Predigt    Johannes 6/67-69    1. Sonntag nach Trinitatis   22.06.03

Das Wort, von dem wir leben
Familiengottesdienst zum Gemeindefest von Hospital und St. Michaelis

(von Pfr. Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

(Vor dem Gottesdienst sind Bibelsprüche ausgelegt, aus denen sich die Besucher einen Spruch wählen sollen, der ihnen besonders gut gefällt.)

Erzählung:

Von der besten und der schlechtesten Sache der Welt

Eines Tages entschloss sich der große Herrscher der Welt, Obatalah, die Herrschaft über die Welt in die Hände eines anderen zu legen. Der erste, an den er dachte, war sein treuer Gehilfe Orula. Doch Orula war noch jung, und Obatalah befürchtete, dass er nicht genügend Erfahrung für eine so schwere Aufgabe haben würde. Und er sagte sich, dass er seine Klugheit auf die Probe stellen werde. Er ließ ihn holen und befahl, dass er ihm die beste Speise bereite, die er bereiten könne.

Orula gehorchte und begab sich auf den Markt. Eine Weile schaute er sich um, was zu kaufen wäre, und schließlich erwarb er eine Rindszunge. Zu Hause kochte er die Zunge schön, würzte sie und brachte sie dann dem großen Herrscher. Obatalah kostete die Zunge und war zufrieden. Noch nie hatte er so etwas Gutes gegessen. Als er zu Ende gegessen hatte, lobte er Orula und sagte zu ihm: „Sag mir, Orula, warum du gerade eine Zunge gewählt hast, als du auf dem Markt einkaufen warst."

„Großer Herrscher", antwortete Orula, „eine Zunge ist eine sehr wichtige Sache. Mit der Zunge kannst du eine gute Arbeit loben und jenem danken, der eine gute Tat vollbracht hat. Mit der Zunge kannst du gute Nachrichten verkünden und die Menschen auf den rechten Weg führen. Und mit der Zunge kannst du sogar den Menschen erhöhen und ihn zum Herrscher machen", fügte Orula lächelnd hinzu. „Alles, was du sagst, stimmt", sagte Obatalah und dachte sich: Orula ist ja doch ein sehr weiser Mann.

Doch der große Herrscher entschloss sich, Orula noch einmal auf die Probe zu stellen, und er sprach zu ihm: „Du hast mir die beste Speise der Welt bereitet, jetzt wünsche ich, dass du mir die schlechteste Speise bereitest, die du dir ausdenken kannst."

Orula ging abermals auf den Markt. Ein Weilchen blickte er sich um, was zu kaufen wäre, und dann erwarb er wieder eine Rindszunge. Er brachte sie nach Hause, kochte sie, würzte sie und trug sie zu Obatalah.

Als der große Herrscher auf der Schüssel abermals eine Zunge sah, wunderte er sich und sprach: „Zuerst hast du mir eine Zunge als beste Sache der Welt gebracht, jetzt bringst du sie mir als schlechteste Sache der Welt. Wie willst du mir das erklären?"

„Großer Herrscher", antwortete Orula, „die Zunge ist eine sehr wichtige Sache. Mit der Zunge kannst du den Menschen zur Arbeit antreiben und seinen guten Ruf vernichten. Mit der Zunge kannst du die Menschen ins Verderben stoßen und sie um ihren Lebensunterhalt bringen. Mit der Zunge kannst du deine Heimat verraten und dein Volk in Knechtschaft stürzen."

Als das Obatalah hörte, sagte er zu Orula: „Alles, was du sagst, ist wahr. Obwohl du jung bist, bist du ein sehr weiser Mann." Und er legte die Herrschaft über die Welt in seine Hände.     aus Kuba (Vorlesebuch Religion, Band 1, S. 246 f.)

Predigt:

Liebe Gemeinde, liebe Gäste,

wirklich ein weiser Mann, dieser Orula. Das kleine Märchen, dass wir gerade gehört haben, macht deutlich, was jeder von uns jeden Tag erfährt: Worte sind alles andere als Schall und Rauch. Sie haben eine große Macht über unser Leben. Diese Macht ist zwiespältig. Mit Worten kann man uns das Leben vermiesen, ja zur Hölle machen. Wer immer nur gesagt bekommt: Du bist dumm; du gehst mir auf die Nerven, du bist nichts wert; der wird das irgendwann zum Davonlaufen finden. Kein Mensch hält das auf Dauer aus.

