Predigt Johannes 8/3-11 4. Sonntag nach Trinitatis 23.06.13 "Von
Herzen und Steinen" |
Liebe Leser,
das war ein Tag wie jeder andere und was ist das noch für ein denkwürdiger Tag geworden für alle die dabei waren. So denkwürdig, dass unsere Geschichte hartnäckig weitererzählt wurde. So hartnäckig, dass sie schließlich im 3. Jahrhundert ihren Platz im Johannesevangelium fand, zu dem sie ursprünglich gar nicht gehört hat. Beweis dafür, dass sich in unserer Welt auch gute Geschichten durchsetzen. Beweis dafür, dass Gott nicht zulässt, dass eine solche Geschichte über ihn verschüttet wird. Als die Geschichte beginnt, war das zunächst einmal ein Tag wie jeder andere. Jesus ging an diesem Tag seiner Hauptbeschäftigung nach. Schon frühmorgens war er auf dem Vorplatz des Tempels und lehrte. Um ihn hatte wieder eine große Menge Platz genommen und hörte aufmerksam zu. Es war so still, wie in der Kirche. Da bricht der Aufruhr los. Eine andere Menge bahnt sich den Weg zur Mitte. Vorneweg die ganz frommen und gesetzestreuen Pharisäer und Schriftgelehrten. Eine Frau wird mit gezerrt. Gerade aus dem Bett gerissen, in dem nicht ihr Mann, sondern ein anderer lag. Ein klarer Fall, an dem es nichts zu deuten gibt. Auf diesen Fall steht die Todesstrafe. Wir merken, dass wir uns in einer anderen Zeit befinden. Ehebruch ist damals ein Straftatbestand, kein Kavaliersdelikt und kein Mittel zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Elke Heidenreich schreibt in ihrem Buch „Kolonien der Liebe“: „Meine Mutter sagte immer: Hör bloß auf mit deinen saublöden Liebesgeschichten und mach lieber deine Schularbeiten. Die Liebe behauptete sie, sei ein Scheißdreck, ein einziger gigantischer Schwindel, und ich sollte mir doch nur meinen Vater ansehen. Ich hatte selten Gelegenheit mir meinen Vater anzusehen - er war fast nie da.“ Hass spricht aus den Worten der Mutter, an die sich die Schriftstellerin erinnert. Hass ist die Enttäuschungsform der Liebe. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit. Seht mir diese Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin nicht mit der Brille der Gleichgültigkeit, die wir im Zeitalter der pornografischen Rundumversorgung im Namen der Liberalität alle mehr oder weniger auf der Nase haben. Muss man da nicht einmal den Mund aufmachen und mit Botho Strauß eine große Not benennen: „Die vielen trostlosen Falschheiten und Täuschungen des Zusammenlebens, die Verschlagenheiten der Liebe, Gemeinheiten und Verletzungen oft, die in jedem anderen sozialen Bereich undenkbar wären ... Ist denn Intimität kein sozialer Bereich? Ich sehe Schuld und Übeltat, doch die Verhältnisse soufflieren mir etwas von Wechselseitigkeit, schwieriger Kindheit, Schwäche der Lebensführung, mangelndem Schuldbewusstsein, Launen und verlorener Beherrschung. Die Verhältnisse plädieren für Verzeihen, wo ich nur Unverzeihliches erkennen kann. Für mich sind die Verbrechen des Gefühls nicht entschuldbar aus übergeordneten sozialen oder psychologischen Gesichtspunkten. Ich bedaure, dass es in der zivilisierten Welt keine Instanz der Gerechtigkeit gibt, die sie ahndet.“ (ders. „Der Untenstehende auf Zehenspitzen“, Hanser, 2004, S. 108f.) Zitat Ende. Muss es am Ende einer Ehe nicht fast immer statt Zerrüttung eigentlich heißen: Nicht die Liebe ist ein Scheißdreck, sondern wir haben aus unserer Liebe einen Scheißdreck gemacht? Sünde, wie die Bibel sie auch schon im Alten Testament versteht, ist immer die Zerstörung guter Verhältnisse, auch wenn es im Alten Testament und den 10 Geboten selbst im Blick auf Mann und Frau um Besitz- und nicht um Liebesverhältnisse geht. Der Christus rückt die Liebesverhältnisse in den Mittelpunkt. