Liebe Leser,
(Vor dem Gottesdienst sind Bibelsprüche ausgelegt, aus denen sich die
Besucher einen Spruch wählen sollen, der ihnen besonders gut gefällt.)
Erzählung:
Von der besten und der schlechtesten Sache der Welt
Eines Tages entschloss sich der große Herrscher der Welt, Obatalah, die
Herrschaft über die Welt in die Hände eines anderen zu legen. Der erste,
an den er dachte, war sein treuer Gehilfe Orula. Doch Orula war noch jung,
und Obatalah befürchtete, dass er nicht genügend Erfahrung für eine so
schwere Aufgabe haben würde. Und er sagte sich, dass er seine Klugheit auf
die Probe stellen werde. Er ließ ihn holen und befahl, dass er ihm die
beste Speise bereite, die er bereiten könne.
Orula gehorchte und begab sich auf den Markt. Eine Weile schaute er sich
um, was zu kaufen wäre, und schließlich erwarb er eine Rindszunge. Zu
Hause kochte er die Zunge schön, würzte sie und brachte sie dann dem
großen Herrscher. Obatalah kostete die Zunge und war zufrieden. Noch nie
hatte er so etwas Gutes gegessen. Als er zu Ende gegessen hatte, lobte er
Orula und sagte zu ihm: „Sag mir, Orula, warum du gerade eine Zunge
gewählt hast, als du auf dem Markt einkaufen warst."
„Großer Herrscher", antwortete Orula, „eine Zunge ist eine sehr wichtige
Sache. Mit der Zunge kannst du eine gute Arbeit loben und jenem danken,
der eine gute Tat vollbracht hat. Mit der Zunge kannst du gute Nachrichten
verkünden und die Menschen auf den rechten Weg führen. Und mit der Zunge
kannst du sogar den Menschen erhöhen und ihn zum Herrscher machen", fügte
Orula lächelnd hinzu. „Alles, was du sagst, stimmt", sagte Obatalah und
dachte sich: Orula ist ja doch ein sehr weiser Mann.
Doch der große Herrscher entschloss sich, Orula noch einmal auf die Probe
zu stellen, und er sprach zu ihm: „Du hast mir die beste Speise der Welt
bereitet, jetzt wünsche ich, dass du mir die schlechteste Speise
bereitest, die du dir ausdenken kannst."
Orula ging abermals auf den Markt. Ein Weilchen blickte er sich um, was zu
kaufen wäre, und dann erwarb er wieder eine Rindszunge. Er brachte sie
nach Hause, kochte sie, würzte sie und trug sie zu Obatalah.
Als der große Herrscher auf der Schüssel abermals eine Zunge sah, wunderte
er sich und sprach: „Zuerst hast du mir eine Zunge als beste Sache der
Welt gebracht, jetzt bringst du sie mir als schlechteste Sache der Welt.
Wie willst du mir das erklären?"
„Großer Herrscher", antwortete Orula, „die Zunge ist eine sehr wichtige
Sache. Mit der Zunge kannst du den Menschen zur Arbeit antreiben und
seinen guten Ruf vernichten. Mit der Zunge kannst du die Menschen ins
Verderben stoßen und sie um ihren Lebensunterhalt bringen. Mit der Zunge
kannst du deine Heimat verraten und dein Volk in Knechtschaft stürzen."
Als das Obatalah hörte, sagte er zu Orula: „Alles, was du sagst, ist wahr.
Obwohl du jung bist, bist du ein sehr weiser Mann." Und er legte die
Herrschaft über die Welt in seine Hände.
aus Kuba (Vorlesebuch Religion, Band 1, S.
246 f.)
Predigt:
Liebe Gemeinde, liebe Gäste,
wirklich ein weiser Mann, dieser Orula. Das kleine Märchen, dass wir
gerade gehört haben, macht deutlich, was jeder von uns jeden Tag erfährt:
Worte sind alles andere als Schall und Rauch. Sie haben eine große Macht
über unser Leben. Diese Macht ist zwiespältig. Mit Worten kann man uns das
Leben vermiesen, ja zur Hölle machen. Wer immer nur gesagt bekommt: Du
bist dumm; du gehst mir auf die Nerven, du bist nichts wert; der wird das
irgendwann zum Davonlaufen finden. Kein Mensch hält das auf Dauer aus.
Und deshalb sind wir unser ganzes Leben immer wieder auf der Suche nach
Freunden, die mit oder ohne Worte sagen: Ich mag dich, du bist mir
wichtig, du wirst gebraucht. Deshalb sucht sich jeder Mensch einen
Menschen, der zu ihm sagt: Ich hab dich lieb. Ohne solche Worte können wir
nicht leben, als Kind nicht, als Jugendlicher nicht und als Erwachsener
auch nicht. Ich hab dich lieb. Das sind Worte, von denen wir im wahrsten
Sinne des Wortes leben, denn sie setzen Mut, Hoffnung und Lebensfreude
frei. Sie sind wie ein Zuhause, in dem ich mich geborgen fühlen kann.