Und deshalb sind wir unser ganzes Leben immer wieder auf der Suche nach Freunden, die mit oder ohne Worte sagen: Ich mag dich, du bist mir wichtig, du wirst gebraucht. Deshalb sucht sich jeder Mensch einen Menschen, der zu ihm sagt: Ich hab dich lieb. Ohne solche Worte können wir nicht leben, als Kind nicht, als Jugendlicher nicht und als Erwachsener auch nicht. Ich hab dich lieb. Das sind Worte, von denen wir im wahrsten Sinne des Wortes leben, denn sie setzen Mut, Hoffnung und Lebensfreude frei. Sie sind wie ein Zuhause, in dem ich mich geborgen fühlen kann.

Was will man sich Besseres wünschen, als das keiner von uns solche Worte vermissen muss. Ich erinnere die Kinder und die Eltern, aber auch die Alten daran, dass mit solchen Worten nicht gespart werden soll. Wir brauchen sie um erwachsen zu werden und wir brauchen sie um erwachsen zu bleiben.

Vielleicht verstehen wir Petrus jetzt besser, der selbst große Worte in den Mund nimmt um auszudrücken, was die Worte Jesu ihm bedeuten: Herr, du hast Worte des Lebens. Worte die Mut, Hoffnung und Lebensfreude freisetzten. Ewig sagt Petrus sogar. Du hast Worte des ewigen Lebens, Worte in denen ich Zuhause sein kann im Leben und im Sterben.

Ich erinnere an die Worte, die Jesus jedem von Ihnen bei der Taufe zugesagt hat: Siehe, ich bin bei Dir alle Tage, bis ans Ende der Welt. Gottes Wort hört niemals auf gutes Wort für uns zu sein.

2003 ist das Jahr der Bibel, in der uns Gottes Wort begegnet. Daher wollen wir in diesem Gottesdienst auf die Bedeutung guter Worte, auf die Bedeutung der Worte Gottes für uns aufmerksam machen. Und es gegen seine Bedrohungen zur Geltung bringen.

Dazu gehört die Meinung, dass der Mensch eben doch vom Brot allein lebt. Niemand kann bestreiten, dass Arbeit, Broterwerb und das Geld, das man damit verdient, wichtige Güter unseres Lebens sind, die allen zustehen. Aber wir müssen hellhörig werden, wenn sie ganz oben am Altare stehen. Wir müssen hellhörig werden, wenn diskutiert wird, auf diesem Altar Feiertage zu opfern, an denen wir mit Luther gesprochen die Möglichkeit wahrnehmen sollen, Gottes Wort gerne zu hören und zu lernen. Wir müssen feststellen, dass nicht der Wille und die Möglichkeit zur Arbeit das Problem ist, sondern die Menge der vorhandenen Arbeit im Verhältnis zu der Zahl der in unserem Land lebenden Menschen. Wir können nicht zustimmen, dass Arbeit zum höchsten Zweck unseres Lebens erklärt wird. So frisst Arbeit die auf, die eine haben und die auf, die keine haben.

Man muss nicht viel Phantasie haben um sich den Vater vorstellen, der Abends völlig fertig nach Hause kommt und die Seinen nur noch anbrüllt, weil seine Arbeit ihm jede Kraft und jedes gute Wort genommen hat. Und wir stellen uns den Vater vor, der die Seinen nur noch anbrüllt, weil ihm seine Arbeitslosigkeit jedes Selbstwertgefühl und jedes gute Wort genommen hat. Da ist es Zeit, dass wir uns und unsere Politiker wieder einmal daran erinnern, dass der Mensch nicht nur vom Brot allein lebt, sondern von einem jeden guten Wort, dass aus dem Mund Gottes kommt. (Mt 4/4) Wer für sich selbst kein gutes Wort mehr hört, kann es auch anderen nicht mehr sagen.

Für gute Worte braucht man Zeit und Ort. Es ist ein Problem, dass uns für gute Worte die Zeit fehlt, genauer, die gemeinsame Zeit. Wann und wie lange sind Menschen, die zusammengehören und miteinander leben heute an einem Tisch, wenigstens zum Essen, versammelt um sich etwas zu sagen? Am Kühlschrank hängt ein Zettel: Essen ist in der Mikrowelle? Acht Minuten redet ein durchschnittliches deutsches Ehepaar am Tag miteinander, haben Wissenschaftler herausgefunden.

Das noch größere Problem ist aber, dass unsere Worte ihren Ort verloren haben. Liebeserklärungen macht man sich nicht in der Disco, in der man nicht einmal sein eigenes Wort versteht. Und nicht jede Wahrheit gehört ins Fernsehen oder in die Zeitung, sondern in ein Gespräch unter vier Augen. Worte, die ihren Ort nicht mehr kennen, sind immer zerstörerisch oder belanglos und oft können wir nicht einmal mehr das auseinander halten. Das führt dazu, dass wir dem Wort, bei all seiner Macht, nicht mehr trauen und irgendwann selber sprachlos und nichtssagend werden.

