und Lebensfreude frei. Sie sind
wie ein Zuhause, in dem ich mich geborgen fühlen kann.
Ich wünsche deshalb Euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
dass Ihr solche Worte niemals vermissen müsst. Ich erinnere Euch
liebe Eltern und Großeltern daran, dass mit solchen Worten nicht
gespart werden darf. Wir brauchen sie, um erwachsen zu werden und
wir brauchen sie um erwachsen zu bleiben.
Vielleicht verstehen wir Petrus jetzt besser, der selbst große Worte
in den Mund nimmt, um auszudrücken, was die Worte Jesu ihm bedeuten:
Herr, du hast Worte des Lebens. Worte die Mut, Hoffnung und
Lebensfreude freisetzten. Ewig sagt Petrus sogar. Du hast Worte des
ewigen Lebens, Worte in denen ich Zuhause sein kann im Leben und
sogar im Sterben.
Ich erinnere Euch an die Worte, die Jesus jedem von Euch bei der
Taufe zugesagt hat: Siehe, ich bin bei Dir alle Tage, bis ans Ende
der Welt. Gottes Wort hört niemals auf gutes Wort für uns zu sein.
Daher ist es gut, immer wieder auf die Bedeutung guter Worte, auf
die Bedeutung der Worte Gottes für uns aufmerksam zu werden. Und sie
gegen Bedrohungen zur Geltung bringen.
Dazu gehört die Meinung, dass der Mensch eben doch vom Brot allein
lebt. Niemand kann bestreiten, dass Arbeit, Broterwerb und das Geld,
das man damit verdient, wichtige Güter unseres Lebens sind, die
allen zustehen. Aber wir müssen hellhörig werden, wenn sie ganz oben
am Altare stehen. Wir müssen hellhörig werden, wenn diskutiert wird,
auf diesem Altar Sonn- und Feiertage zu opfern, an denen wir mit
Luther gesprochen die Möglichkeit wahrnehmen sollen, Gottes Wort
gerne zu hören und zu lernen. Wir können nicht zustimmen, dass
Arbeit zum höchsten Zweck unseres Lebens erklärt wird. So frisst
Arbeit die auf, die eine haben und die auf, die keine haben.
Man muss nicht viel Phantasie haben, um sich den Vater vorstellen,
der Abends völlig fertig nach Hause kommt und die Seinen nur noch
anbrüllt, weil seine Arbeit ihm jede Kraft und jedes gute Wort
genommen hat. Und wir stellen uns den Vater vor, der die Seinen nur
noch anbrüllt, weil ihm seine Arbeitslosigkeit jedes
Selbstwertgefühl und jedes gute Wort genommen hat. Dann ist es Zeit,
dass wir uns daran erinnern, dass der Mensch nicht nur vom Brot
allein lebt, sondern von einem jeden guten Wort, das aus dem Mund
Gottes kommt. (Matthäus 4/4) Wer für sich selbst kein gutes Wort
mehr hört, kann es auch anderen nicht mehr sagen.
Für gute Worte braucht man Zeit und Ort. Es ist ein Problem, dass
uns für gute Worte oft die Zeit fehlt, genauer, die gemeinsame Zeit.
Wann und wie lange sind Menschen, die zusammengehören und eine
Familie sind, heute an einem Tisch - wenigstens einmal am Tag zum
Essen – versammelt, um sich etwas zu sagen? Am Kühlschrank hängt ein
Zettel: Essen ist in der Mikrowelle. Acht Minuten redet ein
durchschnittliches deutsches Ehepaar am Tag wirklich miteinander,
haben Wissenschaftler herausgefunden.
Ein noch größere Problem ist, dass unsere Worte ihren Ort verloren
haben. Denn jedes Wort hat nämlich seinen Ort. Liebeserklärungen
macht man sich nicht an Orten, an denen es so laut ist, dass man
sein eigenes Wort nicht versteht oder an Orten, wo alle Welt
zuschaut und mithört. Deshalb gehört eben nicht alles ins Fernsehen
oder in die Zeitung oder auf Facebook, Twitter, Snapchat und Co.,
sondern in ein Gespräch unter vier Augen. Worte, die ihren Ort nicht
mehr kennen, sind im besten Fall belanglos, im schlimmsten Fall
zerstörerisch. Und es wird immer schwerer, die guten Worte zu finden
im Heuhaufen des allgemeinen Geschwätzes.
Gute Worte brauchen Ort und Zeit. Beim Thema Kirche hatten wir im
Konfirmandenunterricht eine lebhafte Diskussion zur Frage, ob man
denn nicht aus der Kirche austreten und trotzdem an Gott glauben
kann. Ja sicher, beten kann man überall. An Gott denken auch. Ja
sicher, Glauben ist etwas sehr Persönliches, aber ist er deshalb
auch privat? Sind wir durch Glauben und Taufe nicht Mitglied einer
großen Familie geworden, der Familie Gottes? Muss die sich nicht
auch dann und wann um den Tisch ihres Herrn versammeln und sich
seine guten Worte sagen lassen? Darf sie sich nicht an der
Gemeinschaft freuen, in der einer dem anderen hilft?
Wollt ihr auch weggehen?, fragt Jesus seine Jünger. Und Petrus
antwortet, nein, wir sind doch nicht blöd. Wir wollen uns deine
guten Worte auf keinen Fall entgehen lassen. Wenn jemand zu uns
sagt: Ich bleibe gern bei dir!, dann sagen wir: Und ich auch bei
dir! Um nichts anderes geht es heute bei Eurer Konfirmation. Nichts
anderes sagt ihr, wenn Ihr dann antwortet: Ja, mit Gottes Hilfe. Und
wir alle sprechen dieses Ja im Stillen mit. Denn auch wir leben gern
von den guten Worten Gottes und lassen uns gern seine Liebe und
Gnade gefallen. Ihn als Herrn zu haben, ist die beste Sache der
Welt.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
67 Da sprach Jesus zu den Zwölfen: Wollt
ihr auch weggehen?
68 Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, wohin sollen wir gehen? Du
hast Worte des ewigen Lebens;
69 und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.
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