Was will man sich Besseres wünschen, als das keiner von uns solche Worte
vermissen muss. Ich erinnere die Kinder und die Eltern, aber auch die
Alten daran, dass mit solchen Worten nicht gespart werden soll. Wir
brauchen sie um erwachsen zu werden und wir brauchen sie um erwachsen zu
bleiben.
Vielleicht verstehen wir Petrus jetzt besser, der selbst große Worte in
den Mund nimmt um auszudrücken, was die Worte Jesu ihm bedeuten: Herr, du
hast Worte des Lebens. Worte die Mut, Hoffnung und Lebensfreude
freisetzten. Ewig sagt Petrus sogar. Du hast Worte des ewigen Lebens,
Worte in denen ich Zuhause sein kann im Leben und im Sterben.
Ich erinnere an die Worte, die Jesus jedem von Ihnen bei der Taufe
zugesagt hat: Siehe, ich bin bei Dir alle Tage, bis ans Ende der Welt.
Gottes Wort hört niemals auf gutes Wort für uns zu sein.
2003 ist das Jahr der Bibel, in der uns Gottes Wort begegnet. Daher wollen
wir in diesem Gottesdienst auf die Bedeutung guter Worte, auf die
Bedeutung der Worte Gottes für uns aufmerksam machen. Und es gegen seine
Bedrohungen zur Geltung bringen.
Dazu gehört die Meinung, dass der Mensch eben doch vom Brot allein lebt.
Niemand kann bestreiten, dass Arbeit, Broterwerb und das Geld, das man
damit verdient, wichtige Güter unseres Lebens sind, die allen zustehen.
Aber wir müssen hellhörig werden, wenn sie ganz oben am Altare stehen. Wir
müssen hellhörig werden, wenn diskutiert wird, auf diesem Altar Feiertage
zu opfern, an denen wir mit Luther gesprochen die Möglichkeit wahrnehmen
sollen, Gottes Wort gerne zu hören und zu lernen. Wir müssen feststellen,
dass nicht der Wille und die Möglichkeit zur Arbeit das Problem ist,
sondern die Menge der vorhandenen Arbeit im Verhältnis zu der Zahl der in
unserem Land lebenden Menschen. Wir können nicht zustimmen, dass Arbeit
zum höchsten Zweck unseres Lebens erklärt wird. So frisst Arbeit die auf,
die eine haben und die auf, die keine haben.
Man muss nicht viel Phantasie haben um sich den Vater vorstellen, der
Abends völlig fertig nach Hause kommt und die Seinen nur noch anbrüllt,
weil seine Arbeit ihm jede Kraft und jedes gute Wort genommen hat. Und wir
stellen uns den Vater vor, der die Seinen nur noch anbrüllt, weil ihm
seine Arbeitslosigkeit jedes Selbstwertgefühl und jedes gute Wort genommen
hat. Da ist es Zeit, dass wir uns und unsere Politiker wieder einmal daran
erinnern, dass der Mensch nicht nur vom Brot allein lebt, sondern von
einem jeden guten Wort, dass aus dem Mund Gottes kommt. (Mt 4/4) Wer für
sich selbst kein gutes Wort mehr hört, kann es auch anderen nicht mehr
sagen.
Für gute Worte braucht man Zeit und Ort. Es ist ein Problem, dass uns für
gute Worte die Zeit fehlt, genauer, die gemeinsame Zeit. Wann und wie
lange sind Menschen, die zusammengehören und miteinander leben heute an
einem Tisch, wenigstens zum Essen, versammelt um sich etwas zu sagen? Am
Kühlschrank hängt ein Zettel: Essen ist in der Mikrowelle? Acht Minuten
redet ein durchschnittliches deutsches Ehepaar am Tag miteinander, haben
Wissenschaftler herausgefunden.
Das noch größere Problem ist aber, dass unsere Worte ihren Ort verloren
haben. Liebeserklärungen macht man sich nicht in der Disco, in der man
nicht einmal sein eigenes Wort versteht. Und nicht jede Wahrheit gehört
ins Fernsehen oder in die Zeitung, sondern in ein Gespräch unter vier
Augen. Worte, die ihren Ort nicht mehr kennen, sind immer zerstörerisch
oder belanglos und oft können wir nicht einmal mehr das auseinander
halten. Das führt dazu, dass wir dem Wort, bei all seiner Macht, nicht
mehr trauen und irgendwann selber sprachlos und nichtssagend werden.