Gute Worte brauchen Ort und Zeit. Wie anders hört man eine Predigt, wenn nicht nur der Pfarrer spricht, sondern auch ein Kirchenraum mit seinen Farben, Bildern und Klängen? Oder wie heute im Freien, wo nicht nur der Pfarrer spricht, sondern auch die Vögel singen, die Blätter rauschen und wir die Sonnenstrahlen spüren?

Jetzt ist Zeit. Sie haben sich zu Beginn einen Bibelvers, ein gutes Wort Gottes für sich ausgewählt, ganz spontan oder ehr beiläufig. Nehmen Sie sich jetzt eine Minute Zeit, ihren Vers hervorzuholen, ihn zu betrachten und ihn für sich sprechen zu lassen. Hören Sie dieses Wort mit all den Stimmen, die in Ihnen und um Sie sind. Lasst uns still sein...

Wir antworten Gott auf das gehörte Wort mit dem Lied 184 auf dem  Liedblatt.

Liebe Gemeinde, liebe Gäste,

damit war die Predigt noch nicht zu Ende. Sie haben heute ein gutes Wort Gottes für sich gehört. Sie sind nachdenklich und hoffentlich beschenkt worden. Gute Worte sind nicht dazu da, dass wir sie getrost nach Hause tragen. Sie haben jetzt etwas zum Weitersagen und zum Weiterschenken. Daher bitte ich Sie jetzt um sich zu schauen und die Menschen wahrzunehmen, die um Sie herum sitzen. Wenn Ihnen ein Mensch ins Auge fällt, dem Sie Ihren Bibelspruch schenken könnten, dann gehen Sie auf ihn zu und geben Sie ihm Ihren Spruch. Jeder darf heute ausnahmsweise nur einen Spruch verschenken und einen Spruch geschenkt bekommen.

Währenddessen spielt der Posaunenchor...

Fürbittengebet

Lektor: Weil wir Gottes Wort gehört haben, lasst uns ihm danken für seinen Reichtum und um das Wachsen im Glauben bitten.

Liturg: Ewiger Gott, du Geber aller guten Gaben, wir staunen darüber, dass dein Wort oft unbemerkt aufgeht wie ein Samenkorn und Frucht bringt, die wir ernten dürfen. Schenke uns Erfahrungen mit ihm, die uns unseres Lebens froh machen. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.

Lektor: Lasst uns beten für die Verkündiger des Evangeliums.

Liturg: Dein Wort ist wie kostbare Saat. Lass alle, die sie ausstreuen auf das weite Land, nicht durch Dürre und Disteln erschreckt werden. Stärke ihren Mut, trotz aller Missernten und Rückschläge die Freude an einem Leben mit dir zu verbreiten. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.

Lektor: Lasst uns beten für die Völker und ihre Regierungen.

Liturg: In deiner Hand liegt das Schicksal der Völker. Hilf den Politikern, dass unser Weg in die Zukunft nicht zu einer Fahrt in den Abgrund wird. Befreie die Vermessenen vor Maßlosigkeit, die Träumer lass nüchtern denken, damit die Saat deines Friedens überall in der Welt aufgeht. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.

Lektor: Lasst uns beten für alle, mit denen wir täglich zusammenleben.

Liturg: Sei du bei denen, deren Wege steinig und dornenreich sind. Wende dich denen zu, die keine Sonne mehr sehen können und an der Sinnlosigkeit ihres Lebens zu ersticken drohen. Nimm dich derer an, denen die Zukunft wie eine dürre Wüste erscheint. Bleibe bei denen, deren Lebensfreude verkümmert ist. Gib ihnen Zeit und Ort für das Hören deines guten Wortes und schenke ihnen Menschen, die gute Worte für sie haben. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.

Lektor: Lasst uns beten für Menschen unserer Gemeinde.

Liturg: Erinnere uns immer wieder daran, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von einem jeden Wort, dass aus deinem Mund kommt. Leite die Getauften auf deinen Wegen, lass die Paare im Geist des Vertrauens und der Liebe unterwegs bleiben. Nimm die Gestorbenen auf in dein ewiges Reich und sei bei denen, die um sie trauern. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.

Lektor: Herr, unser Gott, durch dich haben wir das Leben. Wir danken dir, dass unser Weg durchs Leben keine Irrfahrt, sondern ein Heimweg zu dir ist.
(Nach: „Höre uns Herr“, H. Chr. Knuth (Hrsg.), Gütersloh 1982, S. 49)


Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

(67)Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt ihr auch weggehen?
(68)Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens;
(69)und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.


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