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger in den Sand. Und man spürt förmlich, wie sich in der Pause, die entsteht, der klare Fall dieser Frau, die gegen die Besitzverhältnisse ihrer Ehe verstoßen hat, in etwas anderes wandelt. Keiner kann sich der Faszination dieser Szene verschließen. Der Christus hockt auf der Erde und schreibt in den Sand. „Weil alles Schreiben in den Sand geschrieben ist“? (Botho Strauß, a.a.O, S. 121) Weil alles Reden in den Wind gesprochen ist? Weil alles, was wir für einen klaren Fall halten, vielleicht etwas ganz anderes ist? Weil alles, was wir von uns selbst, unserer Welt und von Gott zu wissen meinen, so wenig Wahrheit enthält? Weil unser Richten und Urteilen eine so verdammt ungefähre Unternehmung ist? In der Pause, die entsteht, werden die immer stiller, die die Frau noch fest am Arm halten. Und dann gibt ihnen der Christus den Rest: Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. Spricht‘s und setzt sich nieder um weiter in den Sand zu schreiben. Wenn das kein Akt christologischer Hoheit ist! Und wir müssen sie einfach hören, diese dumpfen Geräusche, mit denen die ersten Steine auf den Boden fallen. Und dann noch welche und dann gehen die ersten nach Hause, nachdenklich, still. Die Frau kniet noch dort, wo man sie losgelassen hat und man kann noch die roten Flecken auf ihrem Arm erkennen. Den Stein, der von ihrem Herzen fällt, hört nur sie. Den Blick des Christus wird sie nie mehr vergessen. Und sein Lächeln auch nicht. Das hat schon was Zartes, wie Jesus sie fragt, wo denn all die Richter des lieben Gottes hin wären. Hat dich keiner verdammt? Und die Frau schaut noch ums Begreifen ringend um sich und ihr Mund sagt: Niemand. Ich auch nicht, sagt Jesus und wer könnte sich vorstellen, dass er dabei eine ernste Mine aufsetzt und den Zeigefinger erhebt? Nein, er lächelt: Geh hin und sündige hinfort nicht mehr. Weil der Christus doch weiß, dass diese Frau begreifen wird, was der Theologe Günter Klein unnachahmlich formuliert: „In einer Welt, die von niemandem mehr für den lieben Gott blankgeputzt werden muss, kann auch der Drang, sie zu besudeln, nicht mehr so recht gedeihen.“ (ders. GPM, 2/2001, Heft 3, S. 309) Hand aufs Herz, ihr Lieben, wo habt ihr euch wiedergefunden in dieser Geschichte? Bei denen, die in heiligem Zorn über die Verbrechen gegen die Liebe, den Stein schon in der Hand haben? Oder bei denen, denen der Stein aus der Hand oder noch besser vom Herzen fiel. Bei beiden, hoffe ich. Weil uns Jesus doch zeigt, dass der Stein in unserer Hand immer einen Zwilling hat, und der liegt auf unserem eigenen Herzen. Die Todesstrafe gibt es noch in vielen Ländern der Erde. Jesus macht deutlich, was er davon hält. Er bringt Menschen zur Einsicht. Der Stein, die Kugel, das Beil und all die anderen Instrumente des Todes haben in der Hand des Menschen nichts verloren. Um keiner Gerechtigkeit der Welt willen. Deshalb hat die Todesstrafe unter Christenmenschen nichts zu suchen. Henker sind ausnahmslos Heiden, wie ultrafromm sie auch daherkommen mögen. Besonders für den lieben Gott muss keiner die Welt blankputzen. Und es ist Blödsinn, dass die Guten übrigbleiben, wenn man die Bösen umbringt. Gott hat das Recht uns das Leben zu nehmen. Denn von ihm kommt es. Ihm gehört es. Aber der Christus lässt die Steine liegen. Und deshalb ist es tröstlich, dass auf dem Richterstuhl Gottes, vor dem wir alle einmal stehen müssen, niemand anderer sitzt, als der Christus. Der wird uns dann wohl den Anblick seiner Hände und Füße nicht ersparen. An den Wundmalen wird noch zu sehen sein, was unsere Verbrechen gegen die Liebe angerichtet haben und dass ihn die lächelnde Güte mit der Ehebrecherin und uns alles gekostet hat. Der Apostel Paulus nennt deshalb die Liebe Gottes das Höchste und Größte. Diese Liebe setzt alles daran, damit die Steine nicht nur aus unseren Händen, sondern auch von unseren Herzen fallen. Damit auch wir barmherzige Menschen werden. Das schenke Gott uns allen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
3 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer
brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die
Mitte |