Gute Worte brauchen Ort und Zeit. Wie anders hört man eine Predigt, wenn
nicht nur der Pfarrer spricht, sondern auch ein Kirchenraum mit seinen
Farben, Bildern und Klängen? Oder wie heute im Freien, wo nicht nur der
Pfarrer spricht, sondern auch die Vögel singen, die Blätter rauschen und
wir die Sonnenstrahlen spüren?
Jetzt ist Zeit. Sie haben sich zu Beginn einen Bibelvers, ein gutes Wort
Gottes für sich ausgewählt, ganz spontan oder ehr beiläufig. Nehmen Sie
sich jetzt eine Minute Zeit, ihren Vers hervorzuholen, ihn zu betrachten
und ihn für sich sprechen zu lassen. Hören Sie dieses Wort mit all den
Stimmen, die in Ihnen und um Sie sind. Lasst uns still sein...
Wir antworten Gott auf das gehörte Wort mit dem Lied 184 auf
dem Liedblatt.
Liebe Gemeinde, liebe Gäste,
damit war die Predigt noch nicht zu Ende. Sie haben heute ein gutes Wort
Gottes für sich gehört. Sie sind nachdenklich und hoffentlich beschenkt
worden. Gute Worte sind nicht dazu da, dass wir sie getrost nach Hause
tragen. Sie haben jetzt etwas zum Weitersagen und zum Weiterschenken.
Daher bitte ich Sie jetzt um sich zu schauen und die Menschen
wahrzunehmen, die um Sie herum sitzen. Wenn Ihnen ein Mensch ins Auge
fällt, dem Sie Ihren Bibelspruch schenken könnten, dann gehen Sie auf ihn
zu und geben Sie ihm Ihren Spruch. Jeder darf heute ausnahmsweise nur
einen Spruch verschenken und einen Spruch geschenkt bekommen.
Währenddessen spielt der Posaunenchor...
Fürbittengebet
Lektor: Weil wir Gottes Wort gehört haben, lasst uns ihm danken für seinen
Reichtum und um das Wachsen im Glauben bitten.
Liturg: Ewiger Gott, du Geber aller guten Gaben, wir staunen darüber, dass
dein Wort oft unbemerkt aufgeht wie ein Samenkorn und Frucht bringt, die
wir ernten dürfen. Schenke uns Erfahrungen mit ihm, die uns unseres Lebens
froh machen. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.
Lektor: Lasst uns beten für die Verkündiger des Evangeliums.
Liturg: Dein Wort ist wie kostbare Saat. Lass alle, die sie ausstreuen auf
das weite Land, nicht durch Dürre und Disteln erschreckt werden. Stärke
ihren Mut, trotz aller Missernten und Rückschläge die Freude an einem
Leben mit dir zu verbreiten. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.
Lektor: Lasst uns beten für die Völker und ihre Regierungen.
Liturg: In deiner Hand liegt das Schicksal der Völker. Hilf den
Politikern, dass unser Weg in die Zukunft nicht zu einer Fahrt in den
Abgrund wird. Befreie die Vermessenen vor Maßlosigkeit, die Träumer lass
nüchtern denken, damit die Saat deines Friedens überall in der Welt
aufgeht. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.
Lektor: Lasst uns beten für alle, mit denen wir täglich zusammenleben.
Liturg: Sei du bei denen, deren Wege steinig und dornenreich sind. Wende
dich denen zu, die keine Sonne mehr sehen können und an der Sinnlosigkeit
ihres Lebens zu ersticken drohen. Nimm dich derer an, denen die Zukunft
wie eine dürre Wüste erscheint. Bleibe bei denen, deren Lebensfreude
verkümmert ist. Gib ihnen Zeit und Ort für das Hören deines guten Wortes
und schenke ihnen Menschen, die gute Worte für sie haben. Durch Jesus
Christus, unsern Herrn.
Lektor: Lasst uns beten für Menschen unserer Gemeinde.
Liturg: Erinnere uns immer wieder daran, dass der Mensch nicht vom Brot
allein lebt, sondern von einem jeden Wort, dass aus deinem Mund kommt.
Leite die Getauften auf deinen Wegen, lass die Paare im Geist des
Vertrauens und der Liebe unterwegs bleiben. Nimm die Gestorbenen auf in
dein ewiges Reich und sei bei denen, die um sie trauern. Durch Jesus
Christus, unsern Herrn.
Lektor: Herr, unser Gott, durch dich haben wir das Leben. Wir danken dir,
dass unser Weg durchs Leben keine Irrfahrt, sondern ein Heimweg zu dir
ist.
(Nach: „Höre uns Herr“, H. Chr. Knuth (Hrsg.), Gütersloh 1982, S. 49)
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
(67)Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt ihr auch
weggehen?
(68)Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast
Worte des ewigen Lebens;
(69)und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes. |